Grangor 4 (Neferu)

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Die nachfolgenden zwei Monate entpuppten sich als Chaos und als ein Netz der Ungewöhnlichkeiten.
Sie hatte sich ihrem verworrenen Gefühl Phexdan gegenüber nicht hingeben wollen (außerdem wollte sie ihm den Triumph nicht gönnen, sie auf die endlose Liste seiner Eroberungen zu schreiben) und Grangor auf dem Seeweg hinter sich gelassen. Nestor war gut bezahlt worden, damit er sie nicht verriet.

In Ferdok gelangte sie durch Zufall in das Haus eines Magus, der sie mittels Zauberei mit nach Maraskan nehmen wollte, um irgendein arkanes Phänomen zu studieren – gegen gute Bezahlung natürlich.
Maraskan. Scheijian. Ihr kam der Name des Mannes in den Sinn, den sie Jahre lang zu lieben geglaubt hatte. Wenn sie jetzt an ihn dachte, war er ein schemenhafter Geist mit schwarzen Augen, in kurzer Zeit um Monate verblasst. Sie versuchte sich an die Konturen seiner Gestalt in ihrem Geist zu klammern und ihre Ideale in dieses Mitglied des Zweiten Fingers Tsas zu projizieren, den sie kaum kannte. Lange hatte sie ohne Erfolg nach ihm gesucht. Allein um Phexdan weiß zu machen, es gäbe da bereits den Mann ihres Lebens, hatte sie dem Gaukler von Scheijian erzählt. Auch wenn es stimmte und sie noch vor einigen Wochen so gedacht hatte, war er in dem Moment nur ein Mittel gewesen, um sich unerreichbarer und interessanter zu machen. Leider hatte diese Masche bei Phexdan nicht gefruchtet. Sicher war er sie gewöhnt von all den Frauen, die um ihn herumscharwenzelten und um seine Gunst buhlten.
Wie auch immer – der Magier wollte mit ihr nach Maraskan und sie war nur allzu bereit diesen Zufall als Wink der Götter zu verstehen, die versuchten, sie wieder auf den Weg Scheijians zu führen.
Leider hatte die ganze Geschichte dann doch wenig mit den Zwölfen zu tun: Der Zauber schlug fehl und sie landete allein auf einem Baum im Regenwald südlich von Al’Anfa und stieß unglücklicherweise (oder glücklicherweise?) auf eine Gruppe Eingeborene, die sie gefangen nahmen, ihr die geliebten Haare gewaltsam schnitten und sie zwangen einen Hund zu mimen – denn mehr war sie für diese Eingeborenen vom Stamme der Oijianijias nicht wert.
Als das Dorf der Waldmenschen angegriffen wurde, konnte sie sich beweisen. Sie rettete die Häuptlingstochter und erschlug einige Angreifer des feindlichen Stammes. Fortan änderte sich die Situation, sie wurde in den Stamm integriert, bekam ihre eigene Hütte und von beinahe allen Respekt. Besonders zu dem alten Schamanen Hanah-Kau-Kee hatte sie ein gutes Verhältnis, was in einer Blutsbruderschaft mündete. Sie besiegte noch einen untoten, uralten Feind des Dorfes, einen Yaq-Hai und durfte sich von nun an den Titel „Bezwinger des Yaq-Hai“ in der Sprache der Oijianijia nennen, die sie in den Grundzügen erlernt hatte. Der Abschied ergab sich dadurch, dass sie ein bösartiges, Unfrieden bringendes Artefakt in die Zivilisation tragen musste, nicht ohne die Bitte des Dorfes zurückzukehren.
Im Spiegel eines ruhigen Waldsees erkannte sie sich selbst kaum wieder. Ihre Waffe war ein biegsamer Holzstab, umwickelt mit Krokodilsleder und mit den Federn eines Regenbergadlers geziert. Ihr kurzes Haar war durch mehrere Flechtzöpfe wieder bis auf die Brust verlängert worden. Ihre Haut war dunkel, die tulamidische Abstammung in ihr – die auch Phexdan wohl nicht verleugnen konnte – hatte dafür gesorgt, dass sie farblich mittlerweile eher einem Moha glich. Ihr Haar hingegen war ausgeblichen und zusätzlich rötlich getönt worden. Die Kleidung ähnelte grob der, mit welcher sie aufgebrochen war – mit der Ausnahme, dass diese hier, sowohl was das Hemd, als auch den kurzen Rock anging, aus gleichfarbigen Flicken bestand, die kreuz und quer zusammengenäht worden waren – von ihr selbst.
So erreichte sie die Zivilisation und in selbigem Zustand auch nach 50 Tagen Fortbleiben wieder Grangor.
Sie hoffte nach dieser langen Zeit geheilt zu sein von dieser lästigen Vernarrtheit, aber kaum hatte sie das Stadttor passiert, als sie auch schon merkte, dass ihre Füße sie schnurstracks zur „Offenen Hand“ führten.
Sie versuchte sich kurzzeitig zu konzentrieren, um einen Plan zu fassen und aus ihrer Schwäche das Beste zu machen, aber ihr Herz schlug ihr dermaßen zum Hals, dass sie ihre eigenen inneren Worte nicht verstehen konnte. Gelassenheit und Selbstbewusstsein – diese zwei Merkmale versuchte sie zwanghaft und unterstützt durch ein stummes Mantra auszustrahlen, als sie dann doch etwas zu kräftig die Tür zur Pilgerherberge aufstieß. Es wurde still und viele Augen richteten sich auf die dunkelhäutige Frau mit den ungewöhnlichen Zöpfen, die grangoruntypisch komplett in Rot gewandet war.

Ihr erster Blick fiel auf Richard und Garion, die zusammen mit Phexdan an einem Tisch saßen und sie so massiv in ihrer dortigen Kombination irritierten, dass sie wie nach überzogenem Auftritt heischend mehrere Minuten aufrecht und wortlos in der offenen Tür stehen blieb.
„Neferu! Da bist du ja wieder!“ lächelnd und mit ausgebreiteten Armen kam ihr zu allererst Phexdan entgegen, was ihre Irritation in die Grenzenlosigkeit Alverans erhob. Sie hoffte inbrünstig erhaben und ernsthaft zu wirken – glücklicherweise hatte sie darauf geachtet ihren Mund geschlossen zu behalten, um nicht Maulaffenfeil zu halten. Das war doch schon mal was.
Garion wirkte alles andere als glücklich und hatte einen auffälligen Schnitt im Gesicht. Als er zu ihr eilte, besann sich der Fuchs und klopfte ihr nur kurz auf die Schultern, ehe er recht schnell die Herberge verließ.
Neferu wartete immer noch auf sein Zurückkommen, als ihre zwei Begleiter sich lange zu den Hortemanns begeben hatten.
Sie blieb wach und studierte sein Zimmer, wie sie das Durchwühlen und Nachstellen und das stehlen eines Briefes in Geheimschrift gedanklich positiv verpackte. Erst als die Praiosscheibe sich in rotem Licht über Grangor erhob, ging sie schweigend und müde zum Hause Hortemann zurück.

Ein Auftrag erreichte eben jenes Anwesen – Treffen zur 14. Stunde am Rahjatempel. Alle drei folgten dem Aufruf.
Aber stattdessen, wurde ihre Welt aus den Fugen geworfen.
Noch jetzt schluckte Neferu ihre Angst herunter, wenn sie an ihren Tod dachte. Sie war gestorben, weil Ingerimm, Efferd und Rondra so entschieden hatten. Ein Kult des Namenlosen beherrschte insgeheim die Stadt und eine ausnahmslose Zerstörung sollte diese Gefahr bannen. Doch Rahja liebte Grangor und vollzog einen Pakt mit Satinav – die Zeit hatte still gestanden.
Neferu hielt kurz inne. Es war bereits dunkel und etwas windig. Sie rieb wärmend die Arme und blickte sich zögerlich um. Ihre Gedanken hatten sie weit fortgerissen und sie versuchte ihren momentanen Standort zu identifizieren. In der Ferne erblickte sie den Rahjatempel. Sie war wohl mehrfach im Kreis gelaufen. Matt atmete sie aus. Der Rahjatempel.
Sie war Rahja persönlich begegnet, sie hatte die personifizierte Liebe getroffen. Enttäuschung und Verbitterung hatte sie die Göttin spüren lassen, was sie längst bereute. Was sollte folgen auf unglückliche Liebe, wenn man der Liebesgöttin für diese Umstände zürnte? Doch nur noch unglücklichere Liebe. Ihr wurde kalt.
Sie hatte es gewagt die große Göttin anzusprechen.
„Warum quälst du mich?“ War ihre törichte Frage gewesen und die Antwort der Bewohnerin Alverans war folgendermaßen ausgefallen: „Liebe ist Freude und Schmerz.“ Sie hatte in dem Moment die Antwort der Göttlichen als Hohn empfunden, nun gingen ihre Gedanken vollkommen andere Wege. Vielleicht suchte sie die Freude an falscher Stelle? Hatte sie nur ein Talent? Den Schmerz des Gefühls zu spüren und zu entfachen?
Immerhin hatten sie drei es allein geschafft Grangor zu retten. Alle 8000 Menschenseelen – gerettet durch ihre Hand. Weil sie ein Haar rechtzeitig verbrannten, das dem Namenlosen Höchstselbst gehört haben sollte. Auch die Seele von Phexdan… flüsterte es sanft in ihren Gedanken und sie erinnerte sich an den Moment, die letzten Sekunden des zeitlichen Stillstandes, in denen sie wie um ihr Leben rennend zu eben jenem fand, und ihm das Schneeflockenamulett umlegte, bevor sie sich so rasch entfernte wie sie gekommen war. Was er wohl gedacht haben mochte, als ganz plötzlich die Kette an seinem Hals erschienen war?
Sie lächelte in Melancholie bei diesem Gedanken und malte sich in den schillerndsten Farben aus, dass er sie heimlich liebte – ihr Geschenk küsste und es nah bei seinem Herzen trug. Schnell schüttelte sie den rührseligen und unwirklichen Gedanken von sich.

Was hatte sie anschließend getan, nachdem bekannt geworden war, dass die Fremde aus Gareth und ihr Begleiter (von Garion hatten die Bewohner von Grangor wohl noch nicht viel mitbekommen) sie alle gerettet hätten? Sie war ins Haus Hortemanns gegangen, hatte zielstrebig das Zimmer vom spielenden Phexje aufgesucht und war dem Kind heulend wie ein Klageweib um den Hals gefallen.
Aus irgendeinem Grund erschien ihr der kleine Fuchs in dem Moment als der einzige Trost. Er bat ihr seinen Holzfuchs an, doch sie erneut Mut und Kraft nach diesem Einbruch schöpfend, erhob sich und sprach in leiser Ruhe: „Behalte ihn, Phexje. Ich muss meinen eigenen Fuchs finden.“
Die Antwort des Kleinen kam unerwartet.
„Wenn du das Füchschen suchst… versuch es mal hinter dem Efferdtempel.“
Wenige Sekunden war sie perplex gewesen. Das Füchschen? Phexdan?
Zwar hatte sie mit ihren Worten ausdrücken wollen, dass sie denjenigen, der durch Rahja für sie bestimmt worden war noch würde finden müssen, aber der sofortige Hinweis auf Phexdan durch seinen kleinen Bruder, gab Neferu seltsame Hoffnung, die sie aus Angst mit Pessimismus zu vertreiben suchte.
Dennoch, sie drehte sich um und rannte, nicht achtend auf die Menschen, die ihr den Weg versperrten, die stechenden Lungen kaum spürend.
Sie gelangte zu jenem Garten, spähte über die hohe Mauer, die sie unter skeptischen Blicken erklommen war und sah ihn. Phexdan, wie er sich sorgsam um die Pflanzen des Tempelgartens kümmerte.
Ihre Gedanken hatten einen Ausflug in die Vorstellung einer perfekten Zukunft gewagt und zeichneten sie selbst, wie sie nach ihm rief – er, wie er sich erhob und auf sie zulief – und sie beide, wie sie sich innig und in endlich erkannter, gegenseitiger Liebe umarmten.
Wunschträume, die sie auch aufgrund ihres Kitschgehaltes peinlich berührt fortwischte.
Sie fasste sich ein Herz und näherte sich so leise es ihre Schritte vermochten, ehe sie sich noch ungesehen neben ihm niedersetzte. Er schien wirklich überrascht.
Wieder begann sich ein Redeschwall von ihren Lippen zu lösen. Sie hatte noch immer nicht herausgefunden, worauf dieses Phänomen möglichst viel in seiner Gegenwart sinnlos und haltlos zu plappern rührte. Hatte sie Angst er könne etwas sagen, dass sie mehr verletzte als Klinge oder Pfeil?
Sie gab ihm den gestohlenen Brief mit der Geheimschrift aus seinem Zimmer zurück und zeigte deutliche Reue.
„Du kannst alles haben, was ich am Leib trage.“ Dieser Satz fiel während des Gespräches über die Aneignung des Briefes. Für was hielt er sie? Sie wollte keinen schnöden Mammon, sie wollte …-
„Ich will nicht, was du am Leib trägst!“ brüskierte sie sich etwas zu ereifernd.
Seine Antwort war ein Grinsen.
„Willst du etwa den Leib?“ Unter wildem Verneinen versuchte sie das Erröten ihrer Wangen zu unterdrücken.
Sie erzählte ihm außerdem, wie die Kette um seinen Hals gelangt war.
„Ich denke, die Kette reicht mir als Erinnerung.“
Ihr Herz wurde schwer. Er hatte sie gedanklich bereits weit fort geschickt und sich mit einem Souvenir zufrieden gegeben. Ihre Fantasievorstellung beidseitiger Liebe zerbrach schmerzhaft in zwei Teile.
Nachdem sie Rahjarosen gepflanzt und währenddessen monologisiert hatte, wie ungut sie und eben diese Göttin der Liebe sich verstünden, verließ sie den Garten.
Doch kaum hatte sie das Tor passiert, rebellierte alles in ihr und sie musste sich die ungeheure Blöße geben, umzukehren. Sie hatte doch glatt vergessen, sich lächerlich zu machen.
„Willkommen Zuhause.“ Begrüßte er sie lächelnd.
Sie hatte ihr Versäumnis nachgeholt und ihm erklärt, dass sie seine Zeitstarre nicht ausgenutzt hätte. Dann… verließ sie den Garten endgültig.

Ihre Gedankenfahrt neigte sich dem Ende, ebenso ihr zurückgelegter Weg.
Sie stand vor den noch offenen Toren des Rahjatempels. Unschlüssig, frierend und doch in gewisser Weise festen Willens, spendete sie dem Tempel der Göttin von Schönheit, Liebe und allen Wonnen zwanzig Dukaten.
„Betet für mich..“ raunte sie den Tempelwachen durch die Zähne zu und begab sich hinein.
Als sich die nächstbeste geweihte Person an sie wandte, sprach sie in melancholischer Ruhe:
„Ich glaube… Rahja liebt mich nicht. Ich fühle mich starr und erfroren, jenseits von Küssen und Zärtlichkeit in wahrhaftiger Liebe. “