1012 BF

Norburg 1 (Garion) ( –––)

Mit einem leisen Frösteln zog Garion den Fellumhang enger um seine Schultern. In den Straßen Norburgs bließ ein kalter Wind und die ersten Schneeflocken hatten begonnen lautlosauf das Pflaster hinab zu sinken, als der Rondrit aus der Herberge Albin von Hollerow hinaus in die aufziehende Dunkelheit getreten war.
Das Herbergszimmer war nicht günstig gewesen mit seinem großen Kamin, dem weichen Bett und sogar einem eigenen Bad, aber Zafira hatte während der Reise über die Grüne Ebene zwischen Thorwal und dem Bornland mehr gelitten als sie zuzugeben bereit war. Eine solche Reise so spät im Jahr war ungewöhnlich und oft selbst für die erfahrenen Nivesensippen gefährlich. Die Ferkina musste noch mehr gefroren haben als er und war in den Nächten beinahe in das Feuer hinein gekrochen. Aber beschwert hatte sie sich mit keiner Silbe. Dennoch – nun, da sie drei Nächte in Norburg verbringen würden, hatte er sich entschlossen einen Teil seiner Reisekasse zu opfern um ihr ein wenig Erholung von den Strapazen der harten Reise zu gönnen.
Mit langen Schritten bog er von der breiten Hauptstraße ab und betrat eine der schmaleren Gassen, zwischen den hölzernen Wänden zweier Bürgerhäuser. Er selbst würde nur die dritte Nacht in dem gemütlichen Herbergszimmer verbringen. Norburg war die größte Stadt auf dem Weg nach Schossko und verfügte über einen Tempel der Herrin Rondra, den er zu besuchen dachte. Dort würde er der Göttin des ehrenhaften Kampfes dafür danken, dass sie ihm auch auf den Inseln hinter dem Nebel den Sieg und das Leben geschenkt und nur sein linkes Auge gefordert hatte.Außerdem hoffte er einen Hochgeweihten vorzufinden, der gewillt war, den morgigen Tag mit ihm zu verbringen. Er hatte Fragen – Fragen auf die er hier Antworten zu finden hoffte.

Der Gruß einer Wache riss ihn aus den Gedanken und es dauerte einen Moment, bis er ihn erwiderte. Der Wache schien es gleich zu sein, vermutlich rangen sich die meisten Bürger der Stadt längst nicht mehr dazu durch ihre Wachen mit einem Gruß zu würdigen. Die Männer und Frauen, die ihr Leben riskierten um den ruhigen Schlaf der Einwohner Norburgs zu garantieren, waren zu einer Selbstverständlichkeit geworden.

Mit einem leisen Seufzen, das seinen Atem als kleine Wolke vor seinem Mund sichtbar machte, setzte er seinen Weg durch die großteils verlassenen Gassen fort. Nach Einbruch der Dunkelheit hatten sich die meisten Bewohner und Besucher der Stadt in ihr warmes Heim zurückgezogen. Der nahende Winter machte die Nächte bitterkalt, Frost überzog die metallenen Halter der Straßenlaternen und malte Eisblumen auf die Fenster der größeren Häuser. Zafira hatte Garion versichert, dass seine Augenhöhle das silberne Auge vor dem Frost bewahren würde, sodass er nicht fürchten musste beim schließen des Auges mit dem Lid festzufrieren. Er mochte die schöne Ferkina. Sie war ruhig, verantwortungsbewusst, kümmerte sich um andere und wusste mit Krankheiten und Wunden umzugehen. Niemals hätte er jemandem geglaubt, dass gerade eine Frau wie sie lange Jahre als Hure im Bordell eines Orken hatte verbringen müssen. Aber die Vergangenheit hatte ihm mehr als nur einmal gezeigt, dass die Götter verschlungene Lebenswege liebten.

Die Flocken um den Ardariten herum fielen nun dichter, ließen seine Sicht auf wenige Schritt zusammenschrumpfen und entführten seine Gedanken mit ihrem wilden Tanz zurück in eine andere Wirklichkeit. An einen Ort und in eine Zeit in der seine Gedanken dort geweilt hatten, wo er nun war – im Bornland.

4 Jahre zuvor, Grangor, Horasreich

In dem Badehaus, nahe des Rondratempels herrschte reges Treiben. Händler, Kapitäne und Pilger konnte es nach der zumeist langen Seereise kaum erwarten endlich ein warmes Bad zu genießen und waren nur zu gerne bereit die geforderten zwei Kreuzer Eintritt zu zahlen um die geheizte Badehalle und die Schwitzräume betreten zu dürfen. Von den, mit efferdgefälligen Symbolen und Wandbildern geschmückten, Mauern des Bades hallte das Lachen, das Rufen und das Gerede der Besucher wider und erfüllte die Luft mit dem ständig an- und abschwellenden Summen eines Stimmengewirrs.
Der Rondrageweihte ließ seinen Blick wehmütig über die vielen Köpfe gleiten, die knapp über der Wasserfläche schwebend aufeinander einredeten. Ihm selbst war es kauf aufgefallen, aber in Grangor schien es kälter geworden zu sein. Überall hörte er, wie man sich über das warme Bad freute, wo draußen doch so kalte Winde um sich griffen. In seiner Heimat hätte man das Wetter draußen als „milde“ bezeichnet. Hier in Grangor aber führte es dazu, dass die Ruhe, die das Badehaus für gewöhnlich verströmte, von den vielen Besuchern zur Atmosphäre eines mittelgroßen Basars gewandelt wurde. Es war ihm nicht einmal möglich genug Platz zwischen den Anwesenden zu finden um wenigstens eine Bahn zu schwimmen. Also begnügte er sich damit, sich gründlich zu waschen und verließ das Becken dann, um sich gründlich abzutrocknen und das Badehaus zu verlassen. Wenigstens hatten Geweihte freien Eintritt…

Die Menschen, die ihm auf den Straßen entgegen kamen, hatten sich zum Schutz gegen den schwachen Nieselregen und die abgekühlte Luft, die er mit sich brachte, dicke Mäntel übergeworfen und trugen Mützen oder Hüte auf dem Kopf. Die grauen Wolken und die feucht glänzenden Straßen, passten vorzüglich zu den vorherrschenden Kleidungsfarben und der Laune Garions. Hier war alles grau und ein wenig düster.
Neferu würde mit Phexdan, diesem schmuddeligen Möchtergern-Geweihten den Traviabund eingehen – und das schon morgen. All seine Bemühungen hatten keinerlei Früchte getragen. Die Reisen zwischen Arivor und Grangor, die Kämpfe um ihr Herz, die Rose, die Rettung Grangors bei der er sich einige Rippen hatte brechen lassen um sie zu schützen – all das war umsonst gewesen. Kurz ließ er einen missmutigen Blick über den Platz gleiten, den er gerade überquerte. Nur wenige Menschen waren unterwegs, offensichtlich herrsche hier tatsächlich die Meinung vor es sei tatsächlich schlechtes Wetter. Unwirsch fuhr er sich mit der rechten Hand über das Gesicht, um den gesammelten Regen fortzuwischen. Seine Barschaft war karg, seine Laune nicht die Beste und dieser zwölfgötterverfluchte Nieselregen konnte sich nicht entscheiden ob er nun ein richtiger Regen sein oder doch lieber aufhören wollte.
Nachdem er eine Weile Zuflucht darin gesucht hatte ziellos durch die Straßen und Gassen der Tempelstadt zu wandern, gab er es schließlich auf und kehrte in den Tempel Rondras zurück, wo er eine kleine Kammer bewohnte.