Brabak
Brabak 1 (Salpico) (TSA 1013)
Mit einem tiefen Ausatmen schob der Adept die Tür hinter sich ins Schloss und wandte sich dem Raum zu, den er gerade betreten hatte. Die Gästekammer spiegelte auf wenigen Rechtschritt alles wider, was die dunkle Halle der Geister ausmachte. Keine Fensteröffnung durchbrach die massiven, dunklen Steinwände des Raumes. Es war kalt und roch ungesund muffig und nach Schimmel.
Nach einem Augenblick in dem er sich selbst im Stillen für seine klamme Barschaft verfluchte, ließ er die Tasche, die er als Gepäck mit sich führte auf den Boden fallen. Dann entsandte er einen geistigen Befehl in den langen Stab in seiner rechten Hand. Nur den Bruchteil einer Sekunde später war die blaue Kugel an seinem Ende in bläuliche verzehrend flackernde Flammen gehüllt, die unheimlich tanzende Schatten an die Wände warfen.
Aus der tiefen Dunkelheit des Raumes erhoben sich die Umrisse einiger Möbelstücke. Links von der Tür befand sich eine zweiteilige Kommode, deren Holz schon auf diese Distanz aufgeweicht und morsch wirkte. Gleich rechts daneben stand ein Schreibtisch, auf dem sich eine herunter gebrannte Kerze und ein eingetrocknetes Tintenfässchen samt altersschwacher Feder befanden. Die Sitzgelegenheit davor bestand aus einem seltsam geformten Stuhl, dessen größter Teil aus Brabaker Rohr, etwas Holz und viel gutem Glauben zu bestehen schien. Dahinter, gleich in der Ecke des Raumes stand ein winziges Regal, auf dessem obersten Brett eine Blume dahin geschieden war. Für einen Moment fragte Salpico sich, ob das eine Aufforderung zur Wiederbelebung sein sollte oder ob die Geste nicht dem verschrobenen Humor der Magister entsprungen war.
Dann richtete er den Blick nach rechts. Nahe der Tür stand dort ein kurzes Bett, das ebenso wie der Rest des Mobiliars bessere Zeiten gesehen hatte. Daran schloss sich ein Rechtschritt freien Platzes an, auf den ein Stehpult folgte, das bereits direkt an der Wand stand.
Zwischen dem Stehpult und dem Eckregal, gleich an der Stirnseite des Zimmers lag, kalt und vergessen, ein ausladender Kamin. Auf seinem Sims standen einzige Kerzen – ebenfalls schon älter.
Über der Feuerstelle seines Gästezimmers war eine Holzplatte angebracht, die zu ihrer Zeit sicher teuer gewesen und mit einem Schutzkreis beschnitzt worden war. Wie so vieles in den finsteren Tiefen der Akademie. Den krönenden Abschluss bildete ein farblos gewordener Tulamidenteppich auf dem Boden.
Im Licht seines Stabes ließ der Adeptus Minor sein neues Heim auf sich wirken. Der ganze Raum hinterließ den faden Beigeschmack von zuviel Schminke auf einem verlebten Gesicht. Mit einem Schulterzucken durchquerte er das Zimmer und beugte sich vor, um die Flammen seines Stabes in das im Kamin aufgestapelte Holz zu schieben. Der Raum war allemal besser als die Scholarenquartiere, die er hier beinahe ein Jahrzehnt lang bewohnt hatte. Aber etwas Licht und Wärme würden in keinem Fall schaden.
Kurze Zeit später brannten alle Kerzen, die an der Wand oder auf verschiedenen Regalbrettern verstreut zu finden gewesen waren und in der breiten Kaminöffnung leckten unpassend fröhliche Flammen an den Scheiten. Ohne rechte Eile kehrte die Wärme in das Gemäuer zurück.
Der Magier lehnte an dem Kamin und genoss die Wärme, während er den hölzernen Bannkreis betrachtete. Gleich davor auf dem Sims standen zwei Kerzenhalter von jeweils drei Kerzen. Mit der leeren Stelle zwischen ihnen hinterließ die Szenerie den Eindruck eines Schreines, den jemand seines Heiligtumes beraubt hatte.
Ohne weiter über den Grund nachzudenken, wandte Salpico sich um und öffnete die Tasche, die er bei sich getragen und die inzwischen ihren Weg auf den Schreibtisch gefunden hatte. Aus ihren tiefen zog er einen Zierdolch hervor, dessen Scheide mit Blau und Gold verziert war. Kurz unter dem Heft zeigte sie ein Wappen, das ihm weder etwas sagte, noch ihn weiter interessierte. Sobald er die Zeit und das Geld dafür hatte, würde er es gegen das von Brabak oder Gareth austauschen lassen.
Mit ruhiger Hand platzierte er die Waffe zwischen den Kerzenhaltern unter dem Zentrum des Bannkreises und trat einen Schritt zurück. „So“, befand er, „sieht es doch gleich sehr viel weniger, wie ein Greis mit Zahnlücke aus.“
Einen Augenblick sah er in das Feuer hinab. Was sollte er jetzt tun? Er war schon vor einigen Stunden in der Akademie angelangt – am Vormittag, mitten in der Zeit der Studien. Ihre Spektabilität Terbysios – eine Frau um die 50 mit einem Charme, der diesem Zimmer um nichts nachstand – war wider erwarten selbst mit der Unterweisung von Scholaren beschäftigt gewesen und so hatte er warten müssen. Als sie dann schließlich Zeit gefunden hatte mit ihm zu reden, hatte er sich erst einmal dafür rechtfertigen müssen, warum er mit drei Tagen Verspätung eingetroffen war. Und obgleich er argwöhnte, dass seine Ausrede vergleichsweise sparsam gewesen war, hatte ihre Spektabilität nicht weiter nachgehakt, sondern war schlicht auf den Grund seines Daseins zu sprechen gekommen.
Das Wissen und die Macht, die er im Gegenzug für eine Teiltilgung seiner Schulden der Akademie gegenüber angeboten hatte, mochte mehr wert sein, als er vermutete, wenn Demelioë ihn derart leicht vom Haken ließ – aber sei’s drum. Jedenfalls waren nach der Besprechung seine Unterrichtsvorbereitungen einbehalten worden, weil Demilioë sie prüfen wollte. Den Beginn seiner Unterweisungen hatte sie auf den nächsten Tag verschoben. Jetzt war es gegen Mittag – auch wenn die Tageszeit innerhalb der stets finsteren Akademie schwer zu bestimmen war – und er hatte nichts zu tun.
Kurz erwog er in den Konventssaal hinab zu gehen und nachzusehen, ob Kaspar Eulertin – ein alter Klassenkamerad und inzwischen Magister Minor – dort war. Obgleich Kaspar alles, einschließlich nachgezogener Augen, gepuderter Hautblässe und (sicherlich gefärbten) langen schwarzen Haaren, dafür getan hatte wie das abgeschmackte Klischee eines Schwarzmagiers auszusehen, mochte Salpico ihn. Kasper war schon früher stets nett zu ihm gewesen. Und die herzliche Begrüßung am Morgen ließ vermuten, dass sich daran nichts geändert hatte.
Nur, dass dem Magister heute die Blicke der Schülerinnen folgten war wenig erbaulich. Rasch schüttelte der Nekromant den Kopf. Kaspar war nett, aber er sagte und tat immer dieses Quäntchen zu viel. Er konnte von Glück sagen, dass er sich nicht schwerpunktmäßig mit der Alchemie beschäftigte.
Magistra Zeforika, seine ehemalige Mentorin war wesentlich angenehmer. Sie war bekennende Borbaradianerin, offen, konnte gut zuhören – und war sicher im Unterricht. Damit blieb noch Pôlberra, dessen Unterricht er heute Morgen gestört hatte. Der ehemalige Geweihte und Kultist war mit „misanthropisch“ noch zurückhaltend beschrieben. Er bespuckte, kratzte und würgte seine Schüler, legte sich mit jedem, aber auch wirklich jedem an, der sich in seine Belange einmischen wollte und verfluchte Störenfriede mit einer Kunstfertigkeit, die jeden Seemann und Kesselflicker hätte erbleichen lassen. Nein – wenn Salpico so darüber nachdachte, dann war Pôlberra vielleicht auch nicht der Weisheit letzter Schluss.
Als er sich setzte, entlockte er dem Stuhl ein kraftloses Knacken und verharrte einen Moment, um sicherzugehen, dass er nicht im nächsten Augenblick rücklings vom nachgebenden Stuhl rollen würde. Als nichts dergleichen geschah, rutschte er näher an den Schreibtisch und legte das einzige Buch, das er mit sich genommen hatte darauf. Auf seinem nachgedunkelten Ledereinband stand in Kusliker Zeichen geschrieben Die Macht der Elemente. Der Octavo hatte einen Umfang von 350 Seiten und war eine originalgetreue Abschrift des 690 nach Bosparans Fall geschriebenen Buches. Darin hatte der Hesindegeweihte Pheredonis Melenaar von Zorgan die praktischen Grundlagen der Alchemie niedergeschrieben. Laborausstattungen, Vorgehensweisen, Analysen und jede Menge Rezepte. Kurzum: Genau das was Salpico brauchte. Er hatte das Buch mitgenommen, um in den ruhigen Stunden, die ihm zwischen den Unterrichtseinheiten blieben darin zu lesen. Immerhin war es nur eine Leihgabe und er hatte nicht ewig Zeit dazu. So schnell wie nur möglich wollte er es Neferu zurückgeben.
Ehe er es aufschlug hielt er noch einmal inne. Mharba! Sie war eine interessante Gesprächspartnerin – eine Studiosa – aber mit Hesindes Gaben gesegnet wie nur Wenige. Sie zählte 19 Götterläufe und interessierte sich für Temporalmagie, Dämonen, Artefakte und Alchemie. Anders gesagt: Für alles was auch Salpicos akademisches Leben im Augenblick formte. „Eine Schande, dass sie noch Scholarin ist. Das bedeutet, dass sie zu dieser Zeit bei ihren Studien ist.“ Er klappt das Buch vor sich auf dem Tisch auf. Warum sollte er sich grämen? Mharba käme wie verabredet nach ihren Studien zu seiner Kammer und bis dahin konnte er etwas essen und noch ein wenig lesen.