Darpatien

Perricum 1 (Cyruion) (PER 1013)

Summend ließ es sich der hochgewachsene Elfenmagier auf dem Rücken, im Sattel sitzend, des Weißlöwen gut gehen, wie die Rondriten das Pferd genannt hatten. Von Anfang an hatte die Beziehung der Beiden unter einem guten Stern gestanden: Das Pferd warf den Elfen nicht ab und er behandelte es nach bestem Wissen und Gewissen, als wäre es eines der eigenen Beine. Entsprechend bekam das Tier auch an ruhigeren Tagen genug Auslauf, doch ebenso auch die hin und wieder bitterlich benötigten Verschnaufpausen.

Obendrein hatte Cyruion bereits vor der Abreise das Nötigste klarstellen können, so dass die Geweihten voll im Bilde über ihren elfischen Gefährten waren, es ihm an nichts mangelte, das seine Stimmung und damit gegebenenfalls auch seinen Wirkungsgrad schmälern konnte. Die Fesseln waren zwar nicht bequem, doch eine optimale Lösung, die ihn für die Dauer der Reise an Ort und Stelle hielt. Sein Schlaf war zwar bereits besser gewesen, doch ihm blieb nichts als sich umso mehr der Zeiten mit Tageslicht zu besinnen und das Beste herauszuholen. In diesem Fall handelte es sich dabei zunächst um Wissen.

All die Informationen, die er den anderen entlocken konnte. Für Menschen waren diese mit hinreichender Wahrscheinlichkeit nicht mehr als selbstverständlich, doch für die Gestalt auelfischer Herkunft war ein Viburn von Hengisfort ein gänzlich unbeschriebenes Blatt. Ein Blatt, das für die Kirche mehr einen tragenden Ast darstellte, der im Sturm ruckartig zu Boden gegangen und gesplittert war. Ein trauriger Umstand, doch hatte besonders das Menschenleben doch immer, irgendwann ein Ende. Einige Zungen unter den Geweihten sprachen allerdings von Mord am Hoftag in Gareth, andere hatten ebenso ihre Thesen zum natürlichen Ableben des Schwerts der Schwerter.

Alleine der Gedanke an Mord trieb das blanke Entsetzen und Unverständnis in seine Miene. Nie hatte er verstehen können, was der grundlose Tod oder Mord den Menschen gaben. Sein eigener, größter Exzess in diese Richtung war das bewusste Wirken eines Fulminictus, der etwa eine Hand voll verwundete Goblins erlöste – vom Pockenleiden – und zudem hatte dieser Zauber den Effekt, dass seine Freunde sich nicht mit der zumeist tödlichen Krankheit infizieren konnten. Aus seiner Sicht die einzig richtige Entscheidung, besonders da er sich ohne Risiko einzugehen in den Goblinpulk hatte begeben können. Aufgrund des elfischen Blutes, das seine Adern durchfloss, wurde er glücklicherweise sehr selten krank.

Cyruion schüttelte den Kopf. Dieser Tage würde er ein solches Risiko kaum eingehen müssen, die Rondriten hatten dem Magier grundsätzlich zu verstehen gegeben, dass er sich von Kämpfen mit seiner Magie fernhalten sollte. Die Ehrenhaftigkeit ihres Kampfes sollte wohl nicht besudelt werden, obgleich er bei schweren Krankheiten jederzeit den Vorschlag unterbringen würde, ähnlich vorzugehen. Denn was nützte Perricum eine Horde kranker Geweihter. Er sollte jedoch keinesfalls selbstständig tätig werden, ansonsten würde sich Aldare VIII., ihres Zeichens die Anführerin der Delegation, wohl noch persönlich des Elfen mit der Vorliebe zum Nadelstich vornehmen.

Er schluckte leicht. Ebenso wenig wie an Mord wollte er daran denken, wie ihn Aldare konfrontierte. Die adlige Geweihte war für ihn nahezu unerreichbar und er hatte es aus einem grundlegenden Respekt der Frau gegenüber schon kaum gewagt, überhaupt ein Wort an sie zu richten. Sie hatte ihn wenn, dann sowieso nur wieder an seine Aufgabe erinnert und schien der Gespräche über sich selbst überdrüssig oder sah dies als den falschen Moment an.

Seine Begleiter, die ebenso das mysteriöse Artefakt bewachten, waren glücklicherweise gesprächiger, vielleicht weil ihnen mehr Zeit dafür blieb als der Meisterin der Senne Nord. Eventuell lag es jedoch auch daran, dachte sich der Elf früh auf der Reise, dass es nur zwei Schwerter waren, die sie neben dem Tross zu bewachen hatten. Zwar die Amtsschwerterin der Aldare, doch wer würde zwei Schwerter stehlen?

Narond, Thali und Rondrald konnten ihm diese als eine von wenigen Fragen nicht beantworten. Falls doch, durften oder wollten sie es möglicherweise nicht. In anderen Punkten waren sie dafür umso aufschlussreicher. Da war es gleich, ob es nun um ihre Stellung in der Kirche ging, ob sie Ehemann oder -weib ihr Eigen nannten oder was ausschlaggebend dafür war, dass sie heute Geweihte der Löwengöttin waren.

Insbesondere Narond und Thali fand der Auelf als Gesellschaft insgesamt ansprechend. Lediglich mit Rondrald hatte er weniger zu schaffen. Doch Narond und Thali hatten etwas besonderes an sich. Er, der Geweihte, war mit einer Elfe verheiratet und ursprünglich als Pilger nach Donnerbach gekommen und sie wirkte wie eine Art beste Freundin für die Reise, die den Schneider aus den Auen zu amüsieren wusste. Denn in seltenen Momenten verspürten sie ähnlich weibliche Gelüste, etwa über Kleidung verschiedener Art zu sprechen, soweit das von Frauen denn überhaupt erwartet wurde, und insbesondere dass Thali sich von Perricum erhoffte doch einiges probieren zu können, das sie sich bislang nicht zugetraut hatte – doch eher, weil es Gewandung mit aranischem Einschlag in Donnerbach nicht oft zu sehen gab und die Beschaffung ansonsten überdurchschnittlich teuer wurde. Sie hatte etwas ambivalentes. Einerseits, in einigen Situationen, eher mädchenhaft mit dem Elfen am quasseln und ansonsten das, was die Garether als Amazone empfinden konnten. Kräftig, muskulös, auf eine eigene Art und Weise Stolz und, ganz davon abgesehen, im Zweifelsfall tödlich.

Die Tage verstrichen. Mittlerweile waren sie vielleicht acht, neun Praoisläufe unterwegs und glaubte er dem Hörensagen einiger Löwenritter und Geweihten sowie dem groben Abschätzen anhand von Landkarten, hatten sie Perricum bald erreicht. Cyruion hob die Mundwinkel. Zwar bekümmerte ihn das Ende der Reise etwas, da dies einen baldigen, wenn auch vorerst vorläufigen Abschied bedeutete, doch er war gespannt was ihm die Stadt bot.

Seine Begleiter hatten sie bereits mit Donnerbach verglichen, waren bislang aber nie dort gewesen und konnten allen voran die Bedeutung für ihre Kirche herausstellen. Doch das genügte dem Elfen, an und für sich, noch nicht. Und, tatsächlich, gegen Abend des zehnten Tages konnten sie die Silhouette Perricums bereits erahnen. Es war nicht mehr weit…

Der elfte Tag wurde früh in Angriff genommen, um bald schon auf der Löwenburg verweilen zu können. Für Aldare bedeutete dieser Aufenthalt sicherlich Arbeit, Zeit, die sie unter Garantie lieber mit ihren Hunden verbracht hätte, doch ihr Amt bedeutete die Verpflichtung sich um allerlei zu kümmern. So hatte es Rondrald dem Elfen zumindest in einem ihrer seltenen Gespräche vermittelt. Dann war es eben so. Doch daran wollte Cyruion gerade gar nicht denken, dafür war er zu aufgekratzt. Er hob einen Mundwinkel. Sich ein wenig zu beruhigen konnte nicht schaden. Gerade als er ansetzen wollte, gab ihm seine Umgebung allen erforderlichen Anlass zu stocken und innezuhalten.

Garion!“, krakeelte eine Stimme aus Richtung des Darpat.

Aufmerksam späte Cyruion zur Seite, hatte er sich verhört, waren seine Ohren dem Alter zum Opfer gefallen? Nein. Thali hörte es auch. „Garion? Habt Ihr nicht auch von einem gesprochen, von Arivor?“ Bedächtig nickte Cyruion. „Ich kann mit ihm sprechen. Vielleicht sucht er Garion, oder ihm ist etwas passiert.“ Keine zehn Augenblicke später war der Tross zum Stehen gekommen und Narond nahm sich Weißlöwe an, während Cyruion der empfunden Pflicht nachging dem Fremden entgegenzukommen. So, wie er es an der Schule gelernt hatte, den Menschen entgegenkommen. Kurz zuckten seine Mundwinkel. So war es zwar nicht gemeint, aber… witzig fand er es dennoch für den Moment.

Von einem nicht allzu großen Flusskahn sprang eine dunkel gekleidete Gestalt auf den sicheren, wenn auch matschigen, da flussnahen, Erdboden und näherte sich Cyruion. Unweit des Kahns hielten beide inne und musterten sich zunächst, ehe der Fremde von seinem Begleiter noch einmal angesprochen wurde. Abgelenkt vom wilden Aussehen des Menschen bekam Cyruion nur Bruchstücke mit, wie den vermeintlichen Namen des Mannes. „Du bist Will? Kennst du Garion?“, hakte Cyruion nach und wusste nicht, wo er überhaupt hinsehen sollte. Auf die ausgeleierten, nassen und dreckigen Leder der Stiefel an den Füßen der Gestalt, auf den Hut oder das perplex-freundliche Lächeln auf den Lippen.

Ist dein Garion aus Arivor und so behaart wie ein Bornbär?“, wollte Cyruion auf die bejahenden Antworten in Erfahrung bringen. Zumindest war ihm danach, solange sie sich noch in Flussnähe aufhielten. „Und, kennt er von Arivor?“, schallte es dann aus Richtung Tross. Thali. „Ja! Garion schuldet ihm Geld, hat er gesagt.“, was William mit einem Mal verneinte, stattdessen sollte es sich beim Ardariten aus dem Bornland um einen Freund handeln. Irritiert sah der Magier von William zu Thali und teilte auch diese Information, ehe er sich mit dem Mann Richtung Tross aufmachte.

Es wurde kurzerhand geklärt, dass er sich auf das Pferd des Elfen setzen könne. Bis, ja, bis Cyruion allmählich weniger danach wurde die neue Bekanntschaft an seiner Seite zu wissen. Der Darpat hatte wohl das überstrahlt und weggeweht, was Cyruion nun in die Nase stieg. Gestank. Von solch einer Intensität, dass sich Cyruion fast schon vor Schreck übergeben musste und gerade noch am Kopf seines Pferdes vorbei brechen konnte. Der Seemann hinter dem Elfen merkte dies und bot seinem Reiter irgendeine alkoholische Substanz aus einer Flasche, die das Leiden des Elfen nur größer werden ließen. Erneut konnte er das, was einmal Essen gewesen war, nicht in sich halten und begann sein Leid zu klagen, allen voran Narond. Er musste, nein, wollte diese Person nicht hinter sich, neben sich oder an sich wissen.

Abermals hielten sie und Narond nahm den Seemann recht zügig mit auf sein Pferd und beteuerte, dass die Elfennase und kein persönliches Problem verantwortlich für die Gebaren des Elfen waren. Jenes Elfen, der seinen Kummer für die nächsten Minuten in Wasser aus einem Schlauch ertränkte, um den faden Geschmack von Erbrochenem hinfortzuspülen. Leidgeplagt und etwas vorner reitend, stimmte Cyruion etwa eine halbe Stunde später ein Lied an. Sie kannten dieses Verhalten bereits, die mit ihm ritten, denn besonders wenn er sich nicht wohl fühlte, tat er Dinge die seinem bisweilen schlichten Gemüt halfen die Situation zu überwinden. Gestört hatten sie sich nicht daran, denn er kannte sie immerhin, die Choräle, die eher völkischen und einfachen Texte ihrer Lieder, die Rondra sowie ihre Aspekte oder Legendenstalten glorifizierten.

Für ihn überraschend stimmten sie, so nahe bei Perricum, sogar ein. Ganz so, als hätten sie sich für die letzten Meilen noch einmal motivieren wollen. Die letzten Meilen, die einen beunruhigenden Umstand mit sich brachten: eine Fassade. Nicht die irgendeines Hauses, sondern das Äußere von Perricum. Etwas, das immer größer und größer wurde und Cyruion, als sie kurz davor standen, vor den Mauern von Perricum, ins Staunen versetzte. Diese Mauern waren nur mit einem Wort würdig zu beschreiben: gigantisch. Fast schon hatte er den Eindruck, dass die Garether Mauern dagegen winzig wirkten. Selbst er, so gut seine Augen auch waren, konnte nur noch mit Mühe, ganz oben, die Wachen erkennen, die sich dort oben bewegten und wahrscheinlich einen der schönsten Blicke über die Stadt genießen konnten.

Seinen Begleitern ging es ähnlich, wahrscheinlich hatten sie sogar denselben Gedanken:

Perricum war ein Bollwerk!

Ein wehrhaftes Bollwerk, der Rondra.