William

Perricum 11 (William) (PER 1013)

Das modernde, dustere Holz wurde von einer einzelnen Kerze beleuchtet. In großem Kontrast zu dem Leinen-Vorhang, der schon gemütlicher unter dem Kegel der Kerzenflamme wirkte. Der Vorhang trennte diese, sonst hölzerne Höhle von dem Rest der ärmlichen Hütte und versuchte den Rest der Wärme am gehen zu hindern.

Der Raum war nicht allzu groß und nur spärlich eingerichtet. Ein kleiner Stuhl, ein Nachttisch und das Bett, auf dem sich Heidelinde und William niedergelassen hatten. An der Wand spielte die Kerze mit ihren Körpern. Ihr Schatten verschmolz mit dem seinen, auch wenn sich ihre Körper auf dem Bett nicht berührten.

William runzelte die Stirn bei dem Gedanken, wie schnell Körper hitziges Feuer entwickeln und wie schnell sie wieder akühlen konnten, als wäre nie eine Flamme gelodert. Auch vorhin hatte der heißhunger, die Lust beider aufeinander die Zeit so schnell verschlungen, wie ein loderndes Feuer einen dünnen Holzscheid. Das einzige Vermächtnis der Liebe beider war sein leicht mit Schweiß verklebter Körper und das feuchte Bettlaken.

Sein Blick wanderte von dem Schattenspiel zur Decke und er atmete einmal kräftig durch. Wieder eine neue Decke, stellte er in Gedanken fest. Wieder ein anderer Ort. Zumindest wusste er, wo er war und hatte zu allem Überfluss sogar einen Plan. Sein Mund hatte sich zu einem Grinsen verzogen, als er daran dachte, was er hier in Perricum alles anstellen könnte. Dann wanderte sein Blick wieder zu Heidelinde. Er biss sich leicht auf seine Lippe. Irgendwie musste er sich nur erst einmal hier herauswinden. Sie war schön anzusehen, staunte er, als hätte er anderes erwartet. Ihre Haut glänzte hier und da von eingetrockneten Schweißperlen im Kerzenlicht. Ihr Oberkörper hob die Leinen-Decke. Jeder ihrer sanften Atemzüge deckte ein wenig mehr von ihrem Arm frei, versteckte diesen aber auch gleich wieder. Seine Blicke brauchten nicht lange, um von diesem harmlosen Gedanken wieder Richtung Rahjasbrunst zu stoßen, als er betrachtete, was die Decke noch so alles verbarg. Er ließ jedoch schnell ab, hatte er doch nun die Gelegenheit sich hier und jetzt schnell aus dem Staub zu machen.

Seine Augen suchten den Raum methodisch ab. Schuhe, .. Lederhose, .. Hartledertaschen, .. Säbel. Er stutzte kurz. Warum hatte ich meinen Säbel mitgenommen? Verwarf den Gedanken und schaute weiter, bis er sämtliche seiner Sachen erblickt hatte. Wie eine Schlange zog er sich aus dem Bett heraus ohne dieses zu sehr zu erschüttern. Er hielt kurz inne, erstarrt wie eine Statue, um zu prüfen, ob Hildelinde aufgewacht sei. Schnell überlegte er sich eine Ausrede wie, dass er pinkeln müsste oder sein Rücken verzerrt ist. Als Hildelinde sich nicht regte, atmete er erleichtert aus, nur um wieder erstarrt zu ihr zu blicken, als der Atemzug lauter war, als beabsichigt. Sie schien jedoch tief und fest zu schlafen. Verständlich, hatten sie sich sehr innig und sehr feurig geliebt. Er erschrak, als er sich erinnerte, wie unerfahren sie war und fühlte sich schlagartig tiefschuldig. Oder aber sie war nur eingerostet, seufzte er leicht. Möge Saturahja mir verzeihen, doch sie wollte es ja. Das schlechte Gewissen verschwand so rasch, wie es über ihn hereingebrochen war und sein Gemüt erheiterte sich wieder. Sie wollte es ja!, wiederholte er zu sich, wie ein freudiges Kind, dass seinen ersten eigenen Kreuzer in der Hand hielt. Und es war ausgesprochen schön, fügte er in Gedanken hinzu.

Derweil war er vollkommen bekleidet und rückte seine Sachen zurecht. Sein Blick wanderte noch einmal über ihren Körper. Nachdem er ihr einen leichten Kuss auf den Oberarm gegeben hatte und die Decke etwas schützender über sie zog, spähte er durch den Vorhang. Ihre Mutter war nicht wach. Ob sie die ganze Zeit geschlafen hatte? Sie waren nun doch etwas lauter beim fröhnen Saturahjas, doch vielleicht hat gerade diese ihre Liebschaft geschützt? Ein leichtes Röcheln Heidelindes Mutter wirkte wie eine Antwort auf seine Vermutung. Seine Augen wanderten durch den Vorhang zur Tür. Dann schlich er hinaus.

Zackenberg 1 (Garion) (PER 1013)

Mit trübem Blick betrachtete er die Wand links von sich. Hinter ihr lagen Vitus und Cyruion und schliefen. Oder jedenfalls hoffte er das. Vor einer guten halben Stunde war er aufgewacht und hatte einfach keinen Schlaf mehr gefunden. Also hatte er die Wache abgelöst und sich seinen Gedanken hingegeben. Aus irgendeinem Grund beschäftigte ihn die Sicherheit seiner Begleiter heute Nacht besonders. Ein leise Stimme in seinem Kopf sagte ihm, dass Menschen selten waren, wie sie schienen – und niemals besser. Was also hatte er von dem Herrn dieser Burg zu erwarten? Von einem bequemen, vergnügungssüchtigen Answinisten? Am heutigen Abend hatte nur eine dralle Blondine auf seinem Schoß gefehlt, um den Eindruck des Lebemanns endgültig zu festigen.

Beide Hände auf den Knäufen seiner Klingen – jede auf einer Seite seines Waffengurts – trat er an das Turmfenster heran und sah hinaus in die Nacht. Im Grunde wussten sie nichts über diesen Ort. Er war abgelegen, klein und gemieden. Der kühle Hauch eines schneidenden Windes streifte sein Gesicht.
Warum hatte der Traviageweihte ihnen nur so ungern das Gastrecht gewährt? Warum war das Verlöbnis ihres…Auftraggebers…derart zerfallen? Den Blick nach draußen in die schwarze Tiefe gerichtet, die nach wenigen Metern den Erdboden zu verschlucken schien, schüttelte er den Kopf. Warum genau waren sie eigentlich hier? Nichts an dem bisher erlebten rechtfertigte seine Sorge. Ein trinksüchtiger Vater, der kurzfristig seine Meinung ändert, weil ihm das von Weingeist benebelte Hirn suggerierte Answin von Rabenmund sei der einzig wahre Herrscher des Mittelreiches und nur Answinisten waren gute Partien für seine Tochter. Das mochte alles sein. Der ganze Grund für ihre Anwesenheit fern der Heimat.

In seinen Ohren dröhnten die leisen Geräusche, die ein vollständig im Schlaf liegendes Haus von sich gab. Ein Knacken hier, ein Bröckeln dort. Waren das Schritte? Einen Augenblick sah er zur Tür hinüber, bis das was er für Schritte gehalten hatte, nahtlos wieder verhallte. Die Momente in denen Stille den Kopf klärte waren in den letzten Jahren stetig weniger geworden. Aber jede Nachtwache lud dazu ein. Er sah zu dem Bett hinter sich – zu William und Tarambosch. Beide schliefen friedlich, keiner von ihnen störte sich an der Nacht unter einem fremden Dach. „Ohne Heimat sein heißt Leiden.“, sagte Fjodor Alrikowitsch Sjerpenkewski. Konnte es das sein, was ihn umtrieb? Fehlte ihm das heimatliche Salderkeim? Oder Schossko?
Wieder sah er zu den beiden Schlafenden. Dann schüttelte er den Kopf. Nein – das war es sicher nicht. Wenn er dem Gefühl des Heimwehs nachspürte, dann war dort nichts. Und er hatte es schon immer eher mit Baron Ulllob Rakorium vom Eberstamm gehalten, denn mit Sjerpenkewski. „Wir sichern uns die Heimat nicht durch den Ort, wo, sondern durch die Art, wie wir leben.“

Wenn ihn aber kein Heimweh aus Borons Armen getrieben hatte – was dann? Mit leisen Schritten wechselte er den Raum. Der leere Türrahmen, der die Schlafräume voneinander trennte hatte nicht einmal einen Vorhang. Es gab allerdings von beiden Seiten Schränke, die man im Fall der Fälle vor die Öffnung schieben konnte, sodass aus zwei Räumen einer wurde. Sein Blick traf auf die Zugangstür zum zweiten Raum, ehe er auch hier zu den Schläfern sah. Ein Elf und ein Mensch, beide männlich und tief im Schlaf. Beide sicher.
Wie um sich dieses Umstandes zu versichern ging er zu der Tür hinüber und prüfte ihren Riegel, der fest an Ort und Stelle saß. Dann sah er wieder zu der Schlafstätte, wo sein Blick an dem Menschen hängen blieb. Vitus war ein Deserteuer, so viel war sicher, aber er war kein schlechter Mensch, niemand, dem man böse Absichten unterstellen wollte. Überhaupt geschah alles was aus Liebe getan wurde jenseits von Gut und Böse. Sicher war es gefährlich, verantwortungslos und kurzsichtig seinen Wachposten wegen einer Frau zu verlassen. Aber böse? Nein. Böse war es nicht.
Nachdem er noch eine Weile die Gesichter der beiden Schlafenden betrachtet hatte, seufzte er tonlos und kehrte durch die zähe Dunkelheit der beiden Räume zurück in das andere Schlafzimmer. Auch dort war alles still; die Tür verriegelt. Die Waffen lagen nahe bei den Schlafenden, alle waren auf einen Überfall vorbereitet. Alles war wie immer. Mit einem Angriff musste man jederzeit rechnen.

Auch als Schwert der Schwerter.
, dachte der Ardarit. Seine Nackenhaare stellten sich lautlos auf und ein kalter Schauer jagte seinen Rücken hinab. Ohne es zu beabsichtigen hatte er den Finger direkt in die Wunde gelegt. Das Gefühl der Unruhe wuchs in seiner Brust, als in seinem Kopf die Worte Dragosch von Sichelhofens nachhallten.„Ich war zugegen, auf dem diesjährigen Adelskonvent vor wenigen Wochen in Gareth, an dem unser hochgeschätztes Schwert der Schwerter, das wie ein Vater für alle Mitglieder unseres Bundes als leuchtendes Beispiel hier in Perricum, dem Hauptsitz unseres Glaubens, über Jahre unbeugsam residierte, niedergestreckt wurde von einem ungesehenen Angreifer mit einem Bolzen von hinten durch seine Brust.“
Gemurmel hatte den Mann unterbrochen, Raunen war durch die Halle des Tempels in Perricum gegangen und hatte beinahe überdeckt, was der Mann dann gesagt hatte. Was Garion aus irgendeinem Grund irritiert hatte. „Es trug sich zu, dass ich es war, der den langjährigen Repräsentanten in seinen Armen hielt, als er den letzten Atemzug auf Dere tat und die letzten Worte sprach, ehe Golgari seine Seele mit sich nahm. Demütig beuge ich – Dragosch von Sichelhofen – mich dem letzten Willen des Schwerts der Schwerter und übernehme das heilige Amt, die Verpflichtungen Viburn von Hengisforts und die Ehre an seiner statt fortan die Rondra-Kirche Aventuriens zu vertreten! Als neues Schwert der Schwerter hier in Perricum!“
Ein schaler Geschmack breitete sich in Garions Mund aus, sodass er einen raschen Schluck aus seiner Feldflasche nahm und ihn hinunterspülte. Die letzten Jahre hatten die Welt ins Wanken gebracht. Borbarad sollte zurückkehren, wenn die Rollen der Beni Rurech Recht hatten, das Schwerter der Schwerter wurde ermordet und Hal war tot. Die Zeiten für einen jeden gläubigen Menschen auf diesem Kontinent waren schlecht.

Mit düsteren Gedanken kehrte er ans Fenster zurück und starrte ungnädig nach draußen, als könne das die Finsternis in Welt und Geist zugleich vertreiben. Als die Stille auf ihm zu lasten begann, hörte er die Stimme in seinem Kopf erneut. Lauter diesmal, klarer zu erkennen. Ein voller Bass, eingefärbt von Zuversicht und der Belustigung die Ungläubigkeit über das Verhalten anderer mit sich bringt. Er erkannte die Stimme und vor seinem inneren Auge tauchte ein blonder Rondrageweihter auf. Er trug lange, offene Haare und einen Vollbart. Trotz der schweren Kettenrüstung hatte er die Arme geradezu leicht über seinem Wappenrock verschränkt. An seinem Kragen lag die einfache Schwertfiebel eines Knappen der Göttin. Seine Gnaden Gunvald von Njördhall hatte sich während der ganzen Ausbildung Garions seine thorwalsche Lebensart erhalten. Zwar hatte er Rondra immer voll aufrichtiger Inbrunst verehrt, aber nichts und niemand hatte seine Zuversicht und seine offene Art brechen können. Er hatte jedem Kirchenmitglied – gleich welchen Standes – lachend auf die Schulter geklopft als sei es Mitglied seiner Otta. Und niemals hatte er sich mit gutmütiger Kritik zurückgehalten. Ein Schlag ins Gesicht, den ihm niemand übel nahm – weil er recht hatte. So wie jetzt.

„Die Zeit ist schlecht, Garion? Wohlan. Du bist da sie besser zu machen.“

Perricum 7 (Garion) (PER 1013)

Mit einem raschen Griff legte der Rondrit einen neuen Holzscheit in die züngelnden Flammen des Lagerfeuers, das tanzende Schatten an die Felswände der Trollzacken warf. Die Holz- und Schmutzreste in seinen Handflächen rieb er beiläufig an seiner Hose ab, ehe er sich wieder setzte und einen Blick in die Runde warf, deren Wächter er die kommenden drei Stunden war. Vor ihm, gebettet auf Schlafmatten oder dem Boden und geschützt von Decken oder Schlafsäcken lagen ein Elf, ein Zwerg und zwei Menschen. Einer von beiden Freibeuter – wenigstens – der andere Medicus und Deserteur. Und über ihnen alle spannte sich das Himmelszelt mit unzähligen funkelnden Sternen, dominiert vom fahlen Licht des Madamals.

Ein tiefer Atemzug des Kriegers riss die kühle Abendluft tief in seine Lungen und weitete seine Brust, ehe er den Atem wieder fahren ließ. Die Gruppe, die sich die schützende Wärme des Feuers teilte, war derart bunt gemischt, dass es Garion bisweilen wie ein Wunder erschien, dass sie zusammenhielt. Das Grün seines verbliebenen Auges verfing sich an den blonden Haaren des Elfen. Cyruions Alter war schwer zu schätzen, aber wie vermutet war er der Älteste der Runde. Es war schon einige Jahre her, dass sie sich kennengelernt hatten – damals zunächst an Bord eines Schiffes, dann zu Fuß auf dem Weg ins Landesinnere. Von Beginn an hatte der Elf sich durch eine beinahe absonderliche Tierliebe ausgezeichnet, gleichzeitig aber am Kreislauf des Tötens wie selbstverständlich teilgenommen. Empathie und Gnadenlosigkeit in gleichem Maß – wie Garion fand ein deutliches Zeichen für die naturnahe Lebensweise der elfischen Sippen, die sich vom Erbe ihrer Vorfahren distanziert hatten, um die Fehler derer die vor ihnen waren nicht zu wiederholen.
Trotzdem hatte Cyruion stets auf die eine oder andere Weise den Eindruck erweckt, seinen elfischen Wurzeln entrückt zu sein. Hatte sich menschlich gekleidet, hatte aber nie menschlich geklungen, hatte nach Wissen gedürstet wie ein Mensch, aber hatte den menschlichen Essensgewohnheiten weitgehend entsagt. Ihre Wege hatten sich getrennt, als der Magier sich einer Haijagd verweigert hatte und diese – wie er es genannt hatte – unnütze Grausamkeit nicht hatte mit ansehen wollen.

Garion strich sich gedankenvoll über seine rechte Braue und blinzelte etwas Rauch aus seinem tränenden Auge. Und jetzt – Jahre später hatte sie der Zufall wieder zusammengeführt. Cyruion hatte Perricum in Begleitung einer Gesandtschaft der Senne Nord erreicht, um sie in magischen Belangen zu beraten und im Notfall einzugreifen. Gemäß dem Gedankengut seiner Alma Mater in Donnerbach war er das Gruppenmitglied, das ihm am wenigsten Sorgen bereitete. Cyruion war bisweilen ein wenig weltfremd, aber er war umgänglich und geduldig, war um Völkerverständigung bemüht. Die üblichen Aversionen von Elfen gegenüber den Angroschim waren bisher nicht ruchbar geworden – nicht einmal als ‚Stummel‘ oder ‚Halbmann‘ hatte er Tarambosch betitelt.

Die Aufmerksamkeit des Wachhabenden glitt von dem blonden Elfen fort und kettete sich an den ebenfalls blonden Angroschim. Er wusste, dass der gedrungene Bartträger sich bereits zurückhielt. Trotzdem war es unverkennbar, dass offene Worte, Konfliktbereitschaft und ja – auch eine Spur rassistischer Vorurteile in seinem Blut kochten. Dennoch würde Garion niemals auf ihn verzichten wollen. Nach ihrem ersten Treffen in Ranak bei Kap Brabak hatte sich schnell herausgestellt, dass sie gerne und gut zusammenarbeiteten. Ihr Ehrverständnis und sogar Teile ihrer Weltsicht deckten sich, wenngleich ihr kultureller Hintergrund und ihre Ausbildung bisweilen für geteilte Meinungen sorgten.
So war dem Zwerg die Abneigung allem Echsischen gegenüber in Fleisch und Blut übergegangen, während in der Glaubenslehre Rondras der hohe Drache Farmelor als Gemahl der Göttin selbst gepriesen wurde. Die Diskussion über diesen Punkt war kürzlich aufgeflammt, war aber rasch (und vorläufig) beigelegt worden.
Gedankenverloren rieb der Wächter Daumen und Zeigefinger aneinander, während er die Gestalt des beinahe totengleich schlafenden Zwerges betrachtete. Doch obgleich die Emotionen des Zwerges von Zeit zu Zeit für Ärger innerhalb ihrer Gruppe sorgen konnten, betrachtete er ihn nicht mit Sorge. Selbst wenn der Axtschwinger sich mit seiner ganzen Gruppe stritt, so würde das Auftauchen eines gemeinsamen Feindes doch für eine geschlossene Front sorgen. Auch das lag den Kriegern Xorloschs im Blut – im Krieg dachte man praktisch, nicht emotional.

Als sich ein fremdes Geräusch in das Knacken des Feuers mischte, sah der Rondrit auf. Die Gegend in der sie sich befanden, galt im Allgemeinen als gefährlich, wenn sie auch bisher nicht angegriffen worden waren. Mit einer Hand am Griff seines Schwerts erhob er sich von dem kleinen Felsen, auf dem er saß, und ließ den Blick in die nähere Umgebung des Lagers fahren. Der Ort war gut ausgesucht. Die kleine Mulde war von drei Seiten von größeren und kleineren Felsen umgeben und öffnete sich mit der vierten zum Weg. Das Licht des Lagerfeuers war auf diese Weise nicht sehr weit zu sehen und der Wind nicht allzu harsch. Ein paar Schritte führten ihn auf den schmalen Weg hinaus, von wo aus er einen noch besseren Blick hatte. Eine Gefahr war aber nicht zu sehen – kein Grund also die anderen zu wecken und in Alarmbereitschaft zu versetzen. Nun wieder ruhiger setzte er sich an seinen Platz zurück und angelte nach seinem Proviantbeutel und Wasserschlauch. Während er etwas Proviant verzehrte, lenkte er seinen Blick zu den beiden Menschen hinüber. William und Vitus. Beide männlich und beide schwer einzuschätzen.

William hatte ein loses Mundwerk, flinke Finger, die nur zu gerne auch genutzt werden wollten und verbog sich die Realität auf eine Weise, dass eine leise Stimme in Garions Kopf aus jedem „Das ist wahr!“ ein „Das ist wahr!-scheinlich wahr.“ machte. Tatsächliche Talente hatte William seit Garion ihn kannte, nicht gezeigt. Wenn man von ‚Sich Ärger einhandeln.‘ und ‚Das Wirtshaus leer trinken.‘ einmal absah. Die Geschichten des jungen Seefahrers waren beinahe so groß wie sein Ego und hinter jeden Ecke lauerte ‚Die Eine‘, um sich ihm voll der Liebe an den Hals zu werfen.
William war ein Buch mit sieben Siegeln und Garions größte Sorge. Dabei ging es nicht einmal um die erfundenen Geschichten, die mangelnde Etikette, das mangelnde Wissen um das Pantheon oder die bisweilen vorgeschobene Inkompetenz. Wesentlich größeren Eindruck hinterließ der Umstand, dass William mit all dem so bereitwillig herausrückte. Die Vergangenheit hatte gezeigt, dass Menschen selten ihren wahren Charakter offen legten, wenn sie ihr Gegenüber nicht kannten. Wenn der Seefahrer genauso war, dann stellte sich die Frage, was er hinter der Fassade verbarg. Das Bild eines plündernden Freibeuters oder – schlimmer noch – Piraten verfestigte sich immer mehr. Zuletzt als die Admiralität Perricums bestätigt hatte, Williams Vater aus ähnlichen Gründen zu suchen. Vor diesem Hintergrund hatte es ihn überrascht, dass der Mann in Zeiten der größten Not in der Ordensburg der Ardariten aufgetaucht war, um dort nach Hilfe zu suchen. Das war vernünftig gewesen – beinahe zu vernünftig für den Charakter, den er sonst an den Tag gelegt hatte. Aber – war es Vertrauen gewesen oder Opportunismus? Hatte er sich seinen Gefährten anvertraut oder nur gewusst, dass sie ihm helfen würden, die Suppe auszulöffeln, die er sich eingebrockt hatte?
Langsam massierte der Adelige sich seine Nasenwurzel. Früher oder später würden sie alle gemeinsam in die Klemme geraten und dann würde sich zeigen, ob in William jemand steckte, auf den man sich verlassen konnte oder ob er eher versuchen würde seine eigene Haut zu retten – egal wen oder was er dafür opfern musste. In jedem Fall hielt er es für besser sein Auge auf ihm zu behalten.

Erneut sondierte Garion die Umgebung des Lagers. Wachdienst nahm er stets ernst. Eine Einheit – egal wie gut ausgebildet – war zu ihren Ruhezeiten am verwundbarsten. Gelang es einem Angreifer die Wache lautlos auszuschalten, so war es ein leichtes die schlafenden Gruppenmitglieder im Schlaf zu töten oder kampfunfähig zu machen. Garion wollte verdammt sein, wenn das während seiner Wache geschah. Noch einmal drückte er sich von dem Stein hoch und drehte eine Patrouillen-Runde um das Lager. Einige Minuten lang hielt er den Blick in die Dunkelheit gerichtet, um sein Auge daran zu gewöhnen. Wieder war alles still – wenn man von den normalen Geräuschen einer Nacht in der Wildnis einmal absah. Der Wind rauschte durch einige der mageren Gewächse, hier und dort raschelten kleine Tiere und die Feuchtigkeit des Holzes ließ das Feuer krachen. Gute zwanzig Schritt vom Feuer entfernt, lehnte er sich an den Steilhang der den Weg begrenzte und sah von dort zu seinen Begleitern hinüber.
Vitus mochte ein Deserteur sein, aber er war als Heiler schon rein objektiv wichtig für die Gruppe. Und wenn man genau genug hinsah, dann war es nicht allzu schwer zu erkennen, wie schwer seine Schuld ihn belastete. In Perricum hatte er sich dem Urteil der heiligen Rondra ergeben und war bei der Gruppe geblieben, obgleich er Zeit und Gelegenheit zur Flucht gehabt hätte. Garion mochte nicht glauben, dass ihm oder den anderen von Vitus Gefahr drohte. Dennoch war der Mann schwer zu durchschauen. Kaum einmal sprach er – und wenn er es tat, dann war er oft offener und emotionaler als sein Handeln es hatte erwarten lassen. Er war gläubig, gut ausgebildet und soweit der Rondra-Geweihte das beurteilen konnte, aufrecht. Die Liebe war es, die ihn vom Weg abgebracht hatte – und da war er beileibe nicht der Erste. Sich auf ihn zu verlassen war noch nicht ohne jedes Risiko, aber es bestand Hoffnung, dass er sich beweisen würde. Gerade nachdem die Gruppe beschlossen hatte, ihm bei der Abzahlung seiner Strafe zu helfen, schien es Garion als habe die Bindung sich gefestigt. Und für Zwist innerhalb der Gruppe würde die verständige Art des Mannes aller Wahrscheinlichkeit nach auch nicht sorgen.

Er ertappte sich dabei, dass beim Anblick der vier Schlafenden ein Lächeln über seine Lippen rann. Die Gruppe mochte in ihrer Zusammensetzung untypisch sein, aber labil war sie nicht. Nach allem was er wusste, war es gut möglich, dass sich an diesem Feuer genug Talent, Fähigkeit und Wissen versammelt hatte, um alles was das Schicksal ihnen entgegen schleudern wollte zu überwinden. Es galt nur die beiden wichtigsten Regeln dieser Welt zu beachten. Erstens: Zu wissen, wann es an der Zeit ist etwas zu tun. Zweitens: Zu wissen, wann es an der Zeit ist nichts zu tun. Vorsichtig stieß er sich in der Plattenrüstung von dem Stein ab und hielt wieder auf das Feuer zu. Dort angekommen setzte er sich vorsichtig wieder, schabte aber mit seiner Rüstung über den Stein, was eine kurze Bewegung des Elfen zur Folge hatte. Es wurde wirklich Zeit für eine Kettenrüstung.

Von seinem Platz aus betrachtete er die ungleichen und bisweilen gefährlich unbekannten Gefährten. So oder so: Für die kommenden Stunden war es an ihm jeden einzelnen dieser Männer mit seinem Leben zu beschützen. Genau wie er es auch nach Ablauf dieser Stunden tun würde, Tag um Tag, Woche um Woche, Götterlauf um Götterlauf. So lange sie sich als gut erwiesen. Denn wenn es nach ihm ging, dann galt für diese Gruppe dasselbe, was für den Ardaritenorden galt: Wir stehen zusammen, wir fallen zusammen.

Perricum 5 (Cyruion) (PER 1013)

Frühmorgens rang sich der Auelfenmagier ein Gähnen ab. Am Vorabend hatte er Thali beim Essen zugesagt, dass er sie selbstverständlich zur Morgenandacht begleiten würde. In einem kurzen Moment fragte er sich jedoch, ob es nicht klüger gewesen wäre doch auszuschlafen. Die Tage auf Reisen hatten an ihm gezehrt, obwohl der Delegation um die Meisterin der Senne Nord stets überall ein ausreichendes Quartier zur Verfügung stand.

Nach einem kurzen Stocken, einem beinahe irritierten Blinzeln, schien die Müdigkeit dann jedoch wie aus dem Gesicht des Schneiders gewaschen. Sicherlich wäre es komfortabel und schön, lange zu schlafen und zu regenerieren, doch hatten schon seine Eltern wie die Magister auch betont, dass nur der frühe Vogel den Wurm fangen könnte. Dieser Wurm hieß Perricum und schien es wert zu sein, kurz nach Sonnenaufgang den Tag zu beginnen. Es gab schließlich viel zu tun.

Doch musste sich der Elf zunächst des naheliegenden Problems zuwenden. Zwar empfand er den Gedanken, den Tag wie der Vogel anzufangen, generell als löblich… allerdings musste er sich dafür erst von seinen Fesseln lösen. Er hatte Narond am Abend zuvor gebeten, ihn besser zuschnüren, als ein Päckchen das er dem Beilunker Reiter übergab. Cyruion erhoffte sich davon nicht zur späten Stunde durch die Burg zu wandern und sich womöglich, versehentlich, das Genick zu brechen. Ein solcher Unfall wäre nicht schön und hätte die Stimmung zusätzlich getrübt. Der Rondra-Geweihte war der Bitte entsprechend nachgekommen.

Unglücklicherweise war Narond jetzt nicht zugegen, wie noch zur Zeit der gemeinsamen Reise. Auf umständliche Weise hatte Cyruion die Tür mehr mit dem Ellenbogen geöffnet, um dann nur mit einer Hose bekleidet in der Burg zu stehen.

Narond?“, fragte er in die Umgebung und sah sich um. Keine Reaktion.

Der Gedanke den ganzen Tag in Fesseln durch die Stadt zu laufen, ohne Hemd und ohne Schuhe, beunruhigte den Auelfen zusehends. Zumindest solange, bis ihm einfiel, dass er derzeit auf einer Burg gastierte und diese, so stand es in den Büchern, voll von Leben war. Tatsächlich dauerte es nicht lange, bis ein Knecht dem Elfen zur Hand gehen und seine Fesseln lösen konnte. Die verstörte Miene des unbekannten Knechts bemerkte der Elf wenn, dann nur am Rande und ging nicht weiter darauf ein.

Vielleicht war es unklug gewesen zu sagen, dass sein Freund ihn gefesselt hatte.

Den Kopf von der einen zur anderen Seite wiegend und leise summend, kleidete sich Cyruion kurz darauf an und begab sich in den Speisesaal des Gästehauses. Thali war noch mit ihrem Frühstück beschäftigt, doch erwartete sie ihn bereits. Die anderen, Narond und Rondrald, sah er nicht. Lediglich einige Löwenritter hatten sich zu dieser Stunde noch im Raum eingefunden. Doch die Gesellschaft der Geweihten genügte ihm vollkommen. Sie tratschten, ehe Thali fast schon beiläufig erwähnte, dass das neue Schwert der Schwerter am kommenden Tag eine Ansprache im Rondra-Tempel halten würde.

Das war interessant und er musste dort hin, denn wie oft konnten die langlebigeren Elfen mit den Menschen zusammen schon ein solches Ereignis begehen? Wer das neue Schwert der Schwerter wohl war, ob er einen guten Blick auf die Person erhaschen konnte, die bald das Leben von Thali, Garion oder Narond maßgeblich beeinflussen sollte und, oder konnte?

[…] Eine halbe Stunde später befanden sich die Beiden im Rondra-Tempel von Perricum. Allzu viele hatten sich am morgen nicht zur Andacht hierher begeben, in diesen riesigen Prachtbau. Das Gebäude hatte etwas an sich, das Cyruion in nahezu jedem Augenblick ins Staunen versetzte. Für gewöhnlich fielen Rondra-Tempel, so viel wusste er, nicht derartig monumental aus. Rondra war schlichter, weniger prunkvoll – Rondra war nicht Praios. Und dabei hatte er bis zu diesem Zeitpunkt nur einen Bruchteil dessen gesehen, was sie Tempel nannten. Überall lauerten verschlossene, teilweise bewachte Türen. Bei all den Gedanken um das Heiligtum verpasste der Auelf, in Gedanken schwelgend, beinahe die Andacht. Selbige nahm jedoch kaum fünf Minuten in Anspruch, ehe die Gläubigen bereits wieder ins alltägliche Leben entlassen wurden.

Tatsächlich hatte er sich in diesem Tempel unter einer Andacht mehr vorgestellt, als ein kurzes Gebet an die Göttin Rondra. Doch pflegte man selbst in Perricum wohl noch die bekannten Tugenden und ließ nicht alles ausschweifen, so wie beim Tempelbau.

Sachte hoben sich seine Schultern an und an Thalis Seite verließ er den Tempel. Sie hatte anderen, unbekannten Geweihten und Löwenrittern bereits im Speisesaal zu verstehen gegeben, dass sie nach der Andacht noch etwas bummeln wollte. Cyruion hatte sich selbstverständlich angeboten, ihr Gesellschaft zu leisten. Ohnehin war sein Vorhaben für diesen Tag, etwas von Perrcum zu sehen.

[…] Gemeinsam flanierten die Beiden durch die Stadt, allen voran auf der Suche nach einer speziellen Gewandung für Thali. Soweit er wusste, handelte es sich dabei um eine Kombination aus Bluse, Tuch und Unterrock, was der gemeine Aranier als Sari bezeichnete. Er selbst kannte die aranische Mode nicht sonderlich gut. Selten verirrte sich ein Mann aus dem Süden nach Donnerbach und in Gareth sah man sie ebenfalls selten, doch selbst wenn, kamen sie dann zumeist eher aus anderen Regionen als Aranien.

Cyruion ließ die Eindrücke auf sich wirken, sich von der Perricumer Mode einnehmen. Insbesondere ein blauer Kaftan samt Tunika mit einer Zierrankenborte weckte dabei sein Interesse, ein Stück von guter Qualität und außerdem für nur acht Dukaten zu erwerben. Ohne mit der Wimper zu zucken, hatte er dem Aranier das Geld übergeben und sich über die neue Inspiration, sowie Bekleidung für wärmere Tage oder Aufenthalte im Süden gefreut.

Thali hingegen hatte weniger Glück. Zwar stieß sie beim selben Aranier auf den herbeigesehnten Sari, doch stand ihr dieser, wie Cyruion und sie rasch erkannten, leider nicht besonders. Die Geweihte sah dem jedoch gelassen entgegen: Hauptsache sie hatte das versucht, was sie schon immer wollte. Aufmunternd lächelte der Magier seiner Begleiterin zu und versicherte, dass er schon etwas anderes für Thali finden oder kreieren würde, sobald sie wieder in Donnerbach waren.

[…] Eine Dreiviertelstunde später begaben sich Thali und Cyruion auf den Weg zurück Richtung Löwenburg. Der auelfische Schneider war an einem weiteren Stand auf Farben und Stoffe gestoßen, wobei er lediglich bei zwei Rechtsschritt blaugrauen Leinenstoffes nicht widerstehen konnte. Mit diesen Lagen wollte er sein Reisegewand, um sich vor Regen oder ähnlichem zu schützen, zumindest um eine Art von Gugel ergänzen. Es hatte schon seine Vorteile Schneider zu sein.

Dann jedoch stockte Cyruion, auch Thali hielt inne und sah fragend zu dem Elfen neben sich. Nur den einen oder anderen Moment hatte er bislang in der Nähe von Garion und seinen Begleitern verbracht. Es hatte ausgereicht, um sich die Namen und Gesichter der Personen zu merken, wie auch ihre grobe Berufung. Geweihter, Seefahrer, Heiler. Der Blick des Elfen aus Donnerbach hing an einem vergilbten, der Witterung zum Opfer gefallenen Steckbrief in einiger Distanz. Während er sich diese eine Sache näher ansehen wollte, verabschiedete sich Thali und begab sich alleine zurück zur Burg.

Cyruion hingegen trat zielgerichtet auf das Brett zu, an dem eine Menge Steckbriefe angeschlagen waren. Ein wenig untergegangen, mittendrin, offenkundig älter und länger nicht gepflegt: der Aushang, der ihm aufgefallen war, der ihn, je länger er ihn betrachtete, nur mehr an Vitus erinnerte.

Diese Augenpartie.

Die Brauen zusammenziehend wanderte sein aufmerksamer Blick weiter hinab.

Vitus Arres
gesucht wegen Fahnenflucht

Vitus Arres, so war doch der Name von Vitus? Vielleicht war es besser derlei zu melden. Rasch sah er zur Seite, doch erblickte er keinerlei Wachen. Die Ohren des Elfen zuckten jedoch. Auffällig war, dass rechts vom Brett eine Gasse abging, aus der eine beachtliche Lautstärke drang. Nichtsahnend, wohin er sich begab, folgte er dem Weg – und fand sich schließlich auf einem Innenhof wieder.

„Entschuldigung?“, fragte er jene Person, die von allen am lautesten schien.

Ein zackiges „Wer seid Ihr und was wollt Ihr hier?“ später, begann der Elf sich zu öffnen.

„Ich glaube, ich habe jemanden von Euren Steckbriefen gesehen.“

Umgehend wurde er gebeten, der unbekannten Gestalt zu folgen und wurde mit einigen, wenigen Fragen gelöchert. Um welche Person es ging, wann er diese zuletzt gesehen habe, mit wem…

„Kann ich eine Abschrift haben?“

„Eigentlich wollte ich das erst einmal prüfen, ob er das ist.“

„Die Augenpartie auf dem Bild gleicht seiner sehr.“

„Es geht um Vitus Arres.“

„Er reist zusammen mit einem Rondra-Geweihten, Garion.“

„Die beiden wohnen auf der Ordensburg der Ardariten.“

„Das letzte Mal habe ich ihn heute Morgen gesehen, bei der Andacht.“

„Ich habe ihn erst gestern am Tor kennengelernt.“

Danach wurde der elfische Schneider bereits entlassen und verließ den Hof mit einer Abschrift des Steckbriefs in der Tasche. Während er aus dem Hof noch lautes Übungsgetöse vernahm, blieb ihm die Zeit, seine Vermutungen zu prüfen. Falls er richtig lag, war es richtig die Stadtwächter von Perricum zu informieren. Er hätte zuvor mit Garion sprechen können, aber dann würde Vitus vielleicht fliehen. Er wurde hier gesucht. Er musste ein Verbrecher sein, auch wenn dem Elfen nicht klar war, wie schwer Fahnenflucht bei den Menschen generell oder insbesondere in Perricum überhaupt wog.

[…] An der Ordensburg der Ardariten angelangt, teilte man ihm mit, dass Garion gerade nicht zugegen wäre, doch einige andere bereits im Speisesaal auf ihn warteten. Cyruion packte die Gelegenheit beim Schopfe, zunächst seine Errungenschaften vom Markt in sein Zimmer auf der Löwenburg zu bringen. Der Weg war glücklicherweise nicht besonders weit.

Anschließend begab er sich zurück zur Ordensburg. Dort angekommen, traf er neben William und Vitus auch auf eine Frau, die Ness genannt wurde, und die sich offenkundig interessiert mit William beschäftigte. Vitus erzählte, dass William offenbar den Namen der Widersacherin Efferds mehrfach ausgesprochen hätte und nun beschlich den muffigen Seefahrer das Gefühl, dass er von etwas verfolgt wurde. In einem weniger ernsthaften Moment hätte er sich vielleicht noch einen Scherz abgerungen, dass es sich dabei bestimmt nur um einen Vertreter für Badeöl handelte, der William als Goldgrube betrachtete.

Doch soweit Cyruion wusste, waren die erzdämonischen Widersacher ein nicht zu verachtendes Problem und entsprechend schilderte er auch das, was er über sie und ihre Wirkung zu sagen wusste. Dass sie nach der Seele des Betroffenen angeln würden; dass sie überall Köder auslegten und selbst etwas Gutes, das demjenigen passierte, zu noch viel schlechteren Dingen führen konnte und seine Seele am Ende in den Niederhöllen landete; dass der Tod bei weitem nicht das Schlimmste war, was einen erwartete.

Einige Minuten später kam auch Garion hinzu, der William mit Tarambosch zum Efferd-Tempel geleiten wollte. Jene, die Efferd dienten, konnten vielleicht die beste Hilfe leisten, wenn es doch um seine Widersacherin ging. Bevor sie jedoch aufbrachen, nahm der Auelf den Ardariten zur Seite und zeigte ihm die Abschrift des erhaltenen Steckbriefes.

„Ich glaube das ist Vitus.“

„Ich habe die Stadtwache bereits informiert.“

„Von dort habe ich die Abschrift. Es hing in der Stadt aus.“

Der Geweihte kräuselte die Stirn und zog die Brauen zusammen. Cyruion konnte sich nur vorstellen, was in ihm vorging. Erst diese Probleme mit William, der sich einer Erzdämonin aus unerklärlichen Gründen anbiederte und ihren Namen offen aussprach, dann ein altes Problem das den Heiler einholen würde.

[…] Es vergingen einige Minuten, in denen Räume verlassen und weitere Worte gewechselt wurden. Und noch ehe Cyruion auf die Löwenburg zurückkehren konnte und die ganze Gruppe um Garion die Burg in Richtung Efferd-Tempel verlassen hatte, wurden sie von einem Löwenritter gestört, der tatsächlich den Besuch der Stadtwache ankündigte. Nach all den Jahren schienen sie weiterhin interessiert daran, solche wie Vitus dingfest zu machen.

Vitus stellte sich, dennoch legten sie ihm die Eisen an.

Vitus stellte sich, dennoch würde er die nächste Nacht in einer Zelle verbringen.

Vitus stellte sich, doch Cyruion fragte sich, ob es nicht klüger gewesen wäre, zunächst mit Garion über die Angelegenheit zu sprechen, statt doch direkt zur Wache zu gehen. Besonders im Hinblick auf das Problem mit William war die Sache um Vitus gerade ein unnötiger, kalter Tropfen auf einen heißen Stein.

Hätte er die Angelegenheit nicht anders, nein, besser klären können?

Vielleicht gaben sie ihm deshalb, für gewöhnlich, nur kleinere Aufgaben am Seminar.

Mit gemischten Gefühlen machte sich Cyruion auf zur Löwenburg, in sein Zimmer, in den Speisesaal, um dort den restlichen Abend in der Nähe seiner ursprünglichen Begleiter zu verbringen. Am nächsten Tag würde es, so Thali, gegen Abend die Ansprache des Schwertes der Schwerter geben und lange davor sollte in Perricum über Vitus‘ Zukunft entschieden werden.

Er war ein Verbrecher – aber auch ein Freund von Garion.

In dieser Nacht waren die Fesseln gelöst, doch die Tür verschlossen.

Ein Glück für den Elfen, der das erste Mal seit Reisebeginn einen sehr bewegten Schlaf hatte…

Perricum 3 (Vitus)

Vitus gelangte langsam zurück in die Ordensburg und genoss die Morgensonne auf seinem Gesicht. Er hatte sein Schicksal in die Hände der Götter gelegt und nun war er wieder hier in Perricum. Er hatte seit langer Zeit wieder einer Andacht beigewohnt und konnte seine Gedanken ordnen. Die Schwerter, besonders jenes aus Endurium, würden bei seinem Ableben oder einer Festnahme hier her gelangen. Dieser Tatsache war er sich sicher, besonders wenn er Garion darum bitten würde.

Gemeinsam nahm man das Mahl nach der Andacht in der Ordensburg zu sich. Die Frau mit der Garion sich im Tempel unterhalten hatte, setzte sich zu ihnen und sie stellte sich mit Ness ni Daire vor. William versuchte mit seinem Charme die schöne Ness von sich zu überzeugen. Diese jedoch hatte mehr Augen für Garion und schien ein recht diszipliniertes und kühles Dasein anzustreben. Das Gespräch kippte schneller als Vitus es mit bekam. William sprach von Gottheiten und nannte einen für Vitus unbekannten Namen. An den Reaktionen von Garion und Ness ni Daire erkannte er, es musste sich um eine Gotteslästerung handeln. William wiederholte auf Nachfrage den Namen, als wäre er unwichtig. Ness wäre ihm beinahe mit ihrer Waffe an den Leib gegangen. Jedoch konnte Garion sie gerade noch davon abhalten. Vitus verstand mit Hilfe der Geweihten, dass dieser Name von einem Erzdämon stammt und beim dritten Mal ausgesprochen einer Anrufung gleich käme. Garion entfernte William aus dem Speisesaal und ließ Vitus mit Ness  zurück.

Ness ni Daire zeigte Gefühle, auch wenn es nur Wut war. Vitus erkannte, dass sie sich Sorgen um Garion machte und wurde in diesen Gedanken bestärkt. Ness fragte nach der Reise mit Garion und wie Garion solche Leute kennen konnte. Vitus sah die Liebe in ihr, vielleicht von einer Schwester zu einem Bruder oder gar mehr? Garion und sie kannten sich auf jeden Fall. Sie wollte alles wissen, dabei hatte Vitus nicht viel zu erzählen und wollte sich auf seine Gedanken konzentrieren. Als auch Ness langsam ihren Pflichten wieder nach ging, blieb Vitus in der Ordensburg allein. Er war ohnmächtig einen Schritt aus diesen Räumlichkeiten zu den Straßenwächtern oder Gardisten zu machen. Tarambosch und Garion verließen die Burg, um nach William zu suchen.

Am Nachmittag kam Willian zur Ordensburg und konnte sich mit dem Namen von Garion von Arivor Zutritt verschaffen. Dabei geriet er jedoch an Ness ni Daire. William fühlte sich verfolgt und beteuerte, dass ein Schatten ihn verfolgen würde. Die sonst kühle Ness nahm diese Bedrohung sehr ernst und begann damit für William einen Unterschlupf zu finden. Er sollte mit dem Glauben Rondras geschützt werden. Vitus kam auf William zu, aber er wusste nicht, was er zu ihm sagen sollte. Er versuchte immer wieder Ansätze, ihn zu beruhigen, jedoch schien Vitus mit seiner unausgeglichen Art nicht viel zu bewirken. Vitus beschwichtigte William, dass ihm hier sicher geholfen werden könne. Immerhin beruhigte es ihn sich soweit, dass man sich auf eine Steinbank setzte und auf Ness wartete. Während dieser Zeit kamen Garion, Tarambosch und Cyruion dazu. Man berichtete von Williams Angst und versuchte eine Lösung zu finden. Diese Unterhaltung wurde jäh unterbrochen von Ness, die nun drängte in die Burg in ein Zimmer zu gehen.

Kaum im Zimmer angekommen bat Garion Vitus auf den Flur zu einer Unterredung. Garion zeigte Vitus einen neuen Steckbrief und die Sonne verfinstere sich für ihn. Vitus Gesicht verzog keine Miene mehr und er nickte nur noch. Er hatte im Tempel bereits der Göttin offengestellt ihn zu bestrafen. Man ging in Garions Zimmer in der Burg mit Tarambosch. Garion und Tarambosch schienen angespannt, aber von Vitus fliehen langsam die Sorgen. Seine Reise würde nun hier enden.

Vitus legte die Waffen in Garions Hände mit dem guten Gefühl, dass diese wenigstens noch etwas bewirken konnten. Die Schritte durch die Stadt zur Wache und in die Zelle waren nicht so schwer, wie die Enttäuschung, die er in den Augen von Garion und Tarambosch gesehen hatte. Beim Weg zur Zelle begann es langsam zu regnen. Efferd schenkte William ein Zeichen, dass seine Seele gerettet werden würde. In der Zelle angekommen, die wie zu erwarten nur kleine mit Gittern gesicherte Fenster in der Mauer und eines in der Holztür aufwies, setzte sich Vitus auf den Holzhocker hin. Sein Blick war leer geworden und auf den Boden gerichtet. Er begriff langsam, dass seine Abenteuer hier enden würden.

Der Regen hörte die ganze Nacht nicht auf und das Wasser floss an den Wänden, tropfte vom Fenster her in die Zelle. Diese Geräusche schienen wie Kriegstrommeln zur Hinrichtung. Vitus wusste, dass nach diesem Verrat keine Hilfe oder Anfrage bei Garion oder Tarambosch gerechtfertigt war. Er wollte jedoch eine andere Schuld begleichen und Boromir, seinen alten Weggefährten und Kameraden bei den Straßenwächtern, bei der Verhandlung haben. Damit dieser hören konnte, was geschehen war. Nach dieser letzten Tat waren alle Schulden auf Dere bezahlt und der Weg in Borons Hallen wäre kein schwerer mehr.

Am Morgen erbat Vitus, dass man nach Bormir schicken würde. Bei Bormirs Anblick hätte Vitus lieber einen Schlag ins Gesicht erhalten, als die Worte die er ihm sagte. Jede körperliche Wunde wäre zu ertragen gewesen, aber diese Verletzungen rissen alte Wunden auf und ließen jedes Wort in der Kehle verklingen.

 

Nach diesem Besuch war Vitus kaum im Stande noch über die Zukunft nach zu denken, er dachte an die schönen Tage seiner Kindheit und die Tage als Wächter der Straßen zurück. Er erinnerte sich an Eide und Gesetze vergangener Tage und an die Worte, die er in der Nacht einige Male wiederholte um seiner Schuld gerecht zu werden.

Die Schuld ist mein!
Mit Wort und Tat werde ich abbüßen, was ich Schlechtes getan habe.
Leite mich, damit ich das Gute vom Schlechten unterscheiden kann,
und damit ich für all jene, die meiner Hilfe bedürfen, nur das Beste leiste,
und damit ich meine Schuld an dir und deinen Geboten für immer reinwasche.
Dein Wille sei mein Befehl.

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