Maraskan 1 (Neferu) – Vorgeschichte
Kategorien: 1008 BFBettler und GauklerMaraskanNeferuZeitraum: TRA 1007
„Kennt Ihr einen Scheijian?“
„Sagt Euch der Name Scheijian von Tarschoggyn etwas…?“
„Kennt Ihr einen Mann mit Namen Scheijian, der in Tuzak beheimatet ist oder dort Verwandte hat?“
Viele die diesen landesüblichen Vornamen trugen wurden der garethischen Frau mit dem haselbraunen Haar vorgestellt. Aber nicht er, den sie suchte.
Doch sie wusste, dass sie ihn auf diese Weise finden würde. Oder vielmehr: Er würde sie finden. Das hatte er schon einmal getan – vor Jahren.
Nach drei Tagen kam er zu ihr.
Der Abend hatte sich über das Land geneigt, als sie in einer Herberge in Tuzak in einfacher dunkelroter Kleidung an einem kleinen, robusten Holztisch saß und bei Kerzenlicht einen Brief in die Heimat verfasste. Die Stadt mit den etwa achttausend Einwohnern schlief noch lange nicht. Schwül zog der Dunst des Dschungels über die hölzernen Häuser, die wie üblich in Maraskan in die Höhe gebaut worden waren. Düstere Schlagschatten verdunkelten den Raum durch das sachte flackernde Licht, dem sich eine todesmutige Motte immer wieder aufs Neue näherte. Mit Bedacht faltete sie das Schreiben an Lanyana, während sie mit konzentrierter Miene die Pfalzlinie begutachtete. Warme Schwüle… Sie öffnete die Kordel ihres Hemdes auf Höhe ihrer Schlüsselbeine und schob die Leinenärmel über die Ellenbogen, während sie deutlich ausatmete.
„Du hast nach mir gesucht, Bruderschwester… warum?“ Die Stimme war beinahe sanft.
Neferu fuhr gänzlich in sich zusammen und instinktiv versuchte sie sich in dem Bruchteil der Sekunde an den Aufenthaltsort ihres Klingenstabes zu entsinnen, der ruhig an der östlichen Wand des Raumes lehnte. Bei Phexens Sinnenschärfe… Sie hatte den späten Besucher nicht kommen hören. Wie auch das letzte Mal, entsann sie sich. In ihrer Brust tat ein stechendes Gefühl einen schmerzhaften Sprung, als sie erwartungsvoll den Kopf hob. Ihre Augen glitten an seiner Gestalt empor, bis sie in den schwarzen Augen mündeten, die so eigenartig und anziehend erschienen, dass er sich allein durch ihren Ausdruck von allen anderen Maraskanern unterschied.
Der abendliche Gast war nicht groß – er maß etwa soviele Schritt wie sie selbst. Ein feingliedriger Mann, dunkel gewandet mit einem Satz Kleidung, welche an den Fasarer Stil erinnern mochte. Sein rabenschwarzes Haar fiel ihm auf die Schultern herab, während er sein sitzendes Gegenüber schweigend musterte.
Scheijian. Schön und alterslos (zumindest nach Neferus Maßstäben) wie damals stand er in dem kleinen, gemieteten Raum der Herberge, zwei Schritte weit von ihr entfernen, die Tür in seinem Rücken – nach wie vor geschlossen.
Sie wusste in diesem Moment nichts zu antworten und starrte ihn aus katzenhaften Augen an, die beim Schein der kleinen Flamme wie Smaragde funkelten. Als sie spürte, dass ihre Lippen offen standen und sie ihm zu ihrer Schweigsamkeit auch zusätzlich einen recht tumben Eindruck vermitteln musste, leckte sie mit der Zungenspitze rasch darüber und verschloss sie eilig.
„Ich…“ Sie wusste keine konkrete Antwort und hielt inne. Sie hatte keinen Auftrag für ihn und auch sonst keine nennenswerten Informationen, die den Weg für ihn eventuell lohnend gemacht hätten.
„Du weißt dass solche die mich suchen… von mir gefunden werden. Und dass ich oft das Letzte bin, das sie aufgrund ihrer Neugier suchen zu müssen glaubten, ehe sie der Schwester begegneten. Was ist dein Begehr, Bruderschwester?“ Er hielt die Arme locker verschränkt, nicht abweisend, sondern abwartend, während er ruhig lächelte.
Neferu aus Gareth schluckte trocken herunter. Zwei Jahre… oder waren es schon zweieinhalb? Und er stand unvermittelt vor ihr. Was sollte sie sagen…? Die Wahrheit? Würde er ihre Beweggründe missbilligen?
Langsam erhob sie sich von dem Hocker, der ihr bis zu diesem Moment als unbequeme Niederlassung gedient hatte und legte die Schreibfeder nieder, die auf dem Tisch einen dunkelblauen Fleck ausbreitete. Er rührte sich nicht und verharrte in der Türregion, die dunklen, mandelförmigen Augen auf die junge Frau gerichtet.
„Du warst in meinen Träumen… Ich wollte dich finden.“ Begann sie leise, aber fest zu wispern, während sie sich ihm auf einen Schritt Abstand näherte, wie eine Raubkatze, die sich unauffällig an ihr Opfer näher zu pirschen hoffte.
„Was du tust ist riskant, Bruderschwester… Ich kann dir die Fragen nicht beantworten, die dir seit damals auf der Seele liegen. Halte dich fern von den Pflichten des Zweiten Fingers und du wirst leben.“ Nachsicht prägte die samtige Stimme, keine Drohung. Seine Arme senken sich vorsichtig aus ihrer Verschränkung, während er stetig Blickkontakt hielt, wachsam und voll Aufmerksamkeit. Sie spürte als stechenden Schmerz, welcher sich durch den gesamten Körper einen Weg bis in die Kehle hinauf bahnte, dass er missverstand.
„Findest du… mich schön?“ Die gewisperte Frage war ungewöhnlich, doch er blieb ernst.
„Rur hat alles in Schönheit erschaffen. Und Ihr.. gehört unzweifelhaft auch dazu.“ War die bedachte und religiös korrekte Antwort.
Die drängende Unruhe, die sie all die Zeit abseits der Insel Maraskan ihr Gemüt genannt hatte, pulsierte nun bereits als Pochen in ihren Schläfen. Er verstand nicht… Sie biss die Kiefer aufeinander, dass ihre Zähne leise aufeinander mahlten und stockend, wenig überlegt artikuliert huschten nacheinander die Satzteile in schneller Abfolge aus ihrem geschwungen geformten Mund, die sich in ihre Gedanken eingebrannt hatten, seit ihre Augen die anmutige Gestalt des meuchelnden Magiers hatten erblicken dürfen. Ob Unvernunft oder nicht – es war zu spät.
„So lange musste ich warten… So lange habe ich mich gewunden Maraskan fern zu bleiben… weise mich nicht ab… tu das nicht..deinetwegen Scheijian… lass mich in deiner Nähe leben… hier in Tuzak. … ich bitte dich.“ Die letzten Worte entkamen ihr nur noch als leise, gebrochene Töne, da ihre Unterlippe zu Zittern begonnen hatte. Ihr Blick reflektierte das Licht der Kerze und hatte sich erbarmungslos an ihn gefesselt.
Erst jetzt hoben sich seine schwarzen Brauen. Irritation auf seinem Gesicht – das erste Mal seit sie ihn kannte. Dicht stand die dunkelhaarige Freundin Phex‘ vor dem maraskanischen Mörder des Zweiten Finger Tsas, während ihre Brust sich durch die verhängnisvolle Schwere der Thematik mühsam hob und senkte. Für einen Moment Stille. Er sah sie zögerlich an, der schwarze Blick glitt über die Konturen ihres Gesichts, blieb kurz an der kleinen Dreiecksnarbe hängen und tastete sich weiter über ihren Nasenrücken zurück zu den schrägstehenden Augen. Nachdenklich gewann er seine typische Ruhe und Ausgeglichenheit wieder.
„Meine Nähe ist der Tod…“ raunte der schmale Mund leise in ihre Richtung.
„Dann lass es der Tod sein, den du mir schenkst, Scheijian – ich biete dir mein Leben an – so oder so.“ war ihre geflüsterte, aber entschlossen klingende Antwort. Alles oder nichts. Sie hob die rechte Hand.
Er packte sie schnell und geschmeidig, aber ohne jegliche Brutalität am Handgelenk. Wie ein aufgetürmter Schwall von Efferds Wogen stürzte das Konstrukt der Gedanken und Gefühle über ihr zusammen und spülte Vernunft und Angst mit sich fort. Ihr Ziel war nur eine Armlänge entfernt.
„Lass mich dich… nur einmal…“ begann sie mit weicher Stimme zu murmeln und während er aus lauter Vorsicht und unter der ruhigen Oberfläche überfordert von der überaus ungewöhnlichen Situation immer noch ihre Rechte in Schach hielt, näherte sich ihm bereits ihre linke Hand. Sie berührte den dunkel Gekleideten kaum. Fingerspitzen glitten fast von Andacht überwältigt über den Stoff seines Armes.
Sein Griff lockerte sich – Keine Gefahr. Getrieben von lang zuvor zurückgehaltenem Drängen strebte die Freigelassene in seine Richtung.
„Ich will bei dir sein…“ Es war dunkel im Raum, den ihre Worte leise erfüllten, nahe seinem Ohr. Die Kerze war heruntergebrannt und in ihrem eigenen Wachs erstickt. Ein kurzes, letztes Aufflackern und der Schein wich der nächtlichen Finsternis. Er sprach nicht. Ob er wahrhaftig geschockt von ihren Aussagen die Sprache verloren hatte konnte sie in der Düsternis nicht sagen.
Trotz aller Instinkte und dem Wissen um das Metier des Mannes, der allein mit ihr war, begann sie ihn leise und vorsichtig mit beiden Händen in der Taillenregion zu umfassen.
Der Meuchelmörder stand aufrecht und ließ es geschehen. Sein Haupt war geneigt, während er ihre Mimik und Gestik analysierend betrachtete und gleichsam bewertete. Mit vielem hatte er gerechnet: Aber ganz gewiss nicht damit. Die fünf Finger seiner rechten Hand umschmeichelten den Griff seiner tödlichen Nadel. Immernoch Schweigen.
„Scheijian..“ Sein Name… gehaucht… sanft – ungewohnt selten.
Seine Nackenhärchen stellten sich bei den zarten Lauten leicht auf – doch diesmal schien es ihm nicht ein Anzeichen für die Gefahr, die er für gewöhnlich witterte.
Ihre zartfühlenden Fingerspitzen hatten eine Wanderschaft über die anmutigen Konturen seines Oberkörpers begonnen, als man ihre ersten Schritte nicht vereitelt hatte.
Er atmete scharf ein. Dennoch ließen seine ausgebildeten Sinne keine Ablenkung zu. Er bemerkte den einsetzenden warmen Regen der draußen die großen Blätter der Dschungelpflanzen prasselnd benetzte, den leisen Wind der frühen Nacht, ein Tier, vielleicht ein Parder – der einige hundert Schritt entfernt knurrte; er spürte die gegenwärtige Dunkelheit – er sah alles.
Sie – sah ihn.
Er war nicht leicht zu brechen, doch die wohlige Wärme lockte.
Sie brannte ihm einen samtig wohligen Kuss ihrer harrenden Lippen auf den Hals – er zuckte unmerklich. Es war ein Weilchen her, dass er ähnliches genossen hatte.
Sie sank auf ihr Lager… er war über ihr – Sie blinzelte nicht. Verklärt sahen ihm tiefgrüne Augen hoffend und fiebernd entgegen – fahrig wagte sie den Versuch dem Mörder noch näher zu kommen. Ob er sie töten würde?
Seine Menschenkenntnis und die Schärfe seiner Sinne flüsterten ihm ein, dass es anders war als sonst. Es war keine Falle. Es war, was es ist.
Als sie aufwachte war es noch immer dunkel und schwül. Schlagartig öffnete sie die Lider und starrte an die hölzerne Decke. Einsamkeit. Tief saugte sie die maraskanische Luft in ihre Lungen.
Ein Traum..? Tastend berührte sie ihren eigenen Leib. Bekleidet.
Sie schloss sinnend die Augen.
Ein Traum.