Grangor 10 (Rahjard)

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Schweigend sah sich Rahjard im Zimmer um, dass er am vorherigen Praioslauf bezogen hatte. Dem jungen Phexje hatte er diesen Entschluss bereits zwei Tage zuvor verraten, das Haus Hortemann nach all den Monaten hinter sich zu lassen. Selbst das Bitten und Flehen der kugelrunden Töchter des Altvorderen hatte ihn nicht umstimmen können. Um nicht zu viel Aufsehen zu erregen hatte er es auch vorgezogen, sich nicht bei Garion oder Neferu abzumelden. Davon abgesehen hatte er sich erhofft, allmählich Abstand vom Gedanken der Garetherin mit dem Grangorer nehmen zu können. Und es würde ihnen vielleicht auffallen, dass er und seine Sachen sich klammheimlich aus dem Staub gemacht hatten.

Ruhig verschränkte er die Arme vor der Brust und schüttelte mit Blick aus dem Fenster, auf den Pilgerhafen, sachte das Haupt, schmunzelte dann jedoch plötzlich, als er sich den Namen des Gasthauses noch einmal auf der Zunge zergehen ließ – Silberfisch. Diese Veränderung sollte ein erster Schritt sein, ein erster Schritt fort aus Grangor. Die Fakten sprachen für sich… weder die Bettler, noch seine eigentlichen Begleiter würden ihn vermissen. Jedoch gab es noch immer eine Frage, auf die er keine Antwort kannte: „Wohin des Weges?“

Ein leises Seufzen entglitt seinen Lippen und er senkte den Blick zu dem kleinen Tisch, der unter der Fensterbank seinen Platz gefunden hatte. Darauf lag ein zusammengerolltes Papier, das er vor Wochen schon beschrieben hatte. Eigentlich wollte er es einem Beilunker oder sonst einem Boten anvertrauen, doch würde er auf diese Art und Weise nur das werden, was Neferu ihm vorwarf zu sein: ein Herzensbrecher. Nur warum wollte er überhaupt, wie kam er auf den Gedanken, ausgerechnet die geduldige Mirhidan aus ihrem goldenen Käfig zu entlassen? Ein Fehler, bedachte man, dass sie seine einzige, wirkliche Möglichkeit darstellte sich zurückzuziehen, außer er wollte selbst in seinem Schließfach in der Nordlandbank liegen.

Eher nebenbei hob er Mittel- und Zeigefinger der Rechten und kratzte sich an der Stirn. Als er beim letzten Mal einen Gedanken an sie verschwendet hatte, war sie noch die Wanderhure. Doch konnte sie ihm auch schlecht das Gegenteil beweisen. Wenngleich sie ob seiner Art wohl ahnen konnte, dass wenigstens er sich immer wieder Lust verschaffte – oder verschaffen ließ. Während sie geduldig abwartete…? Akribisch schüttelte er den Kopf und strich sich mit dem Zeigefinger nochmals über die Stirn, über die sich eine unnatürlich lange Falte erstreckte.

Zumindest Rahja war ihm nicht böse. Dann konnte es doch eigentlich nicht falsch sein.

Außer man belächelte Rahja und setzte den Glauben an Travia als Maßstab an. Dann wäre er verdammt, ein Dasein in den Niederhöllen zu fristen. Wieder schüttelte er den Kopf. Wenn er ehrlich zu sich selbst sein sollte, wusste er selbst nicht was er wollte. Durchatmend neigte er sich leicht vor und nahm das Papier mit der Rechten auf, nahm es in beide Hände und zerriss es etwa mittig. Nicht mal der erbärmlichste Weiberheld, würde sich solcher Methoden bedienen. Jedoch… bleib offen, was nun aus ihm und Mirhidan werden sollte. Besuchen würde er sie auf jeden Fall, auf ewig bleiben würde er nicht. Noch nicht. Vielleicht eines Praioslaufes, wenn er alt und gebrechlich war… wenn er sein durch und durch rahjagefälliges Leben in vollsten Zügen genossen hatte. Dann vielleicht… was?

Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, ließ sich Rahjard in den abgenutzten Sessel fallen der rechts neben ihm stand und rieb sich mit beiden Händen über das Gesicht. Das Bornland würde er auf jeden Fall aufsuchen. Also von Grangor nach Ferdok, von Ferdok nach Gareth und weiter nach Festum. Eine halbe Weltreise, die ihn immernoch weniger Dukaten kostete als zwei Wochen in Grangor. Naserümpfend legte er den Kopf in den Nacken und sah zur Decke auf.

Erst dann fiel ihm ein, dass er wahrscheinlich schon seit Tagen, wenn nicht Wochen… kein wirkliches Wort mehr mit seinen Begleitern gewechselt hatte. Wenn sie es nicht mitbekommen würden, wäre das aber auch kein Beinbruch. Neferu hatte Phexdan, das schien sicher… und Garion einen neuen Wilbur. Zwar etwas massiger, höchstwahrscheinlich aber ähnlich fromm und hilfsbereit.

Das Beste an diesem Wilbur war allerdings, wenn man es ernsthaft betrachtete, dass er kein Gaukler war. Denn Gaukler brachten ihm einfach kein Glück.