Gareth 11 (Neferu)

Kategorien: 1013 BFDer Puls der StadtFeqzjianGarethNeferu
Zeitraum: FIR 1013

Das Wetter an diesem Wintertag war ohnehin nicht wolkenlos und heiter genug, als dass es sich gelohnt hätte, Obertage seine Zeit zu verbringen.
Ein Gedanke, den Neferu so oder so ähnlich fasste, als sie durch die feuchte Kälte der Garether Kanalisation wanderte, in die sie der Schacht über eine rostige Stiege in die Tiefe geführt hatte.
Dicht an ihrer Seite bewegte sich Phexdan, sie hörte seine Kleidung rascheln.
Und obwohl sich beide bemühten ihre Geräusche zu dämpfen, tat das Echo, das auch geminderte Laute auffing und zurückwarf, sein Übriges.
Beide bewegten sich in fast vollständiger Finsternis durch die lichtlose Ader, die sich unter der Hauptstadt des Mittelreiches erstreckte.
Er behalf sich mit der Liturgie ‚Auge des Mondes‘, während sie ihre Sehfähigkeit mit der Macht einer Satuarienstochter verbesserte: Ihre Augen waren nun die einer Katze.
Die schmalen Pupillen ließen sie wenigstens die Konturen der fremden Umgebung ausmachen.

Der Gang vor ihnen war von halbrunder Form, einst errichtet aus abertausenden gebrannten Ziegeln. Es troff und tropfte von überall her; ein unregelmäßiges Konzert des Grundwassers.
Wenigstens konnte sie kein Rascheln oder Quieken in nächster Nähe hören. Der Gedanke an wimmelnde Leiber huschender Nagetiere verpasste ihr eine unschöne Gänsehaut.
Mittig zog sich träge ein breites Rinnsal dunkler Brühe in dem der Abfall gärte, das zum großen Teil wegen der schlechten Sichtverhältnisse und des Verwesungszustandes nicht näher hätte definiert werden können. Sie hatte ohnehin keine große Lust den Müll der Städter zu analysieren.

Diese unterirdische Welt, in die sie gemeinsam eintauchten war so befremdlich still, dass sie trotz des Dranges leise vorzugehen nach kurzer Zeit miteinander flüsterten.
Sie erzählte ihm von dem Rätsel, dessen neueste Spur sie in der Weststadt am Giebel eines Hauses gefunden hatte.
Von ihrem, wie sie vermutete, nötigen Einbruch in die Archive Störrebrandts.
Und ebenso von ihrem Bestreben, so rasch wie möglich – doch natürlich ohne überhastet vorzugehen – eine große Menge Gold zu erbeuten. Sie hoffte, dass sie mit Hilfe der kleinen Schnitzeljagd auf etwas stieß, das sich zu Dukaten machen ließ.
Ihre dunkle Stimme wisperte nur und dennoch schien sie den gesamten Untergrund zu erfüllen, der die Laute der Oberstadt nicht gewohnt war und jedes Gehör sensibilisierte.
Eine seltsame Unruhe hatte die Stadthexe ergriffen, doch sie wusste, dass es nicht die Unterstadt selber war, die sie so aufwühlte.
Es war die Gegenwart Phexdans. Und nur Phexdans. Sie beide waren völlig allein dort unten. Hatten nur sich. Waren aufeinander angewiesen.
Und es war nicht so, dass sie sich bei ihm in Gefahr oder schlecht aufgehoben gefühlt hätte. Im Gegenteil. Seine Anwesenheit gab ihr die Sicherheit, dass es ein ungewöhnlicher Spaziergang war, den sie da unten in den Tiefen veranstalteten.
Und trotzdem sprach sie nur über Pläne und Ziele. Als wären sie beide Geschäftspartner.
Für Phex ist alles ein Geschäft, so hatte man es ihr oft gepredigt. Und auch wenn Phex Vespers Herr, ihr Mentor, ihr Gott aller Götter war, so fand sie in ihrem Hexenherz kein Platz für diese Richtlinien in Belangen des Gefühls.
Emotionen waren nie ein Geschäft.
Man konnte sie nicht eintauschen, verkaufen oder überzeugen, nicht blenden oder hintergehen.

Phexdans Lippen bewegten sich. Er antwortete ihr, doch sie hatte nicht zugehört. Sie hörte sein gewitztes Lächeln, auch wenn sie es in der Schwärze nur erahnen konnte.
Irgendeinen Ratschlag hatte er ihr wohl gegeben. Oder er hatte sie geneckt.
Wie lange waren sie schon dort unten? Als sie den Kopf nach hinten wandte, konnte sie keinen Lichtpunkt mehr erkennen.
Der Gang ging weit geradeaus. Er bog nie ab sondern verlief als gerader Kanal immer strikt nach vorn..

Wie oberflächlich sie mit ihm gesprochen hatte. Von Geld hatte sie geredet.
Zu gerne hätte sie mit ihm gesprochen, anstatt nur zu reden. Sich ausgesprochen, sich Luft gemacht.
Obwohl es Zerwas war, der irgendwo da draußen auf sie wartete, der einfach anknüpfte an vier verlorene Jahre, der Ewigkeit versprach und Beständigkeit, trotz all dem war sie hier unten mit Phexdan.
Und je näher sie den Kerngedanken einkreiste, desto deutlicher Manifestierte sich die Erkenntnis, dass sie Phexdan absichtlich separiert hatte.
Sie hatte ihn nach hier unten gebracht, damit sie beide die Einsamkeit uralter Gemäuer miteinander teilen konnten.
Damit sie zu Atem kommen konnten, damit die Zeit kurz anhielt.

Sie spürte Phexdans gleichgroße Gestalt direkt neben sich, auch ohne zu seinen Umrissen hinüberzusehen. Ab und zu berührten sich versehentlich ihrer beide Schultern. Sein Leib, seine vertraute Aura war so nah. Und trotzdem war alles nur noch ein Geschäft unter Kollegen.
Sie hörte die Schritte der Füße, im gleichen Takt und…

Was war das? All die letzten verstrichenen Augenblicke hatten sie eingelullt in die fast gleichbleibende Geräuschkulisse der nassen Tiefen. Und jetzt…
Links und rechts ragten zwei große runde Zylinder in die breite Kanalisation.
Vergitterte Abflüsse zu beiden Seiten, aus denen es leise plätscherte.

Einer der runden, steinernen Abflussschächte war nicht gänzlich durch rostige Eisenstäbe versiegelt. Schief hing das Gitter in schon lange gebrochenen Angeln.
Ein fast mannshohes schwarzes Loch führte in die Tiefe.
Und da war dieses Schaben und Schlurfen…
Und dann sahen sie es beide:
Kreaturen krochen zuerst scheu und neugierig, dann grotesk wild auf sie beide zu. Das Schaben wurde lauter, schneller..
Das waren keine Menschen.
Neferu wich zurück, ebenso Phexdan.
Gieriges Schmatzen und niederhöllisches Fauchen wurde von der runden Decke zurückgeworfen und erschwerte die Lokalisierung der Angreifer, die die Phexgeweihten huschend umzingelten.
Waren es zwei…? Drei oder vier?
Phexdan und Neferu drückten sich Rücken an Rücken. Sie zog hastig ihren Dolch, auch wenn sie immer noch nicht hatte erkennen können, was bei den Zwölfen sie da angriff.
Ein lautes Platschen zerriss den Gleichklang der Töne, als eine der Kreaturen den mittigen Kanal überwand.
Nur ein Augenblick später wurde die rote Hexe seiner ansichtig: Ein nacktes, sehniges Geschöpf, das dämonengleich auf allen Vieren kroch. Die langen, messerscharfen Klauen an Händen und Füßen kratzten schwarz über den Stein. Das Maul öffnete sich zu einem Schlund mit drei Kiefern, alle zähnebewehrt, als es sie aus toten, runden Augen bösartig anstarrte.

Sie merkte nur noch, dass sie schwindelig taumelte und gab in einem Gedankenstoß ihrer miesen Konstitution, ihrer Bluarmut die Schuld.
Sie musste dringend etwas gegen ihre nahezu trockengelegten Adern tun.
Dann verdrehten sich ihre Augen, als ihr innerlicher Fluch jäh abbrach. Es wurde schwarz und Ohnmacht umfing sie.