Gareth 32 (Neferu)
Kategorien: 1014 BFDer Puls der StadtGarethGarionNeferuRahjardSalpicoVoltanZeitraum: TRA 1014
23. Efferd 1014 BF
„Was ist mit Garion, Phexdan und Salpico?“
Nepheruna saß mit Voltan und Rychard am Frühstückstisch, in einer Hand ein Honigbrot, in der anderen einen Kohlestift mit dem sie sich Notizen machte.
Voltan hatte einen Stapel von Briefen und kurzen Nachrichtenzetteln vor der Nase und mit der Geschwindigkeit eines aktengeübten Bürokraten, arbeitete er sich durch den Wust.
„Kommen. Salpico bringt als seine Plus-Eins Sjören Vanderbloom mit – wohl auch ein Schwarzmagier.“ Voltan seufzte nicht hörbar, aber Neferu konnte mittlerweile sein stilles Durchatmen ausmachen, wenn er sich resigniert und ohne Auffälligkeiten in den Umstand fügte, dass seine zukünftige Braut nicht nur selbst eine magiebegabte Tochter Satuarias war, sondern auch viele ihrer Freund- und Bekanntschaften aus arkanem Umfeld stammten.
Der Albernier hatte Akzeptanz gelernt, aber gewöhnt hatte er sich noch nicht an all diese Fingerfuchtler jedweder Couleur, die in letzter Zeit um ihn herumtingelten.
„Auch Phexdan hat zugesagt?“ Ihre dunkle Stimme klang tatsächlich verwundert. Auch wenn sie es erhofft hatte: Damit hatte sie nicht gerechnet. Sie hatte ohnehin nicht sicher sagen können, ob Phexdan – immerhin ihr ehemaliger Gefährte – Lust hatte, sich dieses traviagefällige Spektakel anzusehen, noch weniger hatte sie erwartet, dass er tatsächlich eine schriftlich, manierliche Antwort zukommen lassen würde.
Voltan wedelte zur Antwort mit einem Stück Hadernpapier.
„Hm. Gut!“ Anerkennend nickte sie.
„Magister Horrigan? Ich hoffe ja immer noch, ihn mit Ahlemeyer zu verkuppeln.. kommt sie?“
„Kommen beide!“
„Lamiadon und Willimay?“
Voltan blätterte erneut und schrieb seinerseits eilig einige Namen auf seine Liste.
„Ja, der hat auch zugesagt. Auch wenn sie wohl nicht allzu lange bleiben, immerhin muss Willimay in ihrem Alter früh ins Bett.“ Das stimmte wohl. Willimay war keine sechs Sommer alt – eines der Waisenkinder, die Nef in eine Familie vermittelt hatte.
Der Inspektor ergänzte weitere Zusagen: „Von meinen einstigen Kameraden des Schwadron haben 32 zugesagt. Auch das Ehepaar Gesse kommt. Von der Wachmannschaft des Puniner Tors kommen zehn – darunter auch Helchtruta, Rumpo und Helme…Und Torfstecher hat zugesagt.“ Seine letzten Worte kamen gedehnter. Er mochte Jereminas nicht, von dem er heute wusste, dass er irgendwie mit einem der Garether Phextempel verbandelt war – mehr wollte er gar nicht in Erfahrung bringen. Damals jedoch, als sie beide Kinder gewesen waren, hatte ihn der schneidige, selbstbewusste und ältere Jereminas gehänselt. Dickfinger. Voltan hörte noch heute die schäbige Schadenfreude in den Spitznamen, die der Ältere ihm gegeben hatte. Er war als Kind nicht eben schlank gewesen und das hatte andere Jungen dazu animiert, ihn auf dem Kieker zu haben. Kinder waren grausam.
Die Hexe schrieb mit, biss beiläufig in ihr Brot. Noch eine Woche, dann sollte der große Tag sein, der sie und Voltan für immer vereinen würde. Sie spürte Aufgeregtheit, Vorfreude und Angst in sich streiten.
Rychards ewig gelangweilte Stimme mischte sich ein – als Trauzeuge der Braut war in die Vorbereitungen der Hochzeit eingespannt worden. Auch wenn seine Aufmerksamkeit sich zwischenzeitlich auf das bildlich ausgeschmückte Rahjasutra gelenkt hatte, das Neferu aus einer wenig zünftigen Laune heraus vor einigen Tagen aufgetrieben hatte.
„Absagen haben wir von Meinloh von Gareth – er weilt derzeit gar nicht in der Stadt -, Nerix Sandsteiner, Visalyar Wassertänzer und Phygius II. Letzterer war sogar… aufgebracht, dass man ihn aufgespürt hatte.“ Er rollte mit den Augen.
„Was ist eigentlich.. das da? Das kleine Einmaleins des Fremdgehens der Rahjakirche?“ Voltan deutete mit einem zweifelnden Blick zur Seite auf das aufgeschlagene Rahjasutra.
„Dafür bist du noch nicht bereit. Nicht bereit für das maraskanische Schandrad…“ Der Al’Anfaner lächelte verschmitzt.
Voltan verzog fast angewidert das Gesicht.
„Klingt… ungewaschen..“ murmelte er in Skepsis.
„Keine Absage von Dexter Nemrod..?!“ Die Frau mit der offensichtlichen Lieblingsfarbe rot lenkte das Frühstücksthema zurück auf ihren großen Tag.
„Er kommt.“ erwiderte Voltan schlicht.
Neferu gluckste amüsiert.
30. Efferd 1014 BF
Der Tag der Hochzeitszeremonie stand unmittelbar bevor. Nur noch einmal schlafen! Seit dem viel zu frühen Erwachen noch vor dem Sonnenaufgang war die Nervosität der Braut Stunde um Stunde hartnäckig gestiegen und hatte sie in einen hitzköpfigen Gemütszustand zwischen greifbarer Panik und alveranhochjauchenzender Vorfreude versetzt.
An diesem Morgen hatte das zukünftige Ehepaar – und Rychard, denn er wohnte derzeit bei den Sprenglers, solange sein eigenes Haus renoviert wurde – Besuch aus Eschenrod: Die kleine Hex, ein fingerfertiges Mädchen, das eigentlich Ardare hieß, die wunderhübsche 14-jährige Jarla und den geschickten Kletterer Hakon. Alle drei waren Zöglinge des Waisenhauses, das die Stadthexe unterstützte.
Es war organisiert worden, dass sowohl blumenstreuende Kinder als auch junge Mädchen in den gleichen Kleidern als Brautjungfern aus dem Haus der Findelkinder stammten.
Und heute gab es eine Anprobe.
Auch Nepherunas beste Freundin Duridanya war zugegen. Wegen einer anderen Anprobe: Das Brautkleid war da – angepasst, das zweite Mal. Ein bisschen umfangreicher war der Bauch der Braut geworden – immerhin wuchs dort drinnen ein Tsawunder zu menschentauglicher Größe heran, das bemerkte man mit bloßem Auge zwar noch nicht, aber das eng taillierte Kleid schon.
Während die künftige Frau Sprengler also auf einem Hocker stand und Duridanya das traumhafte Kleid aus roter Seide, einer Menge Drôler Spitze und Perlen ein letztes Mal begutachtete, indem sie mit grüblerisch-kritischer, aber letzten Endes glücklicherweise zufriedener Miene um die lebende Schneiderpuppe herumlief und mal hier, mal da zupfte und zog, kam Rychard durch die Tür.
Rychard – so nannte nur sie ihn.
Sein eigentlicher Name war Rahjard Karinor und er war der Bastard einer Grandenfamilie in Al’Anfa, die sich auf die Reederei spezialisiert hatte.
Rychard oder Rahjard hatte sich die Haare machen lassen – verlängern und schwärzen. Und er hatte sein schwarzes Hündchen Cyri bei sich – wie immer. Nef da auf dem Hocker blinzelte einmal. Es sah gut aus, was Rychard da fachkundige Hand hatte mit sich veranstalten lassen. Und irgendwie fand sie, dass sich Herrchen und Hündchen nun ähnlicher sahen.
Sie schmunzelte abgelenkt und stieg dann von ihrem nötigen Brautkleidpodest. Beim Raffen ihres Kleides zeigte sie einen Eindruck von dem, was darunter war: Rote, lange Strümpfe aus feinstem Stoff und neue dunkelrote Schuhe, die gelackt glänzten. Duridanya hatte sie mit einem blauen Strumpfband ausgestattet. Das bringe Glück, hatte die Blonde beteuert.
Der Schönling mit dem eigentlich kastanienfarbenen, jetzt aber schwarzen Haar warf selbiges zurück. Auf ihr Kleid ging er nicht ein.
„Talafeyar und sein Mann Velun sind schon in der Stadt.“ verkündigte er prompt mit einem sachten Ton Unzufriedenheit. Das war meistens so und einfach Teil von Rychards Sprachkultur. Wenig war eben gut genug für ihn und das pflegte er dezent auch auszudrücken. Und was alles andere als gut war, hatte er soeben ausgesprochen: Sein Techtelmechtel, das zweifellos ansehnliche, blonde Spitzohr Talafeyar, seines Zeichens Geweihter der Rahjakirche, hatte den Ehemann mit nach Gareth gebracht.
Nef nickte nur langsam.
Schade – sie war selbst Zeuge gewesen, wie es zwischen ihrem Freund Rychard und dem Priester aus Perricum geknistert hatte. Aber.. das war wohl die alltägliche Wirkung des Rosenpaters.
„Und wie geplant schläft Voltan heute Nacht im Hotel ‚Alter Kaiser‘ bei seinen Eltern und deren neue Anhängsel, die ja seit gestern und vorgestern schon da sind wie du weißt. Und..“
Er brach ab, hob sachte seine feingeschnittenen Brauen, in denen kein Haar in eine verkehrte Richtung zu wachsen schien – und das von Natur aus – und musterte die Frau in rot.
„Du siehst gut aus.“ Er hob sachte einen Mundwinkel. „Aufgeregt?“
01. Travia 1014 BF
Sie öffnete die Augen, als der Nagel aus der Kerze fiel – diese war weit heruntergebrannt über die letzte Nacht und sollte sie zur sechsten Stunde des Morgens wecken. Der einfache Weckmechanismus verfehlte seinen Zweck nicht. Neferu setzte sich auf.
Sie hatte überraschend gut geschlafen – von alten Abenteuern hatte sie geträumt, großer magischer Macht und eingekerkerten Vampiren. Mit zwei Fingern rieb sie sich den Schlaf aus den Winkeln der Mandelaugen.
In der Stille des Morgens blickte sie zu dem Menschen, der da ruhig neben ihr schlief: Duridanya mit geflochtenem Zopf.
Nach einem Anfall von Übelkeit am Abend zuvor – aufgrund der Aufregung, nicht der Schwangerschaft – hatte ihre beste Freundin es eingerichtet, zu bleiben. Korobar hatte die zwei Kinder der beiden ausnahmsweise alleine zu Bett bringen müssen.
Dann sprang Ineri auf die Schlafstatt und maunzte. Das junge Parderweibchen tatzte in die Decke und beharkte sie mit stetigem Milchtritt.
Nef griff beherzt nach dem lebenden kleinen Abbild ihres Seelentieres und ließ sich noch einmal zurück in die Kissen fallen.
Morgendliches Katzenkuscheln wollte sie sich auch an ihrem Travienstag nicht nehmen lassen!
Und dann… schienen dem Tag Flügel zu wachsen, er erhob sich und flog.
In einem Taumel aus tranceartiger Euphorie, dem Lachen von Freunden und der Angst vor großen Veränderungen, half Duridanya ihr mit der spitzenbesetzten Wäsche, dem Kleid, der Schminke.
Auch Rychard war da, stand der Braut in spe zur Verfügung. Er hatte sich ein neues Kleidungsstück schneidern lassen und strahlte ungewohnte Seriösität und Sicherheit aus. Ein Wandel, der ihm gut stand.
Er band Ineri und Cyri die Schleifen um die Hälse und… er hatte eine Kutsche organisiert, die von einem gut gekleideten Kutscher gelenkt wurde.
Nef erhielt ihren Brautstrauß: Rote Rosen, Efeu und kleine weiße Blümchen dazwischen, wie Schneeflocken oder Sterne.
Ein Blinzeln.
Die Kutsche war immer noch da. War sie in einem Märchen?
Ein weiteres Blinzeln.
Sie fuhren sanft holpernd in dem prunkvollen Gefährt über die Kopfsteinpflaster Gareths.
Neferu wollte jeden Moment festhalten und gleichzeitig wollte sie ihre Spuren verwischen und verschwinden. Ihre allgegenwärtige Angst, die Angst aufgespürt und gerichtet zu werden, die Angst verlassen zu werden, hintergangen zu werden – all das kam in ihr hoch wie ein innerer roter Drache, der kämpfte um zu zerstören, was sie sich aufgebaut hatte.
Sie sah sich in der Kutsche um. Wie im Traum verschwommen saßen da die Gestalten von Duridanya und Rychard. Und auch die tierischen Begleiter Ineri und Cyri waren da, irgendwo im inneren des luxoriösen Gefährts.
Nef schloss die Augen.
Voltan war der einzige für sie. Der einzige, dem sie gänzlich vertraute, dem sie Geheimnisse anvertraut hatte, die sonst niemand kannte. Sie wusste mit einer inneren Gewissheit, dass sie auch die letzten Hüllen der Wahrheiten würde fallen lassen können, wenn sie es zuließ.
Er würde sie niemals verurteilen.
Die Braut öffnete ihre Augen, die Kutsche hielt. Zeit schien kaum eine Bedeutung zu haben.
Türen öffnete sich – helles Tageslicht des frühen Herbstes fiel herein.
Waren Augenblicke vergangen? Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals. Sie griff sich an die Kehle – ihr war, als würde sich ein zu warmer Schal darum winden, doch sie trug keinen. Nur eine einzelne Kette, die viel zu tief hing, um zu schnüren. War ihr Kopf ebenso rot wie ihr Kleid?
Sie klammerte sich an den Strauß, schritt bedächtig und aufrecht auf den Traviatempel zu, auf das schlichte Gebäude mit den Gänsepfeilern. An den Türen standen zwei Sonnenlegionäre und zwei Stadtwachen. Mittig, direkt vor dem großen Eingangsportal wartete Dexter Nemrod.
Die nervöse Braut hörte auf sich zu wundern. Sie hatte beschlossen nicht ohne wirklich guten Grund stehen zu bleiben. Neben sich sah sie Rychard, der beide Vierbeiner an Leinen führte. Sie fragte sich in dem Bruchteil eines Wimpernschlags, was der schöne Al’Anfaner den Tieren in ihr Futter gemischt hatte, denn sie verhielten sich ruhig und artig, fast als hätten sie die Feierlichkeit des Augenblicks begriffen – oder eben als hätten sie ein Alchemikum der Beruhigung verabreicht bekommen.
Nepheruna, namentlich noch Banokborn, kam direkt vor dem Großinquisitor zum Stehen. Er war etwas kleiner als sie – das war ihr zuvor nie aufgefallen. Er klackte hörbar mit dem Mechanismus an seinem Gehstockgriff und fixierte sie mit dem für ihn typischen Falkenblick.
Sie war heilfroh ihn zu sehen, auch wenn ihr Verstand ihr sagte, dass sein so demonstrativ dominantes Auftreten auch Ärger bedeuten konnte. Sie lächelte – unsicherer als sie wohl gesollt hätte.
„Reichsgroßgeheimrat..“ grüßte sie ihn mit ehrlicher Freundlichkeit.
Er nickte ihr knapp zu und ergriff das Wort: „Wollt Ihr das wirklich, Fräulein Banokborn?“ fragte er ohne Umschweife mit der Direktheit einer Guillotine, nur um zu ergänzen: „Noch ist Zeit alles abzublasen..“
Überrascht sah sie ihm in die Augen. Wollte sie das hier alles wirklich? Mit einer solchen Frage hatte sie weniger gerechnet als mit einer Festnahme wegen irgendwas.
Ja, sie wollte. Dexter Nemrods strenge Frage hatte das väterliche Vergewissern eines Menschen, der sich ernstlich interessierte und vielleicht sogar sorgte, erfolgreich verschleiert. Und diese Frage hatte ihr geholfen. Ebenso wie sein Rat zum Ehegelübde. Voltan war seit Stunden im Tempel, wartete, lief Linien in den Boden. Ihm war Angst und Bange, sie würde nicht erscheinen. Das hatte der Großinquisitor Nemrod ihr stoisch verraten.
Aber sie war nicht fortgelaufen! Ihr war ein für alle Mal klar geworden: Sie hatten sich einander anvertraut. Sie und Voltan waren längst eins.
Die Tempeltüren wurden weit geöffnet, Musik spielte, begleitete die Braut und die kleine Schar, die sie umgab, während sie festlich in die heilige Stätte der Travia hinein schritt.
Viele stehende Menschen. Ein Meer von Gesichtern. Lächelnde, solche mit Tränen in den Augen, grinsende, ernst feierliche… Da waren die Hortemanns aus Grangor mit Phexje, der zu einem jungen Mann herangewachsen war, der heitere Weißmagier Eulrich Durenald von Amt 7 der CriminalCammer und seine thorwalsche Frau, der Alchemist Grabensalb – ohne seinen Riesenhirschkäfer Paramanthus -, Gesine van Straaten, deren Vater zur Schneiderzunft Gareths gehörte; ernst stand da der weißmagische Inquisitor Calfang Rodebrannt aus Trallop, mit seiner Haushälterin Praia, die verschmitzt lächelte und der roten Braut gewieft zuwinkte, Neferu sah Helchtruta und Rumpo von der Stadtwache feixen, aufrecht und in ihren besten Praiostagskleidern Fricken und seine Mutter aus dem Viertel der Armen vor der Stadt und zwischen mehreren Legionären und Kriegsveteranen machte sie auch Phexdans ausdrucksloses Gesicht aus.
Ihr Blick glitt wie ein Schiff über Wogen und Wellen. Und Neferus Rastlosigkeit kam erst zum erliegen, als sie ihren Hafen erblickte: Voltan stand auf der anderen Seite des Tempels, direkt beim Altar mit der Statue der Muttergöttin. Als sich ihre Blicke trafen und sie sanft lächelte, mit Tränen der Freude in den Augen, änderte sich sein blass-befürchtender Gesichtsausdruck. Er wurde friedlich, erwartete sie.
Als sie beim Altar angelangte, Mutter Harina auf der Kanzel ihr feierlich zunickte und Voltan ihre Hände ergriff, fiel auch der letzte Zweifel von ihr ab und gab eine Zuversicht und Wärme frei, die sie nie zuvor gespürt hatte. Ihr wurde warm, sie drückte seine Finger, musste schmunzeln.
Die Musik verstummte und die Geweihte der Göttin des sicheren Zuhauses, der Geborgenheit, der Familie sagte einige Worte des Willkommens. Eine Ankündigung der Feierlichkeit.
Neferu, die Voltan immer nur ‚Vesper‘ nannte, erinnerte sich schon wenige Wimpernschläge später nicht mehr daran, was gesagt worden war – sie sah nur Voltan.
Von der Geweihten aufgefordert, teilte Voltan Sprengler, der Inspektor der CriminalCammer, der Weibel des Puniner Tors, der Leutnant eines Schwadron der kaiserlichen Reiterei, seine Lippen. Seine angenehme, mitteltiefe Stimme brach sich vielfach an den Wänden des Tempels und erfüllte die Halle.
„Von heute an verspreche ich Dir diese Dinge: Ich werde mit Dir lachen in Zeiten der Freude und Dir Trost spenden in Zeiten der Sorge. Ich werde Deine Träume teilen und Dich unterstützen, Deine Ziele zu erreichen.
Ich werde Dir mit Begeisterung und Verständnis zuhören und Dir aufbauende Worte sagen.
Ich werde Dir helfen, wenn Du Hilfe benötigst und Dir Deinen Freiraum lassen, wenn Du ihn brauchst.
Ich werde Dir in guten und in schlechten Zeiten vertrauen, in Zeiten von Krankheit und Gesundheit.
Du bist mein bester Freund. Ich werde Dich immer respektieren und lieben.
Ich glaube an Dich, an die Person, die Du sein wirst und an das Paar, das wir zusammen sein werden.
Ich nehme Dich von ganzem Herzen zu meiner Ehefrau, Ich kenne deine Schwächen und Stärken und akzeptiere sie, so wie Du meine kennst und akzeptierst.
Ich verspreche, vertrauensvoll und unterstützend zu sein und immer das Glück und die Liebe unserer Familie zu meiner wichtigsten Priorität zu machen.
Ich bin Dein Partner in Reichtum und in Armut, in Krankheit und in Gesundheit, im Scheitern und im Erfolg.
Ich werde mit Dir träumen, ich werde mit Dir feiern und ich werde immer an Deiner Seite gehen, ganz gleich, welche Hürden unsere Leben bereithalten.
Du bist mein Ein und Alles – meine Liebe, mein Leben, mein Heute und der Rest meines Lebens.“
Niemand unterbrach ihn in seinem Versprechen. Atemberaubt blickte seine Braut ihn an. Ihre Augen waren voller Liebe. Sie wusste, dass er sein Gelübde vorbereitet hatte. Sie hatte das nicht getan – verrückterweise nicht, weil sie es nicht gewollt hatte. Sie hatte es immer wieder verschoben, nie die richtigen Worte zu Papier bringen können.
Nepheruna-Vesper atmete tief ein, füllte ihre Lungen mit Luft. Ihr Herz machte einen Satz. Hätte sie doch nur etwas vernünftiges auf Papier zu Stande bringen können…
Sie hörte die Worte in sich, die ihr Dexter Nemrod vor dem Tempel gesagt hatte.
Lass einfach dein Herz sprechen.
Und das tat sie.
„Als ich dich das erste Mal sah, Voltan- das war am Puniner Tor – da sahst du so unglücklich aus. Verbittert, zornig und hoffnungslos. Schon damals wollte ich dich unbedingt lächeln sehen.
Ich weiß, dass wir uns noch nicht allzu lange kennen, kein ganzes Jahr. Aber das spielt keine Rolle – wir teilen soviel, dass ich mir sicher bin, dass wir uns jetzt schon besser kennen als andere nach vielen Jahren. Und immer noch, will ich dich lächeln sehen.
Wir haben beide viel Leid erfahren in unserem Leben und wir haben uns einander anvertraut. Und ich weiß, auch ich bin nicht immer einfach. Ich stelle mich selber gerne in den Mittelpunkt. Aber als ich dich kennengelernt habe, da konnte ich nicht locker lassen – ich wollte unbedingt wissen, warum du so unglücklich bist, um es zu brechen!
Und als ich dann wusste, welch schlimmes Schicksal dich plagt, da wollte ich alles tun, um dich zu retten. Alles. Und wir haben es geschafft. Gemeinsam haben wir dein Leben gerettet.
Meine Ziele sind jetzt deine und deine Ziele sind meine. Und auch deine Sorgen waren und sind jetzt meine. Du bist mein Glück, Voltan.
Ich kann dir alles sagen und weiß, dass du Verständnis hast und nicht urteilst. Du bist der einzige. Ich kann deine Hand greifen und weiß, du lässt mich ein in dein Leben und mich ein Teil davon werden. Du bist ein Teil von mir Voltan, wie ich ein Teil von dir bin. Und zusammen werden wir zu einem Ganzen. Ich liebe dich so sehr.“
Beide tauschten Ringe. Sie küssten sich. Die Gäste klatschten. Es erschien ihr wie ein wunderschöner Traum – ein glückliches Ende. Mit dem Unterschied, dass es keine Geschichte war, kein Märchen, kein Roman von Rosenkron: Alles geschah wirklich.
Nach der Tempelzeremonie speisten sie gemeinsam die Armen, wie es Brauch war und anschließend ging das frischvermählte Paar hinüber zu dem Tanzsaal, dem Essen, der Feier.
Reden wurden von Braut und Bräutigam gehalten, sie nahmen die vielen Geschenke entgegen. Sehr viele Geschenke. Die Trauzeugen hatten vorausschauend vorgesorgt. Rychard und Rank drapierten die Präsente auf mehreren bereitgestellten Tischen. Um Cyri und Ineri – die beiden einzigen Vierbeiner auf der Veranstaltung, kümmerten sich zwei Tsa-Geweihte, die Nef nicht einordnen konnte, aber in ihr trotzdem ein Gefühl von Frieden auslösten – was auch sonst: fremd hin oder her, es waren Geweihte der jungen Göttin.
Als alle Gäste – fast 170 Anwesende – an der überlangen Tafel Platz genommen hatten, hatte die Braut in rot den Eindruck Teil eines Festessens zu sein, das für eine Königsfamilie hätte angerichtet worden sein können.
Nach dem Essen wurde getanzt.
Der Saal war überwältigend hergerichtete worden. All die Rosen, das Licht, die vielen Gesichter von Menschen, die einem nahe waren.
Prinz Kasparbald hatte selbst zwar nicht kommen können – Nef hatte das bereits im Vorfeld geahnt, die Prinzen und Prinzessinnen Aventuriens hatten wohl Sinnvolleres zu tun, als wochenlang zu reisen, um eine Bürgerhochzeit weit, weit weg zu besuchen – aber er hatte von einem persönlichen Gesandten seine Glückwünsche übermitteln lassen.
Der Abend verging bis in die Nacht hinein wie ein Tanz bei dem man seinen Partner wechselte, sich unterhielt, zum nächsten hüpfte und Neuigkeiten aus aller Welt zu Ohren bekam.
Besonders im Gedächtnis blieben ihr vier Dinge: Dass Dexter Nemrod mit ihr übers Parkett geschwebt war und ihr in seiner gestrengen Art mitgeteilt hatte, dass er sich in gewisser Weise für ihre Existenz verantwortlich fühlte, da er für seine Sonnenlegionäre verantwortlich ist – und ihr Vater nun einmal einer davon war, der dummerweise mit einer Hexe ein Kind gezeugt hatte, dass der Weißmagier Calfang und der Schwarzmagier Salpico mangels Alternativen einmal miteinander tanzten, dass Brin überraschend vorbei gekommen war – Prinz Brin – der der Heldin von Greifenfurt gratulierte und gefolgt von seinen Mannen auch gleich wieder ging und zu guter letzt, dass Voltan in seiner Rede dazu gestanden hatte, dass sie eine Tochter Satuarias war. Vor allen hatte er dazu gestanden und zwar nicht auf eine Weise, dass er es nur tolerierte – sondern mit liebevoller und starker Akzeptanz.
02. Travia 1014 BF
Der wunderschöne Spuk war vorüber. Voltan und seine frisch angetraute Vesper hatten nicht genug getrunken, um einen Kater zu haben und deshalb fanden sie sich zeitig unten im gemütlichen Schankraum ein, der zu einer Frühstückstafel umfunktioniert worden war. Voltan hatte ihr direkt nach dem Aufstehen nun seinerseits ein Geschenk gemacht: Wertpapiere als Brautgeschenk.
„Damit du abgesichert bist.“ hatte er liebevoll und gleichsam sachlich betont.
Noch einige Gäste waren zum Frühstück geblieben – die Braut schätzte sehr, dass sie einige Gespräche vom Vortag weiterführen konnte.
Und noch etwas kam ihr wieder in den Sinn: Sie hatte Garion noch am gestrigen Abend eines ihrer bisher größten Verschwiegenheiten offenbart: Dass sie gemeinsam einen Sohn hatten, den sie an den Donnerbacher Rondratempel übergeben hatte, als er noch ganz klein gewesen war.
Der Rondrianer war dementsprechend in Aufbruchstimmung, aber weniger traurig oder nachtragend als die jetzt traviagefällig verheiratete Hexe erwartet hatte.
Er berichtete, dass er die Zorganpocken überlebt hatte, in der Gor gewesen war, dass er Zirkel von Paktierern aufgespürt hatte, ja sogar, dass dunkle Mächte versuchten, den Dämonenmeister aus alten Sagen – Borbarad – zurück ins Leben zu holen!
Die Hochzeitsstimmung war unrettbar dahin, aber das machte nichts. Sie hatte sich in etwas anderes gewandelt.
Die Schönheit der idyllischen Augenblicke hatte nicht gerastet, das taten sie nie. Ein Eindruck von Lichtern, Geschenken und Tanz bliebe zurück und verankerte sich als wundervollste Erinnerungen in Voltans und Vespers Herzen. Aber nun mussten sie erkennen, was da draußen dräute: Ein Morgen, der weniger traumhaft war – eine Welt im Wandel. Und in ihnen beiden entstand keine Angst, sondern ein Gefühl von Wachsamkeit, von unbeugsamem Zusammenhalt und dem Drang etwas zu tun – etwas Bösartiges gemeinsam aufzuhalten.