Grangor 16 (Feqzjian)

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Gewandt bahnte der junge Mann sich seinen Weg durch die dichtgedrängte Menge in den Straßen der Handelsmetropole Grangor. Er ärgerte sich über sich selbst. Er hatte Neferu zu früh über Phexjes Tod unterrichtet, hatte angenommen, sie würde zu ihm eilen und ihn trösten. Wie hätte er auch ahnen können, dass sie stattdessen sofort ihren Kurs ändern und nach einer Lösung suchen würde, die es nicht gab? Er ballte die Faust. Er hätte es wissen müssen, aber Trauer und Verzweiflung hatten sein Urteilsvermögen getrübt. Er hatte sich einfach nicht genug Zeit gelassen die Lage zu beurteilen und vorschnell gehandelt.
Jemand rempelte ihn an.
Mein guter Junge, junges Füchschen, halte mich nicht für ungerecht, aber ich weiß, dass es keine Möglichkeit gibt dich aus Borons Hallen zurück zu holen und sie sollte mir nicht fern sein, obwohl ihre Bemühungen keine Früchte tragen können, dachte er bei sich. Sicher, er vermisste Phexje, aber erstens war er ganz sicher durch die Pforten Alverans geschritten, hatte es dort gut und zweitens gab es keine Möglichkeit die Seele eines Verstorbenen zurück zu holen. Mit gerunzelter Stirn schob er einen feisten Händler zur Seite. Diese Leute waren eine Landplage, aber eine gut zahlende.

Er musste dringend zu dem zweiten Hochgeweihten der Stadt, zu seinem Stellvertreter, zu seinem besten Freund. Er brauchte jemanden, dem er sein Herz ausschütten konnte.
Schnell wich er eine Doppelpatrouille der Stadtgarde aus, die sich aufmerksam umsah und bog dann nach rechts, in Richtung der Schneiderei ab. Ein paar wenige Schritte trugen ihn zu dem bekannten Gesicht hinüber, ehe er sich hinab beugte und dem alten Freund auf die Schulter klopfte.
Kaum, dass dieser den Kopf gehoben und ihn mit einem Lächeln angesehen hatte, spürte auch Phexdan ein Klopfen auf seiner Schulter. Mit gerunzelter Stirn wandte er den Kopf zur Seite.
Wer bei allen zwölf Göttern konnte gerade jetzt etwas von ihm…?
Ein kräftiger Faustschlag traf ihn mitten ins Gesicht. Der Schmerz, der in seinem Kopf explodierte, riss seine Gedanken ein, ließ ihn taumeln. Wie im Reflex zog er seine Hände schützend vor die getroffene Nase. Er spürte eine warme Flüssigkeit über seine Hände fließen. Blut! Er blutete. Der Schlag hatte gesessen. Vorsichtig öffnete er die Augen und blinzelte sich die Tränen des Schmerzes aus den Augen, um den Angreifer sehen zu können.
Ein paar Bettler waren herbeigesprungen und hatten den Unhold gepackt. „Garion…?“, blinzelte der Phexgeweihte irritiert, als die Doppelpatrouille, die er vor ein paar Augenblicken noch passiert hatte den Bettlern ihre Last abnahm und den offenbar wütenden Rondriten mit sich schliff.
„Was bei den Niederhöllen war das denn…?“, fragte er halblaut und sah dem Verrückten nach, wie er von den beiden Gardisten durch die sich teilende Menge gezerrt wurde. Eine Stimme von der Seite riss ihn aus dem Starren: „Da fragst du noch? Er ist eifersüchtig, er hat sich in Neferu verguckt…nicht aufgefallen?“
Der Fechter sah zur Seite auf. Richard, der sonst so wortkarge Begleiter Neferus und Garions.
Rasch entwickelte sich ein Gespräch. Es schien, dass auch Richard, der dunkelhäute Schönling, nicht besonders viel Sympathie für den ach so tapferen Recken der Herrin Rondra empfand. Jedes Wort, das seinen Mund über Garion verließ, schmähte die Bedeutung des Ardariten für das Leben im Allgemeinen und das Richards im Speziellen. Eine Ansicht, die Phexdan, wie ihm seine schmerzende Nase anriet, nur zu gerne teilte. Eine kleine Abkühlung und eine verlängerte Haftstrafe konnten diesem Narren nur gut tun. Doch Richard brachte es auf den Punkt: „Sicher, verdient hätte er es ohne jeden Zweifel, aber zuerst solltest du dich vielleicht in die Obhut eines Heilers begeben, du siehst furchtbar aus.“ Phexdan seufzte, nickte dann aber. Ja, ein Heiler musste her, das bestätigte auch ein Blick auf seine rötlich verfärbten Hände.

Wenig später knackte es vernehmlich.
„Autsch!“, rief der Geweihte Phexens seinen reflexartigen Protest laut heraus. Dieser verdammte Heiler nahm einen beinahe ketzerischen Geldbetrag dafür ihm weitere Schmerzen zufügen zu dürfen, hatte ihm aber wenigstens versprochen, dass er keine bleibenden Schäden davontragen würde. Richard stand mit einem undeutbaren Grinsen zwei Schritt entfernt. Phexdan war bereit zu Richards Gunsten anzunehmen, dass ihm noch immer die Bilder Garions, wie er abgeführt wurde im Kopf umhergingen, als der alternde Heiler eine Art Druckverband auf seiner Nase befestigte.
„So mein Freund…“, begann er mit einem schmalen Lächeln. „Das wird eure Nase zwar heilen lassen, aber ihr solltet sie trotzdem für eine Weile nicht wieder zu tief in fremde Angelegenheiten stecken.“
Fremde Angelegenheiten? Was erdreistete dieser Kurpfuscher sich? Mal völlig davon abgesehen, dass seine Nase eher gesteckt wurde, als dass er selbst sie irgendwo hin gehalten hatte, war die Angelegenheit in der er sich diesen Schlag eingefangen hatte von höchstpersönlicher Natur! Was wusste dieser Quacksalber schon?!
Mit einem bestenfalls höflichen Wort des Abschieds verließ er gemeinsam mit Richard diesen vermaledeiten Metzger und schlug ohne ein weiteres Wort den Weg in Richtung der Wachstube ein. Er war zu dem Entschluss gekommen, den einmal gefassten Plan so rasch wie möglich umsetzen zu müssen um nicht im letzten Moment noch davon abzukommen. Niemand durfte ihm Neferu streitig machen wollen – schlimm genug, dass sie selbst ständig abwesend war. Das Letzte was er brauchen konnte, war ein strahlender Ritter, der ihm seine große Liebe streitig machen wollte!

Mit Richard im Schlepptau bog er nach links, dann wieder nach rechts ab und stand endlich vor dem Bau, der das Hauptquartier der Zweililiengarde beherbergte.
„Warte hier, das mache ich besser alleine.“, raunte er Richard wortkarg zu, ehe er eine Leidensmiene aufsetzte und die ausgetretenen Stufen mit zwei langen Schritten hinter sich brachte.
Im Innern der Wache war es kühler als draußen und für einen Moment fröstelte er. Dann aber besann er sich auf sein Vorhaben und trat mit einem langgestreckten Seufzer an den Tresen, der hier zum Empfang diente.
Ein kurzer Blick des Gardisten reichte um dem Neuankömmling in den durchaus teuren Kleidern seine volle Aufmerksamkeit zu schenken. Wenn sich jemand wie dieser feine Herr persönlich in die Wache bemühte, dann musste sein Anliegen von nicht geringer Wichtigkeit sein.
„Herr Gardist!“, näselte der Geweihte mit falschen Tränen in den Augen aufgeregt. „Hier ist doch heute ein Rondrit verhaftet worden, wegen des Übergriffes auf seinen unbescholtenen Bürger nicht wahr?!“, ohne eine Antwort abzuwarten fuhr er fort, die Frage war rhetorischer Natur gewesen. Mit ausladender Gestik deutete er auf seine verbundene Nase. „Seht nur, was er angerichtet hat! Ich bin nicht nur Schausteller, nein, ich führe auch wichtige Gespräche für das Handelsunternehmen meines Onkels. Aber mit dieser Nase…Nein, nein! Mit dieser Nase kann ich keiner meiner Berufungen nachkommen. Die Geschäftspartner meines Onkels würden sich doch über diesen vertrimmten Hallodri wundern, der ihnen als Gesandter geschickt wird. Ich wünsche…Nein…Ich fordere, dass dieser Mann auf das härteste bestraft wird! Immerhin soll er für meinen nicht geringen Verdienstausfall Buße tun!“, gerade so gelang es ihm ein belustigtes Grinsen zu unterdrücken. Nur nicht im letzten Moment noch alles ruinieren. Ein rascher Blick zeigte ihm, dass seine Posse bereits Wirkung zeigte. Der Gardist sah durchaus verärgert aus. Dann ereiferte er sich ihm zu versichern, dass man das höchstmögliche Strafmaß, also eine Woche Kerkerhaft ansetzen wolle um diese Straftat zu ahnden.
Als Phexdan wieder auf die Straße hinaustrat war er durchaus zufrieden mit sich und zwinkerte Richard zu.
„Was hältst du davon, wenn wir einen Tee trinken gehen?“, sein Blick glitt über das nachdenkliche Gesicht des jungen Mannes. „Nur wenn du zahlst.“, antwortete dieser.

Mit einem kurzen Lächeln stimmte er zu. So günstig kam man selten an Informationen, die einen wirklich brennend interessierten. Richard musste eine Menge über Neferu zu berichten haben, vielleicht wusste er sogar wo sie sich derzeit aufhielt!
Das nächste Teehaus lag drei Straßen weiter auf der rechten Seite. Ein niedriger Bau mit offener Front, ein wirklich gemütliches Fleckchen Deres. Die beiden bestellten Tees waren schnell gebracht, das Gespräch rasch entflammt. Zu seiner Enttäuschung musste Phexdan jedoch schnell feststellen, dass Richard ebenso wie er absolut keine Ahnung hatte, wo die schöne Dunkelhaarige, mit den tulamidisch anmutenden Augen sein mochte. Wenigstens konnte er mit einigem Wissenswerte über die Holde selbst aufwarten, das war besser als nichts und den Preis für den Tee allemal wert.
Gerade hob er die tönerne Tasse wieder an seine Lippen, als ein bunt gekleideter Gaukler in das Teehaus stürmte und sich rasch zu ihm hinab beugte um ihm etwas ins Ohr zu flüstern:“Phexje…Er…Er lebt…im Tempel.“ Phexdan riss die Augen auf und spuckte den Tee in die Tasse zurück, ehe er dem Mann einen erschrockenen Blick zuwarf. „Richard! Los komm mit!“, brachte er noch über die Lippen, ehe er in einen raschen Lauf verfiel, bei dem er sich nicht sicher war ob Richard würde mithalten können.

Phexje lebte? Hatte Neferu Recht behalten? Hatte er eine Möglichkeit übersehen eine Seele aus den Hallen des stillen Gottes zurück zu rufen? War es richtig das zu tun? War all das wichtig?
Rasch sprang er über einen Marktkarren hinweg, dessen Besitzer ihm etwas hinterherrief, das er nicht verstand. Seine Lungen begannen zu brennen, als er durch die kleine Tür in der Umfriedung des Gartens des Efferdtempels hechtete und auf die kleine Hintertür des Bauwerks zuhielt.
In dem plötzlichen Zwielicht der großen Tempelanlage erblindete er einen Moment, lief aber nichtsdestotrotz weiter. Er war oft hier gewesen, hatte den Weg auswendig gelernt, fand ihn im Schlaf. Ob Richard ihm würde folgen können, ob er überhaupt noch hinter ihm war, war zweitrangig. Er musste mit eigenen Augen sehen, was der Mann ihm berichtet hatte.
Hinter einer Ecke bog er scharf in eine dunkle Nische ab und riss die dort verborgene Falltür auf um – die Leiter missachtend – einfach direkt in das Dunkel zu springen und seinen Weg dann auf dem schnellsten Weg fortzusetzen. Ohne langsamer zu werden durchquerte er die noch im Bau befindliche Haupthalle des Phextempels und hielt auf die Tür gegenüber zu, vor der sich einige Neugierige versammelt hatten.
Vor dem Holz der stabilen, geschlossenen Tür hielt er inne als sei er gegen eine unsichtbare Barriere gestoßen. Was, wenn die Nachricht falsch gewesen war? Was wenn der Junge nur für einige letzte Worte aus den Hallen des dunklen Gottes zurückgekehrt und längst wieder gestorben war?
Er konnte einfach nicht gleich hinein! Rasch sah er sich um. Richard!

Schnell griff er zu und schob den Halunken vor sich her auf die Tür zu. „Geh du zuerst! Ich trau mich nicht!“, gab er ihm mit auf den Weg, ehe er ihm einen letzten Schubs gab und ihn durch die Türöffnung in den Raum verschwinden sah.
Zwei…Vielleicht drei Sekunden ertrug er die folgende Stille, dann schlich er sich wie eine Grabräuber in die Kammer mit dem ersehnten Schatz durch die Tür und lugte über Richards Schulter. Tatsächlich. Auf dem Bett lag der Junge und sah sich verwirrt in dem Raum um. Neferu hatte es wirklich geschafft, der Junge war wieder unter den Lebenden und erfreute sich – zumindest dem Anschein nach – bester Gesundheit.
Sein Blick glitt zu den anderen Anwesenden. Außer ihm, Richard und Phexje waren nur noch zwei andere Personen im Raum. Einerseits ein Geweihter des Fuchses und andererseits ein äußerst griesgrämig anmutender Geweihter des Totengottes, dessen schwarze Robe die Würde seines hohen Amtes unterstrich. Seine langen, bleichen Finger tasteten den Jungen ab, der den Boroni mit äußerster Skepsis und stets bereitem Holzfuchs beäugte.
„Phexje!“, brach es endlich aus Phexdan hervor, als er Richard zur Seite schob und auf das Bett zustürmte.
„PSCHT!“, entkam es der schwarzen Robe, die in ihren Tiefen ganz sicher irgendwo einen Geweihten beherbergen musste.
Doch in diesem Moment konnte er keine Ruhe zeigen. Sein längst tot geglaubter, kleiner Bruder war zurück. Neferus Künste und ihre Gerissenheit wollte er in einem Gesang vor Phex loben. Der Anblick des missmutigen Boronis ließ ihn davon absehen – vorerst.
Er drückte den Jungen an sich. Er war wahrhaftig zurück!
Erst nach Minuten entließ er den Jungen aus seiner Umarmung. Als hätte er auf diesen Moment gewartet beugte der Diener des Rabengottes sich vor und zog aus dem weiten Ärmel seiner Robe eine Kette mit Amulett hervor, um sie dem Jungen umzulegen, eher er mit einer erstaunlichen Gewandtheit dem Angriff eines Holzfuchses auswich und dem offensichtlichen Unwillen des kleinen Jungen nachgab. „Lasst ihm seine Ruhe, er wird sie brauchen, so wie sie jeder Mensch tief in seinem Innern braucht.“, ließ er flüsternd verlauten und scheuchte die Anwesenden mit knappen Gesten aus dem Raum.
Phexdan winkte dem Jungen ein letztes Mal zu und ließ sich dann von dem schwarz Bekutteten hinausschieben. Das…Bedurfte einer Feier!
„Richard! Ich lade dich ein. Wir trinken auf Neferu!“, rief er auf dem Weg hinaus in den umfriedeten Garten des Efferdtempels und schlug sogleich den Weg in Richtung der nächstbesten Taverne ein.
Wie es zu erwarten war, folgte Richard seiner Einladung ohne zu zögern. Ein breites Grinsen legte sich auf die Miene des jungen…Ja…des jungen was eigentlich? Phexdan hob die Schultern. Was scherte es ihn? Die Frau, in die er sich verliebt hatte stand im Bund mit den Göttern und hatte seinen kleinen Bruder zurück geholt! In den nächsten Tagen würde sie an seine Seite zurückkehren und das Leben wäre perfekt!
„Wirt! Macht mir das zu Alkohol! Es gibt etwas zu feiern!“, mit einer geschickten Handbewegung warf er dem Mann hinter dem Tresen einen Beutel mit 15 Dukaten hin.

Der Abend verging rasch. Die 15 Dukaten waren mehr als gut angelegt gewesen. Phexdan und Richard hatten um die Wette getrunken, immer wieder auf Phexje oder Neferu angestoßen und sich gegenseitig mit Lobeshymnen zu übertrumpfen versucht.
Plötzlich aber wurde Richard ernst: „Wasch glaubse war der Preisch, den se zahlen musste, hm?“, lallte er ihm entgegen. „Meinse sie hat ihre S- *hicks* Seele eingetauscht? Also…seine gegen ihre?“
Phexdan musste schlucken. Neferu tot? Für Phexje? Der Nebel um sein Hirn wusste Rat. Er musste nur mehr trinken um diesen Gedanken zu vertreiben. Er brauchte mehr Alkohol!
Fahrig fingerte er an dem Beutel an seinem Gürtel herum, den er dabei beinahe öffnete und warf ihn dann dem Wirt zu, wobei er knappe zwei Schritt zu weit nach rechts zielte. „Machma noch mehr!“, entkam es ihm mit schwerer Zunge. Neferu war nichts passiert! Niemals hätte sie sich einfach so aus seinem Leben entfernt! Ein letztes Mal spürte er den Alkohol in seiner Kehle brennen, dann begann die Welt sich in atemberaubender Geschwindigkeit um ihn herum zu drehen, ehe ihm schwarz vor Augen wurde.