Grangor 17 (Rahjard)

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Nicht einmal im Schlaf konnte sich Rahjard mehr des leichten Lächelns erwehren, das seinem Antlitz im Zusammenspiel mit seinen anderen Aspekten in den vergangenen Praiosläufen einen (eher unfreiwilligen) Hauch von Vollkommenheit verliehen hatte. Ausgelöst hatte niemand geringeres als der Knappe der Göttin die ungewohnte Glückseligkeit beim bukanischen Piratenspross. Die Rechte des Rondrageweihten hatte sich mit Schwung in das Gesicht von Phexdan gedrückt. Doch nicht etwa das Leid des Bettlers und Gauklers, sondern viel mehr das des Geweihten ließ ihn derart frohlocken. Noch bevor sich Rahjard auf Phexdan zubewegt hatte, stellte er sich jedoch die alles entscheidende Frage, was die Motivation für diesen „Schicksalsschlag“ gewesen sein mochte. Konnte es sein und war es möglich, dass die Wurzel allen Übels tatsächlich nichts weiter als die täglich zunehmende Frustration hinsichtlich des Verlusts seiner geliebten Neferu war und dass er nicht einsehen konnte oder wollte, dass sie ihm einen grangorer Bettler vorzog?

Sicherlich waren die Liebe und ihre Mysterien noch nie das Spezialgebiet der Weiberhelden aus der Familie Lowanger-Greiber gewesen, dennoch war Rahjard trotz all der fehlenden Erfahrung von einer Sache überzeugt und zwar, dass noch mehr dahinter stecken musste. Denn schließlich kann nur verloren werden, was man bereits besessen hat. Es beschwerte sich doch auch niemand bei einem Würfelspiel von vier Runden, mit vier Teilnehmern, schon in der Dritten darüber eine Dukate verloren zu haben, wenn der Einsatz bis dahin bei zwei Silbertalern lag. Garion war es nie gelungen, sie zu seinem Eigen zu machen. Worüber beklagte er sich also, …sexuelle Unausgeglichenheit?

Eine Antwort wollte ihm nicht einfallen und daher betrachtete er stirnrunzelnd das Geschehen, wie der Ritter des alten Weges von einigen Gardisten abgeführt wurde. Nicht seine erste Haftstrafe, die er in Grangor verbüßen musste, und gewiss auch nicht die letzte. Schließlich stand Rahjard vor Phexdan. Beide nickten einander leicht zu, begutachteten sich für einen Augenblick den jeweils anderen und kamen erst dann allmählich ins Gespräch. Zunächst ging es, wie nicht anders zu erwarten, um die möglichen Gründe von Garion zum Serientäter zu werden. Kurz zuckte Rahjard mit den Schultern und entgegnete dem Bettler nachfolgend, dass es an den tiefen Gefühlen des Bronnjaren für die Halb-Thorwalerin-Halb-Tulamidin liegen musste. Eine Situation, in der ihm nach einem Augenrollen zumute war. Phexdan wohl auch.

Solche Schlüsse zu ziehen stellte für keinen der Beiden eine Herausforderung dar.
Wenige Fußschritte später fanden sich beide in einer improvisierten Heilerstube wieder, die Rahjard bekannt vorkam. Auch er hatte sich in der tiefsten Gosse irgendwelcher Städte schon die Nase richten lassen müssen, in Andrafall. Einer Stadt, im glorreichen Königreich Andergast.
Zumindest kurz trieb ihm dieser Gedanke ein Schmunzeln auf die Lippen, ehe Phexdan alle Aufmerksamkeit mit nahezu weibischem Gehabe wieder auf sich lenkte: „Aua!“
Beinahe hätte Rahjard noch angefangen Phexdan zu bemitleiden, tat er doch so, als wäre dies die erste geballte Faust eines anderen Mannes gewesen, die sich in sein Gesicht verirrt hätte. Unmerklich schüttelte der Bukanier sein Haupt, während Phexdan immerhin bewies, keine bleibenden Schäden von diesem Hieb davongetragen zu haben: Er beabsichtigte, die Haftstrafe des Rondriten zu verlängern. Zwei, drei oder vier Wochen? Nach kurzer Überlegung zog sich eine Sorgenfalte über die Stirn des Halb-Norbarden.
„So gerne ich das auch sehen würde, ich glaube Neferu mag Garion.. irgendwie. Gutheißen würde sie es sicher nicht, wenn sie herkommt und er insgesamt drei oder vier Wochen einsitzen muss. Eine oder zwei sollten genügen, ihn etwas abzukühlen“, meinte Rahjard und Phexdan nickte. „Warte hier… das mache ich lieber allein“, entgegnete der Bettler und verschwand im nächsten Gebäude, welches Rahjard aufgrund all der Banner und sonstigen Verzierungen zweifellos der städtischen Garde zuordnen konnte.

Schulterzuckend sah er dem Bettler nach und verschwendete einige, wenige Gedanken an den eitlen, liebestollen Knappen der Göttin und Ritter des alten Weges, Garion Rondrior von Arivor; ob er die kommenden Praiosläufe genießen würde und was Neferu wohl von seinem Überfall auf Phexdan halten würde. IHREM Phexdan. Kurzzeitig flammte ein Grinsen in seinem Gesicht auf, bis er den Gaukler wieder erspähte und ihm nach einem kurzen Nicken mitteilte, dass der Rondrit genug Zeit haben werde, über sein Fehlverhalten nachzudenken. Zu diesem Zeitpunkt übermäßige Schadenfreude zu zeigen war sicher nicht angebracht, doch das musste er auch gar nicht… Phexdan gelang es als Meister der Improvisation, Rahjard auf andere Gedanken zu bringen als das Leid des Geweihten, indem er ihn in sein Lieblingsteehaus einlud. Das behauptete er zumindest. Ein erster, das Etablissement sondierender Blick offenbarte dem dunkelhäutigen Bukanier jedoch, dass es sich dabei weniger um ein Teehaus zu handeln schien, als ein drittklassiges Bordell. All die gemütlichen, kuscheligen Ecke, die raumtrennenden Vorhänge und ein leichter Duft von Rauschkräutern ließen zumindest darauf schließen. Dumm nur, dass er mit Phexdan dort war… wo dieser doch überhaupt nicht sein Typ war. Rahjard hob ohne ein Wort darüber zu verlieren einen Mundwinkel an und ließ sich gegenüber von Phexdan nieder, nachdem dieser sich einen Platz ausgesucht und die erste Runde – Tee – ausgegeben hatte. Wie schon auf dem Weg dorthin, sprachen die beiden hauptsächlich über die offenbar einzige Frau in ihrer beider Leben, die maraskanliebende Neferu.

Alleine die Frage, wie sie sich überhaupt kennengelernt hatten, wie seine erste Begegnung mit Garion verlaufen war und die letzten Ereignisse rund um Andergast, Burg Dragenstein und Marek den Schlitzer oder ein erneutes Nachfragen bezüglich Archon Megalon nahmen etwa eine halbe Stunde, wenn nicht mehr, in Beschlag. Tatsächlich war Rahjard in all den Jahren viel herumgekommen, hatte viel mit Neferu erlebt… leider auch einiges mit Garion. Zwar konnte er es auch in seinen Erzählungen einigermaßen kaschieren, doch Phexdan hatte es zu diesem Zeitpunkt mehr als geahnt, dass Rahjard alles andere als Sympathie oder mehr als den Gedanken einer Zweckgemeinschaft für den Rondrageweihten übrig hatte. Dann jedoch verstummte der Redeschwall Rahjards, als Phexdan unerwarteten Besuch erhielt und ihm etwas ins Ohr getuschelt wurde. Ein recht kurzes, knappes und präzises: „Komm mit“, hatte Rahjard dazu veranlasst, an der Seite von Phexdan durch Grangor zu eilen, bis hin zum Efferdtempel, den sie ebenso schnell durchquerten wie die Stadt. Bis sie schließlich, was Rahjard zu einem leichten Schlucken veranlasste, in einem ihm völlig fremden Gewölbe standen. Schlagartig war es ihm klar geworden, wohin all die Dukaten der Bettler geflossen waren. Solch eine Stadt ohne einen solchen Ort, das wäre auch kaum zu glauben gewesen. Rahjard wollte gerade ein Lächeln aufsetzen, als ein Ruck durch seinen Leib ging. Phexdan, der eben noch vor ihm gewesen war, hatte sich auf einmal hinter ihm versteckt und hielt sich an der Schulter des mehr oder minder unbekannten Bukaniers fest, dessen Brauen sich bei diesem Anblick leicht wölbten. Dass es um Phexje gehen sollte, hatte er eher auf dem Weg an diesen Ort mitbekommen, dass sich Phexdan aber zu etwas nicht trauen würde – das war ihm neu.

Schulterzuckend trat er voran in den kleinen Raum, in dem nicht viel mehr Bett und ein Boroni standen. Im Bett lag Phexje, beinahe wieder quickfidel. Rahjards Kinnlade machte augenblicklich Anstalten, nach unten auf den Boden zu sacken, während sich Phexdans Hand schlicht an seiner Schulter verkrampfte. Neferu hatte Erfolg gehabt, …hatte sie? Etwas missmutig betrachtete Rahjard erst den Jungen, dann den Boroni und wieder den Jungen. Dann stürmte Phexdan förmlich vor und nahm die Gelegenheit war, sich an seinen totgeglaubten Bruder zu klammern. Eine Sache, die dem Boroni ebenso wenig gefallen wollte, wie jedes einzelne Wort, das gesprochen wurde. Selbstverständlich zählten die eigenen Laute nicht dazu. Rahjard musste spätestens bei der dritten Ermahnung mit den Augen rollen.

Lediglich ein einzelner Augenblick hätte selbst dem oft so gefühlskalten Bukanier eine Träne in die Augen getrieben, als der Boroni Phexdan entgegnete, dass der kleine Phexje noch recht schwach sei und in dieser Zeit etwas bräuchte, an dem er sich festhalten könne. Einen Wimpernschlag später hatte Phexdan ihm bereits einen hölzernen Fuchs in die Hand gedrückt. Eben jenen, den er einst von Neferu auf dem Markt geschenkt bekommen hatte. Während sich alle der Tatsache erfreuten, den Fuchs und Phexje wieder vereint zu sehen, knirschte der Boroni mit den Zähnen. Wahrscheinlich hatte er, noch während er sprach, an etwas anderes gedacht, irgendetwas das mit Boron zu tun habe, aber im Leben nicht an einen Holzfuchs.

Minuten vergingen und man sah Phexdan an, dass er der Bitte des Boroni nur sehr ungerne nachkam, dem Jungen noch ein wenig Ruhe zu gönnen. Doch was sein musste, musste sein. Noch während sie die das gut gehütete Geheimnis, den im Bau befindlichen Phextempel zu Grangor, verließen, überkam Rahjard allerdings ein wenig Unmut. Auf der einen Seite freute er sich, dass Phexje wieder unter den Lebenden weilte und Alveran hatte verlassen dürfen, jedoch… war Neferu mit 3000 Dukaten fortgegangen. Dreitausend. Durchaus eine Summe, mit der man vieles, das nicht unbedingt boron- oder überhaupt zwölfgöttergefällig sein musste, anstellen konnte. Phexdan klopfte ihm eher nebenbei auf die Schulter und zerrte Rahjard mehr mit in seine Lieblingstaverne, oder die nächstbeste. Was genau, darüber wollte er nicht weiter reden. Sicher war nur, dass Phexdan eine großangelegte Feier für zwei Personen im Sinn hatte. Seine Investition am Tresen sprach zumindest dafür. Noch ehe sie jedoch auch nur ein Wort über Phexjes plötzliche Rückkehr verloren, ging es wieder um die Angebetete des Rondriten – und von Phexdan. Auch bei diesem, durchaus fröhlichen Beisammensein konnte Rahjard wieder über vieles erzählen. Allen voran das, was Neferu ihm über die Jahre übermittelt hatte. So sprachen sie von Maraskan, ihrer liebsten Insel, und auch von Scheïjian. Ihrem letzten, großen Schwarm, ehe sie Phexdan begegnet war.

„Was gibt es schöneres als einen Maraskaner?“, meinte Phexdan darauf unter anderem, was Rahjard dazu veranlasste die Stirn sachte zu runzeln und das Kinn sodann leicht anzuheben. „Ich bin doch auch ganz schön anzusehen“, entgegnete er dem Bettler und es fiel ihm selbst schwer, sich in diesem vor Arroganz nur so strotzenden Moment keinem schallenden Lachen hinzugeben. Sein Possenspiel war jedoch derart überragend, dass er sich die Gedanken daran nicht anmerken ließ. Phexdan wölbte dennoch nur die Brauen und raunte ihm ein leises „naja“ entgegen. Beinahe so als wüsste er um diesen Umstand, den er sich aber nur ungern eingestehen wollte. Rahjard schmunzelte daraufhin abermals, ehe er die Augen leicht zusammenkniff.

Was war das? Er blinzelte leicht… und fuhr dann mit seinen Erzählungen fort, gar nicht realisierend, dass er und Phexdan eher nebenbei einen nach dem anderen Humpen geleert hatten und es dem jeweils anderen immer schwerer fiel, den Gegenüber vor lauter leichtem, mittelschweren und unüberhörbaren Lallen überhaupt noch zu verstehen. Insbesondere bei einer Aussage musste Phexdan noch einmal nachhaken, orderte offenbar vorsichtshalber dennoch Ausschank im Wert von vielleicht zwanzig Dukaten. Rahjard hatte jedoch alle Mühe, sich noch einmal zu wiederholen. Er glaubte, es wäre gerade um Phexje gegangen… was, hm. Seine Schultern leicht hebend wiederholte er, was ihm als erstes wieder in den Sinn kam: „Irgendwie.. muss sie das geschafft haben.. sie hatte 3000 Dukaten und meinte wir.. könnten ihr vertrauen. Hoffentlich hat sie aber.. ihre Seele nicht für… seine gegeben.“

Phexdans Gesicht verzog sich leicht, er nahm einen ordentlichen Schluck aus dem nächsten Humpen… und noch einen, ehe er unter einem recht dumpfen Aufschlag zu Boden ging und wenige Augenblicke später von einigen Bettlern aufgehoben und sein herumliegendes Habe eingesammelt wurde. Während Rahjard versuchte aufzustehen, trugen sie ihn bereits hinaus. Er folgte wankend und gab nahe der Tür beinahe noch eine Flugeinlage zum Besten, die einen der Bettler auch zu ihm hinübersehen ließ. Dieser fragte ihn… irgendetwas und der mitgenommene Bukanier nickte langsam. Sie brachten ihn wohl dorthin, wo sie Phexdan in solchen Fällen auch hinbrachten, dachte er sich noch und legte den Kopf anschließend in den Nacken.

Unter einem lauten Dröhnen seines Kopfes öffnete der Halbnorbarde-Halbmittelländer seine Augen und sah sich um, rieb sich die Stirn und schreckte leicht auf, als er Phexdan in einem Bett neben sich liegen sah. Sofort ruckte sein Blick herum zu einem Vorhang und musterte die Einrichtung an sich. Bei den Zwölfen… waren sie etwa gerade dort, wo er dachte, wo sie waren und hatten sie irgendetwas getan? Phexdan brauchte noch einige Minuten, ehe auch er erwachte und sich schlicht und ergreifend erhob, um sich waschen zu lassen. Rahjard folgte ihm, mit mehr als nur einem Hauch von Skepsis in der Miene, in Richtung des hinteren Bereiches, wo sich einige Geweihte der Schönlinge annahmen und eine zierliche, aber wenigstens gutaussehende Geweihte ihn auf Nachfrage darüber aufklärte, wie die beiden hergekommen seien und das zwischen ihm und Phexdan nichts gewesen sei. Zumindest nichts, das laut genug war um es zu hören. Damit lächelte sie ihm verschmitzt zu und Rahjard kniff die Augen zusammen. Er brauchte etwas Ablenkung, sah zu der Geweihten und war überzeugt, dieser Augenblick wäre ideal für eine Massage… ein Gebet.

Phexdan hingegen verließ den Tempel ohne viele Worte an seinen Begleiter zu verlieren. Er habe zu tun, oder etwas derartiges war es wohl. Im Angesicht des anstehenden Gebets mit der Rahjageweihten war es nicht leicht, sich auf Phexdan und seine Worte zu konzentrieren. Er würde ihn schon wiederfinden. Dafür gab es in Grangor doch all die Bettler, um Phexdan zu finden, so man ihn suchte…