Grangor 20 (Neferu)
Kategorien: 1008 BFBettler und GauklerGrangorNeferuAls die Morgensonne durch das Fenster in den unordentlichen Raum des Phexhochgeweihten in der Offenen Hand drang, fielen ihre Strahlen auf die zwei Menschen, die auf geflochtenen Matten und Decken auf dem Fußboden gebettet waren und noch tief und fest schliefen. Auch wenn beide am Vorabend jeder unter je einer Decke gelegen hatte, war die Distanz an diesem Herbstmorgen aufgehoben. Wie magnetisiert waren beide Körper im Schlafe aneinandergerückt, bis sie den Weg in seine Arme gefunden hatte.
Auch wenn die Praiosscheibe sich an diesem Tag bemühte, dauerte es noch eine ganze Weile – bis kurz vor Mittag – ehe Neferu wagte das Aufwachen langsam und mit Widerwillen zu akzeptieren.
Blinzelnd betrachtete sie das nahe Gesicht. Phexdan… Er war unweigerlich schön, wie er friedlich und voll Ruhe in Borons Armen weilte. Unrasiert, aber durchweg attraktiv – vielleicht gerade deshalb? Immerhin hatte er noch am gestrigen Abend den Verband von der Nase genommen und zugegeben, dass er ihn nur noch aus Mitleidszwecken getragen hatte.
Sie musste leise lächeln und schmiegte ihr Gesicht innig und von Sanftheit an das seine.
Neferu hatte sehr lange auf einen Moment wie diesen warten müssen.
Ihr war als sei in jener Sekunde, in dem sie Phexdan das erste Mal auf dieser Brücke in Grangor hatte sitzen sehen, eine Prophezeiung gesponnen worden, die sie beide füreinander bestimmt hatte.
Der Fuchs und die Füchsin mit den gleichfarbenen Augen.
Sie sann wortlos vor sich hin und schloss noch einmal die Lider. Genießend spürte sie seine direkte Nähe und Wärme. War ihr das Glück wirklich hold geworden? Hatte sie den Mann wahrhaftig bekommen, den sie von der ersten Sekunde an begehrt hatte? War es ihr gelungen den kleinen Phexje vor seinem tödlichen Schicksal zu bewahren…? Eng kuschelte sie sich auf den bekleidet Schlafenden.
Sie durfte trotz allem… ihre Weggefährten nicht vergessen. Richard war bei den Hortemanns untergebracht – gut. Trotz der beiden pubertierenden, roten Klopse sollte es dem bukanischen Schönling dort gut ergehen. Garion… im Kerker. Sie musste nach ihm sehen aus zweierlei Grund: Sie wollte ihm vorwerfen ihren Fuchs angefallen zu haben und… sie wollte sich vergewissern, dass er dennoch gut oder zumindest angemessen behandelt wurde.
„Phexdan…“ flüsterte sie dem Schwarzhaarigen leise zu, der nicht zu schnarchen pflegte.
Angesprochen kam leichte, schlaftrunkene Regung in ihn. Er zog Neferu mit unbeholfenen Bewegungen und ohne Warnung dicht an seinen Körper.
„Das ist der… schönste Morgen meines Lebens..“ raunte der Bettler Grangors leise und mit noch träger Stimme.
„Es ist nicht einmal mehr Morgen…“ lachte die Umarmte leise, ließ es sich aber nicht nehmen, seine Annäherung zu erwidern.
Ruhig begann sie ihm ihre Pläne zuzuflüstern: „Ich muss gehen… Ich will sehen, ob es Garion gut geht.“
Nun öffnete der Fuchs endgültig die Augen und der dunkelgrüne Blick huschte zu ihrem nahen Antlitz.
Er setzte eine Leidensmiene auf und zog sie mit noch ärgerer, sanfter Gewalt an seinen Leib, dem eine morgendliche Erregung innezuwohnen schien.
„Bleib… Es ist doch so gemütlich…“ maunzte er ihr leisem Protest zu und ließ sie mit seinen Lippen wissen, dass Vergangenes überholt war, dass er berühren durfte was er wollte, wann immer er wollte…
Arm in Arm ließen sie einander nicht los. Nicht einmal ein Haar hätte man zwischen ihre verkeilten, aneinandergeschmiegten Körper schieben können. Er schien willentlich und hungrig aufzusaugen, was sie ihm gab: Nähe, das Streicheln ihrer Finger. Wohlig warf er sich katzengleich einer jeden Zärtlichkeit entgegen, ehe er sie ähnlich erwiderte.
„Ich muss…“ hauchte sie verheißungsvoll in sein Ohr…
… ehe sie sich unvermittelt von ihm löste und sich gnadenlos erhob, das schlafwarme Nest verlassend.
„..nach Garion sehen! Wir sehen uns später!“
Die Tür schloss sich hinter ihr.
Rasch trugen ihre Füße sie zu dem Gardegebäude, welches auch die Kerkerkammern beinhaltete. Der herbstliche Mittag in Grangor war sonnig, kühl und vor allem windig. Immerhin war Phexdans königsblaue Kleidung, die sie auf ihre Größe hatte umnähen lassen ein grober Schutz gegen dieses Wetter.
Ein Soldat saß an einem Tisch über einen Haufen Schreibkram gebeugt und sah auf, als sie eintrat. Er war noch recht jung und in Grangorer Gardeuniform gekleidet, ganz wie man es erwartet hatte.
Neferu grüßte ihn und verlangte den Rondriten zu sehen.
Nach einigem Wortgeplänkel und der Einwirkung von Gewalt – sie hob ihn an seiner Uniform an und drückte ihren Unterarm gegen seine Kehle, natürlich nicht ohne zu erwähnen, dass sie die zweifache Retterin Grangors war – bekam sie endlich Antworten und die Zelle des Ardariten zu sehen. Leer, ganz wie der Soldat es vorhergesagt hatte.
Die großgewachsene Frau stand steinern vor dem siffigen, ungezieferbehafteten Anblick. Ihre Fäuste zitterten vor Wut und auch vor Angst, auch wenn Letzteres in diesem Moment einem unbändigen Zorn über die Misshandlung ihres Gefährten unterlag.
Unter der Androhung der Schmerzen hatte der Soldat zugegeben, dass das Überschütten des Rondriten mit Exkrementen kein Zufall gewesen war: Ein Mann hatte dafür gesorgt, dass Garion Rondrior von Arivor so schmählich erniedrigt worden war. Ein Mann, der ihr exakt wie Phexdan beschrieben wurde.
Die Geweihten des Rondratempels der Stadt hatten ihren Glaubensbruder aus dem Dilemma errettet. Garion war krank geworden. Ohne ein weiteres Wort verließ Neferu das Gardehaus und machte sich auf das rote Gebäude und den Arrestierten aufzusuchen.