Grangor 21 (Garion)

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Mit geschlossenen Augen lehnte er sich gegen den kühlen Stein der Tempelwand.
Garion saß in einer der Gebetsnischen, für die Gläubigen, die lieber in stiller Andacht ihr Gebet an die Göttin sandten, hatte aber den Vorhang offen gelassen um in dem Hauptraum des wehrhaften Tempels sehen zu können. Der Anblick der riesigen Leuinnenstatue dort beeindruckte ihn, sodass er während des Lesens im Rondra Vademecum von Zeit zu Zeit hinüber sah.

Seinen Arrest absitzen zu müssen, weckte zwiespältige Gefühle in dem Rondriten. Einerseits war es eine Zeit in der er von sämtlichen Pflichten der Außenwelt gegenüber frei war, in der er Phexdan nicht sehen musste und er viel Zeit hatte in seinen eigenen Gedanken zu versinken. Andererseits aber konnte er nicht gehen wohin er wollte, konnte Neferu nicht sehen, sie nicht besuchen wann immer ihm der Sinn danach stand.

Wortlos sah er wieder in das Buch hinab.
Der Rondrabund., hieß es dort. Garion musste lächeln. Wie verheißungsvoll, dass er von einem Gedanken an die hübsche Halbtulamydin sofort zu der Institution des Rondrabunds geleitet wurde. Rasch konzentrierte er sich wieder auf das Geschriebene.
Wenn sich zwei Menschen in Liebe erkennen und den Bund vor Rondra eingehen wollen, zelebriere die Segnung des Blutes. Dies wird eingeleitet von spiritueller und körperlicher Reinigung. Sodann bringen beide Liebenden der Göttin ein Blutopfer dar und intonieren nacheinander folgende Worte:
‚Herrin Rondra, Beherrscherin des Sturmes, vor dir leiste ich dieses Gelübde: Wie mein Schwert an meiner Seite, stehe ich von nun an …,
Garion hielt inne. In dem Text des Rondra Vademecums war nun das Einsetzen eines Namens gefordert. Mit einem Lächeln sah er in Richtung der offenen Tore des Tempels. Es gab nur einen Namen, den an dieser Stelle einzusetzen er sich denken konnte. Vor seinem inneren Auge stand er neben einem Kohlebecken inmitten des Tempels und sprach mit ruhiger Stimme den Text, den er in Wirklichkeit geschrieben vor seinen Augen sah.
„Herrin Rondra, Beherrscherin des Sturmes, vor dir leiste ich dieses Gelübde: Wie mein Schwert an meiner Seite, stehe ich von nun an Neferu zur Seite. Aufrecht und stolz will ich gemeinsam mit ihr kämpfen, denn ihr Kampf soll auch mein Kampf sein. Wer Neferu fordert, der fordert auch mich, denn in deinem Namen stehen wir uns näher als Bruder und Schwester, als Vater und Sohn, Mutter und Tochter. Meine Klinge soll Neferu dienen und niemals werde ich sie ziehen wider sie. Seite an Seite mit dir, Neferu, bis in Rondras Hallen.“, erklärte er in seinem Geiste und als leises Lippenbekenntnis im Flüsterton in seiner Gebetsnische, ehe er sich wieder auf den Text konzentrierte.
Im Anschluss sollte von einem Bock gespeist werden. Garions Gesichtszüge wurden zu einem melancholischen Lächeln. Die einzige Frau, mit der er den Bund vor Rondra würde erklären wollen, aß kein Fleisch. Aber er war sich sicher, dass Rondra auch einen symbolischen Bock anerkennen würde. Neferu aß nun einmal kein Fleisch, die Herrin hätte in ihrer Allmacht sicher Verständnis für diesen Umstand.

Wieder sah er in das rote Büchlein hinab. Zum Abschluss der Zeremonie hieß es die zwölf heiligen Angriffe und die zwölf heiligen Wehren zu führen und sich zum Ende des Kampfes gegenseitig die letzte Wunde zu schlagen, die man voneinander empfangen würde.
Langsam legte er das rote Bändchen, das zur Markierung der letzten gelesenen Seite diente, zwischen die Blätter und schlug das Buch zu. Dann legte er den Kopf nach hinten an die Wand, die ihn stützte.
Was er sich wünschte würde niemals Wahrheit werden. Neferu plante den Bund mit einem anderen einzugehen. Mit dem Mann, der ihm den Arrest verschafft und die Fäkaliendusche beschert hatte… Mit Phexdan, dem Bettler. Mit einem bitteren Gefühl auf der Zunge schluckte er. Das durfte doch einfach nicht wahr sein! Dieser schleimige Horasknecht, dieser impertinente Stutzer tauschte dort draußen in Freiheit seine Körpersäfte mit SEINER Neferu aus und ER war gezwungen hier drinnen zu darben wie ein Schwein in seinem Pferch! Wut stieg die Kehle des Ardariten hinauf, der Löwe hatte Blut gewittert.

„Garion…?“, die leise Stimme riss ihn aus seinen Gedanken. Überrascht sah er in Richtung des Eingangstores. Beinahe sofort kettete sich sein Blick an das blaue Einsprengsel inmitten des Weiß und Rot der Götterdiener.
„Neferu?“, rasch sprang er aus der Nische hervor und hielt direkt auf sie zu um sie mit einer Umarmung zu begrüßen. Sie war wieder da und hatte ihn tatsächlich aufgesucht. Die dunklen Gedanken waren sofort wie verflogen. Er drückte sie an sich.

„Seit wann bist du wieder in der Stadt? Geht es dir gut? Lebt der kleine Phexje wieder?“, bestürmte er sie mit den Fragen, die ihm auf der Zunge brannten. Neferu beruhigte ihn mit einem der wundervollen Lächeln, die ihr so zu Eigen waren.
„Vielleicht ziehen wir uns für das Gespräch besser in meine Kammer zurück!“, ereiferte der Rondrit sich rasch, als ihm wieder bewusst wurde, dass er sein Gegenüber inmitten einer Tempelhalle, zwischen den Betenden stehend bestürmte.
Neferu nickte sachte und sah zu dem Rondra Vademecum: „Was ist das…?“, fragte sie leise, als sie auf den Gang zu den Bußzellen abbogen, der vom Tempelhauptraum abzweigte.
„Ein Rondra Vademecum. So etwas wie ein Leitfaden für den reisenden Geweihten der Herrin Rondra.“, er bedachte Neferu mit einem kurzen Seitenblick. Zeigte sie Interesse an seinem Glauben oder fragte sie aus Neugierde ob der roten Farbe des Buches und würde nun das Interesse verlieren?
Neferu beantwortete die Frage sogleich indem sie nach dem Buch griff und beim Eintreten in Garions kleine Kammer darin zu blättern begann.
Interessiert glitten ihre katzenhaften, grünen Augen über die geschriebenen Zeilen. Ein Lächeln stahl sich auf die Lippen des jungen Kriegers: Bei Rondra. Es interessiert sie wirklich … blitzte es durch seine Gedanken, als er sich auf die Kante seines Bettes sinken ließ. Wieder einmal brachte der Anblick Neferus seine Gedanken dazu zu tanzen. Sie bezogen ihr kastanienbraunes Haar in den Reigen ein, forderten das Grün ihrer Augen zum Tanz auf und wagten sich an einen garethischen Walzer mit der Form ihres Gesichts. Sie war durch und durch ein Wunder, bei dem Tsa und Rahja ihre Kräfte zusammengeworfen zu haben schienen. Die Form ihrer Taille, die Rundungen ihres Leibes. Er atmete tief durch und sah zu, wie sie sich mit dem Brevier seines Glaubens auf sein Bett zurückfallen ließ.
Einen Moment noch saß Garion daneben, entschied sich dann aber doch zur Bewegung. So sanft wie es ihm mit seinen breiten Schultern möglich war ließ er sich in das enge Bett zu ihr sinken und schmiegte sich von hinten an sie um einen Arm über sie legen und sie an sich drücken zu können. Sein warmer Atem erreichte ihren Nacken, als seine Hand nach ihrer suchte und sie fand. Dann drückte er ihr einen langen und verzehrenden Kuss auf die Halsseite, sog ihren herrlichen Duft tief in seine Lungen. Es kam ihm wie eine Ewigkeit vor, dass er ihn zuletzt hatte genießen dürfen. Ihre Wärme, die Berührung ihres Leibes, der Geruch ihrer Haut und Haare, all das riss ihn wie ein großer Strudel mit sich, ließ ihn sich wie in Ekstase an sie drücken.

Es dauerte einige Minuten, bis sein Herzschlag sich wieder normalisiert hatte und er sich wieder auf das eigentliche Geschehen konzentrieren konnte. Neferu hatte weiter in dem kleinen, roten Buch gelesen, hatte die Schwüre zur Aufnahme einer Knappschaft hinter sich gelassen und schlug gerade eine Seite weiter. Garions Blick glitt die nun geöffnete Doppelseite hinab und striff das Wort Rondrabund. Er musste Lächeln.
„Was hälst du davon?“, entkam es ihm leise, während er weiter den Körperkontakt zwischen sich und der Dame seines Herzens aufrecht erhielt.
„Wovon?“, kam die leise Antwort einer Stimme, deren Besitzerin sich eigentlich auf etwas anderes konzentrierte. Vorsichtig befühlte der Ardarit den einfarbigen Überzug seiner Bettdecke.
„Von dem Rondrabund. Was hälst du davon ihn mit mir einzugehen?“
Da war er wieder gewesen. Das war der Mut gewesen, der ihn früher schon überkommen hatte. Nicht der eines verwundeten und in die Ecke gedrängten Tieres, sondern der eines stolzen Löwen.
Sein Blick glitt über Neferus Profil. Sie schien nachzudenken, sah an die hell getünchte Decke seiner Kammer hinauf und leckte sich über die Lippen – diese wundervollen Lippen.
„Dafür brauche ich keinen Rondrabund Garion. Wir reisen ohnehin immer zusammen und wir beide wissen, dass wir immer füreinander einstehen werden.“, brachte sie schließlich leise und mit sanften Bögen in den schmalen Augenbrauen hervor.
Garion senkte den Blick auf den Stoff ihrer Kleider hinab. Warum Herrin strafst du mich so sehr? Sie verkannte tatsächlich den Sinn eines Rondrabundes, tat ihn als Schwur unter Kampfgefährten ab. Innerlich seufzte er, ehe er seine Hand nach der Ihren ausstreckte und sie sanft zu umschließen begann.
Die schöne Halbtulamydin ließ ihn gewähren, gestand ihm auch diese Vertrautheit zu.
Zumindest für den Moment wollte es dem Diener der ehrenhaften Göttin erscheinen als sei seine Welt nicht vollkommen aus den Fugen geraten, als habe er, was er sich am sehnlichsten Wünschte fest in Händen.

Doch ewig war nur Satinav. Durch den Schleier seiner utopischen Gedankenwelt drang die geliebte Stimme wieder an sein Ohr.
„Ich sollte gehen Garion. Ich bin schon eine ganze Weile hier und Phexdan wartet auf mich.“ Nur langsam drang der Sinn dieser Worte bis in Garions Verstand vor. Sie wollte gehen! Rasch schloss er seine Hand fester um ihre, drückte zu um sie zu halten.
„Geh nicht. Ich will dich halten, will dich küssen, will dich …“, es knackte leise, aber vernehmlich, als ein Knochen der Hand der jungen Frau seinen Protest kund tat.
„Aua! Garion! Drück nicht so fest zu!“, unterbrach sie ihn. Der Rondrit zuckte zusammen. Es war nicht seine Absicht gewesen sie zu verletzen, er wollte doch nur nicht, dass sie schon wieder ginge.
„Was ist eigentlich im Kerker passiert? Und … Wieso bist du hier?“, fragte die Phexgeweihte lauter als offenbar beabsichtigt. Garion zog seine Hand zurück und rieb sich die Augen, ehe er tief einatmete.
„Als ich zurück in Grangor war konnte ich einfach nicht anders. Ich habe ihn geschlagen. Und wie nicht anders zu erwarten ist die Wache eingeschritten.“, er leckte sich über die Lippen. Es schmeckte trocken, irgendwie komisch. Wie lange hatte er eigentlich nichts mehr getrunken?
„Zuerst hieß es, dass ich zwei Tage im Kerker absitzen solle, aber dann hat sich ein Kaufmannssohn oder –vetter gemeldet und einen besonderen Schaden angezeigt, den ich angeblich verursachte hätte. Daraufhin wurde meine Strafe auf eine Woche ausgedehnt. Ich weiß es natürlich nicht genau, aber ich habe da so eine Ahnung wer dieser feine Herr war.“, er verengte seine Augen ein wenig. Eine Angewohnheit, die ihn schon seit seiner Jugend begleitete.
„Meine Brüder haben mich befreit, nachdem mich eine Krankheit niedergestreckt hatte. Ich vermute ich habe sie mir inmitten all des Ungeziefers und der Exkremente zugezogen.“
Mit verzogenem Gesicht rieb Neferu sich die schmerzende Hand.
„Ich muss wirklich los, Garion. Ich wollte eigentlich nur kurz nach dir sehen, immerhin hast du das Füchschen geschlagen.“

Garion schwindelte. Ihr Füchschen! Lodernde Eifersucht suchte sich den Weg durch seine Adern, der Stolz des Königs der Tiere pulsierte in seinen Venen. Er würde sie nicht wieder zu dem Kretin lassen! Dieser Geck war es gar nicht würdig SEINE Geliebte auch nur anzusehen.
Seine Gedanken wurden jäh unterbrochen, als der Körper neben ihm sich in einer schnellen Bewegung aus dem Bett schwang und die Verbindung der beiden ohne Vorwarnung abbrach. Wo eben noch die Wärme einer zweiten Person geherrscht hatte, spürte er nun die Kälte der Einsamkeit. Niemals würde er sie kampflos zu diesem Pomadenhengst ziehen lassen! Er spannte seine Muskeln an und schwang sich aus dem Bett.
„Du bleibst…“, raunt er leise und bewegte sich auf die junge Frau zu, die buchstäblich mit dem Rücken zur Wand stand. Neferu war wendig, das wusste er, aber die Chancen standen gut, dass er sie am Erreichen der Tür würde hindern können. Ein Lächeln legte sich auf seine Lippen. Sie würde toben und versuchen fort zu kommen, aber er würde ihr erklären was er fühlte, dann würde sie ein Einsehen haben und bleiben wollen. Das war alles was er wollte, nur die Chance ihr alles offen darzulegen.
Sein Blick ruhte auf ihrem gespannten Körper, als sich mit diesem plötzlich eine Veränderung vollzog. Die Farbe ihrer Kleider wurde langsam blasser, beinahe durchscheinend. Auch ihre Haut glich sich mehr und mehr der Farbe der weiß gekalkten Wand in ihrem Rücken an, bis seine Augen ihre Gestalt schließlich vollständig aus dem Blick verloren.
„Nein! Warte…! Neferu!“, rief er, als sich die Tür zum Flur hinaus, wie von Geisterhand öffnete. Er hatte den Kampf verloren, Neferu war fort …