Grangor 19 (Garion)

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Angewidert hob der Rondrit seinen Blick an. Der Geruch nach Urin und anderen Fäkalien beherrschte seine Zelle, durchzog das vom Mist der anderen Gefangenen feuchte Stroh, das eigentlich seinen Schlafplatz darstellen sollte.

Noch einmal fuhr er sich mit der Handfläche der Linken durch das Gesicht und betrachtete, was in der Hand zurückblieb: Ein ekelerregendes Gemisch verschiedenster Körpersäfte und weicher Exkremente. Eine der Wachen hatte den Eimer, der hier unten gemeinhin als „der Donnerbalken“ bezeichnet worden, in seine Zelle und damit über ihn geleert. Vorgeblich ein Versehen, aber Garion wusste es besser. Er hatte sich das Gesicht des Gardisten eingeprägt; Dieser Übergriff hatte nichts mit einer gerechten Strafe zu tun, das war eine unnötige Demütigung, die er nicht zu tolerieren gewillt war.

Rasch fuhr er sich mit der Hand an den Rücken, als etwas juckte. Sicher ein Rinnsal dieser abartigen Brühe., dachte er und spürte Übelkeit in sich aufsteigen. Nicht einmal sich zu waschen war ihm erlaubt worden. Und dann diese Kopfschmerzen. Seine Finger erreichten die Stelle des Juckreizes, stießen allerdings nicht auf die erwartete Flüssigkeit, sondern auf einen kleinen, harten und vielbeinigen Körper. „Was bei Rondras Donnerfürzen…?!“, fluchte der Ardarit erschrocken, umfasste das Insekt und riss es hervor um sich den Übeltäter zu besehen. Die Schabe zwischen Garions Fingerspitzen bemühte sich nach Kräften ihre verlorene Freiheit wieder zu erlangen, tastete mit ihren Fühlern nach dem überraschend festen Griff, der sie gefangen hielt, zappelte mit den Beinen und bot mit ihrem von menschlichen Exkrementen besudeltem Panzer einen äußerst unappetitlichen Anblick.
Garion schluckte einen schalen Geschmack hinunter und löste den Blick von dem zappelnden Insekt in seinen Fingern, ließ ihn stattdessen über den Boden seiner Zelle wandern. Da waren sie, ein ganzes Heer von Ungeziefer. Es wimmelte zwischen den Strohhäufchen umher, angelockt vom Geruch der menschlichen Hinterlassenschaften, dem Herd der Krankheiten, die ganze Zivilisationen ausrotteten.
Rasch erhob er sich und schnippte das zappelnde Etwas in seiner Hand durch die Stäbe seiner Zelle nach draußen auf den Flur des dunklen Kerkers. Leise hörte er den Panzer der Schabe an der Wand gegenüber abprallen.
Phexdan!, schoss es ihm durch den Kopf. Das war alles die Schuld dieses zwölfgötterverfluchten Bettlers! Ein kräftiges Husten unterbrach seine Gedanken, ein heftiger Krampf schüttelte seinen geschwächten Körper. Etwas nahm ihm die Luft zu atmen! Er sank auf die Knie und griff mit seinen verdreckten Händen an seine Kehle. Panik stieg in ihm auf. Der Rondrit hatte keine Angst vor einem Kampf mit einem bewaffneten Gegner, auch nicht vor dem Kampf mit einem Dämon. Die Angriffe jedes noch so überlegenen Gegners konnte man sehen, konnte wenigstens versuchen sie abzuwehren, aber das hier?!
Er spürte wie sein Körper zur Seite kippte und auf dem mit Brackwasser überzogenen Boden aufschlug. Sein Sichtfeld engte sich ein, Dunkelheit drängte von den Seiten auf seine Augen zu, als er verzweifelt zu husten begann, dann gab sein Körper nach und schenkte ihm die erlösende Bewusstlosigkeit des Kraftlosen.
Er atmete tief ein. Zwar umgab ihn Dunkelheit, aber er spürte etwas. Unter ihm bewegte sich ein kräftiger Leib, er hörte den dumpfen Schlag von Hufen, die ihr Stakkato in weichen Boden hämmerten. Der Wind, der ihm um die Nase pfiff trug ihm eine laute, befehlsgewohnte Stimme an die Ohren:“Eine Linie! LANZEN FREI!“
Plötzlich lichtete sich die Dunkelheit. Garion konnte rechts und links neben sich andere Reiter erahnen, spürte die eingelegte Lanze an seinem rechten Arm. Grassoden wurden dem Boden entrissen, als die Reiter auf breiter Front aus dem Wald hervorbrachen, der ihrem Anritt bis eben noch Deckung gegeben hatte, und auf eine Lichtung von ungefähr 200 Schritt Durchmesser hinaus preschten. In einiger Entfernung konnte der Rondrit eine niedrige Bauernkate ausmachen, die soeben Feuer gefangen hatte. In den Haufen dunkler Gestalten davor, kam Bewegung, als die Reiter bemerkt wurden. Rasch drängten die Bewaffneten sich zusammen und versuchten eine lose Kampfordnung aufzustellen. Als die Reiter näher kamen, verließen zwei ihrer Gegner die Nerven. Die beiden Männer rannten nach rechts und links los, hielten verzweifelt auf den Waldrand zu, doch Garion wusste, dass ihr Schicksal besiegelt war, als er zwei Reiter aus seinem Trupp ausscheren und die Verfolgung aufnehmen sah.
Sein Blick ruckte zu den verbliebenen Verteidigern zurück. Sie hatten sich zu einer recht schiefen Linie zusammengefunden und starrten den Angreifern angstvoll entgegen.
Nicht einfach in die Menge reiten, Garion. Such dir einen aus, lass ihn wissen, dass er DEIN Gegner ist. Er soll Boron kommen sehen., dachte er bei sich und ließ seinen Blick suchend über die Feinde und die Spitzen der bereits ausgerichteten Lanzen seiner Kameraden gleiten.
Dann fand sein Blick ein Gesicht…Es kam ihm merkwürdig bekannt vor. Schwarzes, strubbeliges Haar, grüne Augen, in der Hand nichts weiter als ein Rapier. Phexdan!
Die Spitze von Garions Kriegslanze blitzte im Licht der Abendsonne unheilverkündend auf, als er sie ein letztes Mal ausrichtete, es gab einen dumpfen Schlag als die lange Waffe ihr Ziel traf, dann folgte ein langgezogener Schrei, der ihn aus dem Traum zurück in die Realität riss.
Leise keuchend öffnete er die Augen. Er zitterte am ganzen Leib und schaffte es kaum den Kopf zu heben. Sein Kopf schwirrte und nur von Fern hörte er das Rasseln von Rüstungen und eine Frauenstimme, die in einem Anfall von äußerster Wut derbe Verwünschungen ausstieß, wie man sie nur im Feld lernte. Vorsichtig tastete er umher, griff in die Fäkalien seiner Zelle und das von Gewürm verseuchte Stroh seiner Schlafstatt. Sein Kopf dröhnte wie Ingerimms Schlag auf einem Amboss. Wie durch einen Nebel nahm er wahr, was vor seiner Zelle geschah.
Eine kräftige Frauengestalt, ganz offensichtlich die, die eine Verwünschung nach der anderen ausstieß, hielt eine zweite, männliche Gestalt gepackt, die die Farben der grangorer Garde am Leib trug.
Garion blinzelte noch einmal, als der Gardist von der Frau mit fürchterlicher Wucht gegen das Gitter seiner eigenen Zelle geschlagen wurde, zu bluten begann und auf dem Boden zusammensackte.
„Holt unseren Bruder aus der Zelle und werft diesen Sohn einer räudigen Hündin hinein! Dieser Narr hat sich an der Herrin Rondra versündigt, lasst ihn spüren, wie wir mit Ketzern verfahren!“, hallte die weibliche Stimme hart von den Wänden des Gefängnisses wider.
Der Rondrit spürte wie ihn zwei Paar kräftiger Hände unter den Armen packten und auf die Füße zogen, dann verlor er den Bodenkontakt, als die weibliche Gestalt seine Füße anhob um ihn mit ihrem Glaubensbrüdern aus der dreckigen Zelle zu schaffen. Er registrierte noch die Veränderung der Lichtverhältnisse, spürte die Wärme der Sonne auf seiner Haut, dann umfing ihn wieder die Dunkelheit.
Als er wieder erwachte atmete er tief ein. Der widerwärtige Geruch der Zelle war Vergangenheit, es roch vielmehr nach den sauberen Laken eines Bettes und als er seine Finger aneinander rieb fühlten sie sich sauber an, wie direkt nach einem warmen Bad. Vorsichtig öffnete er seine Augen und blinzelte in das Licht einer offenbar frisch entzündeten Talkkerze auf einem kleinen Beistelltischchen.
Er fühlte sich besser, das Gewicht auf seiner Lunge war verschwunden, der Reiz zu husten gewichen.
Einen Moment rieb er sich die Augen, ehe er seine Füße neben das Bett schwang um sich zu erheben. Der Raum um ihn herum war merklich größer als die winzige Zelle in den Kerkern der Stadtgarde. Das Bett, auf dem er bis eben gelegen hatte war mit sauberen Laken bezogen und groß genug für so ziemliche jede Art von Krieger. Zu seinen Füßen lag ein weicher, blutroter Teppich, in dem er für einen Moment die Zehen vergrub.
Das Tischchen mit der Kerze, ein recht niedriger Nachttisch, war nicht der einzige Tisch im Raum. Unter dem kleinen, vergitterten und verglasten Fenster stand ein Sekretär mit einem passenden Stuhl bereit, dessen mit Tinte befleckte Oberfläche ihn als vorzüglichen Ort seine Gedanken niederzuschreiben auswies. Alles in allem eine deutliche Steigerung, befand er, als sein Blick auf ein kleines, rotes Büchlein auf dem Nachttisch fiel. Garion runzelte die Stirn. Er erinnerte sich keines solchen Buches in seinem Besitz.
Zwei lange Schritte trugen ihn zu dem Schriftwerk hinüber, ehe er sich vorbeugte um den auf die Vorderseite gravierten Titel lesen zu können. „Rondra Vademecum“, flüsterte er leise.
Nachdenklich legte er die Stirn in Falten, er hatte von diesem Buch gehört. Es war eine Art religiöser Leitfaden für reisende Geweihte der Herrin Rondra. Eine Erinnerung an die Werte und Tugenden in Schriftform, eine Zusammenfassung der wichtigsten Gebete und Andachten.
Er musste schmunzeln. Niemals hatte er eines besessen, aber interessiert hatte es ihn schon immer.
Mit einer andächtigen Geste griff er nach dem Buch mit dem roten Ledereinband und strich über den stilisierten Löwen auf der Vorderseite. Gerade hatte er sich damit in der Hand niedergelassen, als es an seiner Tür klopfte. „Nur herein!“, antwortete er dem Klopfen mit fester Stimme, ehe sich die Tür nach innen öffnete und ihm einen hereintretenden Geweihten der Rondra offenbarte.
„Knappe der Göttin, es freut mich, dass ihr wieder wach seid. Wir haben uns erlaubt euch aus den Kerkern der Garde zu holen. Man hat euch dort vollkommen unangemessen behandelt, es war eine Schande. Ich hoffe es geht euch wieder besser?“, begrüßte der Mann Garion, der für einen Moment um Worte verlegen war und nur nickte, sich dann aber eines besseren besann. „Vielen Dank dafür. Ja, es geht mir besser…Sehr viel besser sogar.“, noch einmal nickte er dem Geweihten zu, als sei die Befreiung seine Entscheidung gewesen.
„Nun, zwar seid ihr dem Kerker entronnen, aber dennoch muss eure Verfehlung gesühnt werden, dafür habt ihr sicher Verständnis.“, Garion nickte. „Ihr steht noch bis morgen früh unter Arrest. Ich werde die Tür eurer Kammer allerdings aufgeschlossen lassen, ihr könnt euch im Tempel frei bewegen, ihn aber auf keinen Fall verlassen, hört ihr?“
Garion nickte…Er hatte gehört. „Natürlich, ich werde mich an den Arrest halten, darauf mein Wort. Aber danach werde ich mir diesen Gardisten vornehmen, der…“, der blonde Geweihte mit dem Spitzbart schnitt ihm das Wort ab:“…Der euch die Fäkalien der Kerkerinsassen über das Haupt schüttete?“, er grinste. „Ich denke, um den hat sich die Ritterin der Göttin Selissa bereits gekümmert. Er wird mindestens einen Götternamen lang keinen Dienst mehr schieben können. NIEMAND vergeht sich auf solch tolldreiste Art an unseren Brüdern und Schwestern!“, beschied er Garion erregt, ehe er sich rasch räusperte und einen Blick auf das Buch in Garions Hand warf.
„Ah. Ihr habt das Rondra Vademecum gefunden. Als wir eure Sachen aus dem Arsenal der Garde bargen fiel uns auf, dass sich keines in eurem Besitz zu befinden schien. Behaltet es…es ist ein Geschenk der Kirche. Eure anderen Besitztümer könnt ihr an euch nehmen – Waffen und Rüstungen natürlich nicht, seht es uns nach.“
Wieder nickte Garion. Natürlich, man bewaffnete niemanden, der unter Arrest stand, das verstand er nur zu gut, also nickte er dem Geweihten ein letztes Mal zu. „Ich danke euch für alles. Wenn ihr erlaubt, dann werde ich mich nun ein wenig in der Lektüre ergehen. Meine Sachen hole ich später.“
Wenig später hatte der Geweihte die kleine Kammer nach einem knappen Gruß wieder verlassen und der Rondrit Garion Rondrior von Arivor war wieder allein. Einen Moment noch blieb er nachdenklich auf dem kleinen Bett sitzen, dann erhob er sich um den niedrigen Raum zu verlassen. In der Haupthalle des Tempels würde sich sicherlich eine zum Lesen geeignete Nische finden lassen und durch das geöffnete Tor des Tempels könnte er wenigstens nach draußen sehen.