Gareth 10 (Neferu)

Kategorien: 1013 BFDer Puls der StadtFeqzjianGarethNeferuZerwas
Zeitraum: FIR 1013

Phexdan kam diese Nacht nicht nach Hause.
Dafür aber der Vampir, der seinen unstillbaren Durst in der Dunkelheit an etlichen Garethern gestillt hatte, die sich zu später Stunde aus dem Haus gewagt hatten.
‚Von jedem nur ein Schlückchen‘ war seine neue Devise, um den Schaden für den Einzelnen zu minimieren, auch wenn die Jagd durch diese löbliche Entscheidung in die Länge einer ganzen Nacht gezogen wurde.
Er hatte sich zu ihr gelegt und das neue Blut, das er seinen Opfern entzogen hatte, tat seine kurzfristige Wirkung: Er war warm.
Sie fröstelte dennoch, als sie aus einem traumlosen Schlaf erwachte.
Die Dachkammer in der ‚Smaragdnatter‘, die sie teilten, war wenig gedämmt, aber immerhin waren sie alle zusammen. Zumindest in der Regel. Sie späht widerwillig hinüber, zu Phexdans leerem Bett und erhob sich mit morgendlicher Unbeweglichhkeit.

Ihr erstes Ziel war der Pentagontempel der Hesinde. Er lag gewissermaßen um die Ecke.
Auf den Blutulmen des fünfseitigen Platzes lag der Raureif eines Wintermorgens. Kalt und neblig erschien Gareth auch wenn sich allerorts kleine warme Lichter durch den Dunst brachen. Rohal selbst sollte diese Bäume gepflanzt haben, diese Mär kannte sie als gute Garetherin.
INITIUM SAPENTIAE FIDES HESINDIAE stand da in Silberlettern über dem Torbogen. Hätte Zerwas, der des Bosparano mächtig war, ihr nicht mitgeteilt, wie die Übersetzung lautete, wäre sie voll Unwissenheit über die alte Sprache an der Übersetzung des Sinnspruchs kläglich gescheitert: Der Anfang aller Weisheit – das Vertrauen auf Hesinde.
Neferu blieb mehrere Stunden in den Hallen des Wissens, im Sternensaal der weisen Göttin.
Einerseits hielt sie nach Helke Borgian Ausschau, der Schlangenhexe aus dem Südquartier. Doch von der Frau war nichts zu sehen.
Zum Zweiten suchte sie. Nach Informationen. Bezüglich der Ingredienzien, die sie für den Alchemisten Grabensalb besorgen sollte und ebenso nach solchen, die mit dem Rätsel zu tun haben konnten, das sie und Zerwas im Dachfirst der Weststadt gefunden hatten.

AKTE 2098-031,REG.:BO,
1007 BF (SOLDLST. BEWACH. WAGENZ.) STB

Aber nichts. Zumindest zu Letzterem. Sie hatte eigentlich nichts anderes erwartet, aber das Ausschlussverfahren hatte ihr auch in der Vergangenheit gute Dienste erwiesen. Also half es nichts: Um der Spur zu folgen und zu entschlüsseln, was sie da entdeckt hatte, musste sie wohl oder übel bei Störrebrandt eindringen und in seinen Akten lesen…

Gegen Mittag trugen sie ihre Schritte, wie immer eilig und lang, damit niemand auf die Idee kam, sie aufhalten zu wollen, ins Südquartier.
Ihre größte Investition wartete und reifte da in den Schatten der überhöhen, schiefen Gebäuden der Ärmsten und Gescheiterten.
Das Lowanger-Greiber-Waisenhaus beherbergte über ein Dutzend verlassener Kinder, die vermutlich alle einen diebischen Hintergrund hatten. Denn anders hätten sie so allein in
Eschenrod niemals solange überlebt, bis sie gefunden worden oder selbst gekommen waren.
Dann und wann kehrte Neferu ein und sprach mit Mutter Harina, der Travia-Geweihten, die sich um die Verlorenen sorgte. Neferus Interesse war nicht einzig gutmütiger und selbstloser Natur. Natürlich identifizierte sie sich mit all den schlecht angezogenen und rotznasigen Kindern, die auf der Straße niemanden gehabt hatten, der sich darum scherte, ob sie lebten oder starben.
Gleichermaßen aber brauchte sie ein Netz. Und die phexgeweihte Auelfe Nith Mondklinge, ihre eigene Mentorin aus der Seilerei und der Taverne „Mondklinge“ hatte es in der Vergangenheit vorgemacht: Die formbaren Jüngsten waren die rechten Hände, die Ohrenflüsterer und Türöffner von Morgen.
Sie hatten einen möglichen magischen Siebenjährigen namens Kuliff. Neferu notierte sich das Alter und den Namen nickend, mit dem Vermerk: Salpico
Außerdem war da die elfjährige Efferdlieb. Von gerechter Natur und furchtlosem Wesen, war sie halbtot und ohne Erinnerung gefunden worden. So hatte sie ihren Namen erhalten.
Schlau sollte die kleine Efferdlieb sein und fingerflink. Die rote Hexe unterstrich sich den Namen des Mädchens. Doppelt.

Gedankenvoll und langschrittig führte ihr Weg sie zurück ins Innere der Stadtmauern von Gareth.
Sie musste innerlich gestehen, dass sie – ein Kind der Gosse – sich selbst mittlerweile in Alt-Gareth wohler fühlte, als in den engen, schmutzigen Gassen der Vorstädte.
Der Blick starr und glasig vom kalten Wind, bemerkte sie Phexdan nicht, der ihr zwischen den Häusern hindurch und an ihren Wänden entlang, folgte.
In der Smaragdnatter angelangt, war niemand da. Zumindest niemand, der für sie Bedeutung gehabt hätte.
Das Zimmer sah leer aus mit drei verwaisten Betten.
Aber was war das?
Auf ihrem Bett lag ein Körbchen. Darin dunkle Erde und zwei Gewächse. Das eine erkannte sie: Es war Efeu. Das zweite… kleinstköpfiger Salat?
Neferu runzelte die Stirn, die Pflänzchen auf ihren Schoß hebend.
Darunter lag ein Buch. Es titelte: Manieren für Männer
Ihre Verwunderung wich dem Drang, das Geheimnis einer jeden auf den ersten Anhieb nicht ganz schlüssigen Tat, lüften zu wollen.
Sie blätterte in dem Büchlein, während ihre langen Finger die zweifach geringte Phexkette um ihren Hals ziellos betasteten.
Es standen viele Pflanzen in dem Buch, ebenso wie ihre Bedeutungen.
Ganz unzweifelhaft, wollte Phexdan ihr mit diesen zwei Grünlingen etwas mitteilen. Diese Aktion roch ganz eindeutig nach Phexdan.
Und da war es auch schon.. Efeu.

Efeu als Sinnbild für Liebe, Freundschaft und Treue
Wer eine Efeupflanze verschenkt, der bekräftigt die Verbindung und Freundschaft mit einem anderen Menschen. Kein Wunder also, dass auch Verliebte gerne die Pflanze mit den teils herzförmigen Blättern verschenken, denn Liebe ist stärker als der Tod.

las sie und drückte die Lippen aufeinander. Ihr Gefühl hatte sich noch nicht eingependelt und vermischte in ihrer Brust Missmut und Wohlwollen.
Sie schlug das Buch zu und warf es auf Phexdans zerwühltes Bett, als hätte es sie gebissen. Sie war nicht mehr bei Laune auch das zweite Gewächs nachzuschlagen.
Aus unerfindlichen Gründen wütend, erhob sie sich forsch.
Als ihr Blick zur Tür ruckte, stand da Phexdan. Er lehnte seelenruhig im Türrahmen, als hatte er schon immer da gestanden.
Ein feines, füchsisches Lächeln lag auf seinem jungenhaften Gesicht, dessen Bart in Kraut und Rüben wucherte. Charmant zerzaust stand das Haar in wild-unbändigen Wellen kurz von seinem Kopf ab.
„Na?“ begrüßte sie die mitteltiefe Stimme des Phexgeweihten. Als wäre er nicht die ganze Nacht ohne ein Zeichen auf Leben fort geblieben.
Und obwohl sie dieser Umstand in einer schmerzlichen Art enttäuscht zürnte, überwog die Erleichterung, dass er wohlbehalten und frech wie eh und je vor ihr stand.
„Du wolltest mir immer noch die Seelenprüfung zeigen.“ etwas anderes fiel ihr gerade nicht ein, außer dieser Wunsch, diese spaßhafte Forderung, dass er ihr zu Diensten sein sollte.
„Ich habe im Übrigen etwas entdeckt..“ fügte sie geheimnisvoll hinzu. Sie wollte sich interessant machen, warum, das wusste sie nicht.
Sie fragte ihn nicht, wo er all die Stunden gewesen war, sondern nutzte die Gelegenheit, ihn zu verletzen, wie er sie verletzt hatte.
Ein ewiges Hin und Her.
Sie führte ihn zum Traviatempel, nicht ohne Andeutungen. Phexdans Gesicht blieb schwer einzuschätzen, wie immer. Sicher erwartete er, dass es sich ohnehin nur um einen rachsüchtigen Scherz ihrerseits handelte. Wozu die Rache war, war unerheblich. Es war soviel Ungünstiges zwischen ihnen passiert, dass es mittlerweile für kleine Sticheleien mehr als genug Raum gab.
Der Halbmaraskaner ging an der Seite der Halbtulamidin hinter den Tempel der Göttin der ehelichen Treue, des anheimelnden Herdes und der Familie.
Schnell huschten ihre Augen prüfend umher, ehe sie den Schacht im wenig einsichtigen Hinterhof öffnete.

Den Geheimgang in die Unterstadt, den Weg in die alte Kanalisation…