Perricum 6 (Garion)

Kategorien: 1013 BFDie Zeichen der SiebenGarionPerricum
Zeitraum: PER 1013

Als die Tür seiner Kammer hinter ihm ins Schloss fiel, erlaubte er seinen Schultern ihre Straffung zu verlieren. Einige Augenblick lang stand er regungslos im Raum, nur dann und wann von einem tiefen Atemzug bewegt, ehe er sich umsah. Die dicken Mauern der Ardaritenfestung in Perricum waren von innen weiß verputzt, nur hier und dort war einer der dicken Steine zu erahnen, die dem Bollwerk zu seiner Standhaftigkeit verhalfen.
Die abgeschliffenen Holzbohlen des Bodens waren zum Teil von einem großen, weichen Teppich verdeckt, dessen Erschaffer kunstvoll die Figur eines Löwen hineingeknüpft hatte und neben einem Bett und dem Schrank gab es einen kleinen Schreibtisch mitsamt Stuhl. Eben dort stand auch eine kleine Wasserschale bereit – ganz wie er es mochte. Wieder atmete er tief aus.

Einer Gewohnheit folgend, öffnete er die Schnallen, die seine Schwertscheide an dem breiten Gürtel um seine Hüfte hielten und lehnte sie an das Fußende seines Bettes. Gleich darauf folgte die ungleich schwerere Halterung von Adamant, seinem Zweihänder. Kurz wog er das Gewicht der Waffe in den Händen und besah sich die Gebrauchsspuren auf der Scheide seines Weiheschwerts. Hier sah man jeden Sturz, jeden Hieb – alles was Garion traf, beeinflusste üblicherweise auch das Leder, das den Rondrakamm umhüllte. Mit einem matten Lächeln auf den Zügen lehnte er die Waffe von innen an die Tür seiner Kammer. Dann öffnete er den Gürtel, legte den verschmutzten Wappenrock ab und öffnete die Armschützer, sowie den Torso seiner Rüstung. Nachdem beides einen sicheren Platz auf den nachgiebigen Decken des Betts gefunden hatte, wandte der Rondra-Geweihte sich der Waschschüssel zu, griff mit beiden Händen hinein und rieb eine Portion Wasser in sein Gesicht. Das kühle Nass ließ seine Lebensgeister wieder aufflammen. Es tat gut eine Kammer zu haben in der man sich waschen konnte – auch wenn der Anlass seines Hierseins ein Trauriger war.

Während er sich zu waschen begann, sah er zum Fenster hinüber und verlor sich im Glitzern des Meeres im Licht der untergehenden Abendsonne. Das Schwert der Schwerter war tot. Ermordet von einem feigen Mörder aus dem Hinterhalt. Und das bei einem Turnier in direkter Nähe zum König von Garetien. Diese Ungeheuerlichkeit würde den Täter teuer zu stehen kommen, sollte man – sollte die Kirche der Leuin – seiner habhaft werden. Zwar hatte er Viburn von Hengisford niemals persönlich kennen gelernt, doch war sein Ruf in den Reihen der Geweihten hervorragend gewesen und der Umstand, dass auch seine Tochter ein hochrangiges Mitglied des Klerus war, würde es dem Angreifer nicht einfacher machen, sich zu verstecken.
Garion konnte die Wut nur erahnen, die in diesem Moment ein schmerzhaftes Feuer durch die Adern Bibernells von Hengisford senden musste. Sicher würde sie alles daran setzen den Tod ihres Vaters zu rächen.
Nachdenklich kaute er auf der Innenseite seiner linken Wange. Wut und Rache waren selten gute Berater, aber es war zu früh, um ihr Rasen schon verhindern zu können. Auch war es nicht seine Aufgabe Bibernell zu beraten – die Probleme, denen er sich zu stellen hatte, waren ungleich näher, ungleich persönlicher.
Mit flinken Bewegungen trocknete er seine Achseln, die Brust, den Hals und den Bauch, ehe er nach der Scheide seines Schwertes griff. Die Waffe war aus hochelfischer Hand, verziert mit Zeichen, die zu lesen er nicht im Stande war und von einer Qualität, wie man sie selten fand. Aber eines hatte sie mit anderen Klingen gemein: Ohne Pflege würde auch sie vergehen. Die blanke Klinge in der Hand griff er nach dem Waffenfett und dem gebrauchten Lappen, den er stets in seinem Rucksack mit sich führte. Ob er den Wetzstein brauchte, würde sich erst später zeigen. Mit ernster Miene sank er auf die Kante seines Bettes und begann die Klinge sorgfältig zu reinigen.

William hatte sich als erstes Problem erwiesen. Dem Ardariten war zwar bewusste gewesen, dass das Wesen der Götter nicht jedem Menschen derart nahe lag wie ihm und auch, dass gerade William der stofflichen Welt besonders verhaftet war. Dass er aber derart wenig über Götter und Dämonen wusste, dass er den Namen einer Erzdämonin offen und unbekümmert im Munde führte – das hatte ihn getroffen wie ein Faustschlag. Mitten im Speisesaal der Ordensburg, in Anwesenheit von Ness, hatte er den Namen gleich zweimal von sich gegeben und damit beinahe eine Katastrophe über sich und alle anderen gebracht. Es war notwendig gewesen, den Seemann handfest aus der Burg zu schaffen und nach Hause zu schicken, um die Wogen zu glätten.
Prüfend polierte er eine Stelle der scharfen Schneide in seiner Hand. Immerhin …, dachte er … wird er nicht gesucht. Dieser Umstand war zwar bestenfalls angetan die Unruhe ein wenig zu lindern, stand aber nach einem Vorsprechen bei der Admiralität Perricums wenigstens fest. Auch wenn die weiße Weste Williams sich nicht auf seinen Vater zu erstrecken schien.
Rasch schüttelte er den Kopf. Wichtiger als kriminelle Familienmitglieder waren jetzt seine Begleiter selbst. William war später am Tage zunächst nicht aufzufinden gewesen, hatte sich dann aber doch schon vor Garion wieder in der Festung eingefunden. Wie befürchtet zeigte er erste Anzeichen dessen, was der direkte Blick eines Erzdämonen mit sich bringt. Er fühlte sich unwohl, verfolgt, sein Gewissen plagte ihn – aber er suchte Befreiung davon, wollte sich den Kirchen der Zwölfe anvertrauen.
Kurz schloss er die Augen. Das war ein Punkt, an dem er Ruhe finden konnte. William hatte tatsächlich aus blanker Unwissenheit gehandelt. Keinesfalls wollte er seine Seele an eine Erzdämonin verlieren. Im Gegenteil – er war bereit dafür zu kämpfen, dass es nicht geschah. Sogar das Rondra-Vademecum hatte er gelesen, während Garion sich mit den anderen beraten hatte. Und die darauf folgende Nacht im Tempel Efferds, des direkten Gegenspielers Charyptorots hatte den … Seemann gestärkt an Seele, Glauben und Körper in den aufkommenden Morgen treten lassen.
Alles in allem war dieses Vorkommnis zu begrüßen. Garions Ruf innerhalb seines Ordens mochte unter Gefährten wie diesen gelitten haben, aber wenn er sich nicht gänzlich täuschte, hatte es William näher an die Götter und vielleicht sogar an Rondra im Speziellen gerückt. Und das waren ein paar schiefe Blicke in Arivor allemal wert.

Ein letzter Blick auf das Mordwerkzeug in seinen Händen genügte, um ihn davon zu überzeugen, dass er getan hatte, was er konnte. Er stellte die Klinge zurück an ihren Platz und ging zu Adamant hinüber, um sich seiner anzunehmen. Die geflammte Klinge war schon zweimal gebrochen und stets wieder zusammengesetzt worden. Zuletzt von Tarambosch, dem Angroschim, den er nun seit Jahren kannte und mit dem er beinahe ebenso lange zusammen wohnte. Seit der Zwerg sich der Waffe angenommen hatte, schien sie unverwüstlich zu sein.

Fragiler als die Waffe selbst erschien ihm inzwischen Vitus. Der Heiler hatte eine Vergangenheit als Straßenwächter und Deserteur – und das ausgerechnet in Perricum. Als Cyruion, der Elf den er vor Jahren kennengelernt und dann in einem Disput wieder verloren hatte, Garion mitgeteilt hatte, dass Vitus gesucht und er die Wache darauf aufmerksam gemacht hatte, dass er hier in der Stadt sei, hatte er sich zunächst gefragt, warum Vitus überhaupt hierher nach Perricum gekommen war. Hatte der Heiler nicht jede Möglichkeit besessen unauffällig seine Route zu ändern? Hätte er nicht ohne Ansehensverlust jederzeit seine Gefährten verlassen können? Inzwischen aber dämmerte es dem Geweihten. Vitus hatte seiner Strafe nicht ausweichen wollen. Er war Jahre lang vor seiner Schuld davon gelaufen. Und ganz gleich wie lange oder wie weit man vor seinen Problemen davon läuft – sie holen einen ein, sobald man rastet. Also hatte Vitus sich entschlossen sein Schicksal in die Hände der Götter zu legen. Zwar hatte er sich nicht selbst gemeldet oder seinen Gefährten anvertraut, aber er hatte sich auch sofort gestellt und nicht gewehrt, als Garion ihn auf den Steckbrief angesprochen und unter Arrest gestellt hatte. Und nicht einmal das hatte er ihm übel genommen. Im Gegenteil. Ruhig und gefasst hatte er dem Rondriten seine in Tuch geschlagenen Waffen überantwortet und mit ihm die Ankunft der Wache erwartet, der er dann ohne Widerstand gefolgt war.
Einen Augenblick ließ er von Adamant ab und sah hinüber in die Zimmerecke in der er die Bewaffnung Vitus‘ gelagert hatte. Es hatte ihn gereizt zu erfahren, was sich unter dem Tuch verbarg – aber es war nicht Recht gewesen, nachzusehen. Er hatte sich daher vorgenommen Vitus zu fragen, warum er die Klingen stets versteckte, sobald sich die Gelegenheit dazu ergab.

Bedacht nahm er die Waffenpflege wieder auf.
Die Verhandlung des ehemaligen Straßenwächters hatte Details zutage gefördert. Er hatte seinen Posten zum Schutz eines Wagens verlassen, um einer Frau zu folgen, ehe die Wachablösung angekommen war. Zwar gab es keine ersichtlichen Schäden, weder an Kameraden noch an dem Wagen, doch war Vitus die Last, die seinen Rücken beugte im Gerichtssaal deutlich anzusehen. Seine Verteidigung war lückenhaft und schwach – beinahe als habe er die Strafe nicht nur akzeptiert, als verlangte er sie sogar. Es war seltsam gewesen, obwohl Garion Desertation keinesfalls gut heißen wollte oder konnte, so hatte er doch seine Stimme zur Verteidigung erhoben. Im Nachhinein vielleicht ein wenig zu eindringlich, aber doch gerechtfertigt. Nicht nur, dass niemandem Schaden entstanden war – Garion kannte das Gefühl von einer Frau angezogen zu werden. Es hatte ihn in den Dschnungel verschlagen. Nach Al’Anfa und andere Landesteile, die er sonst sicher nicht freiwillig besucht hätte. Vielleicht, erkannte er, vielleicht hatte er vor diesem Gericht weniger Vitus als sich selbst verteidigt. Für eine Tat, die er zwar nie begangen, aber doch schon oft im Geist bewegt hatte.
Davon einmal abgesehen war es nun aber wie es war. Vitus war gegen die Zahlung einer Geldstrafe vorerst auf freien Fuß gesetzt worden und er würde für die Summe gerade stehen müssen. Und er wollte verflucht sein, wenn er ihm dabei nicht helfen konnte. Nicht, dass er den Mann lange gekannt hätte, aber in der kurzen Zeit, die sie nun zusammen reisten, hatte er sich als wertvoller Gefährte und kompetenter Heiler erwiesen – und das würde in Zukunft sicher noch öfter der Fall sein. Dazu kam, dass die Schuld, die Vitus als sichtbaren Makel auf seiner Seele trug ihn davon abhalten würde, jemals wieder einen Kameraden im Stich zu lassen. Das konnte er fühlen. Dennoch – oder gerade deshalb – würde er das Gespräch mit Vitus noch einmal suchen müssen. Wenn sie zusammen reisten, kämpften und bluteten, dann wollte er im Bilde über seine Begleiter sein.

Er schenkte der Klinge von Adamant einen letzten Blick und steckte sie weg. Ob Waffe oder Bindung zu einem Gefährten – beides lief ohne Pflege Gefahr spröde zu werden und im unpassendsten Moment zu zerbrechen.