Gareth 13 (Feqzjian)
Kategorien: 1013 BFDer Puls der StadtFeqzjianGarethNeferuZeitraum: FIR 1013
Neferu machte es sich auf der alten Wolldecke gemütlich, die wohl schon seit mehreren Götterläufen der kleinen Phexenskammer als Kälteschutz diente.
„Komm..“, forderte sie ihn auf. „Wir müssen reden. Wirklich reden, über alles. Eine Aussprache. Das haben wir noch nie getan.“
Einige Sekunden sah er schweigend zu ihr hinab. Hatten sie das nicht? Hatten sie das? Hatte sie jemals danach gefragt? Einen Augenblick war er mit sich selbst uneins. Ein unerfreuliches, bekanntes Gefühl.
Bevor er sich zu ihr begab, betrachtete der Maraskaner die kleine zylindrische Kammer. Der Blick seiner grünen Augen strich beinahe liebevoll über die Wandnischen mit all ihren hilfreichen Überraschungen für den bedürftigen Phexgetreuen, glitt über die silberne Fuchsstatuette, die ihm auffordernd ihre Schale entgegen hielt, als erwarte sie, er würde sie füllen.
Mit der Eile eines Mannes, der vor versammelter Gemeinde zur Spende an die gerechte Sache aufgefordert worden war, begann er seine Taschen zu durchwühlen, ehe er aus den Tiefen seines Hosenstoffs ein glänzendes Silberstück hervorgekramt und es leise in die Schale hatte gleiten lassen.
Dann sah er zu seiner Begleiterin zurück. Ebenfalls glanzvoll, gebräunte Haut, eine beinahe undefinierbare Haarfarbe irgendwo im nussigsten Braunspektrum, und die schönsten Augen die er je gesehen hatte. Auch wenn ihre Lider geschlossen waren. Den kurzen Moment, den er sich umgewandt hatte, war sie unerwartet eingeschlafen.
Er ließ sich ungewöhnlich langsam und bedächtig auf den unebenen Boden neben die Hexe sinken und rutschte näher, um ihr Gesicht in Augenschein zu nehmen. Tiefe Schatten lagen unter ihren Augen, die Haut war blasser als sonst, wirkte ausgezehrt. Nach dem Vampirangriff in Havena hatte kaum noch Leben in Neferu gesteckt und es kehrte so langsam zurück, als würden die Götter es ihr nicht recht gönnen das Sikaryan zurück zu erhalten, das sie aus eigenem Übermut verloren hatte.
Sie brauchte viel mehr Schlaf als je zuvor und war auch weniger agil und belastbar als sonst. Eigentlich, dachte er, ist es unverantwortlich sie hier überhaupt hinab zu lassen. Die Kanalisation ist schon gefährlich, wenn man im Vollbesitz seiner Kräfte ist. Aber in dem Zustand ist sie hier unten gefundenes Fressen. Wie für die Ghule vorhin.
Behutsam, um sie nicht zu wecken, bettete er den Kopf der Erschöpften auf seinen Schoß. Er wog schwerer, als man annehmen mochte. Andächtig ließ er seine Finger vorsichtig durch ihre welligen Haare fahren, spielte mit den dunklen Strähnen. Es war gut, wenn sie ein wenig Ruhe bekam. Und auch, dass er dadurch welche bekam. Blinder Aktionismus mochte sein charakterliches Aushängeschild sein, aber nicht sein Wesen. Er machte sich schon seit einer Weile Gedanken darüber, was man tun konnte, um der satuarischen Tochter wieder auf die Beine zu helfen. Sie hatte vor Wochen erwähnt, dass die Geweihten der Göttin Peraine eine wundermächtige Liturgie bewahren sollten, deren einziger Sinn es war, einen Sikaryan-Vorrat wieder aufzufüllen. Nüchtern gesprochen. Tatsächlich mochte dieses Ritual ein wenig spiritueller sein, aber Phexdan gefiel das Bild des Geweihten, der Neferu aus einer Kanne befüllte, wie man das mit einem Humpen tat. Er hob gewitzt einen Mundwinkel. Mit wenigen bedachten Bewegungen bettete er ihren Kopf auf das alte Strohkissen und sank selber in die Waagerechte, legte seinen eigenen Körper schützend an sie und zog die staubige Decke bis zu ihren Schultern hoch.
Es war bis auf das Atmen beider vollkommen still, als er seinen sehnigen rechten Arm wie einen haltenden, wärmenden Schild um sie legte.
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Es mochte eine Stunde vergangen sein, als die südländische Schönheit verschlafen blinzelte. Feqzjian setzte den unschuldigsten Blick auf, zu dem er fähig war. Nur Sekunden vorher hatte er mit den Fingerkuppen von Mittel- und Zeigefinger immer wieder sanft gegen ihre Oberlippe getippt, um sie allmählich sachte zu wecken. Er wollte nicht länger allein mit seinen Gedanken sein. „Willkommen zurück, Mondschatten.“, wisperte er ihr mit einem leichten Lächeln in das nahe Ohr.
Er lag dicht und warm an sie geschmiegt, stützte seinen zerzausten Kopf in die Linke und betrachtete sie gedankenvoll. Drei Finger der rechten Hand inspizierten fasziniert langsam einen ihrer geschmückten schmalen Zöpfe. Rotglasierte Tonperlen und Spiralen aus Bronze waren dort eingeflochten.
Wie viele Monde waren vergangen, seit er das letzte Mal so nah bei ihr gewesen waren? Vier? Diese ganze Geschichte mit dem Blutegel in Lederhosen war so unnötig wie eine Furunkel am Zeh.
Er war noch immer zuversichtlich und vollkommen überzeugt davon, dass Neferu letzten Endes bei ihm sein würde und nicht bei dem eckzahnigen Anachronismus. Umso überflüssiger und vertaner war all die Zeit, die sie abgegrenzt von ihm mit besagtem Egel verbrachte.
Sie hatte sich im Schlaf zu ihm umgedreht. Ihre Stirn war an seine Brust geschmiegt, sie beide lagen auf der Seite.
Sie seufzte leise, wohlig. Die Erwachende wirkte entspannt und ausgeruht, was auch ihm weitere innere Ruhe verschaffte.
Er wusste, wie sehr sie hier in seiner Gegenwart, angelehnt an seinen Leib die Wärme tankte, die er ihr schenkte. Wie eine Eidechse, die verharrend die Sonnenstrahlen in sich auf nahm.
Wie sehr sie sie vermisste bei dem Immerkalten, dessen Leben schon vor Hunderten von Jahren geendet war und der längst vergessen hätte sein sollen, konnte er gut erahnen. Sie genoss das Leben, das sie bei ihm fand, da war er sich sicher, ebenso wie sehr er die Lebendigkeit in ihren grünen Augen liebte. Ein sichtbares Feuer, das ihm Erfüllung im Größeren Sinne verhieß. Leider brannte es seit dem Attentat des Vampirs nur noch schwach. Es glomm lediglich.
Unzufrieden durch diesen Gedanken, zerbiss er sich die winterlich spröden Lippen.
„Phexdan?“, kroch es bemüht ernsthaft aus der angenehm warmen Schlafstatt hervor. „…das eine war Efeu. Aber was war die andere Pflanze? Ich will es jetzt doch wissen, auch wenn es mir vorhin einerlei gewesen ist.“
Sie versuchte die sachliche Ernsthaftigkeit, die kollegiale Distanziertheit wieder aufzugreifen mit der sie neuerdings ihre Worte an ihn spickte, was nicht dazu passte, dass sie sich wie ein wärmebedürftiges Tierchen an ihn kuschelte.
Einen Augenblick stutzte er, um gleich danach amüsiert auf sie herab zu blicken. Die Frage hatte er nicht nur vorausgesehen, er hatte fest mit ihr gerechnet. Wenn auch nicht gerade hier und jetzt. Auch wenn sie sich selbst von ihrer Gleichgültigkeit zu überzeugen versuchte, bei ihm wirkte dieses Schauspiel nicht.
„Setz dich auf – ich zeig’s dir.“ flüsterte er in die Stille des Einsprengsels. Während Neferu sich aufrichtete, angelte er nach kurzem Gesuche ein kleines Buch aus seiner Tasche hervor. Es war schon älter und sichtbar abgegriffen, aber die Buchstaben auf seinem Einband waren gut lesbar. Manieren für Männer stand dort geschrieben. Vergnügt lachte seine innere Stimme zusammen mit der, die er stets dann hörte, wenn ihm eines seiner Kunststücke gelungen war, als er das Gesicht Neferus sah. Ihr war deutlich anzusehen, dass sie nicht erwartet hatte, er habe sein Buch hier, hatte sie es doch das letzte Mal gesehen, als sie es ihm bemüht desinteressiert auf sein Bett in der Natter geworfen hatte.
Mit einer Selbstverständlichkeit, die an Provokation grenzte, öffnete er den Buchdeckel und sah unnötigerweise in das Inhaltsverzeichnis, ehe er zu dem Abschnitt mit der Blumensprache blätterte. Das Kichern in seinem Geiste erfüllte ihn mit Frohsinn. Dajin VII., der scharfsinnige Affe, hatte es ihm kurz nach der Landung des Buches auf der Bettstatt, zugesteckt. Die Ausbildung des pelzigen Gauners kam wesentlich schneller voran, als er bekannte – und als er erwartet hatte. Bisweilen waren die Augen des Affen beängstigend klar. Und die Art auf die er selbst komplexere Anweisungen nicht nur verstand, sondern auch befolgte, beunruhigten den Geweihten mehr, als er zuzugeben bereit war. Aber seine Intuition sagte ihm, dass der Affe mehr Freund denn Feind war – und mehr konnte er nicht verlangen.
Mit einer lässigen Geste tippte er auf das Bild der fraglichen Pflanze. „Brunnenkresse. Es war Brunnenkresse.“, antwortete er auf ihre Frage nachdrücklich und zögerte nicht, ihr in die Augen zu sehen. „Es bedeutet, dass du mein künftiges Glück bestimmst.“ Er betonte die Worte so entschieden, dass kurz ein Schweigen in der Luft lag, ein Atemanhalten. Beide sahen sich mit ruhigen, fast ausdruckslosen Gesichtern an. Das eigentlich Wichtige fand im Inneren statt, während ihre Körper still verharrten, wie vergessene Puppen.
Dann umspielte ein fuchsartiges Lächeln seine Mundwinkel, als könnte er den Stillstand nicht länger aushalten, klappte das Buch wieder zu und ließ es in der Tasche verschwinden, als habe er es just für diese zwei Sätze aus dem Limbus herbei gezaubert. Er liebte es, die Fassade des Geheimnisvollen für sie aufrecht zu erhalten. Er garantierte sich selbst, dass das Obskure sie anzog, bis sie es entworren hatte.
Der erhoffte Begeisterungsausbruch auf die blumige Aussage blieb beklagenswerterweise aus. Stattdessen starrte Neferu einen Augenblick erst ihn, dann die Fuchsstatue gedankenversunken an. „Erinnerst du dich an die Zeit in Grangor…“, murmelte sie dann. „In der ich dir geradezu nachgelaufen bin? Ich habe in der ganzen Stadt nach dir gesucht. Ich bin in diese Gardistenschenke gegangen um deinen Freund Peffer aufzusuchen und ihn auszufragen. Ich war im Rahjatempel, denn es hieß, da würdest du schlafen. Ich lief die Brücken ab – besonders die eine auf der ich dich das erste Mal gesehen hatte -, Gassen und Straßen. Ich mischte mich fragend unter Grangors Bettler und Grangors Gaukler, in der Hoffnung, dich zu finden. Aber gefunden habe ich dich nie. Ich konnte damals nur warten, dass du irgendwann mich finden würdest.“
Die Worte Neferus stellten ihm die Nacken- und Armhaare auf. Nicht ihres Inhalts wegen, sondern ob ihres Tonfalls. Die sachliche Distanziertheit war aus ihrer Stimme verschwunden. Weder Trotz noch Wut waren herauszuhören. Nur erschöpfte Traurigkeit oder Resignation, er vermochte es nicht genau zu unterscheiden.
Sie atmete hörbar ein, sah ihn ruhevoll an, dann teilten sich ihre Lippen erneut.
„…und das ging nicht vorbei. Ich dachte früher, dass ich irgendwann bei dir ankommen würde, aber das bin ich nie. Auch all die Monate, mittlerweile Jahre, die wir beieinander waren und das Bett teilten in einer Häufigkeit, als würde Rahja uns dafür bezahlen.. hab ich dich nie ganz gefunden.“ Ein angestrengtes Durchatmen unterbrach sie selbst. „Oh Götter, wie ich hier philosophierend schwadroniere… Aber..“ Neferu gestikulierte mit ihren langen Fingern wortefindend, „ich weiß nicht, wie ich es ausdrücken soll, dass es nicht klingt, als wäre ich ein melancholischer Bänkelsänger vom Born.. Wir.. wir haben immer nur nebeneinander gelebt Phexdan, nie miteinander. Wir waren beieinander, aber nie zusammen. Ich war nie ein wirklicher Teil deines Lebens. Du hast mir nie wirklich vertraut.“ Diese Worte versetzten ihm einen Stich ins Herz. „Ich habe es wirklich versucht. Lange und immer wieder Phexdan, aber es soll einfach nicht sein. Du hast mich nie am deinem Innersten, deinen Wünschen und Zielen teilhaben lassen. Ich habe immer nur das Lächeln gesehen, das du nach außen trägst. Mir ist bewusst, dass es genau das ist, was Phex von uns erwartet. Und nach außen hin, für die Welt, ist es auch das Richtige. Aber es ist nicht das Richtige, was zwischen einem eingeschworenem …Paar sein sollte.“ Sie hatte wohl vorerst geendet. In der Dunkelheit in der nur eine Fackel tanzte, die im Rundschrein entzündet war, brachen sich schwarze Schatten in ihrem Gesicht. Ihre grünen Tulamidenaugen bohrten sich erwartend und ernst in seinen Blick, spiegelten verzerrt sein eigenes Gesicht.
Er atmete leise aus. „Ich bin dir seit Jahren auf dem Fuß gefolgt, Nef. Habe Grangor verlassen, den Tempel, den ich dort gebaut habe jemand anderem übergeben. Ich habe dich ständig gesucht – selbst als du eine Nacht vor unserer Hochzeit das Schiff bestiegen hast und geflohen bist. Ich habe mich sogar nach Greifenfurt hinein geschlichen. Glaubst du, dass tue ich für jeden? Für Menschen, denen ich nicht traue?“ Er schüttelte seinen Kopf, ehe er ihr noch einmal durch die Haare fuhr und seine Stirn an ihre legte. Einen Augenblick herrschte Stille. „Ich stehe dir vollkommen offen. Alles was ich bin und was ich denke. Frage und ich werde dir antworten. Ehrlich und ohne etwas zu verheimlichen.“
Sie neigte sich in seine Richtung, betrachtete ihn mehrere Augenblicke lang schweigend.
„Du bist auch hier in Gareth ständig fort in der Nacht. Wohin gehst du? Zu einem Freund, einer Frau oder in den Tempel? Begehst du einen Bruch ohne mich? Oder tust du ganz etwas anderes? Ich könnte es nicht sagen, denn ich habe das Gefühl, dass ich dich trotz aller körperlicher Nähe nie wirklich kennen gelernt habe, Phexdan.“
„Ich kann dir verraten, es ist wichtig.“ antwortete er ohne Zögern, „Wichtiger als eine Einbruchsplanung, wichtiger als der Raub der Kronjuwelen und wichtiger als jeder Betrug.“Er beugte sich verschwörerisch vor, um ihr den Eindruck zu vermitteln sie sei Teil seiner eingeschworenen Gemeinschaft. „Ich gehe in meinen Garten. Kaum mehr als ein kleines Stück Erde zwischen einer windschiefen Kate und der Stadtmauer – aber meiner. Nunja…jedenfalls bis ihn jemand anderes findet. Dort habe ich die Kresse und den Efeu gezogen.“ Er lächelte sachte, als ihn ehrlich überraschte Augen verwundert ansahen.
„Aber…wie wächst dort etwas? Es ist Winter und für die Blumen viel zu kalt.“, forderte ihre dunkle Stimme eine weitere Antwort ein. Er blies die Wangen ein wenig auf. Die Antwort würde ihr sicher nicht gefallen…