Gareth 20 (Neferu)

Kategorien: 1013 BFDer Puls der StadtFeqzjianGarethNeferuVoltan
Zeitraum: TSA 1013

Die Regentropfen klopften unablässig ans Fenster. Abertausende kleine nasse Fäuste, die Neferu aus dem Schlaf hämmerten.
Passend zum Wetter war heute Wassertag. Ein Tag, der einmal die Woche wiederkam, aber selten so treffend von Efferds Element derart durchdringend begleitet wurde.
Während Neferu und Phexdan beim Frühstück das Weidener Früchtebrot vertilgten, dass der Maraskaner am vorherigen Tag aufgetrieben hatte, fiel beiden Geweihten des listigen Fuchsgottes ins Auge wie derart besiegt der Affe Dajin VII durch den Raum schwankte. Von seiner pfiffigen Sprunghaftigkeit war nichts zu erkennen, er schlich mit auf dem Boden schleifenden Händen über die Dielen und kippte dann auf seine Stirn.
Wortlos, den Bissen im Mund vergessend, sahen sich die zwei Menschen, die zusammen die Wohnung im ersten Stock in Frau Ahlemeyers alter Sattlerei bewohnten, ratlos an.

Jemand hatte den Affen vergiftet! Oder besser: Betrunken gemacht. Neferu ärgerte die Erkenntnis tatsächlich, hätte das Tier doch sterben können. Phexdan kümmerte sich um das leidende Bündel, während sie selbst sich auf die Spuren machte, von denen sie hoffte, sie würden sie zum Verantwortlichen führen. Frau Ahlemeyer berichtete, dass der Hofhund mitten in der Nacht angeschlagen hatte. Dajin war lange unterwegs gewesen. Der Affe konnte die Fensterläden selbsttätig öffnen, was ihn zu einem nennenswert selbstständigen Geschöpf machte, mit all seinen Vor- und Nachteilen.
Sie fand draußen im Regen einen umgeworfenen Eimer und einige Kieselsteinchen, die auffallend nah beieinander lagen.
Sonst nichts weiter.
Hatte es tatsächlich Spuren gegeben, so hatte der Regen sie weggewaschen.

Sie schlug den Weg nach Tempelhöhe ein. Vielleicht konnte Lamiadon helfen. Als Elf und als Liebhaber von Rätseln hatte er eine ganz besondere Neigung, den Schuldigen zu finden, wenn ein Tier vergiftet worden war. So dachte Neferu zumindest. Andererseits war er, soweit ihre Kenntnis, schon eine ganze Weile in Gareth ansässig.
In der Smaragdnatter waren unangenehmerweise Pfeile des Lichts zugegen.
Magister Meinloh von Gareth höchstselbst, den sie einmal beiläufig im Magistrat gesehen hatte und neben ihm einen Mann, der so gar nicht zu der imposanten, weißbärtigen Gestalt des ältlichen Weißmagiers passte: Ein Mann mit langem blonden Haar und heiterem Gemüt, wie sein Lachen schnell verriet. Offenbar auch ein Magier.
Beide zogen Neferus unwillkürliche Aufmerksamkeit auf sich. In ihr keimte der Wunsch mit dem Feuer zu spielen…

Zur Mitte des Tages konnte sie eine erfolgreiche Zwischenbilanz ziehen:
– Dajin war kein Affe, sondern ein Tier namens ‚Maki‘.
– Lamiadon hatte doch tatsächlich Interesse an einem Kind, das ihm in der Schankstube helfen konnte!
– Die Schüler der Schwert&Stab-Akademie zu Gareth übten gerade den Klarum Purum. Ein dummer Junge namens Zordan hatte seine Kompetenzen überschritten und den Reversalis an Phexdans Haustier geübt – außerhalb des Schulgeländes! Das würde bestraft werden, hatte ihr sein Lehrmeister versprochen – Eulrich Durenald, der lebenslustige Albernier an Meinlohs Seite.
– Die Kinder des Waisenhauses brauchten Unterricht! Bei diesem Gedanken, der sich in kürzester Zeit massiv festigte, fühlte sie einen Ansatz, der ausnahmsweise kein Tropfen auf den heißen Stein war, sondern den Mädchen und Jungen der Lowanger-Greiber-Einrichtung möglicherweise wirklich weiterhalf. Sie fühlte sich berufen dazu, die zwölfgöttlichen Kirche an ihrer Ehre zu packen und sie zu einer Spende zu bewegen. Neferu legte sich zurecht, was sie sagen wollte.
Zuerst der Hesindetempel, dann der der lustvollen Rahja.
Die Hexe wusste, dass ihr das Talent eigen war, mit Worten umzugehen. Sie wollte diese Gabe nutzen, um eine Zukunft für ihre Schützlinge durch überzeugende Rede zu erstreiten.
Die Rechnung ergab, dass ein täglicher Unterricht (bis auf Praiostags, denn da sollte Zeit sein, in den Tempel zu gehen) in grundlegenen Dingen wie Schreiben, Lesen, Rechnen, Geschichte, Zwölfgötterlehre und Weltenkunde im Jahr 480 Dukaten verschlingen würde.
40 Silber im Monat. Es war ein Experiment. Sie hatte noch nicht gehört, dass so etwas je zuvor versucht worden war.

Eine Frau mit unordentlich hochgestecktem Haar, die nach Mohacca roch, bekam einen Bruchteil des Gesprächs von Neferu und der Hesindegeweihten mit und wie durch ein Wunder sagte diese Fremde, die sich als Gerhalla Isenbrook vorstellte, die Finanzierung zweier ganzer Monate zu. Neferu war irritiert, aber erfreut. Wer war die verbissen dreinschauende Mittvierzigerin, die scheinbar ihr privates Vermögen in dieses Unterfangen steckte?
Auch die Hesindekirche sagte einen Monat zu. Neferu schöpfte Hoffnung, dass ihr Plan aufgehen konnte, wenn sie hartnäckig blieb.
Auf dem Weg zum Rahjatempel erinnerte sie sich, was sie einst über den Tempelvorsteher gehört hatte: Ein Moha, der einen Ritter hatte hinrichten lassen, da er das Pferd seines Gegenübers getötet hatte. Ihr war nicht ganz wohl bei der Sache. Der Mann schien nicht von der zimperlichen Sorte, wenn es um seine Überzeugungen ging.
Es regnete noch immer – die Tropfen prasselten auf ihre Kapuze und perlten ihr von der Nase.
Der hochgewachsene Moha empfing sie in den weiten Hallen des rosafarbenen Tempels. Er war sehr ernst für einen Geweihten der berauschenden Rahja.
Er hörte sich ihr Anliegen an. Und er stimmte zu. Es wirkte fast, als sei es ihm ein persönliches Anliegen. Ihr war nicht entgangen, dass er einen Akzent hatte. Er war mit Sicherheit nicht in Gareth geboren worden… irgendwo in der Geschichte seines Lebens, schien dieser gestrenge Hochgeweihte eine Verbindung zu den verlorenen Seelen der Elendsviertel zu haben. Sie fragte nicht nach. Es ging sie nichts an. Aber es erfüllte sie mit Zuversicht.
Trotz des Wetters machte sie einen Umweg, um auf dem Al’Anfaner Markt ein Säckchen Marzipan, ein paar kandierte Aprikosen und einige Stücke Lakritze für Phexdan zu erstehen. Was versuchte sie da? Die Liebe des Leckermauls mit Süßigkeiten zu erkaufen? Und wenn schon – Liebe ging ja bekanntlich durch den Magen.
Sie packte die Zuckerspeisen in ihre Tasche und hielt auf Südquartier zu.

Bis zum Einbruch der Nacht gehörte sie dem Phextempel, erst danach würde Phexdan seine Naschereien erhalten.

~

Am 22. Tsa des Jahres 1013 nach Bosparans Fall wurde Nef durch lautes Klopfen geweckt. Zuerst war sie unsicher, ob sie das dringliche Geräusch geträumt hatte, aber dann wiederholte es sich. Sie setze sich auf, legte vorsichtig den Arm des anschmiegsamen Fuchses bei Seite.
Draußen war es dunkel und nebelig. Es war sicher noch vor der achten Stunde.
Wer wollte zu so früher Stunde etwas von ihr? Schlaftrunken kam sie aus dem Bett.
Frau Ahlemeyers Stimme durchdrang gehetzt die geschlossene Tür.
„Fräulein Banokborn? Fräulein Banokborn! Vor der Tür ist ein Gardist der Weststadt! Er will Euch dringend sprechen!“
Ein Gardist? Irritiert runzelte sie die Stirn und zog sich an. Und dann auch noch von der Weststadt…
„Ich komme nach unten!“ antwortete sie eilig.
Frau Ahlemeyers Schritte entfernten sich ungewöhnlich schnell, während sie sich für praktische Kleidung entschied, den gefütterten Umhang überwarf und nach unten folgte.

Die Vermieterin hielt eine Henkelkerze in der Hand und stand ungeduldig unten an der offenen Tür. Der kalte Wind erfüllte einnehmend den ganzen Flur. Es musste wirklich noch früh sein.
Neferu fasste den unbekannten Wachmann ins Auge, der uniformiert und aufrecht im diesigen frühmorgendlichen Dunst stand.
Sie trat an die Tür.
„Ich bin Neferu Banokborn. Gibt es ein Problem?“
„In der Tat, Fräulein. Ihr seid die Besitzerin eines Grundstücks in der Weststadt auf dem gerade gebaut wird, richtig?“
Ihr wurde unwohl. „Das ist richtig… Was ist damit?“
„Es wurde heute früh zur sechsten Stunde im bereits fertiggestellten Keller eine Leiche entdeckt. Würdet Ihr mich bitte begleiten?“