Gareth 19 (Neferu)

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Zeitraum: TSA 1013

Gefährlich ist es, im Nebel zu wandern.
Ja. Nein.

Die Kraft des Phexhandschuhs aus der Brache vermochte es zu helfen, Backsteine zu entdecken, die unter den unzähligen Weiteren der gemauerten Kanalisation besonders waren.
Denn dahin hatte der geheime Gang sie geführt: Nach unten. In die düsterfeuchten Wurmlöcher, die seit Jahrhunderten unter der Stadt lagen und von jedem Menschen mit Verstand gemieden wurden.
Sie war schon einmal hier gewesen, es war nicht einmal lange her. Das Gewirr von Gängen war ein Irrgarten und ein gefährlicher dazu, konnte man doch nie sagen, was sich hier unten eingenistet hatte und nur darauf wartete, gesundes Frischfleisch zwischen die Kiefer zu bekommen. Sie dachte an die Ghoule und fröstelte. Und ebenso versuchte sie die Gedanken an all die trippelnden, fiepsenden Ratten zu verdrängen.
Die Mauersteine, die auf den Handschuh reagierten, ließen sich aus dem Verbund der Wand lösen. Auf ihren Rückseiten, waren Worte graviert.
Ja, ist es. Gefährlich im Nebel zu wandern. Antwortete Neferu in Gedanken und ging in die Richtung auf der das ‚Ja‘ verzeichnet war.
Nebel konnte Schutz bedeuten, aber nur der Närrische würde die mögliche Gefahr ignorieren. Ähnlich war es hier unten, in den Gedärmen alter Zeit.
Leise bewegte sie sich vorwärts, immer voran.

Phex hilft dem, der sich selbst hilft.
Ja. Nein.

Eindeutig ja. Sie folgte auch dieser Richtung und leise drangen raue Männerstimmen an ihr Ohr.
Vorsichtig schlich sie in der Dunkelheit des Garether Untergrundes voran. Sie wollte lieber langsam sein, als irgendwelchen Halsabschneidern hier unten in die Finger zu geraten.
Der Zauber der Katzenaugen ließ sie einigermaßen sehen. Tunnel um Tunnel, alle sahen sich so ähnlich. Ihre Orientierung waren nur die Angaben auf den Steinen.

Bei einer falschen Antwort lauert der Tod.
Ja. Nein.

Ja. Sie war sich ziemlich sicher, dass das hier kein Spiel war. Ein Wartungstunnel verband zwei Abschnitte. Die Stimmen wurden lauter. Der Hall der Wände ließ sie näher erscheinen, als sie waren. Vorsichtig spähte Nef um die Ecke und fand drei Männer, die auf einem notdürftig errichtetem Lager ausharrten, auf etwas zu warten schienen. Wie sie aussahen, ungepflegt und abgerissen, gehörten sie sicher nicht zur Alten Gilde. Sie machten zotige Witze, lachten dumpf, aber leise.
Neferu wollte die Kerle nicht verletzen. Aber sie mussten gehen, denn sie saßen mitten in ihrem Weg. Die Hexe riss sich ein Haar aus, band eine Schlaufe und warf den Knoten in einer bedachten Bewegung in die Richtung der Gestalten. Konzentriert separierte sie das Gefühl von Macht, dem Verbreiten von Schrecken und dem Genuss, wenn andere vor einem schreiend flohen. Ihre Gedanken formten das Bild einer Mauer, ließen gepeinigte Seelen schreien, Arme aus Blut und Feuer ausstrecken und den Geruch von Schwefel und Rauch verbreiten.
Die drei Schmuggler sahen die dämonische Wand und suchten ihr Heil in der Flucht. Abergläubisch fluchend stieben sie davon und ließen Decken, einen alten Rucksack und einige leere Flaschen Alkohol zurück.
Die Lauernde im Schatten atmete sachte durch und beglückwünschte sich zum Aberglauben des einfachen Volkes, der ihr selbst normalerweise negativ entgegen schlug, wenn sie sich als das offenbarte, was sie war: Eine Tochter Satuarias. Aus dem Geschäft der drei würde heute wohl nichts mehr werden. Trotzdem musste sie achtsam bleiben.

Es roch muffig und feucht da unten. Irgendwie nach Pilzen. Vom Lärm der Metropole hoch über ihr war nichts zu bemerken.
Sie betete inständig, keinem Ghoul zu begegnen. Oder zumindest nicht die Besinnung zu verlieren, wie das letzte Mal. Dieses Mal war sie allein. Es war kein Phexdan da, der ihr den Arsch retten konnte. Sie hatte dieses drängende, ehrgeizige Gefühl, dass das hier unten ihre Prüfung war und niemandes sonst. Die vormalige Schnitzeljagd hatte sich als etwas viel größeres entpuppt, das konnte sie spüren. Es war ein Test. Und am Ende stand alles oder nichts. Ihre Nackenhaare stellten sich auf, ihre Sinne blickten scharf in die Gänge, in das Labyrinth Unter-Gareths.

Der Kerker der Stadt ist ausbruchssicher.
Ja. Nein.

stand auf der Rückseite des nächsten Steins geschrieben. „Nein.. sicher nicht..“ flüsterte sie leise in die kühle Luft.
Kaum, dass sie die Kurve genommen hatte, stach ein Schimmer in ihre empfindlichen Augen. Sie bemerkte, wie sich die schmalen Pupillen der Katzenaugen verengten.
Was war das?
Da, am Ende des Ganges leuchtete es Rot. Alles war bedeckt von rotem Moos.
Feuermoos… Sie hatte davon gehört. Von Phygius. Das Zeug war schlimmer als klassische Säure. Es fraß alles Organische. Metall, Stein oder Glas waren vor ihm sicher. Sollte ihr Weg hier zu Ende sein? Das Moos bedeckte den Boden sicher ganze fünfzig Schritt weit, sie konnte kaum das Ende dieser flammenfarbenen Flechte sehen.
Die Tunneldecke allerdings war frei davon. Es hatte sich nur auf dem Boden und an Teilen der Wände ausgebreitet. Sie drückte die Lippen aufeinander, dachte nach.
Und dann hatte sie es! Sie kehrte hastig um, nahm den direkten Weg zurück zu dem dürftigen Lager der immer noch absenten Schmuggler. Sie nahm die zwei leere Flaschen mit.
Auf ihrem Weg sammelte sie vier Backsteine ein, die nicht mehr ganz waren und irgendwann aus den alten Wänden gebrochen waren.
Das war halsbrecherisch. Mal wieder.
Ihre behandschuhten Finger griffen einmal beherzt in ihre Faust. Dann ließ sie es darauf ankommen.
Immer zwei Steine als Trittfläche legte sie vorsichtig auf das Feuermoos. Einen dritten, um den unsicheren Pfad über das Feuer mit ihm fortzuführen. Und einen letzten als Ersatz. Sie ließ ihren Umhang und das meiste Zeug in ihrem Rucksack zurück. Sie wollte nicht fallen. Sie wollte nicht im Moos zu einem Häufchen Nichts vergehen.
Die Flaschen nutzte sie als Stütze links und rechts. Sie flüsterte leise ein Stoßgebet, bat um Glück.
Auf diese Weise quälte sie sich in einer schier unendlichen Zeit über das tödliche Gewächs, das sie in Augenblicken vollständig aufzulösen vermochte.
Der Schweiß stand auf ihrem roten Gesicht. Nicht nur ein Krampf plagte sie. Aber etwas trieb sie an. Zuerst die Neugier und die Gewissheit, dass da am Ende etwas war, das es wert sein würde. Und als sie auf der Mitte war, trieb sie der Willen zu überleben an.
Und dann.. endlich.. hatte sie es geschafft.
Sie fiel keuchend auf den feuchten Kanalisationsboden und wollte den nackten Stein küssen – was sie dann doch besser unterließ. Sie blieb eine gefühlte Stunde liegen, massierte ihre gepeinigten Beine und Arme, ehe ihre angestrengte Muskulatur sich bereit erklärte, sie weiter voran zu tragen. Nur voran..

~

Haarscharf war die Moosakrobatik gewesen. Wie hätte das ausgehen können… Sie wischte den Gedanken fort.
Ein fünfter Stein wartete an einem Gitter in der Mauer auf sie.

Glaubst du, dass es den Mond gibt?
Ja. Nein.

Natürlich gab es ihn. Sie folgte der linken Abzweigung. Eine steinerne Wendeltreppe führte so tief herunter, dass man ihr Ende nicht sehen konnte.
Sie wusste nicht viel, aber dass es den Mond tatsächlich gab, den obersten Erleuchteten der Phexkirche, das zweifelte sie niemals an.
Mit jedem Schritt nach unten wurde es wärmer. Ging sie ins Innere von Sumus Leib? Warum hörte die Treppe nicht auf? Da waren nur ihre Schritte und dann und wann ein Tropfen.
Das seltsame Gemisch an Gefühlen in ihr wallte auf: Hochstimmung und bedrückende Mulmigkeit.
Der Steinzylinder in dem sie sich in die Tiefen schraubte, gab ein weiteres Geräusch preis von dem er irgendwann gänzlich erfüllt war: ein Rauschen. Zuerst war es leise, doch irgendwann, denn ihre Schritte wurden nicht zaghafter, schwoll das Rauschen zu einem regelrechten Getöse an.
Sie betrat den Boden des Zylinders. Ein Gang lag offen vor ihr. Laut brach sich das Geräusch wütenden Wassers tausendfach an gemauerten Wänden.
Neferu trat langsam durch den Durchgang.
Sie kam in einen zweiten Zylinder, in dem es ohrenbetäubend laut war. Und vor allen Dingen war es eine Sackgasse. Ein frei hängender Steg ragte ziegelgemauert über einem Abgrund, einem tosenden Strudel! Und an dem Steg wuchs rotglimmend Feuermoos, nur in der Mitte einen schmalen Grat frei lassend.
Die Geweihte wagte sich wenige Schritte vor, spähte dank ihrer magischen Augen und mittels eines spiegelnden Dolches hinab auf den wirbelnden Strom.
Dort unten schwamm etwas.. Ein großer dunkler Körper kämpfte auf der Stelle, immer gegen die mächtigen Wasser an.
Sie biss die Kiefer zusammen, dass es knirschte. Ein Dämon? War das da unten ein Dämon? Die Kreatur musste monströs groß sein…
Gut, dass sie Erpelgriebs Rädchen dabei hatte. Doch das Windrad blieb still. War es doch keine niederhöllische Kreatur oder funktionierte das alberne Spielzeug schlichtweg nicht..? Hatte Erpelgrieb sie übers Ohr gehauen?
Neferu fühlte sich ratlos. Was sollte sie hier? Was erwartete das Rätsel von ihr? Sie musste irgendeine zündende Idee haben.
Weiter ging es auf keinen Fall, da war sie sich sicher, nachdem sie sich noch einmal gründlich umgesehen hatte.
Da waren nur der Steg und der Strudel…
Da fiel ihr auf, dass ganz am Ende des Steges ein Backstein lag.
Vorsichtig, nach ein paar Wimpernschlägen des Zauderns, näherte sie sich dem gefahrvollen Feuermoos und angelte den Quader mit einer erloschenen Fackel zu sich heran.
Auf seiner Rückseite stand in deutlicher Gravur:

Du denkst, alles ist sinnlos? Geh zurück, sei fleißig, demütig, ängstlich. Du glaubst, alles ist voller Sinn? Stürz dich mit einem Salto vom Feuersteg.
Sie starrte den Stein an.
Es verschlug ihr einen Moment lang gänzlich den Atem.
Fleißig, demütig, ängstlich.. klang es in ihrem Innern wider.
Die Kreatur dort unten schwamm noch immer in einer ewiglichen Aufgabe gegen die Flussrichtung.
Sie haderte mit sich. Sterben wollte sie nicht. Was war, wenn das alles nur eine Finte war?
Aber.. was war, wenn es das nicht war…?
Fühlte es sich wie eine bösartige Falle an?
Nein. Sie hatte das Gefühl, vor etwas ganz Großem zu stehen. Vor der größten Sache ihres bisherigen Lebens.
Phex, was auch immer ich finden werde… Ich werde es dir schenken. Alles davon soll dein sein!
Sie trat zurück, nahm Anlauf … und sprang.

~

Das Rauschen war fort. Da war nur Stille, so dass ihr eigenes Atmen, das glücklicherweise noch immer intakt war, das einzige war, das sie hören konnte.
Dann sprach wie aus dem Nichts heraus eine Stimme zu ihr. Sie wagte die Augen zu öffnen und blickte in eine Höhle gigantischen Ausmaßes. Tropfsteine ragten von der entfernten Decke herab und alles war in ein bläuliches Licht getaucht, das von einer felsigen Empore aus zu scheinen schien.
Wenige Schritt von ihr entfernt stand ein Mann in grauer Robe.
Und überall – auf jedem Flecken des Bodens – befanden sich Hügel und Berge aus Schätzen, Kostbarkeiten! Ein Meer aus Dukaten, Reichtümern und Artefakten.
Sie vergaß das Atmen, während der Graue sie begrüßte.
Er warf die Kapuze zurück. Es war ihr Vogtvikar, der Leiter des Tempels der Schatten. Jereminas Torfstecher.
Lebte sie noch? Sie musste – denn Torfstecher war nicht tot. Auch wenn sie sich so bisher die ewigen Hallen Phexens hätte vorstellen können.
„Wo bin ich?“ war das erste, was ihr einfiel.
„Das hier ist Phexens Silberhort. Und du bist jetzt sein Hüter.“

„Silberhort?“ Es versagte ihr die Sprache.
„Der Großteil aller Opfer an Phex aller Zeiten landete und landet hier – ohne unser Zutun. Es geschieht einfach. Phex selbst tut sein Werk.“
„Was? Hüter?“ Sie war schon einmal ein besserer Gesprächspartner gewesen.
Irgendwo klimperten Dukaten. Ein neuer Gegenstand tauchte auf. Ein kürzlich gespendetes Opfer an den Herrn des Nebels kullerte von einem Geldberg hinab, bis es seinen Platz fand zum Liegen zu kommen.
Staunend wie ein Kind starrte sie die fremde Umgebung an.
„Er hat dich für würdig befunden. „Torfstecher schmunzelte. „Die drei Vogtvikare Gareths gelangen immer hier her. Hüter gibt es nur einen. Du hast ein Jahr Zeit, ein neues Rätsel zu gestalten. Das letzte Mal hat es vier Jahre gedauert, bis das aktuelle Rätsel nun von dir aufgelöst wurde. Ich hatte die Vision, dass du kommen würdest, deshalb bin ich hier.“
„Vier Jahre!“ Noch immer ließ die Faszination und der Schrecken, mit dem Leben davongekommen zu sein nicht nach. „Wer.. war es vor mir? Wer war der Hüter?“
„Talimee Nebelstern war deine Vorgängerin.“
Langsam kam Neferu auf die Beine. Alles klimperte und klirrte, Münzen rollten.
„Es ist dir gestattet, etwas zu nehmen.“ Mit einer anbietenden Geste deutete er auf all den Reichtum, „Nimm dir, was du willst…“ Die letzten Worte waren mahnend. Gier war alles andere als eine Tugend und nichts, was Phex schätzte.
„Und du kannst einen Gast herbringen, der sich genau einen Gegenstand aussuchen darf. Nur einen einzigen. Der Gegenstand wird ihn erkennen, nicht anders herum.“
Neferu nickte stumm, die Flut von Informationen und der Anblick edelster Gegenstände ließ sie glauben, zu träumen. Glücklicherweise war sie nie goldgierig gewesen.
„Und..“ setzte der Vogtvikar an, „Der Mond soll ab und zu hier herkommen, Sprich ihn nicht an! Das bringt Unglück.“
„Wie.. werde ich ihn erkennen?“
„Du wirst ihn erkennen.“
Ich habe Phex seinen eigenen Hort geopfert… kam es ihr in den Sinn. Sie schmunzelte, als sie an ihr Versprechen kurz vor dem Sprung dachte.
Und dann sprach sie es aus: „Ich habe Phex versprochen, was auch immer ich finden würde. Ich kann nichts nehmen.“
„Sei nicht albern, Bescheidenheit ist keine Tugend. Du hast es dir verdient. Du hast Phex seinen Hort geschenkt – ich habe es wohl gesehen: Als du ankamst, verschwand alles für einen Augenblick und war dann wieder da. Und jetzt legt der Graue dir seinen Hort offen. Er belohnt dich.“
Jereminas wandte sich um. Dann zeigte er ihr den Ausgang und beschrieb ihr die Möglichkeit zurück in diese heiligen Grotten kehren zu können.

Nachdem sie mehrere Stunden in dem Hort geruht hatte – tatsächlich wäre sie fast eingeschlafen, der Ort hatte trotz seiner Imposantheit etwas Friedliches – sah sie sich genauer um. Sie ließ Geld zwischen ihren Fingern hindurchrinnen, beguckte sich schöne Kannen und prachtvolle Gemälde. Sie zog Ringe auf die Finger, nur um sie wieder abzulegen. Es war schöner das alles zu bestaunen, anstatt es zu besitzen. Sie fand einen wunderschönen Dolch für Salpico, einen reichbestickten aranischen Teppich und eine Karte, die in einer feingearbeiteten Hülle aus Bosparanienholz steckte für Phexdan, einen Doppelkhunchomer in reicher Scheide, voll von Rubinen und Diamanten für Zerwas.
Das waren ihre Geschenke an die Menschen, die sie liebte.
Sie selbst nahm zwei Bücher und eine Erinnerungskette an sich. Erinnerungsstücke hatten ihr schon immer gut getan. Die Kette sah aus wie eine Phiole an einem Silbergeschmeide, mit eingefassten roten Steinen.
Am Ende zog sie am Seil und stand wie durch Zauberhand mitten in der Nacht im Theater ‚Fuchsbau‘..

~

Am nächsten Morgen war das Wetter schön. Wenige Wolken bedeckten einen klaren Frühlingsmorgen. Mit voranschreitendem Tsa kam der Geruch von Blüten und von frischem Wind.
Es war der Beginn des elften Tsa im Jahre 1013 nach Bosparans Fall.
Und es war der Tag an dem Muamer ibn Hakim, den zu dieser Zeit jeder nur als Zerwas kannte, nach Khunchom ging, in die Stadt, in der seine Ahnen gelebt hatten. Mit dem Doppelkhunchomer, dem letzten Geschenk auf seinem Rücken, verließ er Gareth.
Neferu wusste, sie konnte ihm schreiben, auch wenn Boten teuer waren. Sie wusste, er war nicht ganz aus der Welt.
Sie tröstete sich, dass das nicht das letzte Kapitel ihrer gemeinsamen Zeit sein musste, hatten sie beide doch die Ewigkeit vor sich.
Er hatte ihr zum Abschied gesagt, er wolle ihre letzte Liebe sein.
Ob er sich mit diesem Gedanken selbst Trost schenkte oder ob er es wahrhaftig so meinte, war einerlei. Der Geschmack auf ihrer Zunge war durch diese Worte weniger bitter gewesen, verhießen sie doch, dass es in dieser Sache kein endgültiges Ende gab. Neferu war nicht gut dabei, wenn sie mit endgültigen Enden zu tun hatte. Sie hatte hart mit Abschlüssen zu kämpfen.

Die Phex-Hexe ließ sich durch den Trubel der Stadt treiben, ihren Gedanken nachhängend. Elster war bei ihr. Die junge Stute liebte lange Spaziergänge. Irgendwann waren sie beide noch hinter Rosskuppel auf der Reichsstraße. Gareth und seine ländlichen Vorstädte verblassten in der Entfernung.
Das dunkle Haar wurde von der Frühjahrsbrise verweht und sie ließ sich auf einem Meilenstein nieder, während Elster den Hals bog und das frische, kurze Tsagras zupfte.
Und wie sie da saß fing Neferu an zu weinen, bis ihr Gesicht ganz entstellt, rot und unansehnlich war. Es war befreiend, so weit weg zu sein und einfach die Schleusen zu öffnen.
Sie hockte da eine ganze Weile, Elster kümmerte es nicht, solange sie etwas zu fressen in Aussicht hatte. Den Mittag musste der Tag schon passiert haben, als ein älterer Reisender das Wort an sie richtete. Der Mann war Zyklopäer. Er hieß Mermydion Phyrikos und er entschied zuzuhören. Er war ein guter Mann, stets bemüht, das richtige zu tun und eine helfende Hand zu reichen, wenn er es als notwendig erachtete. Ein freundlicher Ausländer, der nach Wallgraben wollte. Neferu hatte keine Ahnung, wer er war. Aber sie erzählte ihm tränenblind von dem Menschen, der gegangen war und den sie lange Zeit geliebt hatte, aber dann irgendwann nicht mehr.
Irgendwann hatte sie sich soweit gefasst, dass sie ihm den Rennweg zeigte, denn der war sein eigentliches Ziel. Sie verabschiedeten sich und Neferu wusste, dass sie den Fremden wohl nie wieder sehen würde.
Irgendein Fremder…
Auch Zerwas war einst irgendein Fremder gewesen. Und vielleicht würde er es wieder werden. Aber vielleicht auch nicht.
Mit stumpfem Gefühl im Bauch, trottete sie verhangenen Blickes an der Seite der gutgelaunten Elster zu Ahlemeyer. Sie würde von nun an dort wohnen.
Phexdan erwartete sie.
Er schloss sie in die Arme, drückte sie wohlmeinend und gab ihr Wein zu trinken – Aquenauer Südhang… Wie passend das war.
„Du hast Kummer. Lass uns trinken!“ Er lächelte aufmunternd und sie hielt seinen Rat für durchaus befolgenswert. Gemeinsam mit Salpico soffen sie die halbe Nacht und scherten sich nicht um den Kater, der am nächsten Morgen unvermeidbar auf sie lauern würde.

~

Nach den ersten Tagen Herumliegen und die Decke anstarren entschloss Neferu, dass sie vom Nachdenken keine neuen Geistesblitze erringen würde.
Es war seltsam, dass Zerwas gegangen war. Noch seltsamer war, dass er ihr nicht fehlte. Es war vielmehr so, als sei die Wunde, die sein vermeintlicher Tod in Greifenfurt gerissen hatte, endlich verschlossen worden war. Sie hatte auf einem guten Weg abschließen können. Ohne Gewalt und Zwiespalt. Ohne Hinterhalt.
Phexdan und Neferu mieteten die Wohnung des ersten Stocks bei Ahlemeyer. Ein Versorgen von Elster war im Preis inbegriffen, der Stallmeister von gegenüber spielte bei der Vereinbarung mit. Die sechzehn Dukaten im Monat hatten es in sich, aber gemeinsam würden sie die Summe stemmen können.
Sie wollte sich nicht in eine Beziehung mit Phexdan stürzen. Und sie spürte, dass er das genau sowenig im Sinn hatte. Sie wollte nur die Nähe ihres Vertrauten. Und sie wollte ihm Nähe schenken. Nicht zwingend körperliche Nähe, auch wenn das Füchschen des Nachts tat, was es mit am Besten konnte: Sich anschmiegen, trotz dem er jede leidenschaftliche Regung vermissen ließ.
Sie wollte versuchen, mit ihm zusammen zu wachsen, wie Geschwister im Geiste.
Ihre Liebe für Phexdan hatte bis jetzt alles überstanden. Und sie war noch da.
Sie musste ihn nur ansehen und wusste, dass dieser wirre Maraskaner ihr das Liebste auf der Welt war.
Phexdan war ihr Halt – damals wie heute. Gut gelaunt und lächelnd. Auch wenn sie nie ganz bei ihm ankam, wenn er Geheimnisse hatte und dazu neigte, Chaos statt Ruhe zu stiften, so fühlte sie sich in seiner Gegenwart lebendig.
Die folgende Woche übten sie nach Einbruch der Dämmerung stets gemeinsam das Klettern in Tuchrüstung und bespitzelten TeGuden. Zwar hatte Neferu vor, sich mit dem Errichten des Dachstuhls Zeit zu lassen, aber es war nie zu früh, mit den Vorbereitungen zu beginnen. TeGuden verdiente gut. Er hatte ein Haus in Heldenberg, in der Windmühlenstraße. Ein altes Gebäude im bosparanischen Stil. Er kam regelmäßig nach Hause und hatte keine direkten Nachbarn. Soweit, so gut.
Phexdan probierte die Karte aus, die Neferu ihm aus dem Silberhort mitgebracht hatte – mit dem Ergebnis, dass sie magisch war. Sie zeigte einem einen bestimmten Ort oder den Aufenthalt einer Person, wenn man nur danach fragte. Es funktionierte nur mit einer Suche innerhalb Gareths, aber schon das war Gold wert. Nur schien der Geist in der Karte außerordentlich eigensinnig und widerspenstig zu sein, so dass sie wohl letztlich nicht mehr als eine Spielerei war, denn man konnte davon ausgehen, dass das Artefakt streikte, wenn man es wirklich dringend brauchte. Sie spielten mit dem aufsässigen Geist, fragten nach allem, was ihnen einfiel.
„Wo ist Phexdan?“ fragte Neferu zuletzt, die direkt neben ihm lag.
„Wollt ihr mich verarschen, ihr dummen Bälger?“ schrieb die Karte beschimpfend mit dem magischen Sand, der ihr Mittel der Kommunikation war.
Beide Menschen sahen sich an und mussten ehrlich und unwillkürlich lachen.

~

Auch Tage nach Zerwas‘ Fortgehen hatte Phexdan sie nicht angerührt. Ein Teil von ihr verstand ihn. Er brauchte Zeit. Nach allem, was geschehen war. Sie hatten einen Totgeglaubten erhoben und trotz dem er ein Paladin Borons geworden war, blieb er ein Vampir. Ein anderer Teil vermisste Körperlichkeit. Sie dachte wehmütig an die alte Zeit, als sie Phexdan von sich werfen musste, um zu Atem zu kommen. Sie hatte weder von Zerwas, noch von Phexdan aus Begehren gespürt. Keiner hatte sich mit ihr vereint oder es nur darauf ankommen lassen. Sie schämte sich, dass ihr das Gefühl fehlte, sich jemandem ganz hinzugeben und jemanden so zu erleben, wie im innigsten Moment. Sie musste diese lästigen emotionalen Fesseln abwerfen, die ihren Verstand ständig mit Gefühlsduselei und dem Bedürfnis nach Tuchfühlung blockierten.
Sie musste sich auf etwas Greifbares konzentrieren: Ihren eigenen Aufstieg in Gareth.
Mit all ihren Referenzen ging sie zum Magistrat und meldete, ihre Heldenurkunde in Empfang nehmen zu wollen. Es hatte sie gegeben, nach dem Sieg über die Orks, nach dem was sie, Garion, Richard und Tarambosch in Greifenfurt geleistet hatten. Ihr Anliegen würde bearbeitet werden, wurde ihr zugesichert. Sie hasste Ämter.
Im Magistrat begegnete ihr ein schielendes blondes Mädchen. Was für eine merkwürdige Erscheinung sie war – so verloren… Ihre leicht abstehenden Ohren rundeten das Bild ab.
Sie war ganz offensichtlich fremd in der Stadt und wirkte so weltfern und fehl am Platz, dass Nef sich gezwungen sah, sich ihrer anzunehmen.
Die Kleine war eine Schwarzmagierin aus Mirham. Sie sah gar nicht wie eine der dunklen Gilde aus. Neferu musste unwillkürlich über das naive Ding lächeln und gleichzeitig empfand sie den Ansatz von fürsorglicher Zärtlichkeit in der Brust. Sie wollte ihr eine Freundin und eine Anleitung sein.
„Komm mit, ich kenne da eine gute Frau, die Zimmer vermietet…“ Sie nahm den Blondschopf mit zu Ahlemeyer.

Der Tsa wollte nicht vergehen. Jeder Tag war gespickt mit Aufgaben: Dem Rekrutieren von Spitzeln in Eschenrod, dem Einholen von Kostenvoranschlägen für ihre Hauseinrichtung, dem Waschen lassen von Theobaldus (dem Propheten vom Scherbenmarkt), dem mildtätigen Annehmen einiger Bedürftiger (und dem Wissen, daraufhin einen gut zu haben), Gängen zu Ämtern und dem ersten Dienst an die Spießbürger. Die Patrouille in Heldenberg war nicht nur ein Abarbeiten ihrer bürgerlichen Pflichten gegenüber der Stadt, sondern auch eine Möglichkeit, die Villa von TeGuden im Auge zu behalten.
Auch bemühte sich die Hexe, die Kinder im Waisenhaus zu besuchen, herauszufinden, wo die Talente und Neigungen der Kleinen lagen. Sie sah auch bei denen vorbei, die bereits raus waren, aus der dreißigköpfigen Schar von Halbwüchsigen, die eine Anstellung gefunden hatten. Es sollte ihnen gut ergehen, dafür wollte Neferu Sorge tragen. Besser als ihr selbst in früherer Zeit und besser als sie es bisher gehabt hatten. Und irgendwann würden die Waisen es ihr zurückzahlen, sich an sie erinnern und ihr einen Gefallen tun. Sie war trotz allem eine Phexgeweihte.

Isabella Hafergarb, die blonde Magierin, die Nef im Magistrat getroffen hatte, mietete sich ebenfalls bei Ahlemeyer ein, direkt neben dem Zimmer von Salpico.
Sie war in der Lage Kleidung mittels ihrer Kräfte umzunähen, was Nef staunend zur Kenntnis genommen hatte. Und sie führte Selbstgespräche, was immer wieder irritierte.
Alles in allem schien sie ein unsicheres Mädchen zu sein, die aus unerfindlichen Gründen ihre Eltern mied, die ebenfalls in Gareth lebten.

Phexdan war mit seinen eigenen Dingen beschäftigt. Er knüpfte Kontakte zur Alten Gilde und dressierte den Affen. Auch sein Garten bekam eine gute Portion seiner Aufmerksamkeit. Mal war er da, mal nicht. Er tauchte erneut ab in seine eigene Welt.
Neferu versuchte sich nicht mit ihren Gedanken zu beschäftigen. Wenn sie das tat, bekam sie einen Spiegel ihrer eigenen Fehler vorgehalten. Sie hatte keine Lust darauf. Also vermied sie, sich daran zu erinnern, dass ihr der anhängliche, temperamentvolle Phexdan aus Grangor fehlte.
Und dann… eines morgens schien es soweit zu sein, dass etwas von ihm zurückkehren wollte. Klamm und kalt lag Gareth draußen vor dem beschlagenen Fenster. Phexdan herzte sie wie seit Monaten nicht und endlich waren die Küsse wieder da, die sie so erbeben ließen. Fordernde Küsse…
Vielleicht wäre es weiter gegangen, hätte Ahlemeyer nicht geklopft. Ein Bote war gekommen. Mit ihrer Heldenurkunde. Sie musste zahlen, aber wen scherte die Dukate.
Endlich! Sie hielt die Reputation in den Händen und war seltsam stolz auf sich. Sie hatte etwas erreicht. Sie war ein Kriegsheld! Ehrlich zufrieden zeigte sie Phexdan die Auszeichnung.
Guter Laune backte sie an diesem Morgen mit Phexdan in Ahlemeyers Küche Kekse.
Sie wollte sie an die Wachen des Puniner Tors verteilen, um ein Stein im Brett zu haben, wenn es darauf ankam.
Die Wächter sahen furchtbar übernächtigt aus. Die Frage, ob sie nicht genug Schlaf bekämen, begründeten sie mit ihrem Weibel. Die Kekse nahmen sie gerne.

Phexdan und Neferu schlenderten Hand in Hand durch Eschenrod. Wie immer sammelten sich Pilger vor den Toren des jähzornigen Thorn Aisingers, der für heilig gehalten wurde. Man munkelte, Zyklopen hätten ihn ausgebildet und seine Waffen seien besser als die von vielen Ingerimm-Geweihten.
Sie wanderten beschwingt zum Tempel der Schatten, sahen sich an, lächelten. Die Morgensonne erhellte die Gesichter der Menschen.
Die Karren standen den halben Eslamsweg entlang. Es herrschte ein Gedränge, wie es das nur in Gareth gab. Wären sie Taschendiebe auf der Pirsch gewesen, sicher hätten sie reiche Beute gemacht!
Sie stiegen den Geheimgang in den Tempel hinab, die grauen Seidentücher überall im Raum vermittelten den Eindruck von Rauch oder Nebel.
Die Phexgeweihten schritten über das altbekannte Garradanbrett auf dem Fußboden: Weiße und schwarze Kacheln. Und jede gab ein anderes Geräusch von sich. Ein Lachen, ein Würfeln, ein Klopfzeichen, ein Schlossklicken.. Sie opferten im Schrein vor der Holzstatue und erhielten den hellverwaschenen Kiesel, den Phex jedem schenkte, der ihm eine Gabe darbrachte.
Anschließend trennten sich die Wege des Maraskaners und der Tulamidin. Ein bisschen traurig sah sie ihm nach – wie er das Ende des herrlichen Morgens einleitete. Wie er wieder auf seine eigene, geheime Mission ging, wie eine Katze, die ihre geheimen Schleichwege mit niemandem teilen wollte.
Sie selbst blieb noch im Tempel. Sie wechselte ein paar Worte mit Torfstecher und sann über das Rätsel nach, dem sie sich jetzt gegenübersah. Einen Götterlauf hatte sie Zeit..

Als sie durch das Puniner Tor zurück nach Alt-Gareth ging, fiel ihr unter den anderen Wachgardisten ein Mann ins Auge. Er gehörte zur Wache, ein Gefreiter vielleicht. Gab es diesen Rang überhaupt? Blondes zurückgebundenes Haar. Ein nachdenklicher Typ. Sie grüßte ihn lächelnd, er sah sie nur kurz an, als wäre es ihm nicht gelungen, gänzlich Abstand zu seinen einnehmenden Gedanken zu halten.
Sie musste einen Gemmenschleifer finden, der ihr ein Bürgersiegel machte! Ein NB sollte es sein, geschwungen und edel.
Ein paar Süßigkeiten für Phexdan kaufte sie ebenso ein. Sollte das Füchschen sich über etwas Süßes freuen! Sie liebte es, ihn befreit grinsen zu sehen.

~

Ein grauer, bleierner Tag war gekommen. Gemeinsam mit strömendem Regen – beides lockte nicht, das Haus Ahlemeyers zu verlassen. Es war warm und kuschelig drinnen, dank Salpicos Hitzeglyphen. Zu warm, laut der Hauswirtin, die sich darüber beschwerte, dass aus einem ihrer Eier ein Küken geschlüpft war.
Trotzdem musste Neferu diesen fast heimatlichen Ort verlassen. Sie war viele Verpflichtungen eingegangen, auch wenn viele nur moralischer Natur waren.
Die Mängelliste vom Waisenhaus war wichtig – es war ihr überaus ernst, zu wissen, an was es fehlte, welche Kosten gedeckt werden mussten.
Die kleine Isabella – sie wusste nicht, warum sie an sie als „die Kleine“ dachte, war die Magierin doch noch ein Stück größer als sie selbst – konnte gar nicht nicht gut mit Schmutz und hatte ein Auge auf Salpico geworfen. Und allein war sie offensichtlich auch nicht gerne, denn an diesem Morgen klemmte sie sich an Nefs Fersen.
Im Regen nahm die Tulamidin die Blonde mit nach Eschenrod. Bella war alles andere als begeistert von dem ganzen Dreck und Schmutz. Und von den Kindern war sie es noch weniger.
„Diese dreckigen kleinen Hände! Das gibt Handabdrücke! Nimm sie weg!“ Das Zitat hallte in Nefs Geist nach und unwillkürlich musste sie schmunzeln.
Immerhin stellten sie durch das Durcheinander im Waisenhaus fest, dass Kuliff magisch begabt war: Das Kind, das versuchte sich an Isabella festzuhalten, war gegen eine unsichtbare Mauer gelaufen (selbstverständlich von der Magierin ausgelöst), hatte begonnen zu schreien und der kleine Junge mit dem magischen Potential schaffte um sich herum eine Aureole aus Stille, so dass man das Kleinkind zwar plärren und rotzen sah, es aber nicht hörte.
Nef und Mutter Harika versuchten dem Zirkus Herr zu werden, die Kleinkinder zu beruhigen, die im Chor solidarisch mitheulten, während die Magierin türmte und sich vor den Halbwüchsigen in Sicherheit brachte.
Die Ereignisse im Waisenhaus provozierten einen handfesten Streit mit Salpico. Nefs Idee den kleinen Kuliff in einer weißmagische Akademie in Gareth anzumelden stieß auf taube Ohren und nicht auf Gegenliebe. Selber adoptieren wollte er den Bengel aber auch nicht. Dabei wäre es auf lange Sicht so wunderbar gewesen, einen Verbündeten innerhalb der Weißmagier zu haben.
Akut war das Problem nicht – Kuliff war ohnehin noch vier Jahre zu jung für eine Akademie, aber irgendwann mussten sie darüber entscheiden.
Es waren einfach zu viele Kinder. Zu viel Verantwortung. Und es war nicht einmal das einzige Waisenhaus der Stadt. Zu viele Seelen ohne Perspektive. Nicht, dass die jungen Menschen Eschenrods, die noch Bezugspersonen hatten, es leichter hatten. Doch bei ihnen hatte man keinen Zugriff, keinen Weg einen einfachen Einfluss auf ihr Leben zu nehmen – das war anders bei den Elternlosen.
Im Wind des immernoch graupeligen Tages, der langsam sein Licht verlor, kamen sie zurück zum Puniner Tor.
Ihre kleinen Pflänzchen hatten ein neues Gerücht für sie gehabt: Jemand war ins Gebiet der Alten Gilde eingedrungen.. Eine Information, die vielleicht zu anderer Zeit wichtig werden würde.

Das Tor war noch offen, aber es durfte nicht mehr lange dauern und statt dem weiten Durchgang wäre nur noch die Mannluke zu passieren, für die man gute Gründe haben musste, ehe sie einem dann auch tatsächlich geöffnet wurde.
Ihre Füße waren nass, als sie den kurzen Tortunnel passierte.
Sie blieb stehen. Sie musste Nägel mit Köpfen machen, jede Möglichkeit ergreifen, das Haus der Kinder zu entlasten.
So versuchte es sie am Tor. Neferu erklärte den Gardisten das Schicksal der Kinder und bat um Mithilfe, sie zu vermitteln. Sollten sie mitbekommen, dass sich jemand sehnlichst Nachwuchs wünschte oder selber kinderlos sein und es sich anders erhoffen: Sie hatte die Lösung.
Ein bisschen kam sie sich so vor, als würde sie die Kinder verscherbeln.
Aber sie tat es nur zu ihrem Besten, sie auf diese Weise anzupreisen. Immerhin hörten die Wachen sie an, mehr hatte sie gar nicht erwartet. Sie würden die Augen offen halten, versprachen sie. Sollte sie ein Flugblatt aufhängen wollen, so sollte sie sich an den Befehlshabenden wenden, der nicht zugegen war. Er hieß Voltan Sprengler, wie ihr mitgeteilt wurde und wäre wohl am Besten mit einem Schriftstück zu erreichen, da er diesen Tags die Abend- und Nachtschicht hatte und noch nicht am Posten.
Sie schloss nicht aus, irgendwann noch einmal mit diesem Sprengler wegen des Anliegens, das ihr am Herzen lag, noch einmal zu tun zu haben.