Gareth 31 (Feqzjian)
Kategorien: 1014 BFDer Puls der StadtFeqzjianGarethNeferuVoltanZeitraum: TRA 1014
Der versteckte Garten hatte viel von seinem einstigen Glanz verloren. Die ausgetrocknete Erde sah versandet aus und die Reste verkümmerter Blumen lagen wie umgestürzte Bäume überall auf den Beeten. Die grünen Augen des Besuchers glitten von einer Ecke des vergessenen Fleckchens Erde in die andere. Was vor ihm lag war eine kleine Wüstenei, verborgen vor den Augen der Außenwelt durch Mauern, die ungebetene Blicke fernhielten. Was er hier sah – war eine Katastrophe.
Feqzjian von Tuzak ließ seine Beine einknicken und sich damit auf den Hosenboden fallen, ehe er hemmungslos zu schluchzen begann. Er war es gewohnt mit sich auszumachen, was ihn beschäftigte – ganz wie sein Großvater es ihn gelehrt hatte. Aber wo er sich normalerweise kontrollierte, gab es dazu jetzt keinen Anlass. Er ließ alle Zügel fahren, krümmte sich auf dem Boden zusammen und machte sich keine Gedanken mehr darüber, wer ihn sehen konnte.
In seinem Kopf gellte seine eigene Stimme überlaut als sie schrie. Sie schrie die Götter an und verlangte immer und immer wieder eine Antwort auf dieselbe Frage „WARUM ICH?!“. Ohne es zu ahnen begann er die Worte leise zu flüstern, dem Wahn nahe und in steter Wiederholung, als er sich vor und zurück zu wiegte.
Es mochten Stunden oder Wochen vergangen sein, als ihn endlich die Kraft zu weinen verließ. Seine wirbelnden Gedanken allerdings brauchten keine Körperkraft. Neferu – die Frau, die er über Jahre überall hin verfolgt hatte, für die er alles aufgegeben hatte, um stets zur Stelle zu sein, wenn es nötig war – hatte einen Mann geheiratet, den sie kein Jahr kannte. Wieder spürte er, wie ihn eine Flut der Verzweiflung überkam – aber es wollten keine weiteren Tränen kommen – stattdessen stellten sich Kopfschmerzen ein. Er schluckte und realisierte wie trocken und rau seine Kehle war. Weder hatte es geholfen sich erwachsener zu verhalten und seinen Zielen zu folgen, noch seine Gefühle zu zeigen und deutlich zu machen, wann ihn etwas überforderte. Auch die Anhänglichkeit und sein Begehren waren ins Leere gelaufen. „Warum ich?“ hallte es wieder durch seinen Kopf. Warum war er der Mensch, der keinen deutlichen Pfad vor sich sah? Warum war er der Mensch, der trotz aller Bemühungen um Neferu scheiterte. Und warum war er der Mensch, der von bewaffneten Wachen umgeben war, während die letzte Möglichkeit alles noch abzuwenden an ihm vorbei zog?
Ein lautes Schniefen ertönte. Schon als er Nef das erste Mal gesehen hatte war ihm klar gewesen, dass es keine außer ihr geben konnte. Keine andere Frau, keine andere Mutter für seine Kinder und niemanden sonst, der an seiner Seite das Erbe seiner Familienlinie weiterführen konnte. SIE war sein Zwilling von einer anderen Mutter gewesen und nur SIE konnte seinem Leben geben, was es brauchte. Warum also hatten die Götter einen anderen Pfad für sie erwählt? DAS GAB KEINEN SINN!
„In dem Augenblick, in dem ein Mensch den Sinn und den Wert des Lebens bezweifelt, ist er krank.“, hallte eine zweite Stimme durch seinen Verstand. Diese Stimme war ruhiger als seine, selbstbewusster, älter. Und sie ließ keinerlei Zweifel daran, dass das was sie sagte nichts als die Wahrheit war. Großvater. Sinnsprüche wie diesen hatte Maran ihm immer und immer wieder zur Antwort auf seine Fragen gegeben. Früher hatte Feqzjian das als seltsame Verschrobenheit eines alten Mannes abgetan, aber heute – heute ergab sein Handeln Sinn. Die beiden Männer hatten sich seit Jahren nicht mehr gesehen – aber noch immer hallten die Antworten auf derart fundamentale Fragen wie „Hat mein Leben einen Sinn?“ reflexartig im Kopf des Halbmaraskaners wider. Maran – da war Feqzjian sich sicher – hatte genau das beabsichtigt.
Aber gerade in diesem Fall, war die Antwort eine größere Bürde als die Frage. War er krank? Drohte sein Geist an diesem Verlust zu zerbrechen? Sein Vater begann zu vergessen und starrte ihn an wie einen Fremden. Hatte ihn sogar schon als verfluchten Rebellen bespuckt und den Tagrichter lobpreist. Der ehemalige Sonnenlegionär, den er liebte entglitt ihm in das graue Nichts des Vergessens, der Großvater, der ihn für eine Welt geformt hatte, die sich mit der Zeit verändert hatte und heute nicht mehr existierte, war verschollen. Seine Mutter litt an der Krankheit seines Vaters beinahe ebenso sehr wie ihr Mann selbst. Wo Feqzjian ihren Konsequenzen durch Abwesenheit entfliehen konnte, musste sie den Verfall ihres Mannes für den sie die Grenzen des Hochverrats an ihrem eigenen Volk überschritten hatte jeden Tag, jede Stude und jeden Augenblick ihres Tages mit ansehen.
Und zu all diesem Wissen gesellte sich der Verlust Neferus an Voltan. Ein Verlust der sich so endgültig anfühlte, als habe die Welt hohe, feste Mauern um ihn herum errichtet, die ihn von allen Gaben Phexens aussperren sollten. Plötzlich begannen die Hofmauern des kleinen Gärtchens sich erdrückend anzufühlen. Obgleich sie ihm mehrere Schritt Raum ließen, schoss das Feuer durch seine Adern, dass eine ungerechtfertigte Verfolgung auszulösen Pflegte. Der Freiheitsdrang eines eingesperrten Wildtieres bahnte sich Weg und brach an die Oberfläche. Als sein erschöpfter Körper sich in Bewegung setzte, kehrten die Worte seines Großvaters zurück. „Der Unglückliche muß auch Unmöglich’s fürchten. Gegen ihn erheben die stummen Steine selber sich als Zeugen; die Wand hat Ohren, Mauern sind Verräter.“
Mit einer Kraftanstrengung seiner Arme zog er sich auf eines der nahe gelegenen Dächer und begann zu rennen. Wann immer er auf das Ende eines Dachen stieß, sprang er auf ein anderes hinüber. Zwei- oder dreimal ahnte er mehr, als dass er es sah, dass unten auf der Straße jemand etwas rief oder ihm dort unten sogar ein Stück weit folgte – aber bald war diese Ablenkung wieder verschwunden. Schließlich stand er mit brennenden Lungen und schwer keuchend in einem dunklen Hinterhof – wo auch immer in Gareth er gerade sein mochte. Und als das Feuer in seinen Adern erlosch, kehrte die Verzweiflung zurück. Neferu war schwanger von einem anderen Mann, hatte den Antrag dieses Mannes angenommen und ihn geheiratet – in der Hauptstadt des größten Reiches der Welt und mit Gästen, die der Zeremonie durch ihre pure Anwesenheit schwerstes Gewicht verliehen hatten. Und vor seinem Antrag war sie geflohen. Mitten in der Nacht hatte sie ein Schiff bestiegen und hatte die Stadt verlassen – nur um in Al’Anfa zu landen. Der Dunkelhaarige griff nach seinen Schläfen, als könnte das die stetig stärker werdenden Kopfschmerzen lindern. Es schien ihm, dass sein Antrag der Wendepunkt gewesen war. Von dort aus war es nur abwärts gegangen. Und er hatte es nicht abwenden können – obgleich er sein Bestes getan hatte.
„Es ist sinnlos zu sagen: Ich tue mein Bestes. Es muss dir gelingen, das zu tun, was erforderlich ist.“, echote sein Großvater mit einem Tonfall, der Feqzjians Zorn erweckte. Es war die überhebliche Mundart eines Mannes, der mehr verlangte als er zu geben bereit war. „Sei still…“ flüsterte er fordernd in die lautlose Dunkelheit des Hofes.
„Ein Widerstand um jeden Preis ist das Sinnloseste, was es geben kann.“ höhnte die Stimme. „Sei still…!“ forderte Feqzjian lauter. „Sei still, sei still, SEI STILL!“
„Deine götterverfluchten Ratschläge haben mich hierhin gebracht. Sie sind voller tiefer Sinnhaftigkeit, für ein Leben, das hier nicht existiert!“, zischte er wütend, wie um seinen Großvater selbst zu bannen. Und tatsächlich – die Stimme blieb stumm. In die entstehende Leere in seinen Gedanken sickerte Traurigkeit. Was auch immer er jetzt noch tat – sein Leben war verpfuscht. Selbst wenn er mit irgendeiner Frau die er mochte eine Familie gründete – er würde immer ein trauriger Vater bleiben, der sich fragte, ob diese Kinder dort wirklich die waren, die er haben wollte. Der die Mutter seiner Kinder immer mit Augen sah, die eine andere sehen wollten. Aber egal was er jetzt noch tat – er konnte nicht rückgängig machen, dass Neferu sich von ihm abgewandt hatte.
Die schlanken Finger in den dunklen Haaren vergraben und mit Spuren auf den Wangen, die Tränen hinterlassen hatten starrte er auf den schmutzigen Boden als fände sich dort die Lösung für die Probleme, die sein Leben auszumachen schienen.
Dann war es plötzlich eine andere Stimme, die ihm kam. Nicht die alte, feste seines Großvaters, sondern die einer jungen Frau. Eine Stimme, die wenig nach Lebenserfahrung klang, nicht nach der bitteren Endgültigkeit, die das Alter mit sich brachte. Eine Stimme, die Vergnügen mit sich trug, den Trotz des Neuen und seine Kraft. Die Stimme seiner Mutter zu einer Zeit an die er sich gerade noch zu erinnern vermochte. „Das größte Vergnügen im Leben besteht darin, das zu tun, von dem die Leute sagen, du könntest es nicht.“
Er hatte einmal gehört, wie sie das zu seinem Vater gesagt hatte, damals, irgendwann vor einem ihrer Umzüge in eine neue Stadt – ein neues Leben. Er hob den Blick ein wenig an, hinauf in den Himmel, der zwischen den dicht beieinander stehenden Häusern zu sehen war. Sterne funkelten hell am Firmament und versprachen Lichtinseln in einem Meer von Dunkelheit.
„Das Leben ist wundervoll. Es gibt Augenblicke, da möchte man sterben. Aber dann geschieht etwas Neues, und man glaubt, man sei in Alveran…“, ergänzte die Stimme.
Und ehe Feqzjian über das Gesagte noch ganz nachgedacht hatte, hörte er seine eigene Stimme rau und erschöpft von den nahen Wänden widerhallen.
„Und ein Mensch, der für nichts zu sterben gewillt ist, verdient nicht zu leben …“