Kuslik 1 (Salpico)

Kategorien: 1014 BFKuslikSalpicoSchwarze Studien
Zeitraum: TRA 1014

Ein Botenreiter erreicht am Nachmittag eines Tages im Travia des Jahres 1014 BF das Redaktionshaus des Hesindespiegels in Kuslik. Bei sich trägt er einen ledernen Botschaftenbehälter, dessen Deckel mit einem siegellosen Stück Wachs verschlossen wurde. Die Übergabe der Sendung wird von keinerlei weiteren Hinweisen begleitet. Nach Öffnung des Behälters allerdings präsentieren sich dem geneigten Leser gleich zwei Schriftwerke in schwarzer Tinte. In dem ersten – offenkundig einem Begleitschreiben – findet sich Folgendes.

„Geschätzte Herausgeber des Kusliker Hesindespiegels,

Ich wende mich an Euch, um einem Themenbereich Geltung zu verschaffen, der meiner Ansicht nach sowohl in der Lehre als auch in der praktischen Arbeit junger Magier deutlich zu kurz kommt. Zu oft verkommt unsere Kunst zum Selbstzweck an den Höfen der Adeligen oder gerät unter die Knute älterer und wohlhabenderer Magier. Mit dem beiliegenden Traktat möchte ich das Interesse jüngerer Kollegen auch an von der Lehrmeinung als abwegig eingestufte Forschungen wecken und stärken.

Zu diesem Zweck beschäftigt sich der Tractatus Temporalis mit der Erforschung temporaler Phänomene und versucht aufzuzeigen, welchen Nutzen die Forschung auch in phantastischen Dimensionen ihr eigen nennt.

Wissen ist Macht
Adeptus Salpico Monterey

Das zweite Schriftstück ist ungleich länger und lautet wie folgt.

 

 

Tractatus Temporalis – Erster Teil


Betreffend die zaubermaechtige Wirkung des Eisenrost und Patina

Von Adeptus Salpico Monterey, Halle der Geister zu Brabak
Gegeben zu Gareth im 1013ten Jahre nach dem Untergang Bosparans

Der ungewoehnlichen Wahl des Themas wegen will ich mich dem geneigten Leser kurz erklaeren. Die Reihe Tractatus Temporalis – und hier insbesondere ihr erster Teil – markiert den Wendepunkt meiner Forschungen. Bisherige Ergebnisse auf dem Gebiet der Temporalmagie waren stets das Produkt zufaelliger Beobachtungen oder Aufeinandertreffen.
Nun aber ist es an der Zeit sich der Forschung ernsthaft zu widmen. Das Tractatus Temporalis soll dabei zugleich Forschungsbericht, Erinnerung und Ansporn sein. Zugleich ist jedem Mitglied der drei Gilden bekannt wie prekaer der Umgang mit der Magie der Zeit ist und welche immensen Gefahren jemand auf sich nimmt, der ernsthaft Satinav selbst die Stirn zu bieten versucht. Auch wird diese Spielart der Magika in vielerlei Landen als Frevel sogar als Ketzertum betrachtet.
Um daher weder meine eigene Forschung zu sabotieren, indem ich es Nachahmern allzu einfach mache meine Ergebnisse zu nutzen, noch unnoetig den Unmut der zwoelfgoettlichen Kirchen zu wecken, sind die hier praesentierten Ergebnisse lediglich beschnitten. Sie werden meinen Fortschritt zwar skizzieren, ein wahres Portrait – um im Rahmen kuenstlerischer Metaphern zu bleiben – werde ich aber nicht liefern.
Mir ist vielmehr daran gelegen meine werten Collegae mit dieser Schriftenreihen zu ermutigen. Zu ermutigen ihre Forschungen auch ungewoehnlichen und nuetzlichen Forschungsgebieten zuzuwenden. Wenn man den Meinungen und Spezialgebieten anderer folgt, dann kommt man sicher ans Ziel, aber wahre Wunder wird man nur erleben, wenn man eigene Fußabdruecke hinterlaesst – und nicht in denen anderer wandelt!
Bei meinen vorhergehenden Studienreisen und Forschungsansaetzen waren mir nur wenige Menschen eine Stuetze und wahre Hilfe. Um ihre Muehen nicht zu unterminieren, will ich ihnen das Leben nicht erschweren, indem ich ihre Namen nenne. Moegen die Goetter ihre Leben und Seelen gnaedig betrachten.

Introduktion
Die Matrix des so genannten Eisenrost und Patina ist seit Jahrzehnten bekannt. Sie kursiert in den Kreisen der Gildenmagie, sowie unter Druiden und auch Schelmen. Ihr Hauptanwendungszweck ist in diesen Zeiten eine Demonstration magischer Macht. Die Vernichtung von eherner Wehr, von Schloessern oder solcherlei mehr.
Tiefergehende Untersuchungen sind ob des offensichtlichen Erfolges bisher ausgeblieben. Vielfach wird in Forschungsberichten und Feldstudien darauf verwiesen, dass jedem Gegenstand auch die Kraft seiner eigenen Vergaenglichkeit inne wohnt. Eine Kraft die den Verfall eines jeden Materials unaufhaltsam aber schwach und oft langsam vorantreibt und es schließlich zur Gaenze vergehen laesst. Der Eisenrost und Patina – so die verbreitete Ansicht – laesst diese Kraft nun anschwellen und ihre Wirkung staerker und weitaus schneller voranschreiten, sodass der Effekt mit bloßem Auge sichtbar und bald beendet wird. Das Material wird so aus sich selbst heraus vernichtet.

Meiner Ansicht nach ist diese Sichtweise zu kurz gedacht. Sie misst sich an der Annahme, dass nicht sein kann, was nicht sein darf. Sie formuliert eine These, die sie sodann aber weder beweist noch widerlegt. Stattdessen werden Beobachtungen, die nicht zu der gewuenschten Erkenntnis passen einfach ignoriert, waehrend schwache Indizien als Beweis gewertet werden.
Das, verehrte Collegae, ist keine belastbare Forschung! Das ist Geschichten erfinden, weil sie einem gefallen!
Dieser Aufsatz soll nun mit dem Auftrag ausgestattet sein, sich der pseudowissenschaftlichen Narretey entgegen zu stemmen und die Wahrheit ueber die Macht hinter der genannten Thesis offen und fuer alle Mitglieder unseres Standes erkennbar zu formulieren.

Vom Wesen der Zeit
Meine Erkenntnisse beruhen auf verschiedenen Faktoren. So habe ich zum einen empirisch gearbeitet, zum anderen aber philosophisch. Erst gemeinsam ergibt sich auf diese Weise eine Gesamterkenntnis, die meiner Ansicht nach verstaendlich und unumstoeßlich ist. Es ist daher von wesentlichem Wert zunaechst die philosophische Seite meiner Forschung zu verstehen.

Zeit ist ihrem Wesen nach nicht starr. Wechsel und Veraenderung sind ihr Wesen, sie sind es, was Zeit ausmacht, was sie fuer uns lebendige Wesen erst erfahrbar macht. Dabei ist Zeit aber nicht immer zerstoererisch. Vielmehr ist Zeit ihrem Kern nach ueber alle Maßen neutral. Sie betrifft jeden, bringt Tod, aber auch Leben. Sie nimmt ein Heim, wenn es zerfaellt, gibt aber auch eines, wenn der Baufortschritt sichtbar wird.

Aber all das tut sie nicht schlagartig. Merkmal einer temporalen Veraenderung ist, dass der Betroffene oder das betroffene Ding verschiedene Stadien der Veraenderung durchlaeuft. Ein Mensch wird geboren, waechst und wird reifer, ueberschreitet seinen Zenit, wird wieder kleiner und stirbt. Aber ohne Einwirkung von außen wird man nicht sehen, dass ein Mensch in seinem Zenit ploetzlich schlagartig runzelig und klein wird, um dann zu sterben.
Schlussendlich bleibt daher in diesem Abschnitt zweierlei festzuschreiben:

Ad primum: Zeit ist ein Kontinuum, werte Collegae. Sie schreitet voran, macht aber keine Saetze. Stets ist ein Ablauf zu beobachten, niemals eine ad hoc Veraenderung.

Ad secundum: Zeit hat Macht ueber jeden. Selbst jene, die sich unsterblich nennen, muessen anerkennen, dass die Zeit ihre Welt und ihre Ansichten zu aendern vermag.
Gerade ersteres ist konkret wichtig fuer meine Forschungen gewesen, wenn sie in diesem Fall auch nicht lange brauchten und waehrend meiner Reisen oder kurzer Aufenthalte in Staedten getaetigt wurden.
Eisenrost und Patina – Feldstudie

Nachdem die philosophische Betrachtungsweise erlaeutert wurde, will ich zu den Beobachtungen und Methoden meiner Empirie schreiten.
Fuer eine Testreihe habe ich mir zunaechst guenstige Gegenstaende aus Metall besorgt. Gebrochene Naegel, Schmiedeabfall oder alte Hufeisen. Sodann habe ich damit begonnen die kleinsten der Gegenstaende mit derselbigen Zauberformel zu besprechen.
Kleinere Proben, wie beispielsweise Nagelreste zerfielen dabei innerhalb von Sekunden. Ihre Aufloesung ging derart schnell von statten, dass eine Beobachtung zwar erfolgen konnte, allerdings wenige sichtbare Ergebnisse brachte. Einzig eines war bemerkenswert: Von den vernichteten Metallteilchen blieb stets ein Haeufchen Eisenoxid zurueck.

Dies war bereits ein erster Hinweis auf weitere Beobachtungen. Metalle, die zerschlagen werden, hinterlassen oft Splitter oder brechen nur an einer Stelle – lediglich altes Metall, dass laengere Zeit der Witterung und den Hoernern Satinavs ausgesetzt war, beginnt zu oxidieren. Dies allerdings wuerdet Ihr werte Collegae – mit Recht – bestenfalls als Indiz klassifizieren. Eine bloße Speculatio – kein Beweis.

Als ich mit meinen Studien fortfuhr, bemerkte ich eine weitere Besonderheit. Zwar zerfielen auch Hufeisen sehr bald, allerdings dauerte des dennoch laenger als bei Eisenspaehnen oder Nagelteilen. Fuer diesen Umstand gab und gibt es nur eine einzige Explanatio!

Die Dauer der Vernichtung eines Gegenstandes haengt von seiner Masse ab!

Diese Erkenntnis bereitete den Weg fuer weitere Forschungen. So besorgte ich mir Barren des Eisens, sowie groeßere Gegenstaende. Ein Schloss, sowie eine Metallschatulle waren ebenfalls Teil neuer Versuche.
Und tatsaechlich – ich sah‘ meine Vermutung bestaetigt. Je groeßer das Ziel des Cantus‘ war, desto laenger dauerte die schlussendliche Vernichtung. Und desto besser war der genaue Vorgang zu beobachten.
Die Metallbarren begannen sich zunaechst mit einer Patina zu ueberziehen, ehe sie in Windeseile zu oxidieren begannen. Dabei war gut zu beobachten, dass der Prozess – ganz wie in Natura – von außen nach innen verlief und stetig fortschritt, bis am Ende erneut das erwaehnte Haeufchen oxidierten Metalls als letzter, stummer Zeuge einstiger Pracht blieb.
Diesen Vorgang zu reproduzieren erwies sich als erstaunlich leicht. Zwar aenderten sich die Beobachtungen abhaengig vom Wesen des Gegenstandes der betrachtet wurde (so brachen Schwachstellen eines Schlosses selbstverstaendlich vor dem Rest seines Corpus unter der Last des Zaubers), im Allgemeinen aber blieb der Fortschritt der Vernichtung stets demselben Ablauf unterworfen.

Um nun ganz sicher zu gehen, galt es eine andere Perspektive einzunehmen. So geriet ich unlaengst unverhofft in den Besitz eines antiken Dolches, der mir selbst lieb und teuer ist. Dennoch – oder gerade deshalb – sollte er mir dienlich sein, um meine Erkenntnisse abzurunden.
Von einem lokalen Schmied ließ ich Kratzer in der Klinge vornehmen. Wichtig war: Sie wurden nacheinander beigebracht und waren deutlich voneinander unterscheidbar. Die Reihenfolge notierte ich mir gewissenhaft.

Darauf erfolgte die Anwendung des reversalisierten Eisenrost-Cantus auf die nunmehr beschaedigte Klinge. Die Beobachtung war die Folgende:
Die beschaedigte Klinge begann scheinbar wie von selbst die Kratzer und Kerben, die der Schmied geschlagen hatte zu beseitigen – in umgekehrter Reihenfolge! – ehe sie andere, kleinere Makel ausmerzte und schlussendlich in ungekannter Sauberkeit und Perfektion vor mir lag.

Conclusio
Der geneigte Leser der mir bis hierhin folgen kann wird sicherlich seine eigenen Schluesse gezogen haben. Auch, weil sie offenbar vor uns ausgebreitet sind.
Die bisherige Annahme ueber die Wirkweise des Zaubers muss davon ausgehen, dass jedem Gegenstand sowohl eine destruktive als auch eine kreative Kraft inne wohnt. Der Eisenrost und Patina – so die verbreitete Annahme – verstaerkt die destruktive Kraft, sodass der Zielgegenstand vergehen muss.

Hierbei aber tritt eine Ungenauigkeit zutage. Niemand kaeme doch auf die Idee zu einer verwitterten, alten Scheune zu sagen, sie sei „zerstoert“. Der Sprachgebrauch bestimmt dabei, dass eine Zerstoerung durch aeußere Einfluesse eintritt, die sehr rasch handeln. Ein Feuer beispielsweise oder eine Ramme.

Der Prozess, der hier zu beobachten ist, stellt aber keine ad hoc-Zerstoerung dar. Die Gegenstaende brechen nicht oder platzen. Sie altern. Das ist der einzig logische Schluss, der in Kombination der philosophischen Betrachtung des Problems mit den Beobachtungen ergeben darf.
Das Vergehen des Gegenstandes erfolgt in einem Kontinuum und auf eine Art und Weise, die nur der Zeit zu eigen ist: Er rostet und gibt schließlich nach. Bei groeßeren Gegenstaenden kann man dem Fortgang sogar zusehen.
Und dabei soll es nicht bewenden! Ebenso waere anzunehmen, dass der reversalisierte Versuch eine sofortige Besserung eintreten laesst, soll der Zauber doch lediglich die kreative Kraft des Gegenstandes anregen. Mehr noch: Es muesste dann sogar im Bereich des Moeglichen sein, dass der Gegenstand ueber seinen Urzustand hinaus waechst – vielleicht sogar einem gaenzlich anderem Zustand zustrebt. Das ist das Wesen der Kreativitaet – Neuschaffung!

Tatsaechlich aber erfolgt eine chronologisch korrekte(!) Aufwertung des Gegenstandes bis zu maximal seinem Ausgangszustand zurueck!
Damit bleibt endgueltig festzuhalten: Der Eisenrost und Patina ist mitnichten, wie es die bequemen Forscher unserer Zeit zu glauben wussten, weil es die einfachste Erklaerung war ein stumpfer Zerstoerungscantus. Kein besserer Hammer fuer die gebildete Schicht des Landes!

Der Eisenrost und Patina ist nicht mehr und nicht weniger als leibhaftige Temporalmagie! In seiner Wirkweise beschleunigt er die Zeit um den betroffenen Gegenstand herum, bis Satinavs Hoerner alles von ihm abgeschabt haben, was ihn ausgemacht hat!

Offen bleibt, warum dieser Effekt lediglich bei Metallen oder – weiter gefasst – nur bei unbelebten Gegenstaenden auftritt. Es ist davon auszugehen, dass der Thesiskern auf solche Weise modifiziert werden kann, dass er sich auch auf andere Materie, wie auch auf lebende Wesen auszuwirken im Stande ist. Fakt ist dabei, dass gerade echsische Magier in ihrer Erkenntnis geradezu beschaemend viel weiter sind als wir!
Ich schließe daher mit der Aufforderung an alle Collegae und Studiosi sich keinesfalls auf den Erkenntnissen vergangener Generationen auszuruhen. Wissen ist Macht! Keinesfalls darf man aufhoeren danach zu streben, noch – moegen die Goetter bewahren – an Wissen verlieren. Wendet euch Forschungen zu, die obskur erscheinen! Greift nach Themen, die euch interessieren und vielversprechend sind. Redet mit den alten und wirren, den ausgestoßenen. Seid dabei nur einer Sache stets sicher: Achtet darauf, dass ihr kontrollieren koennt, was ihr erfahrt. Jede Macht der Welt ist gefaehrdet, wenn es eine groeßere Macht gibt, die sie vernichtet – schlimmer noch – die alles vernichtet!

Salpico Monterey
Adeptus der Bruderschaft der Wissenden