Gareth 21 (Neferu)
Kategorien: 1013 BFDer Puls der StadtGarethNeferuVoltanZeitraum: TSA 1013
Mit unruhigem Herzen folgte Neferu dem Wachmann durch den diesigen Morgen, hin zur Weststadt Gareths.
Die Straßen waren noch nicht erwacht, einige Lichter glommen milchig durch den Nebel, der in den Gassen schwebte.
Sie zog den Umhang auf Brusthöhe eng zusammen und musste sich Mühe geben, mit dem Gardisten Schritt zuhalten.
Zwar hatte die Kälte sie schlagartig wach gemacht, aber ihr Geist war dennoch angespannt.
„Wer ist die Leiche?“ fragte sie leise, in der Hoffnung, durch einige Fragen und die darauf folgenden Antworten ihre persönliche Situation in dieser misslichen Lage einzuschätzen.
Sie hatte nichts getan. Allerdings wusste sie nicht, ob das auch für Salpico galt, der unweigerlich irgendwann in diesem Keller Experimente durchführen würde, für die ihn der Strang erwartete, sollte das Wissen darum den Untergrund des Weststadthauses je verlassen. Hatte er schon damit angefangen? Wenn ja, war sie mit im Netz gefangen?
Als Hexe – und diesen Umstand würden sie unweigerlich herausfinden – war sie so gut wie verurteilt.
„Eine Frau.“ war seine knappe Antwort. Er blickte sie kurz an. Mit diesem abschätzigen Blick, den Ermittler hatten, wenn sie nicht ausschließen konnten, dass sie mit dem Täter zu tun hatten. „Ihr Körper war kaum kalt.“ fügte er an, ohne zu ihr zu sehen.
Das Unwohlsein machte sich in ihrem Leib breit und erschwerte das Atem holen.
„Wer ist sie?“
„Das weiß ich nicht. Fragt die ermittelnden Wachleute. Es befinden sich sicher fünfzehn auf Eurem Grundstück.“ Ob das eine Mahnung oder gar Drohung war?
Er hatte ein bisschen übertrieben, aber nicht sehr. Etwa zwölf Wachleute durchforsteten das Gras und die Büsche des weiträumigen Geländes.
Die Morgendämmerung hatte eingesetzt, aber noch war die Praiosscheibe nur durch ein dunkelrotes Licht zu erahnen.
Ein Mann in Mantel war unter den anderen. Ein Wachhabender höheren Ranges. Er saß in der Hocke, unten im Keller.
Und da lag sie. Ein weißes Tuch war über ihr ausgebreitet worden.
Neferu schritt die Steinstufen hinab in den offen zugänglichen Untergrund.
Der Mann erhob sich. Er war groß und schlank und als er sich zu ihr umwandte, erkannte sie ihn. Es war der ernste Weibel des Puniner Tors – den sie mittlerweile als Voltan Sprengler identifiziert hatte. Er hatte sie schon vor einigen Tagen neugierig gemacht. Zwar hatte er kein Wort mit ihr gewechselt, doch waren ihr zwei Sachen an ihm ins Auge gestochen: Er maß die Leute mit flinken Blicken, wie ein Dieb die Menschen, die er zu berauben gedachte. Und er trug ein Schmuckstück um den Hals, dessen Anhänger stets verborgen war.
So, so.. Voltan Sprengler.. dachte sie skeptisch und fragte sich, was der Offizier des Südtores in der Weststadt zu suchen hatte. Sie traute ihm nicht. Sie vermutete einen zu phexnahen Hintergrund bei diesem ach so sauberen Wachmann.
Sprengler wiederholte ruhig, was sie ohnehin in Erfahrung gebracht hatte: Eine weibliche Leiche, die kaum kalt und frühzeitig entdeckt worden war.
„Jemand wurde gesehen, wie er die Mauer erkletterte und das hier hinterlassen hat.“ Er entblößte den Körper bis zu den Schlüsselbeinen.
Sie war blass und soweit Neferu das beurteilen konnte, nackt. Zumindest oberhalb. Die Hände waren über ihrem Kopf mit einem groben, billigen Strick gefesselt. Das war nicht Salpico gewesen. Niemals.
„Über die Mauer? Warum ist dann das Tor offen?“ fragte sie mit einem Blick auf die Tote.
„Ich habe es geöffnet.“
Ihre Augen huschten zu Sprengler. „So, so.. ein Einbrecher seid Ihr also..“ Sie versuchte ihre Worte locker klingen zu lassen, trotz der Umstände.
„Im Dienste der Wache muss auch ein Schloss geknackt werden. Ich habe es dort gelernt.“
Es klang ehrlich und überzeugend, aber sie glaubte ihm trotzdem nicht.
„Darf ich sie untersuchen, Weibel?“
Die grauen Augen des Mannes sahen sie abschätzig an. „Warum wollt Ihr das?“
Der Mut der in die Enge Getriebenen leitete sie, als sie ihm die Wahrheit sagte. Sie gab von sich preis, was die Wache mit einigem Stochern ohnehin herausfinden würde.
Sie beobachtete mit einer Mischung aus Spott und Amüsement, wie er nach dem Eisen seiner Waffe griff, einem abergläubischen Mittel gegen das Böse, als sie ihm sagte, dass sie eine Tochter Satuarias war. Sie gab an, dass sie selbst und ein Schwarzmagier auf dieses Grundstück ziehen wollten und dass sie ganz offensichtlich jemand diffamieren wollte, bevor sie nur einen Fuß in ihr künftiges Haus gesetzt hatten. Sie bekräftigte, dass Dexter Nemrod höchstpersönlich von ihrer Natur wusste und es billigte, da sie ’nicht mehr praktizierte‘ und sie zusätzlich außerordentliche Dienste in den Orkenkriegen geleistet hatte, durch die sie mit einem Heldenbrief ausgezeichnet worden war.
„Und ich habe auch dort… ermittelt. Ich erkenne Dinge, Hinweise, Spuren – auch Dank meiner Gabe. Wenn Ihr mich also lasst, diesen Körper einer Untersuchung zu unterziehen, kann ich Euch möglicherweise helfen, den wahren Schuldigen an dieser Missetat zu finden und zur Rechenschaft zu ziehen, damit der Schwarzmagier und ich nicht in die Bedrängnis geraten, die Opfer einer vorurteilsbelasteten Gerichtsbarkeit zu werden und unschuldig im Feuer zu enden. Ich lasse mir das hier nicht anhängen! Ihr erlaubt?“
Er gab ihr mit deutender Geste den Weg frei.
Durchatmend ließ Neferu sich neben dem Mordopfer nieder.
Sie schlug sachte das Tuch zurück. Das Mädchen war komplett nackt. Die ermittelnde Hexe schätzte sie auf nicht älter als dreiundzwanzig Jahre. Ihre Augen waren geschlossen. Nef wusste nicht, ob die Wachen sie geschlossen hatten. Ihre Suche begann bei den Händen. Schwielen – aber nicht solche, die bei einer schweren Handarbeit entstanden. Die Finger waren rissig, als ob sie häufig mit Wasser in Berührung kamen. Außerdem rochen sie leicht nach Pisse, als die Suchende ihre Nase dicht an die Finger der Leiche heranführte.
„Eine Wäscherin..?“ murmelte sie unschlüssig.
Sprengler beobachtete sie schweigend aus dem Hintergrund. Sie ließ sich nicht nervös machen. Sie wusste, was sie tat. Und außerdem wollte sie hinter sein Geheimnis kommen. Irgendwie würde sie dieses Rätsel lösen und vielleicht musste sie ihn dafür beeindrucken.
Eine halbmondförmige, leichte Verbrennung war da am Handballen. Konzentriert betrachtete Nef die Stelle genauer. Was war das?
Unter den schmutzigen Fingernägeln befand sich Blut. Der Dreck war älter als das Blut. Die junge Frau musste ihren Angreifer gekratzt haben, bevor er sie tötete…
Neferus Aufmerksamkeit sank herab zu dem blassen Gesicht.
Das Mädchen war hübsch, die Zähne mäßig in Stand. Ihr Mund roch leicht alkoholisch. Sie zupfte sich augenscheinlich ihre Brauen und Achseln, versuchte sich trotz wenig komfortabler Lebensumstände zu pflegen. Auch der Schambereich war rasiert. Ausschlag, gereizte Poren umrahmten ihren Rahjahügel.
Die dunklen Haare rochen nach Rauch, Bier und Fett.
„Eine Schankmaid.. die in der Küche hilft.“ Das musste es sein. Eine Schankbedienstete aus den Elendsvierteln. Genau! Die Verbrennung.. vielleicht der Griff einer Pfanne oder eines Topfes.
Aber was war da noch..?
Die Würgemale an ihrem Hals waren unübersehbar und mit Sicherheit der Grund ihres Todes, hatte sie doch sonst keine äußeren Verletzungen. Die blauen Striemen waren deutlich und schmal. Das Opfer war nicht von einer Hand gewürgt worden, sondern vielleicht mit einem Halstuch oder Strick. Die Knie waren aufgeschürft, die Fußsohlen aber sauber. Man hatte sie erst hier ausgezogen oder lange getragen. Das Mädchen hatte sicher noch kein Kind gehabt. Die Brüste waren noch fest. Spuren einer Vergewaltigung zeigten ihre Schenkel nicht. Neferu untersuchte auch ihre Rückseite, fand aber nichts Aufschlussreiches mehr.
„Sie ist eine Schankmagd aus Meilersgrund oder Eschenrod, richtig? Seltsam, dass sie nicht vergewaltigt worden ist.“ Im knien hob sie den Blick, sah Sprengler an.
„Das ist richtig. Sie ist aus Eschenrod, ihr Name ist Jelka.“
Er wusste es schon..? Warum hatte er sie dann suchen lassen…?
„Außerdem,“ fügte er an, „hat man sie nicht vergewaltigt, da sie ihm ein Geschenk gemacht hätte..“
Ein Geschenk..? Verwirrt linste Nef zu dem mittlerweile kalten Körper. Ah… eine Krankheit im unteren Bereich. Sie nickte leicht.
„Sie ist eine Hure gewesen. Bis sie wegen der wuchernden Erkrankung nicht mehr taugte.“ Der Weibel schien die Hexe als Ermittlerin akzeptiert zu haben oder er belehrte sie. Sie war sich darüber nicht ganz einig. „Rahjas Festung – ein hässliches kleines Bordell in Eschenrod. Der Mann, der das getan hat, ist von einer jungen Patrizierin gesehen worden, die erst heute Morgen auf dem Nachhauseweg war. Er trug eine Maske und einen großen, ausladenden Hut. Das ist alles, was wir wissen.“
„Warum seid Ihr hier, Weibel? Seid Ihr nicht im Puniner Tor stationiert?“
„Mein Dienstplan umfasst auch Eschenrod. Und die Tote ist aus Eschenrod. Deshalb bin ich dazugerufen worden.“
Die Wache ermittelte schnell, gestand Neferu anerkennend.
„Ich bin ebenfalls aus Eschenrod, aufgewachsen dort und in Wallgraben.“ Hatte sie zuviel gesagt? Sie nahm gerne etwas Vertrautheit vorweg, um das Misstrauen ihr gegenüber zu mildern.
„Ich bin auch in Wallgraben aufgewachsen.“ Was war das? Er unterhielt sich mit ihr, während er die Leiche zudeckte.
„Tatsächlich?“ Neferu lächelte matt, lief gemeinsam mit ihm noch einmal das Grundstück ab. Sie wollte jeden Stein umdrehen… „Vielleicht hat man sich als Kind sogar gesehen und erinnert sich nicht.“
Sie wollte dieses nette Gespräch nicht abreißen lassen. Sollte es doch zu einer Anklage kommen, konnte er aussagen, dass sie die ganze Zeit über sehr informativ und kooperativ gewesen war. Vielleicht bekam sie sogar seine Sympathie.
„Ich denke nicht. Ich.. war als Kind nicht viel draußen. Ich war sehr dick.“
Sie hob verblüfft die Brauen: „Dick? Kein Leben in Armut…?“ Sie war überrascht, hatte sie in ihn schon eine ähnliche Kindheit hineinprojeziert wie die, die sie gehabt hatte. Ein entbehrungsreiches Leben.
„Keine Armut, nein. Meine Eltern hatten viel zu Essen, waren aber kaum da. Ich war meistens allein.“
Neferu nickte sachte. Wie zugänglich er schien… Zu zugänglich. Sie traute der vermeintlichen Offenheit nicht. Sie musste die Informationen prüfen.
Dort, ein Fußabdruck!
Hinter einem Busch war er im Erdreich zu sehen. Groß, männlich und entweder war derjenige schwer oder schwer beladen gewesen.
Ja, man hatte diese Frau bei ihr deponiert. Aber warum? Als Denunzierung? Als Warnung? Sie hatte nicht einmal eine Ahnung.
„Sehen wir uns die Mauer von außen an.“ schlug sie vor.
Er hatte die Hände in seinen Manteltaschen und stimmte zu.
Und da war sie: Die weiße Feder. Sie prangte aufgemalt auf ihre Mauer in der Dunkelheit. Reinweiße Farbe. Es war kein Diebeszinken, das wusste sie.
Was sollte sie also bedeuten? Eine Greifenfeder? Praioten?
Sprengler glaubte nicht daran, dass das Symbol etwas mit der Praioskirche zu tun hatte. Auch sie selbst war sehr unsicher, bezüglich dieser Theorie.
„Ich muss gehen, der Wachdienst an der Mauer ruft. Werdet Ihr Euch noch weiter umsehen?“ fragte er sachlich.
Neferu nickte. „Ich werde noch bleiben. Und Sprengler.. haltet die Augen nach Katzen offen!“
„Katzen?“ Verwundert hoben sich seine Brauen, wirkte perplex.
„Ja, ich kann.. sehen was sie gesehen haben. So ein Hexending.“
Er nickte wiegend, aber zäh. Die satuarische Sache war ihm definitiv alles andere als geheuer.
„Wie geht es jetzt weiter?“ fragte Neferu, als er ging. Die Sonne zeigte sich endlich am Morgenhimmel.
„Kommt morgen früh zur achten Stunde ans Tor. Ich kann Euch vielleicht gebrauchen.“
„Gut, morgen früh – zur achten Stunde.“
Bis dahin – da war sie sich sicher – hatte sie noch eine Menge herausgefunden.