Vergeben & Vergessen 1 (Voltan)
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Ein weiteres Mal hob der junge Mann seinen Oberkörper von dem polierten Holzboden an und drückte dabei seine Arme durch. Er fühlte sich warm, Schweiß glänzte auf seiner Haut und seine Muskeln brannten. Auf seinem Gesicht aber formte sich ein Lächeln, als er seine Arme anwinkelte und sich so wieder in Richtung des Bodens sinken ließ.
Er hatte sich schon immer gerne bewegt, doch war es über eine Dekade lang eine Notwendigkeit gewesen – nicht ein Genuss wie heute. Nach der Begegnung mit dem Herold hatte sich seine ganze Welt verändert und immer wieder schossen ihm die Worte des Wesens durch den Kopf, als es in den Kampf eingriff:“…ich bin euer neuer Gott!“.
Wieder drückte er sich vom Boden weg. Natürlich war das anmaßend gewesen – unwahr – aber er konnte doch nicht leugnen: Dieses Wesen war daran beteiligt gewesen ihm ein neues Leben zu schenken.
Ein paar Haare lösten sich aus dem Zopf des jungen Alberniers und gerieten ihm in das glühende Gesicht, ehe er sie zur Seite pusten konnte. Als er sich vom Boden erhob, glitt ein weiteres Lächeln über seine Lippen. Die wahre Göttin in dieser Geschichte war jemand anderes. Mit dem Selbstvertrauen eines Mannes, der seine wahre Stärke gerade erst entdeckt hat, griff er nach einem Dachbalken, um sich daran hinauf zu ziehen und dann wieder herunterzulassen.
Die treibende Kraft hinter seiner Gesundung war keiner der Zwölfe, kein Wesen von nahezu unendlicher magischer Kraft – sondern seine Verlobte. Vesper Banokborn hatte eine Hartnäckigkeit bewiesen, die an Fanatismus grenzte und sogar den Lebenswillen Voltans noch überstrahlte. Während er versucht hatte zu überleben, ein möglichst normales Leben zu führen, bis sein unüberwindbares Leiden ihn einholen würde, hatte sie sich geweigert zu stagnieren. Von einem Tag auf den anderen schien ihr ganzes Leben, all ihr Hab und Gut, jede Verbindung, jede Freundschaft nur noch darauf ausgerichtet zu sein die Krankheit zu besiegen, die sich des Inspektors bemächtigt hatte. Innerhalb weniger Götternamen hatte sie jedes Register gezogen, dass ihr möglich war. Ungläubig und noch immer mit nur geringer Hoffnung auf Erfolg hatte der Leutnant Expertisen von Schwarzmagiern, Hexen, Graumagiern, Spektabilitäten, Elfen und sogar Kobolden registriert. Und selbst als es einem von Vespers Freunden gelang in sein Gehirn einzudringen und die Magie zu durchbrechen, die um seine Kindheitserinnerungen lag, wagte er kaum zu hoffen. Die Hexe an die er sein Herz verloren hatte, brauchte dagegen keine Hoffnung. Mochte sie auch sonst an allem und jedem zweifeln – den Weg zu Voltans Heilung beschritt sie ohne zu zögern, kompromisslos und – so erschien es ihm – unaufhaltsam.
Selbst die Menschen, die eigentlich Voltan näher standen, schienen sich von ihr mitreissen zu lassen. Kurz nacheinander trafen sein Vater und seine Mutter mit ihrem neuen Mann ein. Bald darauf stellten sowohl die Wache, als auch die Criminal-Cammer ihn frei. Sogar einer seiner vormaligen Untergebenen schloss sich mit der Erlaubnis der Garether Stadtwache dem Konvoi zweier Kutschen an, die sie nach Honingen bringen sollten – wo ein elfischer Magier von einer der graumagischen Akademien sie bereits erwartete.
Voltan ging zu der Wasserschüssel neben dem Bett hinüber und begann sich zu waschen. Es wollte ihm noch immer unglaublich erscheinen, was sie erreicht hatten. Nach ihrer Ankunft hatten sie zunächst im Archiv der Stadt nach ähnlich gelagerten Fällen gesucht, waren aber in den meisten Fällen lediglich auf Kinder gestoßen, die verschwunden waren und verschwunden blieben. Keines war zurückgekehrt und hatte über plötzliche Fettleibigkeit und Gesundheitseinbußen geklagt.
Wenigstens aber hatte der Elf herausfinden können, in welchem Waldstück das Feenportal liegen musste, durch das der kleine Junge, der Voltan vor Jahren gewesen war, seinen Weg in die Feenwelt gefunden hatte. Etwas südöstlich der Stadt, in der seine Mutter nun wieder lebte, fand sich ein Ausläufer eines größeren Waldes. Gerade nah genug, dass Kinder ihn noch erreichen konnten. Dort – zwischen den weniger dicht stehenden Bäumen des Waldrandes hatte er schon früher herumgetollt, war aber stets unbeschadet zurückgekehrt. Und da die Bilder aus seiner Erinnerung von einem See zeugten, der von sehr viel dichter stehenden Bäumen umgeben war, musste er dieses eine Mal tiefer in den Wald eingedrungen sein – wenn auch nicht zu tief für die Füße eines Kindes. Unter diesen Voraussetzungen war es ihnen verhältnismäßig schnell gelungen tiefer in den Wald einzudringen und den ungefähren Ort des Portals auszumachen.
Während der Inspektor sich abtrocknete konnte er sich ein leises Lachen nicht verkneifen, als er daran dachte, wie sie versucht hatten in die Welt der Feen zu wechseln. Sicher waren sie nur in der Hinsicht gewesen, dass Voltan von einem Ast hinab in den sumpfigen Teich gefallen war. Daher war Rychard als der beste Kletterer zuerst gegangen, hatte den Ast erklommen und sich dann absichtlich fallen lassen – nur um dann mit einer Körperhälfte im Matsch zu stecken. Bis ihnen gänzlich klar war, dass ein unfreiwilliger Sturz für das Durchqueren notwendig war, hatte es drei weitere Bruchlandungen in dem kühlen Gemisch aus Wasser und Sand gebraucht.
Nachdem er sich gewaschen hatte, ging er hinüber zu dem Schrank mit der frischen Kleidung und zog sich eines seiner Hemden über, dass er – seiner Mutter zur Liebe – bis oben hin schloss und mit einem Halstuch versah, ehe er eine Weste darüber knöpfte. Noch einmal ließ er seinen Blick über das Zimmer gleiten. Das Bett war gemacht, die Gardinen seitlich des Fensters befestigt und aus dem offenen Fenster hingen das Hemd und die Hose in denen er geschlafen hatte. Es war an der Zeit hinunter zu gehen und nach Vesper zu suchen.
Heute war ein wichtiger Tag. Ein wichtiges Mittagessen um genau zu sein. Noch am Abend – oder besser am Morgen – seiner Genesung, bedeckt mit Schlamm, müde und angeschlagen hatte er sie gefragt, ob sie ihm die Ehre erweisen würde seine Frau zu werden. Und – beinahe wider Erwarten – hatte sie ja gesagt. Sie hatte diesen großartigen Tag vollkommen gemacht und Voltans Herz hatte gelacht. Seinetwegen hauptsächlich, aber auch des Kindes wegen, dass Vesper unter dem Herzen trug und das so – wie ihm später bewusst wurde – dem Stigma des Bastards entgehen würde. Auch seiner Mutter wegen, die ihm sogar angetragen hatte diese Frau zu heiraten.
Heute war der Tag, an dem sie ihre Verlobung öffentlich machen wollten – heute Mittag beim Essen, zu dem sie auch Tsam, seinen Vater einladen würden. Rasch strich er noch einmal seine Weste glatt, um dann die Treppe hinab zu eilen.
Zum ersten Mal in vielen Jahren fühlte er sich unbeschwert und glücklich.