Havena

Havena 2 (Rahjard)

Ans Bett gefesselt. Zähneknirschend betrachtete er die Zimmerdecke. Früher konnte man ihm an jedem zweiten Tag so etwas nachsagen, seit seiner schmerzhaften Begegnung mit Praios‘ Dienern weniger. Dieses Mal hatte ihn obendrein noch Efferd für seinen Frevel gestraft. Unter Garantie. Nur der Al’Anfaner konnte so töricht sein einen wütenden Mob aus Geweihten und ihren Lakaien um sich zu scharen, um dann die, die ihm etwas Wert waren, beinahe ans Messer zu liefern und ihnen doch wieder zu helfen. Zu Lasten der Götter und ihrer Diener… was stimmte nur nicht mit ihm?

Immerhin hatte der bärtige Mann mit dem Dreizack seine Nivesenhündin beim Sprung vom Borontempel verschont. Dafür traf es ihn, der sich grundsätzlich blendend mit dem Element Wasser verstand, umso härter… als wäre eine Schar Blutfische über ihn hergefallen. Wann er wohl wieder gehen oder laufen konnte? Das Geld zu knapp für Heiltränke, lag er Tag ein, Tag aus abwartend und hochgradig gelangweilt im Herbergszimmer, das die alte Freundin bezahlt hatte.

Jene Freundin, der er nach langer Suche fast wieder einen schmerzlichen Verlust zugefügt hatte.

Dieses Mal hätte er nicht einmal das eigene Begehr an der Dunkelheit als Grund anführen können.

Es war einfach dumm gewesen.

Nachdenklich schloss er die Augen und seufzte ungewohnt schwer.

Es war gut ausgegangen. Verzeihen konnten sie sicherlich, vergessen nicht.

Und er konnte nicht einmal weglaufen, sollten sie ihn auf das Geschehene ansprechen… sein einziger Ausweg war der Schlaf, doch wenn sich die Götter gut miteinander verstanden, würde der güldene Rabe ihn sicherlich und gegen einen entsprechenden Lohn für den Herrn der Meere piesacken und ihm diesen einzigen, offen stehenden Fluchtweg mit seligem Lächeln verwehren.

Fürchterlich. Den ganzen Tag liegen zu müssen. Er musste sich doch irgendwie beschäftigen können.

Ob ihm jemand, wenn er fragte, ein Buch bringen würde?

Nein. Das war auf lange Sicht auch zu fad.

Alltag. Wie sehr er ihm darniederliegend doch fehlte. Die Abwechslung.

Schlimmer war es nur im Unterreicht, damals, in Khunchôm.

Dort konnte er auch nicht weg. Er konnte nur fern bleiben.

Ein weiterer Seufzer, durchtränkt von der offenkundigen Langeweile des Grandensohns, entglitt ihm.

Konnte nicht wenigstens jemand darauf reagieren.

Eigentlich wollte er nicht einmal mit ihnen reden, nicht, wenn es sich vermeiden ließ.

Aber den ganzen Tag nur dort liegen und den Hund streicheln konnte auch nicht Hesindes letzter Schluss sein.

 

Havena 1 (Neferu)

Zeit vergeht wie im Flug. Manchmal erscheint sie einem wie eine Flüssigkeit, die man nicht festhalten, nicht aufhalten und nicht verlangsamen kann. Oder wie Wind. Einmal hatte Satinav für Rahja die Zeit gefrieren lassen. Erstarrt wie ein Fluss, der kurzweilig gebändigt wird durch Winterkälte. Aber nichts kann in ihrem Lauf dauerhaft angehalten werden.
Oder doch?
Und wenn ein Mensch, ein Spross der Mutter des Lebens höchstselbst, eine Tochter Satuarias unverändert blieb, in der Zeit innehielt – war er dann überhaupt noch ein Mensch?

Neferu beobachtete die Wassertropfen, die von außen gegen die Schweinsblase prasselten und perlten, in Rinnsalen ihren Weg nach unten fanden.
Die Sicht durch die dünne Membran war vergilbt und milchig gleichermaßen. Die graue Menschenmasse wogte gekrümmt über den Markt der Hafenstadt. Winter war auf Sommer gefolgt, es war wieder kälter geworden, nur um von der Hitze Praios’ abgelöst zu werden. Aber wie es zu erwarten gewesen war, hatte die Zeit der wohligen Wärme nicht angehalten. Sie hielt nie an. Sie lief und rannte gehetzt wie ein Tier bei der Treibjagd. Und wie die Regentropfen am Fenster, die der Spätherbst mit sich brachte.

Sie hatte in den letzten Jahren mehr Herbergsfenster gesehen, als sie zählen mochte. Unterschiedlich wie der Schlag von Menschen, der in der jeweiligen Stadt gelebt hatte: Luftige Spitzbögen im Süden. Geviertelte Butzenfensterchen in Greifenfurt. Und solche mit breiten Simsen und gemütlichen Vorhängen wie die in Weiden.
Herbergsfenster, Herbergen waren gekommen und gegangen wie die Menschen in ihrem Leben. Einige luftig, nie ganz zu greifen und trotz aller Nähe uneinschätzbar wie der Phexhochgeweihte oder der Grandenbastard. Andere regenverhangen und in ihren Augen voll Schwermut wie der Bornländer oder der Inquisitor – die man tröstend berühren wollte, um gleichzeitig den Blick abzuwenden, weil man die ansteckende Traurigkeit nicht ertragen konnte.

Ihre langen Finger strichen langsam über die alte Oberfläche der verregneten Schweinsblase, die ihr Tor nach draußen war. Ledrig, unregelmäßig. Irgendwann einmal lebendig… Und irgendwann würde der Schutz gegen Kälte und Nässe reißen. Den Regen einlassen, ausgetauscht werden.
Der Phexhochgeweihte, der Grandenbastard, der Inquisitor und der Bornländer – sie alle würden abblättern, reißen, sterben.
Wie die Fenster der Herbergen wären sie alle und weitere irgendwann nur noch Erinnerungen.
Bis auf das weit offene Fenster. Durch das man klare Sicht hatte. Es war dunkel, groß und man drohte durch seinen Rahmen ins tiefe Innere zu fallen, aber es war da. Auch in Jahrhunderten noch. Sie würde dafür sorgen, dass es nie wieder jemand zuschlug.

Als hätte sie einen Schlag bekommen, zuckte ihre Hand fort von der Membran.
Sie wandte den Kopf ab vom nassen, herbstlichen Havena, über das sich die Nacht zu senken begann.

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