Grangor 7 (Garion)

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Sein Blick richtete sich wieder an die Decke des Zimmers. Ordentlich aneinandergereihte Bretter, sorgfältig abgeschliffen und lackiert erfreuten das Auge, doch hatte Garion nicht einen Gedanken für diese Kunst.
Sein Leben war schwerer geworden seit er Grangor erreicht hatte. Sicher, anfangs war er voller Zuversicht. Er hatte Richard schnell in einer Taverne gefunden und dieser Hatte ihm auch ein Zimmer vermitteln können, dass seine Taler unangetastet ließ, aber damit schien das Glück dieses Aufenthalts auch erschöpft zu sein. Neferu war seit gut anderthalb bis zwei Wochen nicht gesehen worden. Weder die Gardisten, noch die Bettler hatten Richard sagen können wohin sie gegangen war. Nur in einem Punkt waren sich alle einig – es war sehr wahrscheinlich, dass sie die Stadt nicht verlassen hatte. Nicht nur waren ihre Sachen noch in ihrem Zimmer bei den Hortemanns, nein, auch die Stadtgarde hatte bestätigen können, dass sie ihre Waffen und ihre Rüstung nicht ausgelöst hatte.

Er schloss die Augen und konzentrierte sich einen Moment auf die Wärme des Wassers um seinen Leib. Er hatte sich Sorgen gemacht, war schier verrückt geworden vor Angst. Er war sofort in den Rondratempel gestürmt und hatte die Hilfe seiner Brüder und Schwestern erbeten. Und ja, sie hatten Doppelpatroullien in den Gassen der verrufeneren Stadteile durchgeführt, hatten den ein oder anderen Dieb, Meuchler und Betrüger aufgegriffen und peinlich verhört, aber von Neferu keine Spur.
Er runzelte die Stirn. Seine Sorge hatte ihn weit genug getrieben einen Bettler in einen der Kanäle der Stadt zu werfen, nachdem dieser ihm ein Bein gestellt hatte.
Sein Blick wandte sich auf die vorsichtig spiegelnde Wasserfläche hinab. Das hatte ihm eine Nacht in den Kerkern Grangors eingebracht…eine Nacht, die er zum überlegen genutzt hatte. Es war ihm immer wahrscheinlicher erschienen, dass Neferu die Stadt doch verlassen hatte…irgendwie…unbemerkt. Immerhin war sie zuletzt in der Nähe des Pilgerhafens gesehen worden und war seitdem nicht mehr in der Stadt aufgetaucht.
Er war am nächsten Morgen sofort raus in den Hafen gegangen und hatte sich unter den Kapitänen der vor Anker liegenden Schiffe umgehört. Jedes einzelne Schiff hatte er betreten und sich so lange geweigert es zu verlassen bis er mit dem Kapitän gesprochen hatte…doch auch diese Hoffnungen wurden enttäuscht – keine Spur von Neferu.
Sein Blick wurde starr, als er den Kopf in den Nacken zurück legte. Das warme Wasser kroch seinen Nacken hinauf in seine Haare hinein, da war es wieder dieses Gefühl der Schwerelosigkeit.
Er war Wochen lang nicht zur Ruhe gekommen. Seine Nächte hatten zu keiner Zeit länger als vier Stunden gedauert, Richard hatte ihn zurecht weisen müssen, weil er mitten in der Nacht auf dem Flur im ersten Stock des Hauses Hortemann wie ein Tiger auf und ab gegangen war. Und doch konnte er kaum etwas für sein Verhalten. Die Sorge um die Frau die er liebte hatten ihm Ruhe und Appetit geraubt, hatte sich an seinem Herzen festgekettet und verleidete ihm jedes Vergnügen.
Schließlich hatte er sich einen Ruck gegeben. Wenn sie wirklich in der Stadt war und wenn es diesen Phexdan, der ihr nachgestellt hatte wirklich gäbe, dann müsste er mehr wissen. Er hatte keine Zeit verloren, hatte einen der Bettler bezahlt und ihn nach diesem Kerl auszufragen versucht, hatte versucht ihn ausfindig zu machen, aber er hatte kein Glück gehabt. Niemand konnte oder wollte ihm sagen wo sich dieser Bastard aufhielt. Alles was man ihm zugestanden hatte war, seine Bitte an diesen Halunken heran zu tragen. Es hatte nicht mehr in seiner Hand gelegen.
Traurigkeit überzog das Gesicht des Bronnjars, als er sich ein Stück tiefer in den Zuber sinken ließ, sodass seine Nase nur noch knapp über der Oberfläche des wärmenden Nass war. So musste es sich anfühlen, wenn man geborgen im Leib einer liebenden Mutter heranwuchs.
Trotz der Schlappe auf der Suche nach Phexdan hatte er nicht den Mut verloren. Neferu musste irgendwo sein, also würde er die Suche nicht aufgeben. In den folgenden Tagen hatte er die Patroullien der Rondriten unterstützt, hatte sie erbarmungslos durch die Gassen getrieben, hatte mit glühendem Eifer jeden Hinterhof überwacht. Bis…ja…bis zu dem Tag von Neferus Rückkehr. Gegen Mittag hatte er von einem der Bettler eine Nachricht erhalten – Phexdan war zurück und wollte ihm die Bitte um ein Gespräch erfüllen, er, Garion, sollte in dem Gasthaus Zur offenen Hand auf ihn warten. Er hatte gewartet – oh ja, das hatte er, aber es sollte trotzdem noch bis zur Hälfte der zweiten Nachtstunde dauern, bis er sein Gespräch bekommen hatte. Phexdan sah anders aus, als er ihn sich vorgestellt hatte. Er trug teure Kleider, war glatt rasiert und hatte ohne Frage ein hübsches Gesicht – nichts, was Garion gnädiger zu stimmen vermocht hätte. Kaum, dass der Mann sich gesetzt hatte lächelte dieser Hurensohn ihn freundlich an:“Ihr müsst Garion sein. Ihr wolltet mich sprechen?“
Der Rondrit hatte leise mit den Zähnen genknirscht:“Wo ist sie?“
Die Antwort hatte ihn überrascht:“Ich weiß es nicht. Ich habe sie suchen lassen…aber…wir haben sie nicht gefunden…ich…“, da war es Garion zu viel geworden. Er hatte den jungen Mann am Kragen gepackt und über den Tisch gezogen:“Du mieser, scheinheiliger Betrüger, wenn ich rausfinde, dass du etwas mit ihrem Verschwinden zu tun hast, dann…!“
Phexdan hatte die Hände gehoben und sich alle Mühe gegeben ihn mit Zusicherungen seiner Unschuld zu beruhigen. „Ich weiß wirklich nicht wo sie ist…ich wollte nicht tiefer in sie dringen…“, hatte er gesagt. „WOLLTEST DU SEHR WOHL! DU WOLLTEST IHR IHRE UNSCHULD RAUBEN!“, war Garion aufgefahren, war lauter geworden als geplant. Wieder hatte Phexdan die Hände abwehrend gehoben und ihn verdutzt angeblickt.“Ich…ihre Unschuld rauben? Wohl eher andersherum…“,das hatte Garion nicht beruhigt…im Gegenteil, seine sonst so ausgeprägte Geduld hatte ihm gänzlich im Stich gelassen…Wut war seine Kehle hinaufgesprungen und er war dem jungen Mann an die Kehle gegangen wie ein verwundeter Löwe. Ein Umstand, dem er es zu verdanken gehabt hatte, dass zwei der Bettlerfreunde dieses gelackten Affen ihn gepackt und in einem der Kanäle abgekühlt hatten.
Wieder hatte man ihm Glück unterstellt, die beiden hatten ihn wieder aus dem Wasser gezogen und an seinen Platz zurück geschliffen, wo er sich mit dem Gefühl einsam und gedemütigt worden zu sein wieder niedergelassen hatte. Er hatte gefroren, aber alles daran gesetzt keine Schwäche zu zeigen, auch wenn es so wirken mochte, der Zorn auf den Zwölfgötterverfluchten Jüngling ihm gegenüber war keinesfalls verraucht, nicht einmal im Ansatz.
Dann war es geschehen, die Tür hatte sich geöffnet, laut und kraftvoll, und Neferu hatte in der Tür gestanden. Garion führte den Stich im Herzen immer noch und rieb sich unter der warmen Decke seines Bades über die linke Brusthälfte. Er hatte sofort gespürt, dass etwas anders war, als er sie in der Tür gesehen hatte – sicher einiges war unübersehbar. Ihre Haut war sehr viel dunkler, sie trug ihre Haare anders und was sie am Leib trug hatte viel von dem luxuriösen Glanz verloren, den es einst besessen hatte. Aber…das war es nicht, was ihm zu schaffen gemacht hatte. Es war etwas in ihren Augen. Etwas an ihrem Blick…an ihrer Haltung hatte sich verändert. Auch jetzt, einen Tag später konnte er nicht genau sagen, was ihn vorgewarnt hatte, aber…war das wirklich wichtig? Er hatte sich an diesem Abend nicht getäuscht. Phexdan war als erster bei ihr gewesen, hatte Anstalten gemacht sie zu umarmen – er musste sich wirklich sehr sicher gewesen sein – hatte aber mit einem Blick zurück zu dem durchnässten Garion darauf verzichtet und die Taverne verlassen. Er selbst hatte Neferu gefragt, wo sie gewesen war, hatte ihr versichert, dass er an seinen Sorgen beinahe zu Grunde gegangen war, aber sie war mit ihren Gedanken woanders, weit weg von ihm. Es hatte nicht lange gedauert, bis er die Taverne nur noch hinter sich lassen wollte. Er hatte sie gefragt ob sie mit ihm käme, zurück zu den Hortemanns, wo er ihr Bett, das er bisher genutzt hatte sofort für sie räumen würde.
Er starrte wieder an die Decke des Bades. Sie hatte verneint, hatte ihm aber bestätigt, dass sie nachkommen würde. Nur mit Richard an seiner Seite war er schweren Herzens zu seiner Lagerstatt zurück gekehrt. Es war zu spät gewesen um nach einem anderen Zimmer zu fragen, so hatte er in Rüstung auf dem Flur übernachtet, ohne an diesem Tag noch etwas von Neferu zu sehen oder zu hören.
Er richtete seinen Blick auf das große Schwert neben der verriegelten Tür. Danach hatten die Ereignisse sich überschlagen, die Klinge legte Zeugnis davon ab. Noch immer klebte Blut an dem schartigen Zweihänder, das Blut Grangorer Bürger, Anhänger des Namenlosen. Wie immer überraschte ihn die Angewohnheit so profane Dinge wie ein erbeutetes Schwert zu analysieren und nach Zeichen für die Geschichte zu suchen, die sie miterlebt hatten. Seine Augen hielten an einer der Scharten inne…er selbst hatte sie geschlagen. Das Schwert war gegen ihn gerichtet gewesen.
Er schloss die Augen und konzentrierte sich auf die Wärme. In seinen Gedanken mischten sich Bilder. Ein großer Krieger holte mit einem Bidenhänder aus und traf ihn mit der Wucht eines Golems nahe der Rippen…sein Geist verlor sich in der Wärme und ehe ihm Boron seinen Segen schenkte sah er wie die braungebrannte Neferu ihm zulächelte. Warm und mit diesem Funkeln in ihren Augen…wie sie es früher einmal getan hatte…