Grangor 13 (Garion)

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Langsam streckte er sich auf dem Bett aus und betrachtete seine nackten Zehen für einen Moment der Stille. Er hatte darauf verzichtet sich auszuziehen, immerhin stand die Tür seines Zimmers offen. Es begann bereits zu dämmern und Neferu war noch immer nicht zurück – und wenn sie es war wollte er es sofort wissen. Es war schon einige Tage her, dass er ihr die Rose auf das Kissen gelegt hatte. Seitdem quälte ihn nagende Ungewissheit. Sie hatte die Rose mit keinem Wort erwähnt, weder ihm, noch (zumindest soweit er wusste) Richard gegenüber. Es war als stünde er vor dem Inquisitor, der noch mit seinen Schöffen über das Urteil beriet.

Mit einem unangenehmen Kloß im Hals rieb er sich über die geschlossenen Augen. Seine Gedanken klammerten sich an das kleine Zimmer in dem er lag. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er getan was er konnte. Sein Schicksal lag in Rahjas Händen, zumindest bist Neferu zurück käme. Zwar hatte er keine Ahnung wie er sie ansprechen, oder was er sagen sollte, aber er hatte sich geschworen herauszufinden, was anders war, warum sie kaum noch mit ihm sprach, wohin das wundervolle Flackern in ihre Augen verschwunden war. Mit einem unguten Gefühl in der Magengegend entzündete er die Kerze auf dem kleinen Nachttisch neben seinem Bett. Ein warmer, beinahe beruhigender Lichtschein machte sich im Zimmer breit und beschien das Bett und das sorgenvolle Gesicht des Geweihten. Eigentlich hatte er vorgehabt sich mit einem der Bücher aus den Regalen seines Gastgebers abzulenken, aber noch konnte er sich nicht dazu durchringen nach dem Buch zu greifen. Es gab noch so viel zu bedenken, so viele Sorgen, so viel Schmerz. Seiner trockenen Kehle entrang sich ein Seufzen.
Als er nach seinem Wasserschlauch griff musste er an seine Kindheit denken. Er hatte Angst vor der Dunkelheit gehabt, war jedes Mal wenn er in den Keller hinabsteigen musste schier wahnsinnig geworden. Er lächelte abgeschlagen. Damals hatte er gedacht, dass er niemals vor etwas mehr Angst haben würde als vor dem Keller der Burg Ithars…wie er sich doch getäuscht hatte.
Mit fahrigen Fingern verschloss er den Wasserbeutel wieder. Ihm war nicht nach trinken, so trocken seine Kehle auch sein mochte, er verspürte einfach nicht den Wunsch etwas zu trinken. Überhaupt hatte er, wie ihm nun auffiel, seit dem Ablegen der Rose kaum etwas getrunken und gar nichts gegessen. Merkwürdig, er spürte den Hunger, der ihn ohne jeden Zweifel plagen musste gar nicht.
Wo Neferu wohl gerade war? Ob sie diesen Phexdan suchte? Er drückte die Lippen aufeinander. Ob die Götter ihm etwas übel nahmen? Er hatte ihnen soweit er wusste nach bestem Wissen und Gewissen gedient. Sogar Grangor hatte er auf Geheiß Rahjas gerettet ohne dafür auch nur ein Dankeswort zu erhalten. Warum hätte sie ihm zürnen sollen? Unruhig warf er sich auf die Seite, sein Blick suchte und fand den Zweihänder, der inzwischen gereinigt und geschliffen an den Tisch lehnte. Er konnte die Spiegelung der Kerzenflamme in dem blitzenden Stahl sehen, auch sich selbst als verzogene Illusion. Den traurigen Rest dessen, was er eigentlich war.
Er legte die Hände unter seinem Kopf zusammen. Wie sein Leben wohl weiter verlaufen würde? Er wusste aus den Geschichten der Erzähler auf dem Markt in Festum, dass man auf schwere Zeiten später zurückblickte und sie als eine Art undurchsichtigen Knoten in seinem Lebensfaden empfand, als etwas dessen Verwirrungen man zwar inzwischen gelöst zu haben glaubte, die man aber dennoch nicht in vollem Umfang verstanden hatte. Langsam drehte er sich wieder auf den Rücken. Ithar hatte ihn ja gewarnt, hatte ihm gesagt, dass Liebe war wie sein Schwert wegzuwerfen und sich der Gnade des Gegners auszuliefern. Man mochte damit überleben, aber genau so gut konnte das Gegenüber einen foltern oder mit einem gezielten Stich töten.
Nun, da diese Unterhaltung schon einige Jahre zurück lagen spürte er die Wahrheit in Ithars Worten.
Mit einem gewaltigen Druck auf seinem Hals schwang er kurzentschlossen die Beine aus dem Bett. Der Boden kam ihm hart vor, jetzt, da seine Füße nicht von seinen Stiefeln umschlossen waren.
Schnellen Schrittes verließ er das Zimmer durch die ohnehin offene Tür und bog nach rechts ab, direkt auf das Zimmer zu, dass Richard und Neferu…oder Nef, wie er sie in Gedanken zu nennen pflegte, sich teilten. Richard musste da sein, er war selten spät noch unterwegs. Garion war sich darüber im Klaren, dass Richard nicht verstehen wollte, warum er gerade zu ihm kam, aber…er hatte eine seltsame Art von Vertrauen zu diesem Strauchdieb gefasst. Und er brauchte dringend jemanden zum reden.
Ein letztes Mal atmete er leise ein und fragte sich ober hinter dieser Tür die zweite Demütigung dieser Tage auf ihn wartete, dann klopfte er an und öffnete die Tür.
Garion verharrte. Das Zimmer vor ihm war leer, weder Neferu noch Richard waren anwesend. Wäre das alles gewesen, so wäre er geknickt in sein Zimmer zurückgeschlichen, aber ein kurzer Blick zeigte ihm, dass Richards Sachen verschwunden waren. Der junge Rondrit ließ seinen Kopf hängen, sicher, er hatte nicht viel von Richard erwartet, bestenfalls ein einziges freundlich gemeintes und in Gemeinheiten verpacktes Wort…oder ein mehr oder weniger mitfühlendes Schulterklopfen. Aber dass der junge Mann nun einfach verschwunden war ohne eine Nachricht oder ein Wort des Abschieds machte seine Zeit in diesem Haus nicht leichter. Kurz fasste er sich an die Stirn. Kopfschmerzen. Besser er legte sich wieder hin. Mit bekümmerter Miene zog er die Tür hinter sich zu und machte sich auf den Rückweg zu seiner Kammer, wo er sich wieder auf dem Bett ausstreckte.
Schließlich griff er nach dem Buch. Eigentlich interessierte ihn das Thema nicht sonderlich und er hatte berechtigte Zweifel daran, dass das Buch ihn würde ablenken können. Aber wenigstens einen Versuch wollte er dem Autor einräumen, also klappte er das Buch auf und begann im Lichte der kleinen Flamme die Zeilen des Buches abzutasten. Er konnte immer noch nicht sonderlich gut lesen. Ja, es reichte um auch kompliziertere Texte zu lesen, aber er brauchte für jedes Wort einige Sekunden. Er hätte früher damit anfangen sollen.
Plötzlich zuckte er zusammen. Waren das Schritte? Rasch verließ sein Blick das Buch. Tatsächlich! Neferu war auf den Flur getreten, durch die offene Tür seines Zimmers konnte er ihre Gestalt sehen, wie sie inne hielt, offenbar von dem Licht in ihrem Augenwinkel angezogen.
Rasch legte er das Buch zur Seite und richtete sich im Bett ein wenig auf. „Neferu…!“, sie wandte sich in seine Richtung und kam den Gang in seine Richtung hinauf. Es hielt ihn nicht auf dem Bett, er musste zu ihr!
„Garion, warum bist du noch wach?“, sie war wunderschön. Die dunkle Haut, die grünen Augen. Er mochte ihre neue Frisur, auch wenn er wusste, dass sie ihr nicht viel abgewinnen konnte. Er mochte die neckischen Zöpfchen. „Ich wollte auf dich warten, ich habe mir Sorgen gemacht.“, brachte er erleichtert hervor. „Es war schon so spät und du warst noch nicht da.“ Sie nickte sachte. Da spürte er es – etwas stimmte nicht. Sein Blick glitt in ihr Gesicht. Tatsächlich, sie haderte mit sich…etwas quälte sie. Die Miene, die sie trug ähnelte der eines Kindes, das etwas zerschlagen hat und seine Tat nun gestehen musste. Dann fiel sie ihm plötzlich um den Hals. Starr vor Schreck blieb er stehen, er spürte sein Herz schmerzhaft in seiner Kehle, es raubte ihm den Atem ihre Arme um sich gelegt zu fühlen…sollte sie seine Gefühle erwidern? War es möglich, dass auch sie bisher nur nicht die richtigen Worte gefunden hatte? Er atmete leise durch und legte seine Arme um sie…endlich…endlich würde alles gut. Er spürte ihre Lippen an seinem Ohr…sie öffneten sich, um ihm das lange zurückgehaltene Geständnis zu machen. „Garion…ich…“, gleich war es so weit! „….werde heiraten… Aber Phexdan ist jetzt erst einmal zwei Monate fort, du hast also zwei Monate Zeit mich umzustimmen.“, freundschaftlicher Scherz vergiftete die Klinge die ihre Worte führten.
Plötzlich war ihm schlecht…die Arme, die sich eben noch liebend um ihn gelegt hatten waren zu glühenden Ketten geworden, die seinen Geist und Körper peinigten. Seine Beine verloren an Gefühl als habe ihn die Faust des Golems direkt in den Magen getroffen. Eine kalte Kralle legte sich scharf um sein Herz. Garion gab seinen Beinen nach und ließ sich nach hinten auf das Bett fallen – Neferu behielt ihn im Arm und landete halb auf ihm. „Phexdan…“, schoss es ihm durch den Kopf. Ihr Haupt kam auf seiner Schulter zur Ruhe. Wie…wie lange hatte er sich gewünscht, dass sie zurückkehrte…? Wie lange hatte er gebetet, wie lange stumm gefleht. Und nun trieb Rahja diesen grausamen Scherz mit ihm.
„Ich habe einmal geglaubt dich zu lieben Garion, aber dann ist mir bewusst geworden, dass du das nicht erwiderst. Mir ist klar geworden, dass du nur eine Frau gesucht hast, die dir Kinder gebären kann, die dir hilft die Erwartungen zu erfüllen, die an dich gestellt werden. Sicher…dafür suchst du dir die Beste, die du kriegen kannst. Aber wirklich lieben…tust du mich nicht.“, er musste sich verhört haben…sie…glaubte tatsächlich er liebte sie nicht? Sie glaubte…er empfand eine Art zärtliche Freundschaft und wollte sie ansonsten nur völlig leidenschaftlos als seine Angetraute? Der Geschmack von Eisen breitete sich in seinem Mund aus, als er sich auf die Zunge biss. Ehe der Schmerz verschwunden war, sprach sie weiter. In ihre Stimme hatte sich wehmütige Melancholie geschlichen.
„Weißt du…. Ich war bei ihm und…Ich…kann ihn nicht berühren…oder küssen, aus irgendeinem Grund… wie ein Fluch. Er erlaubt es nicht.“ Sie schluckte, während sie ihren Kopf an seinem Hals vergrub. „Aber eigentlich…ist mir das fast einerlei, solange wir zusammen sein können.“
In dem Moment, den er für seinen größten Triumph gehalten hatte…wurden die Lieder dieses Barden aus Unau wahr. „Es ist nicht der Fall der schmerzt…es ist der Moment, wenn du auf dem Boden aufschlägst.“
Er war hart aufgeschlagen…Tränen stiegen ihm in die Augen…sie war so nah…und weiter weg als je zuvor. Er spürte wie sich heiße Tränen ihren Weg über seine Wangen bahnten, die Trauer hatte ihn schließlich geschlagen…hatte sein Herz als eine Festung mit weit offenen Toren vorgefunden und hatte sie gestürmt…was hatte er noch zu verlieren…? Er weinte lautlos.
Neferus Stimme drang durch den Nebel seiner Gedanken:“Garion…weinst du…?“, einen Moment spürte er nichts und hörte nur das Rauschen in seinen Ohren. Dann erschienen Verteidiger auf der Mauer seines Herzens und drängten die Eindringlinge zurück. Er kannte dieses Gefühl…er spürte wie sein Geist sich der göttlichen Macht eines Harmoniesegens beugte und seine Tränen versiegten. Er schloss die Augen…sie war eine Geweihte des Fuches.
Er blickte sie mit geröteten Augen an…er ahnte Fürchterliches. „Ich vertraue dir Garion…du wirst mich nicht verraten…und du wirst niemals von meiner Seite weichen.“, Neferus Stimme war wie ein Peitschenhieb. Rahjas grausame Macht brach die Wirkung des Harmoniesegens, als sich ihre Wange an seine schmiegte. Die Verteidigung seines Herzens brach in sich zusammen und schon nutzte der Feind seine Chance. Glühende Eisen stachen nach seinem Herzen. Sie hatte Recht…sie konnte ihm vertrauen…und er würde niemals von ihr lassen können…aber er spürte, was diese Worte bedeuteten. Sie wusste nicht, dass er sie liebte. „Hast…du die Rose gefunden…?“, fragte er leise.
„Die war von dir…? Ich dachte sie wäre von…“, Garion spürte wie seine Kehle sich zuschnürte…ein unbarmherziger Würger, der ihm das kommende Wort gnadenlos weissagte. „..Phexdan.“
Das Bett wurde ihm eng…er wollte weg…weit weg. Er fühlte sich trotz Neferus geringem Gewicht, als sei er unter Tonnen von unbarmherzigem Gestein lebendig begraben. Sein Blick glitt zu dem Körper, der auf seinem ruhte und sich langsam in Borons Arme begab. Sie trug sogar die Kleider dieses Hurensohns…ahnte sie nicht, was sie ihm antat? Wieder begann er zu weinen…er gab sich der Trauer hin. Ihm war egal, was andere von ihm dachten, ihm war egal ob die Tür zu seinem Zimmer noch immer offen stand, er wollte weinen, er konnte nicht anders. Was ihm wichtig war lag zerschlagen am Boden. Neferu hatte das Messer tief in seine Brust gerammt und es herumgedreht…langsam…genüsslich. Er fühlte sich einsam obwohl sie neben ihm lag, er wusste, dass dieses Gefühl von nun an sein Leben beherrschen würde…Einsamkeit…niemand war geblieben. Ithar würde alt werden und sterben, Richard war weg…Ven…Ven würde irgendwann gezähmt und sesshaft werden, er würde ihn nur bei einem seiner spärlichen Besuche bei ihm und seiner Frau sehen. Und Neferu…? Neferu würde einen anderen heiraten…sich ihm hingeben. Wieder wurde ihm schlecht, seine rechte Hand krampfte sich zusammen, als sein Gesicht zu einer Grimasse des Schmerzes wurde und Ströme von Tränen sich ohne einen Laut auf den Bezug des Kissens ergossen. Er würde einsam sterben…nachdem er ein Leben gelebt hatte, das wie der siebte Kreis der Verdammnis auf ihm lasten würde, dem er sich aber nicht zu entziehen wagte…aus Furcht auch noch das Letzte zu verlieren, was er von Neferu hatte…ihre Gegenwart…ihre schmerzende Freundschaft und ihr vernichtendes Vertrauen. Er würde sich selbst zerstören während er sie schützte, das war ihm klar. Er musste alleine…den Weg in Borons Hallen antreten und Rahja würde ihn trotz seiner Taten verspotten.
Nein…diese Nacht würde er keinen Schlaf finden. Seine Nacht wurde zu einem Vorgeschmack seines zukünftigen Lebens. Er wagte es nicht sich zu bewegen…Dämonen zerrten an seinem Geist, Krämpfe schüttelten den geschwächten Körper und attackierten immer wieder sein geschundenes Herz. Erst als die Sonne das wunderschöne Gesicht der Frau, die er liebte schadenfroh in ihr Licht tauchte, forderte sein erschöpfter Körper seinen Tribut. Er klammerte sich an sein Bewusstsein…der Morgen bedeutete, dass Neferu erwachen würde…und wenn er dann schlief…würde er ohne sie erwachen…ihm graute vor der Dunkelheit…und doch…besiegte sie ihn. Er glitt in einen traumlosen, unruhigen Schlaf hinüber…