Grangor 14 (Garion)

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Die Phase seines Schlafes dauert nicht einmal eine Stunde. Obwohl der frühe Morgen draußen bereits graute, schien es immer noch die beruhigende, zeitlose Schwärze der Nacht, die sie beide umgab, denn die schweren, dunklen Vorhänge waren zugezogen.
Neferu lag ruhig atmend tief in Borons Armen auf seiner Schulter.
Garion betrachtete die junge Frau lange, die sich vertrauensvoll dem Schlaf hingegeben hatte. Was sie wohl träumte? Ob er darin vorkam? Obwohl sein Körper warm war und die Wärme unter der Decke durch die aneinandergeschmiegten beiden Körper noch erheblich mehr Temperatur und Gemütlichkeit aufwies, fröstelte er.
Er musste seinen Mut wiederfinden, der ihm einst durch Küsse ihrer sinnlichen Lippen belohnt worden war.
Warum also nicht? Was hatte er zu verlieren?

Er neigte sich langsam vor und legte seine Lippen auf ihren schlafenden, weichen Mund. Sie reagierte nicht. Noch ein Stückchen schob er sich über sie und wagte mit der Zunge einen zärtlichen Versuch. Da! Ihre Arme hoben sich schlaftrunken und legten sich um seinen Hals, ehe sie den Kuss mit weiterhin geschlossenen Augen in einer steilen Kurve an Leidenschaft zunehmend erwiderte. In Garion flackerte eine zarte Hoffnung auf, auch er mehrte die Wildheit seiner begehrenden Bewegungen. Er fasste sogar den Mut seinen erregten Leib auf sie zu schieben.
Bis… ja, bis ihr ein Wort fiebrig gehaucht im Halbschlaf entkam: „Phexdan…“

Er wurde starr, doch ihre Hitze blieb. Sie schmiegte sich immerwährend an ihn und berührte ihn, als gäbe es nichts anderes von Priorität.
„Endlich…. Endlich darf ich dich-“, er drehte seinen Kopf zur Seite. Weg…nur weg von dem beißenden Schmerz, den ihre Lippen ihm bereiteten.
„Neferu, wach auf…“ bat er sanft und mit zitternder Stimme, „Ich bin nicht Phexdan… Wach auf und sieh mich an. Ich bin Garion… Garion, der dich liebt…“ Er fühlte seine Augen brennen, während er in die Dunkelheit starrte.
„Nein, ich will nicht aufwachen…“ erklang es leise und schlaftrunken, „Küss mich weiter… solange ich die Augen geschlossen halte, bist du meine Liebe, bist du Phexdan… Und deine Annäherungen sind mir willkommen…“
Drängend schob sie sich immer wieder dicht an seinen Leib. Rahja lachte nicht über ihn…Rahja spielte kein Spiel…sie führte Krieg, der nur ein Ziel kannte…totale Vernichtung.

„Neferu, nein… ich bin nicht Phexdan – Ich bin Garion! Und ich liebe dich! Ich gebe dich nicht her…“ Er umarmte sie fest, seine Worte hatten einen fast verzweifelten Klang bekommen. Nicht auf rahjaische Art war seine innige Umarmung, sondern eher in der Weise der Angst zu verlieren, was ihm am liebsten war.
Langsam schien sich der Schlaf komplett von ihr zu lösen.
„Garion…?“ murmelte sie zögerlich. „Was… was ist los mit dir?“
„Nef… Meine Nef…. Du kannst ihn nicht heiraten. Ich bin dein Gegenstück… Ich liebe dich seit dem ersten Tag, an dem ich dich sah.“ Heiß traten ihm erneut Tränen in die Augen und seine Stimme erlangte einen beklommenen Ton, trotz ihrer Festigkeit. „Du darfst ihn nicht heiraten, denn lange schon gehörst du zu mir. Erinnere dich an den innigen Kuss, den wir in Gareth in der Herberge Heldentrutz teilten. Erinnere, dass wir beieinander gelegen und uns beinahe einander hingegeben hätten…“ Noch nie hatte soviel Gefühl in seinen Worten gelegen. Noch nie war er so ehrlich zu ihr gewesen wie in diesem Moment. Noch immer lag sie in seinen Armen, geschützt durch die unwirkliche Dunkelheit des Raumes. Er hatte alles aufgegeben, hatte alle Ängste bei Seite geschoben, die Angst sie zu verlieren hatte die Angst von ihr verlacht zu werden ein für allemal besiegt.
Sie schien irritiert und überrumpelt, drehte sich von ihm fort. Einige Momente hing stilles Schweigen im Zimmer, das trotz Morgengrauen noch immer in tiefe Nacht gehüllt war.

„Ich erkenne dich kaum wieder… Hast du dich über eine Nacht so sehr verändert? Wo ist deine leidenschaftslose Beherrschung? Deine vernunftsbetonte Vorstellung von Liebe, die der meinen so gar nicht ähnelt?“
Er brannte ihr einen Kuss in den Nacken.
„Ich habe erkannt, dass meine Beherrschung dich hat von mir abwenden lassen. Ich will nicht länger beherrscht sein.“ Er streichelte sie mit seinen schwieligen Kriegerhänden so sanft wie möglich an der Schulter, ehe er auch dort eine Berührung seiner Lippen hinterließ. All das durfte sie ihm nicht rauben. Er konnte nicht darauf verzichten sie zu berühren, er würde als gebrochener Mann sterben…als Mann, den das Alter vor der Zeit erreicht hatte.
Ihre Antwort kam seufzend:
„Glaub mir Garion, Selbstbeherrschung ist eine gute Sache. Würde ich mich nicht selbstbeherrschen, würde ich nur Leid verursachen.“
Was meinte sie damit? Eine leise Stimme in ihm flüsterte einen Schleier von Hoffnung. Wenn sie sich nicht beherrschte… würde sie dann ihn, Garion küssen? Weil sie in Wahrheit etwas für ihn empfand, das sie nur in sich verborgen hielt?

Er forderte sie auf die Beherrschung sein zu lassen und sie begann wie in Trance schnell und mit sanfter Stimme zu sprechen.
„Wir lieben einander, seit sich unsere Blicke das erste Mal trafen, hier in Grangor, einen Tag nach der Ankunft. Er war so schön… Mein Füchschen. Auch wenn ich ihn nicht berühren kann… Er duftet nach Rosen… Sein schwarzes, strubbliges Haar ist weich… Seine grünen Augen… Nie hat mich jemand so durchdringend und intensiv angesehen wie er. Nie hat mich jemand so endgültig umarmt wie er. Er kann alles von mir haben. Alles… Ich werde ihm nichts verweigern.“
Garion fühlte die Schwärze des Raumes auf sich zukommen. Er hatte das Gefühl, er würde sich drehen und fallen und stammelte, sich an seinen Mut klammernd die Antwort:
„Ich kann auch nach Rosen duften, wenn du das willst… Mein Haar ist auch schwarz und weich… meine Augen sind auch grün…“
Sie reagierte nicht. Offensichtlich hatte sie seinen Rat befolgt und die Schranken ihrer Beherrschung niedergerissen. Ihre Worte entkamen so leicht den begehrten Lippen, dass es zusätzlich zu der Bedeutung schmerzte:
„Es ist als würde ein Stück von mir fehlen, wenn er nicht bei mir ist… Sind wir zusammen, bin ich erst vollständig. Ich habe ihn gebeten, mich zu küssen, aber er wollte nicht… konnte nicht… aus irgendeinem Grund. Ich nahm stattdessen seine Hand und streichelte sie so zärtlich es mir möglich war. Ich berührte sie mit meinen Lippen, ohne jedoch zu küssen. Ich sah, wie sich die Härchen seiner Hand im Schauer aufstellten… Behalte es für dich, ich weiß nicht, ob sie wollen, dass andere es erfahren: Phexje ist sein Bruder. Wir gingen zusammen auf den Markt, ich an der Hand des Kindes. Ich kaufte ihm einen Holzfuchs. Dann begegneten wir Phexdan. Seine blaue Kleidung schmeichelte seinem Leib – er ist nicht klobig und breit, sondern anmutig und athletisch. Wir… brachten Phexje gemeinsam zu einem Spielkameraden. Zu dritt, der Junge auf seinen Schultern. Auch wenn das Füchschen zwischendurch in einen der Kanäle sprang, um den Fuchs zu retten, der hineingefallen war….“ Sie hielt inne und der Redeschwall wurde endlich unterbrochen.

Die Übelkeit, die in Garion aufgestiegen war brachte ihn beinahe zum Bersten.
„Du siehst. Es ist besser, wenn ich mich selbst beherrsche. Sonst verletzte ich dich unnötig.“
Raunte sie leise. „Verzeih mir, aber… Es ist zu spät. Hättest du mich vor einigen Monaten diese Leidenschaft spüren lassen, dann… aber jetzt… Die Götter haben mich für Phexdan bestimmt. Endlich hat die Füchsin den Fuchs gefunden.“

Garion erstarrte. Er spürte wie sich etwas in ihm regte, etwas, dass er vor noch nicht all zu langer Zeit das erste Mal gespürt hatte. Es kroch aus der Nähe seines Herzens seinen Hals hinauf…dann übermannte ihn der Schlaf mit einer Wucht, die er nie für möglich gehalten hätte. Wie viel gnadenvoller war doch Boron, als es seine Schwester jemals gewesen war…