Donnerbach 1 (Garion)

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Anfangs war die Fahrt ruhig verlaufen, beinahe zu ruhig. Das stete Schwanken und das monotone Rumpeln der Kutsche hatten beide schnell müde werden lassen. In dem Versuch wach zu bleiben, hatten Neferu und Garion sich darauf verlegt die vorbeiziehende Landschaft aus dem Fenster zu beobachten.

Seit dem Aufbruch aus Trallop hatte sich diese sehr verändert. Die großen Baumgruppen waren lichter geworden und das Land flacher, hier und dort hatte es niedrige Büsche gegeben, die sich für einen Hinterhalt geradezu anboten. Aber nichts dergleichen war passiert.
Stundenlang hatte sich der Blick aus dem Fenster mit einer gewissen Regelmäßigkeit in den Anblick einer Moorlandschaft gewandelt. Garion hatte schmunzeln müssen. Viele Menschen hatten Angst das Nebelmoor zu durchqueren, selbst wenn sie einem bewachten Wagenzug angehörten und die ganze Besatzung seiner Kutsche hatte aus nur drei Personen bestanden, von denen im Falle eines Angriffes sicher eine – nämlich der Kutscher – sofort getötet worden wäre. Auf dem Bock des Gefährtes bot er ein sicheres und ungeschütztes Ziel.

Wieder sah er zum Himmel hinauf, dann zu seiner Spiegelung im dunklen Wasser. Hier unten schienen die Sterne in Bewegung zu sein, dehnten sich oder zogen sich zusammen, nie standen sie still. Gedankenverloren schob er einen Finger in das kalte Wasser und ließ die Kälte eine Weile auf seine Haut wirken.
„Ob ich ein wenig Geige spielen sollte?“, sprach er leise zu sich selbst und zog den Finger wieder aus dem Wasser um ihn zu besehen.
Mit einem Kopfschütteln verwarf er die Idee. Sein Geigenspiel mochte dank der silbernen Geige zwar schön sein, aber es war auch laut. Mit Sicherheit würde er Richard wecken. Und sicher war der ohne Schlaf noch unfreundlicher als ohnehin schon. Er kratzte sich an der Wange und sah wieder in den dunklen Nachthimmel hinauf.

Ja, die Kutschfahrt war ruhig verlaufen, bis zu dem Moment, in dem es leise zu knarren begonnen hatte. Lauter und immer lauter war das Geräusch geworden, bis es sich schließlich in einem lauten Krachen ergangen hatte. Die Kutsche war ins Schlingern geraten und Garion hatte mit einem raschen Blick gerade noch sehen können, wie der Kutscher schreiend an seinem Fenster vorbei auf die Straße gestürzt war. Die Kutsche selbst war ruckartig zum Stehen gekommen.
Ein Überfall. Offenbar hatte es doch einen Grund für all die Furcht der Menschen aus Trallop gegeben. Mit verzogener Miene hatte er sich daran erinnert, dass seine Rüstung sich warm und trocken auf dem Dach der Kutsche befand.
Auch Neferu war aufmerksam geworden und hatte einen raschen Blick aus dem Fenster geworfen:“Da kommt etwas, Garion!“ Rasch hatte er hinaus gesehen und tatsächlich – über das niedrige Sumpfgras rechts des Wagens hatten sich einige Kreaturen auf die zum Stehen gekommene Kutsche zu bewegt. Groß waren sie nicht gewesen, aber irgendetwas an ihnen war Garion furchtbar bekannt vorgekommen.
„Richard…?“, hatte er gehaucht, ehe der Kampf ausgebrochen war.

Er spürte einen leichten Nieselregen auf seinem Gesicht, der die Gestalt des Ardariten und die Erde um ihn herum mit unaufdringlicher Feuchtigkeit benetzte. Der feine Regen strich ihm über das Gesicht, ließ die Tränenspuren unter denen des Regens verschwinden, ehe dieser an Intensität zunahm.
Einen Moment dachte Garion tatsächlich darüber nach auf dem schnellsten Weg in sein Zelt zurückzukehren, dann aber sah er zu dem Lauf des kleinen Baches vor ihm hinab. Wo Tropfen einschlugen bildeten sich kleine Ringe, die immer größer wurden.
Ohne ein einziges Mal zu blinzeln betrachtete er die Bewegungen des Wassers.
„Wie Menschen…“, dachte er bei sich. „Jeder von uns wird früher oder später in den Fluss des Zeit hinab geworfen, taucht ein in die Hektik des Lebens, den Rausch, in die Eindrücke, die einem die Sinne vermitteln.“, einer der sich ausbreitenden Ringe hatte seine Aufmerksamkeit gefesselt.
„Wir beginnen Fragen zu stellen, Dinge zu lernen, erweitern unseren Horizont…Und schließlich…Schließlich passiert es.“, mit ernster Miene folgte er dem Verlauf seines erwählten Tropfenkreises und beobachtete, wie der Ring sich mit einem zweite überschnitt und die sich ausdehnenden Ränder beider Ringe auf das Zentrum des jeweils anderen zuhielten.
„Bis wir auf diesen Menschen treffen, mit dem uns irgendetwas verbindet…Von dem wir uns wünschen, dass unser Horizont bis zu seiner Mitte, seinem Kern reiche.“, er verengte die Augen ein wenig. Er mochte nur ein Tropfen in einem ganzen Fluss, vielleicht sogar einem Meer sein, aber er wollte verdammt sein, wenn die Wellen, die er auslöste nicht bis zu Neferus Zentrum reichen mochten.
Wo sie wohl gerade war? Wieder sah er in den Himmel hinauf und heftete seinen Blick, dem Regen, der ihm ins Gesicht schlug zum Trotz, an das Madamal. Es war von jedem Punkt Aventuriens aus zu sehen, wenn es Nacht war…und doch war es stets das Selbe. Ob Neferu es sich auch gerade ansah und an ihn dachte…? Er biss sich auf die Unterlippe.

Der Kampf gegen die unehelichen Kinder Richards – die gefürchteten Suhlen des Nebelmoores – war nur kurz, dafür umso härter gewesen. Eine dieser Kreaturen hatte sich an seinem Bein fest gebissen, doch war es ihm unter Aufbringung all seiner Willensstärke gelungen sie abzuschütteln. Sie hatten sich nicht lange aufgehalten, hatten den Weg freigeräumt und er hatte mit dem glücklicherweise nicht all zu schwer verletzten Kutscher das Wagenrad repariert. Der Rest der Reise nach Donnerbach war ruhig verlaufen. Zu Garions Erstaunen hatten sie keine Nacht im Nebelmoor, nicht einmal in seiner Nähe, verbringen müssen.
Sie hatten in Donnerbach ein kleines, aber gemütliches Doppelzimmer bewohnt, dessen Einzelbetten er zu einem großen zusammengeschoben hatte. Der erste Tag war wie im Flug vergangen, die lange und anstrengende Kutschfahrt, der Kampf und die Reparaturen an der Kutsche hatten ihren Tribut gefordert und Neferu und Garion einen raschen und tiefen Schlaf beschert.
Der zweite Tag hatte wenig Abwechslung versprochen. Die beiden Reisenden hatten über ihre verschiedenen Sorgen gleichsam die Nähe der Tage des Namenlosen vergessen, die sie nun in Donnerbach einholten.
Leere Straßen, leere Schenken. Stille hatte sich über die Stadt gelegt, nur einige Patrouillen des örtlichen Rondratempels hatten den dunklen Stunden dieser Tage getrotzt und die Sicherheit in der Stadt garantiert. Garion war ohne Neferu aufgewacht und hatte sich gewohnheitsgemäß sein Hemd abgestriffen um sich zu allererst zu waschen. Es war unwahrscheinlich, dass Neferu das Gasthaus verlassen hatte – die namenlosen Tage waren ihr ebenso ein Begriff wie dem Rondriten.
Ein warmes Glücksgefühl hatte seinen Bauch durchflutet, als sie heimlich, still und leise aus ihrem Versteck hervor geschlichen war und ihn trotz seiner Nacktheit umarmt hatte. Keine Scham, kein Gefühl des Anstoßes, nur Wärme.

Sie hatte das Zimmer und wider Erwarten auch das Gasthaus selbst verlassen, war in Richtung des östlichen Tores, in Richtung des Pandlarin gegangen ohne zu ahnen, dass er dort lag. Garion hatte es sich nicht nehmen lassen ihr den Ort seiner Weihe zu zeigen. Hatte ihr die seltsame Wirkung seiner Anwesenheit auf die aggressiven Neunaugen zeigen wollen, doch hatte sie ihn – wie so oft – völlig überrascht und war in dem naiven Glauben, dass auch sie vor den Einwohnern des Sees gefeit sei kopfüber in das dunkle Wasser gesprungen…Und nicht wieder aufgetaucht.
Einen Moment lang hatte er versucht seine Rüstung zu öffnen, sich dann aber eines Geschenkes erinnert, einer Knospe, die es ihm ermöglicht hatte unter Wasser zu atmen. Rasch war er zu Neferu hinabgestiegen und hatte die Bewusstlose aus dem Wasser gezogen, ihre Lippen mit den seinen berührt, mit Efferd und Boron um ihr Leben gerungen und den Sieg davon getragen.

So war es gekommen, dass er den Besuch in dem Rondratempel der Stadt hatte alleine absolvieren müssen. Sieben Stunden hatte er die Hallen durchwandert, sogar eine Rondrageweihte kennen gelernt, die ebenso wie er in Arivor ihre Weihe erhalten hatte. Als Rondriane von Arivor hatte sie sich ihm vorgestellt, hatte ihm angeboten seine weiteren Nächte in der Stadt unter dem Dach ihrer Schwester zu verbringen. Er hatte ihr nur eine vage Antwort gegeben, noch eine Weile Trost unter den furchtsamen Bürgern und ihren Kindern verteilt und war dann zu Neferu zurückgekehrt.
Es war gewesen wie er es erwartet hatte – sie wollte so rasch wie möglich weg aus der Stadt, zurückkehren nach Gareth. Er hatte zugestimmt, ihn hielt nichts in Donnerbach und er hatte ihren katzenartigen, grünen Augen nie etwas abschlagen können.

Am nächsten Morgen hatten sie feststellen müssen, dass die Kutscher sich weigerten das Nebelmoor während der namenlosen Tage zu durchqueren. Garion hatte genickt und Neferus Gepäck zusätzlich zu seinem geschultert. Sie wollte weg…Und er hatte vorgehabt ihr ihren Willen zu geben.
Vorsichtig blinzelte er sich den Regen aus den Augen. In der Ferne zeichnete sich ein zartes Blassrosa ab, das den nahenden Morgen erahnen ließ. Kurz leckte er sich über die Lippen, ehe er sich erhob. Ein paar Stunden Schlaf wollte er sich noch gönnen. Vielleicht waren die Götter gnädig und ließen ihn von ihrem ebenmäßigen Gesicht träumen.