Trallop 1 (Garion)

Kategorien: 1008 BFBettler und GauklerGarionTrallop

Sie hatten die Kutsche für den Rest der Zeit für sich alleine gehabt, waren ungestört gewesen. Neferu hatte ein wenig mit ihm gesprochen und sich gegen ihn gelehnt. Hatte ihn gestreichelt und ihn mit ihrer sanften Stimme verwöhnt, ihn sogar mit dem Thema Phexdan verschont. Er war in ihren Schoß gesunken, hatte sich den Kopf von ihr kraulen lassen und sich an die Vorstellung geklammert, dass es ein Traviabund zwischen ihr und ihm sei, der bevorstand. Ihre sanften Finger auf seiner Stirn, an seiner Wange und in seinen Haaren waren ihm zum Genuss geworden und hatten ihn in Borons Arme hinüber geleitet. Es war ein angenehmer Traum, der ihn dort umsorgt hatte, ein Traum der sein Leben mit einer einzigen Veränderung der Realität gegenüber perfekt gemacht hatte – dann war er wieder aufgewacht. Auf seinem Gesicht hatte er Tränen gespürt, die Tränen Neferus. Auch sie hatte sich von dem sanften Schaukeln der Kutsche in den Schlaf wiegen lassen. Ihr Traum allerdings schien ihr etwas anderes offenbart zu haben als die Schönheit einer winzigen Veränderung. Sie war wieder in Schweigen verfallen und hatte sich ihm verschlossen.

Er hatte sie umarmt, ihr beruhigend den Nacken geküsst, aber ihre Tränen waren nicht versiegt. Die Feuchtigkeit auf ihren Wangen hatte in ihm einen furchtbaren Verdacht keimen lassen, den er wenig später bestätigt fand. Neferu hatte von ihrer eigenen Zukunft in Grangor geträumt…einer Zukunft in der offenbar weder Phexdan noch er vorgekommen waren. Sie war alleine mit ihrem und Phexdans Kind zurückgeblieben, einem Kind, das seine Gesichtszüge, aber ihre Augen und ihr Haar getragen und verzweifelt nach seinem toten Vater gefragt hatte…seinen Tod nicht hatte begreifen können und ihn eher als eine Art lange Reise verstanden und Phexdan nach einem oder zwei Götternamen zurückerwartet hatte.

Garion blinzelte mehrfach. Er lag noch immer auf dem Rücken, hatte sich kaum gerührt. Die Geräusche der Regentropfen auf seinem Zeltdach waren seltener geworden und ein Blick in Richtung seiner Füße zeigte ihm, dass es sich bei den wenigen Treffern nur noch um die Tropfen handeln konnte, die den Ästen des Baumes über ihm zu schwer wurden.
Statt des Regens benetzten nun seine Tränen den Boden neben sich. Vor einigen Wochen in der Kutsche hatte er in seinem Schreck über Neferus Trauer etwas übersehen, was ihn nun mit voller Härte einholte. Er war in ihrem Traum nicht vorgekommen…nicht einmal als Ersatzvater für ihren Jungen oder wenigstens als tröstender Freund. Er war wie weggewischt gewesen, wie eine vergessene Erinnerung, wie einer der vielen Teile eines Menschenlebens, die erstanden, existierten und vergingen ohne vermisst zu werden.
Rasch drückte er seine Lider aufeinander. Doch auch das konnte den Fluss seiner Tränen nicht aufhalten. Immer wieder sah er vor seinem inneren Auge eine verzweifelte Neferu, die sich trotz ihrer Trauer und ihrer Ängste nicht an ihn erinnern wollte. Die plötzliche Wärme der Tränen auf seiner Wange, die die Kälte der Nacht gewohnt war, ließ ihn erbeben. Niemals durfte ihr Traum in dieser Form Wahrheit werden. Selbst wenn er Nefs Seite für eine Weile verlassen sollte, würde er ein so schwerwiegendes Ereignis erfahren und an ihre Seite eilen, da war er sich sicher.
Er schluckte unter der Last seiner Tränen schwer und rieb sich mit einem leisen Schluchzen über die trockene Kehle.
Er hatte tatsächlich geplant sich einen Rückzugsort für den Fall seiner Niederlage zu schaffen, etwas, dass ihm im Falle des schwersten Verlustes etwas bieten konnte, das ihn am Leben erhielte, das ihm die Nähe zu Neferu wenigstens suggerierte. Der Plan war schon eine Weile in ihm gereift, doch fehlten noch einige Dukaten und ein Besuch bei seinen wahren Eltern um ihn umsetzen zu können.

Nie hatte er es zugegeben, nie mit jemandem darüber geredet, aber außer Neferu waren Prajeg und Felia die einzigen Menschen, denen er weit genug vertraute um vor ihnen zu weinen. Seine Gedanken glitten zu seinen Eltern, besonders zu seiner liebenden Mutter. Sie hatte schon in den frühesten Jahren stets Verständnis für ihren Ältesten gehabt, hatte sich geduldig seine Sorgen angehört und ihm Trost gespendet, wann immer er ihn gebraucht hatte.
Er presste seine blassen Lippen aufeinander und atmete tief ein. Seine Mutter würde ihm die Hilfe nicht verweigern, das wusste er.

Er hatte Neferu nach ihrem Traum zu beruhigen versucht. Hatte ihr versichert, dass ihr geliebter Phexdan schon auf sich aufpasste und ganz sicher nicht früh starb. Sie hatte sich beruhigt und aus dem Fenster gesehen, hinaus auf die rasch vorbeiziehende Landschaft des tralloper Umlandes.
Am selben Abend hatten sie die Stadt erreicht und sich in eine kleine Kaschemme zurückgezogen, die auf den klangvollen Namen „Kreuzergrab“ hörte. Der Wirt und auch die Gäste dort waren Garion ein wenig horasisch vorgekommen, aber die Gedanken waren wie hinweggefegt, als der Wirt ihnen großherzig erlaubte ein Einzelzimmer zu zweit zu beziehen. Der Rondrit war froh gewesen nicht getrennt von Neferu schlafen zu müssen und hatte sich mit ihr das Bett geteilt. Es hatte eine Weile gedauert, aber schließlich hatte er sich an den warmen Leib der Frau geschoben, die er liebte die aber den Traviabund mit einem anderen plante, und war eingeschlafen.

Der nächste Morgen hatte ihn unsaft aus dem Schlaf gerissen. Er hatte das laute und unnachgiebige Klopfen an der hölzernen Tür der Kammer bis in seinen Traum gehört und war nur unwesentlich nach Neferu erwacht. Garion war noch halb dem Schlaf verhaftet gewesen, hatte sich aber trotzdem aufgerichtet um Neferu den Weg zu ersparen. An der Tür hatte ihn der Wirt des Kreuzergrabes erwartet und ihn gefragt ob eine Neferu Banokborn in seinem Zimmer sei.
Er hatte ihm zur Antwort mit gerunzelter Stirn zugenickt und das Pergament an sich genommen, das der Wirt bei sich trug.
„Ein Bettler hat es vorbei gebracht, ich glaube ich hab‘ den schon öfter beim Tempel des Phex gesehen.“, diese Worte hatten gereicht um Nef das Stück Pergament sofort einfordern und lesen zu lassen, während Garion sich neben sie setze.
Das Lesen der Nachricht konnte kaum mehr als fünfzehn Augenblicke gedauert haben, doch hatte sie mindestens sechzig auf das Geschriebene gestarrt, ehe sie sich mit Tränen in den Augen zurück auf das Bett geworfen hatte.

Er wischte sich mit dem Handrücken über die Augen um die letzten Tränen zu verscheuchen und legte seine Hände dann unter dem Kopf zusammen. Noch immer sah er den Brief vor Augen, er hatte ihn immer und immer wieder gelesen, er lautete:

„Phex zum Gruße Neferu,
die Zeit ist gekommen, da du erfährst, was mich davon abgehalten hat dich zu meinem Eigen zu machen. Schon seit Jahren hat sich der junge Phexje mit einer Abart der Blauen Keuche gequält. Damals, als ich davon erfuhr habe ich ihm geschworen, dass ich nur für ihn da sein werde, so lange er lebt. Wir haben abgemacht, dass eine Frau mich davon mit Sicherheit abbringen würde. Und ich daher seine Zustimmung…oder seinen Tod bräuchte. Unglücklicherweise muss ich dir mit dieser Nachricht mitteilen, dass beides zusammenfällt. Phexje hat vor nicht ganz zwei Stunden den Kampf gegen seine Krankheit verloren und mir auf dem Sterbebett verraten, dass er dich liebt wie eine Schwester. Ich werde deine Rückkehr voller Sehnsucht erwarten. Wir sehen uns in 3 Wochen.

In dir ewig zugetaner Liebe,
Phexdan“

Er runzelte die Stirn und räusperte sich. Er hielt es nicht länger aus hier herum zu liegen, die Enge des Zeltes machte ihm normalerweise nicht zu schaffen, aber da er ohnehin nicht schlafen konnte, wirkte sie auf ihn wie ein Gefängnis. Mit vorsichtigen Bewegungen rutschte er zum Fußende der Schlafstatt und krabbelte schließlich ein wenig steifbeinig ganz heraus. Ein frischer Wind strich ihm um die Nase und ließ ihn frieren, während er einen kurzen Blick über den Lagerplatz gleiten ließ. Richard war tatsächlich schon verschwunden, wie er es vermutet hatte. Die Gegend war nicht sonderlich gefährlich, sie waren keine fünfzig Schritt von der Reichsstraße entfernt, wilde Tiere oder Räuberüberfälle waren hier nicht zu befürchten, so hatten sie sich darauf verständigt auf eine Wache zu verzichten.
Wenn er sich recht erinnerte, dann hatte er bei errichten des Lagers nicht weit entfernt einen kleinen Bach glitzern sehen, dessen Ufer flach und einfach zu erreichen war.
Kurzentschlossen griff er nach seiner Krötenhaut und warf sie sich über. Sie würde den Wind abhalten und unerwartete Begegnungen im Unterholz ungefährlicher machen. Für einen Moment sah er auch zu seinem Schwert hinüber, verwarf den Gedanken dann aber, er würde es nicht brauchen, im Falle eines Angriffes könnte er sich auch so wehren – davon, dass er keinen Kampf erwartete einmal abgesehen. Auf dem Weg zu dem leise glucksenden Gewässer wandten sich seine Gedanken wieder Vergangenem zu.

Neferu war nicht lange erstarrt geblieben, sie hatte sich rasch angekleidet und war mit einer Eile auf die Straße hinaus gerannt, die Garion vollkommen überrascht hatte. So war es gekommen, dass er erst Minuten nach ihr auf die Straße hinaus getreten und sie nur noch in der Ferne gesehen hatte. Aufzuholen war ihm unmöglich gewesen, nur bis zu einem Bettler, der an einer Gabelung der Straße mit dem Rücken an einen Brunnen gelehnt saß, hatte er ihr folgen können ehe er sie aus den Augen verlor. Nervös und zum Warten verdammt war er auf dem Vorplatz des Brunnens im Kreis gelaufen, den Kopf voller Gedanken und das Herz von ihren Tränen beschwert.
Damals war die Zeit ihm lang geworden. Er war unsicher gewesen ob sie aus dem Phextempel, den sie hatte aufsuchen wollen zurückkommen würde oder ob sie sich bereits ein Pferd oder eine Kutsche zurück nach Grangor organisierte. Da er aber nun darüber nachdachte, konnte er nicht viel länger als fünf, vielleicht zehn Minuten gewartet haben, ehe sie aus einer der Seitengassen links von ihm hervorgetreten war und auf ihn zugehalten hatte. Ein seltsames Lächeln hatte ihre Lippen umspielt und ihn erleichtert durchatmen lassen, dann hatte sie ihn fest umarmt und an sich gedrückt.

Mit einem Lächeln sah er auf das im Licht des Madamals funkelnde Wasser hinab. Irgendwo in der Nähe quakte leise ein Frosch oder eine Kröte. Von hier oben sah der Bach dunkel, beinahe schwarz aus.
Noch einmal sah Garion sich aufmerksam um, ehe er langsam in die Hocke ging und eine Hand nach der belebenden Kälte des Gewässers ausstreckte. Leise glucksend umspülte das Wasser des flachen Bächleins seine Finger, trieb einen kleinen Ast dagegen, riss ihn aber sogleich wieder mit sich fort. Ob es das war, was die Götter sahen, wenn sie das Leben eines Menschen beobachteten? Einen Stock, eine unbelebte Materie, die vom Strom der Zeit davon gerissen wurde?
Rasch griff er nach dem Stock und zog ihn aus den kalten Fluten um ihn einen Moment in Händen zu drehen. Schließlich aber legte er ihn zur Seite. Philosophie war nie seine Stärke gewesen und es gab wahrlich Wichtigeres um das er sich Gedanken machen musste.
Mit zwei Fingern massierte er seine Nasenwurzel. Er spürte noch immer keine Müdigkeit obwohl die Nacht dem Morgen sicherlich bereits näher war als dem Abend. Seufzend ließ er sich am Ufer des kleinen Bachs auf den Hosenboden fallen.

„Ich muss noch zu einem Schneider, Garion! Diese Tunika muss an der Taille dringend enger gemacht werden.“, hatte Neferu gesagt und das königsblaue Kleidungsstück mit ihren Händen so in Form gezogen, dass es ihren kurvenreichen Körper voll zur Geltung gebracht hatte. Ja, er war ganz ihrer Meinung gewesen, es musste dringend enger gemacht werden – sie sah wundervoll aus.
Sie waren auf dem schnellsten Weg in das Kreuzergrab zurückgekehrt um ihre Sachen zu holen. Dort jedoch hatten sie Zweifel beschlichen, ob die Zeit tatsächlich noch reichen würde einen Schneider aufzusuchen. Die Stunde zu der sie sich wieder bei der Kutsche einfinden sollten war schon sehr nahe gerückt, sodass sie sich entschlossen auf den Besuch der Schneiderei zu verzichten und besser sofort die Kutschstation aufzusuchen.
Dort angekommen waren sie von einem verwunderten Kutschfahrer begrüßt worden:“Guten Morgen. Ich hatte euch gar nicht so früh hier erwartet. Es sind doch noch mindestens vierzig Minuten bis zur zehnten Stunde.“, er hatte über das mangelnde Zeitgefühl der beiden gegrinst, ihnen aber dennoch erlaubt ihr Gepäck schon auf das Dach der Kutsche zu laden. In der übrigen Zeit war es ihnen dann tatsächlich gelungen einen Schneider – einen erstaunlich geschickten Thorwaler – aufzutreiben, dem es gelang die Tunika mit einigen, wenigen Stichen in die gewünschte Form zu bringen. Nicht einmal teuer war der Besuch gewesen, obgleich Neferu sich auch einen Satz neue schwarze Stiefel gekauft hatte. Als sie wieder zu der Kutschstation zurückgekehrt waren, waren sie noch immer einige Minuten zu früh dran gewesen, hatten sich aber schon in der Kutsche niedergelassen und sich leise unterhalten.