Havena 3 (Neferu)

Wie ein zerklüfteter schwarzer Fels ragte die Boroninsel aus den Nebeln des Wassers. Mysteriös und finster wirkte der stille Ort, da draußen im Hafen von Havena. Sogar die kreischenden Möwen mieden das uralte Gemäuer, als wollten sie gar nicht erst riskieren, den Blick des Todes auf sich zu lenken.

An diesem Herbstmorgen regnete es nicht, auch wenn die Gischt auf ihren Lippen salzig schmeckte, die der unberechenbare Wind aus Richtung Westen gegen das Land peitschte, der ihr Haar und Kleider verwehte.
In dieser Stadt war die Luft immer feucht. Havena, die von Efferd Erkorene.
An einigen Tagen kroch eine unangenehme Nässe aus dem Boden und machte jeglichen Stoff klamm auf der Haut. An anderen öffnete der Himmel seine Schleusen und ergoss massenhaft, nie enden wollenden Platzregen über Mensch und Tier. Und manchmal, so wie heute, trieb der Sturm sein Spiel mit den Wellen, in ungebändigter Raserei, so dass es den Anschein hatte, als würde das gesamte Herz Albernias von der Wut des Meeres durch Sprühnebel getränkt.

Sie musste aussehen wie eine Galeonsfigur, wie sie da am Hafen stand.
Oder wie eine Verrückte.
Wie eine Frau, die mit rissigem Mund und salzwasserstumpfen Strähnen, die zerzaust um ihr Haupt flogen wie Seetang, auf einen Seemann wartete, den ein Schiff vor Jahrzehnten davongetragen hatte und der niemals zu ihr zurückgekehrt war, obwohl er es versprochen hatte.
Dazu ihre abnorme Blässe… Vor einer Woche hatte sie viel Blut gelassen. Fast all ihr Blut.
Bedachte sie die Faktoren, wunderte es sie nicht mehr, dass die Menschen einen Bogen um sie machten, die Mütter ihre Kinder vorsorglich auf den Arm nahmen, wenn sie sie passierten und ihr aus allen Richtungen schiefe Blicke zugeworfen wurden.

Eine rote Frau stand stundenlang am Hafen und starrte auf die Toteninsel.
Was konnte die aberglaubegeplagten Albernier mehr aus der Fassung bringen?
Sie lächelte bissig, während sie das Basaltbollwerk in nebliger Entfernung mit ungetrübtem Blick anvisierte und die Antwort kannte.