Havena 9 (Zerwas)
Kategorien: 1013 BFDer Tod trägt RotZerwasDie Zeit des Wartens war vorbei. Endlich konnte sein Hunger, seine Kraft und seine Gier Bahn brechen.
Das Geräusch seiner schnellen Schritte wurde von den Wänden zurückgeworfen und brach sich an Decke und Boden. Er spürte, dass er nicht mehr Herr über seinen Körper war. Die Triebe und Instinkte des Vampirs hatten übernommen – und sein Bewusstsein hatte die Leine losgelassen. Endlich ein Ziel, das er zerreißen konnte, ohne ein schlechtes Gewissen haben oder den Zorn der Götter fürchten zu müssen. Zerwas befand sich auf der Jagd.
Geschlossene Türen flogen an ihm vorüber, während sich sein Sichtfeld verengte und rot pulsierte. Seine Lippen zogen sich zurück und legten die scharfen Eckzähne frei. Als er die Stufen erreichte, die ihn zur Oberfläche hinauftragen würden, begann er sich auf allen Vieren fortzubewegen. Mit den ersten Atemzügen, die frische Luft an seine Nase trugen erfassten seine geschärften Sinne, was er begehrte. Er roch leichten Schweiß, Waffenöl, Fleisch und Blut – der Meuchler war bereits angekommen.
Der Narr…, schoss es dem Henker durch den Kopf. …er hält sich für den Jäger und ist doch die Beute. Diese Einsicht amüsierte ihn, während er – lediglich als Beobachter im eigenen Körper – die letzte Stufe überwand und in die Dunkelheit der Nacht hinaus glitt.
Lautlos wie ein Schatten überquerte er den Platz vor dem Tempelgebäude und schob sich in die Deckung eines Grabsteines. Seine Nasenflügel bebten, als er die Witterung des gedungenen Mörders ganz in seiner Nähe zwischen den Gräbern aufnahm.
Ein rascher Blick zeigte ihm, dass die gebeugte Gestalt des angeblichen Todbringers geduckt zwischen den Denkmälern der Verstorbenen hindurch auf den Tempel zuhielt. So selbstsicher – und sowas von tot…, durchzuckte es seinen Geist, während er mit ansah, wie sein Körper sich sprungbereit machte. Mit einem einzigen, langen Satz überwand er die Distanz zwischen sich und seinem Opfer und rammte ihn mit einem heiseren Fauchen gegen eine halbhohe Statue.
Der Mann reagierte überraschend schnell. Undeutlich nahm der Bluttrinker wahr, dass sich ein stechender Schmerz in seiner linken Schulter ausbreitete. Der kleine Mordbube musste ihn mit einem Dolch erwischt haben – einem vergifteten wie er vermutete. Wütend hieb er nach der Waffenhand seines Opponenten und schleuderte die Klinge zur Seite. Der Treffer war unbedeutend – oder würde es bald sein. Sobald frisches Blut seine Adern füllte, würde sie verheilen und vollkommen wirkungslos bleiben.
Zum Ärgernis des triebhaften Wesens zu dem er geworden war, endete die Gegenwehr des armseligen Menschlings allerdings nicht mit diesem ersten Stich. Als Fanatiker schien er es im Gegenteil als seine heilige Pflicht zu betrachten den Untoten, der ihn angefallen hatte vom Antlitz der Erde zu tilgen. Nach dem Verlust seines Dolches zückte er zwei silbrig glänzende Wurfmesser und rammte eines davon knapp unterhalb des Schlüsselbeins in den Leib des Angreifers.
Innerlich schüttelte Zerwas den Kopf. Er hatte keine Chance diesen Kampf zu überleben, aber tat als sei er von Boron persönlich gesandt. Nun…dann schicken wir ihn eben dorthin zurück., befand er gerade, als der Verteidigungsreflex dessen, was in diesem Moment die Kontrolle hatte, einsetzte. Die Finger, die er als seine eigenen erkannte, wurden von der Gewalt seines übernatürlichen Körpers in die Kehle des Mannes gerammt und packten den Adamsapfel, ehe sie ihn mit einem unappetitlichen Ruck herausrissen und zur Seite schleuderten.
Das Gesicht des Meuchlers zeugte von Unglauben. Seine Augen weiteten sich, als er versuchte etwas zu sagen, aber nur Blut aus seinem Mund kam. Dann verließ sie das Leuchten des Lebens und er sackte zurück.
Kaum dass nichts mehr zwischen ihm und dem Lebenssaft seines Opfers stand, begann er sich zu laben. Er spürte, wie die letzten Herzschläge des Toten ihm das Blut entgegen pumpten, wie es über seine Zunge seinen Hals hinab glitt. Es war ein Festmahl, wie er es selten genossen hatte. In einer Geste des Triumphs hob er sein Angesicht gen Sternenhimmel, lächelte und atmete tief ein. Einen Augenblick war da nichts als der Geruch der Nacht und des Blutes – dann aber mischte sich etwas anderes in die Duftnoten. Eine Nuance nur – aber eine süße, eine die die Flamme der Gier heller brennen ließ. Und eine, die dem wachen Teil seines Geistes auf furchtbare Weise bekannt vorkam: Der Geruch einer eigeborenen Hexe.