Trallop 4 (Zerwas)

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Die Dunkelheit hatte sich bereits vor einer Weile wie eine samtene Decke über die Welt der Menschen gebreitet, als der elegant gekleidete Mann mit den langen, schwarzen Haaren auf die Straße trat.
Dieser Abend war der Kultur gewidmet. Das Theater in Altentrallop zeigte ein – wie es hieß – durchaus kritisches Stück. Mochte das allein schon Grund genug sein es sich anzusehen, trat für Zerwas doch ein gänzlich anderer Aspekt in den Vordergrund: Neferu hatte von Phexdan eine Rolle bekommen.
Dass gerade der lästige Fuchsanbeter dieses Stück geschrieben hatte, war der einzige Nachteil dieses Abends. Jedenfalls wenn man von dem Umstand absah, dass er sich gegen Ende des Stücks würde beeilen müssen, die Brücke zurück nach Neuentrallop noch passieren zu dürfen.

Langschrittig und mit selbstbewusster Körperspannung durchquerte er die Stadt. Ging vorüber an Handwerkern, die ihre Läden abschlossen, Tagelöhnern, die in einer Wirtschaft einkehrten und an Praios-Inquisitioren, die ihre Zeit damit verbrachten…an Praios-Inquisitoren? Zerwas wurde langsamer, als er der Gestalt am Zugang zur Herzogenbrücke gewahr wurde.
Calfang Rodebrandt – herzoglicher Inquisitor und exquisite Nervensäge – stand bei den Torwachen und unterhielt sich leise mit ihnen. Passend zu der Aura triefender Arroganz, die ihn umgab war er in Reinweiß mit gelben und roten Applikationen gehüllt und vermied es tunlichst, sich während des Gesprächs an eine Wand zu lehnen.
Ein ungutes Gefühl stieg in dem Vampir auf. Es gab nur wenig Gründe für den Blonden sich auf dieser Seite der Brücke aufzuhalten. Außerdem hatte Neferu erwähnt, dass er die Vorstellung heute Abend ebenso zu besuchen wünschte. Warum also sollte er jetzt – weniger als das Viertel einer Stunde vor Beginn der Aufführung noch hier am Tor aufhalten? Außer natürlich…

„Entschuldigt mich, guter Mann. Mein Besuch ist soeben eingetroffen.“, drang es an sein Ohr, als der Inquisitor sich von der Wache löste und ohne Umwege auf den Vampir zu hielt. „Ihr seid pünktlich. Sehr gut – ich hatte befürchtet Ihr hättet Eure Pläne für den heutigen Abend geändert. Dann wäre ich zu meinem tiefsten Bedauern sicher zu spät gekommen.“
Zerwas‘ Drang das Gesicht angewidert zu verziehen wurde übermenschlich stark, als der Praiot seine Worte mit einem höflichen Lächeln untermalte, das genauso gut eine Ohrfeige hätte sein können.
„Kommt. Ich habe uns Plätze reservieren lassen. Nicht ganz vorne versteht sich – sondern auf der Gallerie – zentral und ruhig. Der perfekte Blick.“, mit diesen Worten zückte der Inquisitor zwei Billets von denen er eins dem dunklen Kontrast seiner selbst entgegen streckte. „Genießen wir den Abend.“

Weniger als 15 Minuten später, saßen beide auf gepolsterten Holzsesseln dicht nebeneinander in einer eigenen Loge. Die Lichter waren gelöscht, das Stück hatte begonnen und die Laune des Vampirs hatte sich seit seinem Aufbruch aus seinem derzeitigem Heim rapide verschlechtert. Der kritische Beigeschmack des Stückes hatte den Pöbel in Massen angelockt, sodass es selbst hier oben nach einer Mischung aus Schweiß, Flatulenz und ungewaschener Kleidung roch. Dazu kam die ungebetene Begleitung durch den Inquisitor, dessen Näschen nicht gut genug war, sein Leid zu teilen, sowie der Umstand, dass er Neferu noch nicht hatte ausmachen können. Sicher – er war davon ausgegangen, dass sie geschminkt oder vielleicht sogar maskiert werden würde, aber bisher passte nicht einmal eine der weiblichen Figuren auf der Bühne zu der seiner Geliebten.
Missgelaunt lehnte er sich nach vorne. Phexdan war leicht auszumachen gewesen. Da es sein Stück war, war er der Held der Geschichte, der alle anderen nach und nach übertrumpfte. Dass es die eine oder andere Parallele zu Menschen gab, die er kannte oder von denen er gehört hatte, machte es nicht besser – zumal er selbst offenbar den Antagonisten in diesem schamlosen Treiben stellte.
Seine Augen fuhren von Darsteller zu Darstellen, von Gesicht zu Gesicht, von Rolle zu Rolle. Aber nirgendwo war Neferu zu sehen. „Gefällt es Euch…?“, drängte der Mann neben ihm sich in seine Wahrnehmung. „Ja…ja. Es ist nicht schlecht. Aber an die großen Meister kommt es nicht heran.“, entgegnete er in der Hoffnung das Gespräch im Keim ersticken zu können. „Oh – Ihr seid ein wirklicher Theaterfreund? Seid ihr mit den Werken Barutollis vertraut…?“

In zwei Stunden um Jahre gealtert hatte der Vampir gerade noch rechtzeitig die Brücke erreicht und war so einer halb erzwungenen Übernachtung im Hause des Inquisitors entkommen. Seufzend hielt er in der Dunkelheit eines Hauses an und ließ den Abend Revue passieren. Dass Calfang ihn beinahe von dem ganzen Stück abgelenkt hatte, war zwar ärgerlich gewesen, aber nicht der Grund für den Knoten in seiner Brust. Das ungute Gefühl, dass ihm einen Schauer über den Rücken jagte. Trotz aller Bemühungen des Inquisitors, ihn von dem Schauspiel abzulenken, hatte er stets ein Auge auf die Bühne behalten – und Neferu nicht gesehen. Nach der Vorstellung hatten die Schauspieler noch für kurze Gespräche mit den angeseheneren Mitgliedern der Gesellschaft zur Verfügung gestanden. Und obgleich seine Zeit knapp und sein Interesse gering war, war er hinab gegangen. Der Geruch seiner Hexe hatte vollkommen gefehlt. Was, wenn sie nicht dort gewesen war, weil sie in Gefahr, ja weil ihr vielleicht schon etwas passiert war?
Vor seinem inneren Auge stieg das Bild der jungen Hexe auf, die auf einem Stuhl gefesselt, umgeben von Praiosdienern saß und auf den Boden blutete. Unwillkürlich spürte er den Drang nach Gewalt in sich aufsteigen, den Zorn, der ihm eingab jeden auszulöschen, der seiner Liebe Schmerz zufügte. Als seine Fangzähne sich aus seinem Kiefer schoben, schloss er rasch die Augen und atmete tief ein. Zuerst würde er zuhause nachsehen…vielleicht gab es für ihre Abwesenheit eine ganz simple Erklärung. Aber wenn nicht, dann würde schon bald Blut fließen in den Straßen dieser schönen Stadt.