Trallop 3 (Zerwas)

Kategorien: 1013 BFDer Tod trägt RotNeferuTrallopZerwas

Der Tag war klar und kalt gewesen, ganz wie Zerwas es hasste. Dichte Wolken und Schneefall verbargen die Praiosschreibe manchmal weit genug, dass er das Haus auch am Tage verlassen konnte. Dann erlebte er die Welt in ihren prallen Farben, ehe die Nacht sie ihnen rauben konnte. Natürlich wäre es ihm möglich gewesen, sich wie ein Feigling hinter Hut und Mantel zu verbergen und durch den Tag zu schleichen – aber er hasste es, sich verstecken zu müssen. Heute hatte er nur zählen können, wie viele Schimmelflecken sich hinter der getünchten Wand verbargen.
Mit einem letzten Blick aus dem Fenster, hinaus auf sterbende Farben und eine rot glühende Sonne, schwang er sich aus dem Bett.
Endlich war es dunkel genug, um seiner Lieblingsbeschäftigung nachzugehen.

Eilig griff er nach seinem Mantel – weniger weil er sich um die Kälte sorgte, als viel eher der Tarnung wegen – warf ihn über und ging die Stufen aus dem ersten Stock des gemütlichen Bürgerhäuschens hinab ins Erdgeschoss. Dort war es still, erst eine Tür weiter hörte er das Feuer im Kamin ihres Gastgebers knacken und gleichmäßige Atemzüge, die darauf schließen ließen, dass eben jener einmal mehr beim Lesen eingeschlafen war.
Irgendwann würde er mitsamt der ganzen Hauses in Flammen aufgehen, aber das war nicht zu vermeiden. Rasch überbrückte er die Distanz zur Vordertür und trat in die aufziehende Kälte der Nacht hinaus. Wenigstens roch die Luft an Tagen wie diesen einigermaßen frisch. Sein Blick glitt die Straße entlang, die in das Herz der Stadt führte. Zu den guten Gerüchen von Garküchen, Marktständen und menschlichem Blut. Dann aber wandte er sich von diesen Verlockungen ab und einer gänzlich anders gearteten zu. Mit knirschendem Schnee vom Vortag unter seinen Stiefeln umrundete er das Haus zur Hälfte, wo er aus einem alten Schuppen in den letzten Nächten einen Stall gemacht hatte.

Tiere waren ihm in den letzten Jahrhunderten näher gewesen als Menschen. Sie versuchten nicht ihre Angst zu verbergen und sie misstrautem ihm nicht, nur weil er anders war. Tiere waren die einzigen Geschöpfe gewesen, die ihn nicht nur nicht verraten hatten, sondern die noch dazu bedingungslos loyal gewesen waren. Und besonders Pferde waren ihm ans Herz gewachsen. Dass die beiden Fohlen, die nun die mäßige Wärme ihrer provisorischen Wohnstatt genossen, von den Bewohnern Trallops ängstlich gemieden, ja sogar nur ihrer Fellfarbe wegen getötet würden, bewies nur einmal mehr die Engstirnigkeit der Menschen.
Schnell schob er sich durch die Tür, die er rasch hinter sich wieder schloss, damit nicht zu viel Wärme in die Nacht hinaus entwich. Nachtlicht und Elster standen dicht gedrängt aneinander und starrten ängstlich zur Tür.“Keine Sorge ihr beiden. Kaum jemand hat weniger von mir zu beführten als ihr.“, sprach er warm in das Zwielicht des Raumes. Im Vorbeigehen griff er nach einem Heuballen, den er erst gestern Nacht hatte organisieren können und begann ihn vor den Tieren auf dem Boden zu verstreuen. Dann machte er sich daran mit der Mistforke die Exkremente der Schecken zu sammeln und in einen Eimer zu verfrachten. Er mochte den Geruch der Ställe – Pferdemist machte ihm nichts aus. Niemand verurteilte ihn hier drin. Die Erfahrung hatte ihn gelehrt, dass es weniger als drei Monate brauchen würde, bis Nachtlicht und Elster sich an seine Anwesenheit gewöhnt hätten. Dann konnte er mit der eigentlichen Abrichtung beginnen. Oder – könnte beginnen, wären sie nicht auch dann immer noch eine ganze Weile von einem Alter entfernt, in dem man sie einreiten konnte.

Er lehnte sich an die Wand in seinem Rücken und beobachtete die beiden fressenden Pferde nachdenklich. Neferu war unterwegs, um endlich ihre Queste zu Ende zu bringen. Und dann konnten sie endlich fort. Fort aus Trallop und fort von diesem impertinenten Jungspund von einem Inquisitor. Vorsichtig stieß er sich von der Wand ab und schlich auf die Pferde zu. Als er Nachtlicht erreichte, legte er bedächtig einen Finger auf seinen Rücken und ließ ihn über das Fell fahren – in der Richtung, in die es wuchs. Es war wichtig seine Präsenz mit angenehmen Dingen in Verbindung zu bringen. Vollkommen vom Fressen vereinnahmt, schien Nachtlicht den Finger gar nicht zu bemerken. Erst als vier andere dazu kamen und ihn zu kraulen begannen, erstarrte er für einige Momente. Als er wieder zu einer Regung fähig war, sah er unheimlich langsam zu Zerwas auf und schien ihn zu mustern, bis er sicher sein konnte, dass von dort keine Gefahr drohte. Dann begann er wieder zu fressen.

Die Finger des Vampirs zuckten zurück. Für heute sollte das als Fortschritt reichen. Er würde noch bleiben, bis sie fertig waren und dann gehen. Selbst erwachsene Männer brauchten lange, bis sie ihre Angst überwanden – und das hier waren nur junge Tiere. Bei dem Gedanken an junge Tiere sah er zur Decke des Stalls auf, wo eine kleine Laterne gelblichen Lichtschein von sich gab. Drinnen wartete Dajin. Oder wie Zerwas ihn gerne nannte: Das nervtötendste Wesen Deres. Er hatte vorgehabt den Affen, dessen Augen sicher größer waren als sein Hirn, zum Schweigen zu erziehen – vielleicht sogar zum Totstellen, sobald er den Raum betrat. Aber das zweitnervtötendste Wesen Deres – Phexdan – schwirrte immer um das Pelzknäuel herum, als habe er es selbst zur Welt gebracht.
Außerdem war an dem Affen irgendetwas anders. Zwar gewöhnte sich jedes Tier irgendwann an seine Anwesenheit, die Eingewöhnungszeit Dajins war aber wesentlich zu niedrig gewesen. Und selbst die erste Male, bei denen das Äffchen sich noch großäügig an sein Herrchen geklammert hatte, waren wie das Schauspiel eines schlechten Schauspielers gewesen. Rasch schüttelte er den Kopf und damit die Gedanken an den Flohzirkus Phexdans ab. Es gab wichtigeres zu tun und wichtigeres zu denken. Neferu käme bald zurück – und bis dahin wollte er gepackt haben.