Gareth 4 (Neferu)

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Zeitraum:  –––

Kein Tag wie jeder andere.
Es war noch dunkel an diesem Firunsmorgen, als sie sich aus dem Herbergsbett erhob.
Sie hörte Schnarchen, konnte aber nicht ausmachen, ob Phexdan oder Salpico die Ursache war. Jedenfalls fiel Zerwas aufgrund mangelhafter Atmung aus.
Zu viert bewohnten sie dieses winzige Zimmer unter dem Dach der Smaragdnatter, das schwer nach Schlafenden roch. Was musste Zerwas tagtäglich unter all dieser Menschlichkeit in Form von Ausdünstungen leiden. Seine Sinne waren fein wie die eines Tieres.

Sie zog sich an. Bemüht leise, um niemanden unnötig zu wecken.
Zerwas regte sich – sicher war er lange wach, brauchte der Vampir doch nur in den seltensten Fällen überhaupt Schlaf.
Sie wandte den Kopf, sah zu ihm. Ihre Augen hatten sich an die Dunkelheit gewöhnt.
„Soll ich mit dir gehen?“ Seine wohlklingende Stimme durchschnitt geflüstert die Stille.
Sie nickte ihm zu.

Draußen lag Raureif auf den Dächern und Straßen Gareths, verwandelte das Herbergsschild Smaragdnatter in ein künstlerisch kaltes Gebilde.
Sie hatte sich warm angezogen – das prachtvolle rote Kleid mit den Stickereien und goldenen Applikationen, dazu der lange passende Wintermantel und ihren blutfarbenen Lederumhang, gefüttert mit hellgrauem Fell.
Neferu schob die Hand in Zerwas‘ Armbeuge – Handschuhe hatte sie keine und ihre dünnen Finger fröstelten. Sie wusste, dass sie keine Wärme an dem Kind der Nacht würde finden können, aber immerhin an seinem wollenen Hemd. Es war weniger still in den Straßen, als man bei der Dunkelheit hätte annehmen können. Obwohl der Tag noch fern war, die Sonne noch tief hinter dem Osthorizont ruhte, war die Zeit keineswegs allzu früh für die arbeitende Bevölkerung.
Ihr Atem stieß in Dunstwolken in die Winterluft – der ihres Begleiters nicht. Er musste lange nicht mehr getrunken haben…

Sie hielten sich weniger lang in den Kaiserthermen auf als gewöhnlich. Die alten Herrschaften, die die gehobene Badeanstalt besuchten, hatten sich mittlerweile an das junge Paar gewöhnt, das in den letzten Tagen immer öfter ihr Badewasser heimsuchte. Es hatte sich wohl unter den Besuchern herumgesprochen, also blieb das neugierig-skeptische Starren wenigstens großteils aus.
Neferu war wesentlich schweigsamer diesen Morgen. Sie verfiel des Öfteren in ein zielloses Stieren und leckte in bissiger Nervosität an ihrer Unterlippe.
Sie musste sich ablenken, ihr Gemüt beruhigen. Dieser offizielle Gerichtstermin machte ihr mehr zu schaffen, als sie zuzugeben bereit war.

Sauber und mit zurechtgemachtem Haar hielt sie anschließend, noch immer am Arm ihres hochgewachsenen Begleiters, auf den Greifenplatz zu.
Neferus verqueres Gemüt forderte es nahezu, dass es ausgerechnet der Bannstrahler vor der Praiossakrale sein musste, den sie nach so etwas Banalem wie dem Weg fragte.
Das geheime Wissen, dass ein Erzvampir und eine Eigebürtige frei und unbelangt hingehen und ansprechen konnte, wen sie wollten, ohne erkannt zu werden, gab ihr ein tiefes, grimmiges Gefühl der Zufriedenheit. Der Bannstrahler – korrekt, deutlich und selbstverständlich im Namen des Götterfürsten grüßend, wies ihnen den Weg. Also drängten sie sich über den schon überlaufenen Eisenmarkt, an der Alten Residenz vorbei durch das Angbarer Tor in die Weststadt und von da aus zum nächstgelegenen Brunnenplatz.
Das Freigericht Weststadt solle sich im Magistratsgebäude befinden, erfuhr sie vor Ort. In dem enormen Bauwerk bosparanischen Stils, das den Platz mit seiner Größe und architektonischen Pracht schmückte.
„Willst du, dass ich mit reinkomme?“ Zerwas war sehr behutsam mit ihr diesen Morgen. Ob er ihr Unbehagen und ihre Furcht vor dem kommenden Prozess wittern konnte? Sie hatte seine animalische Seite gesehen und wusste, dass sie ein tiefsitzender, instinktiver Teil von ihm war.
„Einerseits ja, ich will dich immer dabei haben. Andererseits.. Du weißt, mir ist daran gelegen, dich zu beeindrucken..“, sie grinste versuchsweise, „Und vielleicht macht es mich noch nervöser, wenn ich weiß, deine Augen ruhen auf mir.“ Sie wollte ihn nicht verletzen, ihm nicht das Gefühl geben, unerwünscht zu sein. Dennoch hielt sie es in diesem ernsten Fall für notwendig, ihm die reine Wahrheit zu sagen. Sie wollte ihn beeindrucken und nicht vor ihm verlieren. Und sie hatte keine Ahnung, inwieweit eine Hoffnung auf den Gewinn des Prozesses angemessen war.
„Ich werde hier draußen auf dich warten.“ Er machte es ihr einfach. Diesem Mann wohnte tatsächlich in vielen Belangen die Geduld der Jahrhunderte inne. Nicht in allen, wohlgemerkt.. das wusste sie wohl.

Kaum hatte sie die marmorne Schwelle des Magistrats überschritten, war ihr, als schwebe sie durch einen unwirklichen Traum. Sie werde bereits erwartet, ihr Anwalt sei im Gerichtssaal. Das laute Echo von Schritten auf poliertem Steinboden – ihre eigenen Schritte. Kaum stand sie vor der richtigen Tür, stellte sie in Frage, wie sie sich geben sollte und vor allem, wie sie sich geben konnte. War es üblich, zu klopfen? Schon klopfte sie. Im selben Augenblick hielt sie ihr Tun für unpassend und eilig, den vermeintlichen Faux-Pas überdeckend, öffnete sie die schwere Eichentür unter schmiedeeisernem Geräusch.
Nicht nur ihr Anwalt, der blonde Bolatrius Groterian, genannt „die goldene Zunge“ war anwesend, auch drei Männer, die sich mit Akten beschäftigten und über den Plätzen der Gemeinen auf einer Kanzel thronten. Mittig ein älterer, fast als schluffig zu bezeichnender Mann in Richterornat, daneben jemand, der wie ein Praiospfaffe aussah. Auf der anderen Seite saß ein glatter Typ etwa Ende Zwanzig, der sie an einen Aal mit Scheitel erinnerte. Sein ganzes Gesicht wirkte wächsern und eingefroren, während er durch diverse Papiere blätterte. Außerdem einige Schaulustige auf den Bänken in hinterer Reihe.
Sie wurde nicht gegrüßt, außer von ihrem Advokaten.
Groterian hatte wie immer sein zuversichtlich-breites Lächeln auf dem perfekten Gesicht und erinnerte an einen Prinzen aus Mädchenträumereien. Sie mochte ihn nicht. Trotzdem war er der einzige, der ihr in diesem Augenblick helfen konnte. Er war ihr unliebsamer Verbündeter, ein Streiter des Geldes. Das Unbehagen, das er in ihr auslöste rührte nicht unbedingt von der Tatsache her, dass sie überzeugt war, alles an ihm was gut erschien, sei aufgesetzt. Nein, es war vielmehr, dass man es ihm in keinster Weise anmerkte, dass er ein Söldling in feinem Tuch war. Er war überzeugend, wirkte ehrlich und sein Lächeln schien echt. Ein Mann, dem man jedes Wort glauben wollte, ein Meister, die Massen um den Finger zu wickeln. Doch auch, wenn ihre Menschenkenntnis beinahe versagte und kein Anzeichen für ein Schauspiel zu erkennen war, war da dieses Unwohlsein. Und sie verließ sich auf ihr Gefühl.
Ein wahrlich gefährlicher Mann..
„Ihr wollt Euch sicher noch einmal mit mir beraten!“ Sein Lächeln traf sie und ihre Antwort war ein höfliches Bejahen.
„Wie läuft das Ganze nun eigentlich ab? Ich war noch nie in einem Gericht, müsst Ihr wissen.“ Sie fühlte sich wie ein ausgeliefertes Kind.
Er beschrieb ihr den Ablauf, empfahl auf eine Vereidigung durch den Praiosgeweihten zu bestehen. Außerdem kündigte er einen überraschenden Zeugen an, der das Blatt wohl zu ihren Gunsten würde wenden können.
Ein Zeuge? Wozu? Gedanklich machte sie ihrer Überforderung Luft.
„Und falls es hilft… Ich bin Heldin von Greifenfurt – wegen des Krieges.. und Heldin von Grangor – wir haben vor einigen Jahren einen Kult des Namenlosen aufgedeckt, der sich im Rahjatempel verborgen hatte. Dafür wurden wir Ehrenbürger… Und ich habe ein Waisenheim im Südquartier gestiftet! Das „Lowanger-Greiber-Waisenhaus“. Nur falls es hilft.. Außerdem habe ich für meinen Bürgerbrief ein Leumundsschreiben von Dexter Nemrod vorlegen können!“ Sie packte aus, versuchte all das zu sammeln, was sie im rechten Licht würde erscheinen lassen können.
Groterian stieß eifrige Worte der Zustimmung aus, während er sich die zu verwendenden Fakten notierte.

Ihre Aufmerksamkeit schnellte durch den Saal, als die Tür aufging und ein Mann in feinster Seide eintrat. Sogar seine Schnallenschuhe trugen Samtschleifen. Alles an ihm schrie Horasreich. Er zückte mit blasierter Miene sein Vinsalter Ei und besah sich den Zeitmesser auf eine aristokratisch ungeduldige Weise.
„Wer ist der Mann?“ tuschelte Neferu beunruhigt, die Hände bemüht vornehm im Schoß aufeinandergelegt.
„Der Stadtadvokat Swelin te Guden.“ erhielt sie leise Antwort. Groterian hob eine weiße Perücke auf seinen Blondschopf und richtete die falsche Mähne.
Ein überraschend ohrenbetäubender Laut flutete den Gerichtssaal.
Der unbegeistert und unbeeindruckt dreinschauende Richter erhob das Wort, das hölzerne Hämmerchen mit dem er sich Gehör verschaffte noch in der Rechten.
„Es scheinen alle anwesend… Ich bin Richter Kleehaus im Fall Banokborn gegen die Stadt Gareth. Ich erkläre die Verhandlung hiermit für eröffnet..“, seine monotone Stimme untermalte seine Mimik, „es geht um die Erbschaft auf der Nordlandbank, eine Summe von 3102 Dukaten.“
Der erste Zeuge wurde aufgerufen. Das war sie selber, wie Groterian entschieden hatte. Aufrecht schritt sie nach vorn.
„Hohes Gericht, ich will darum bitten, vereidigt zu werden.“ Sie kam auf den Rat ihres Anwalts zurück. Der Praiot wurde tätig. Sie stand unter Eid.

„Werte Herren des Gerichts. Hoher Richter Kleehaus…“, ein tiefes Durchatmen, dann begann sie ihren aussagenden Monolog, „Als meine Eltern starben war ich drei Jahre alt. Wir hatten ein Haus in Nardesheim und mein Vater war ein wohlbetuchter Handelsmann, der es mir in meiner frühen Kindheit an nichts fehlen ließ. Und sicher hätten meine Eltern mich nicht meinem Onkel anvertraut, wenn es eine Alternative gegeben hätte. Aber leider hatten meine Eltern keine weitere Verwandtschaft und so wurde ich als kleines Kind dem Bruder meines Vaters übergeben, Trakis Banokborn. Er war ein Trinker, der in Wallgraben lebte, ein Soldat. Als ich neun Jahre alt war, begann er sich an mir zu vergehen. Zu der Zeit waren es nur Berührungen.“ Sie machte eine kurze Atempause. Immerhin zitterte ihre Stimme nicht. „Als ich elf Jahre alt war und man die ersten Anzeichen eindeutiger Weiblichkeit an meinem Körper erkennen konnte, versuchte er mich zu ..schänden. Eines abends, als er betrunken war. Glücklicherweise bekam ich den Schürhaken des Kamins zu fassen und schlug auf ihn ein. Ein Treffer am Kopf tötete ihn. Ich war ein Kind und ich hatte Angst. Damals ging ich davon aus, man würde mich dafür hängen, dass ich meinen Onkel um sein Leben gebracht hatte. In der furchtsamen Naivität eines Kindes lief ich fort – tief ins Südquartier. Heute weiß ich, dass eine solche Tat in Notwehr keine Konsequenzen nach sich zieht.
Nachdem ich einige Jahre im Südquartier unter erbärmlichen Umständen existierte, ging ich nach Grangor, deckte dort einen Zirkel des Namenlosen auf, der den dortigen Rahjatempel infiltriert hatte. Ich wurde zum Dank Ehrenbürger der Stadt. Ähnliches passierte in Andergast und der dortigen Königsfamilie. Ich konnte ihnen einen großen Gefallen tun und erhielt ein best ausgebildetes Ross, das ich verkaufte und dafür das „Lowanger-Greiber“-Waisenhaus im Südquartier Gareths errichten ließ…-“
„Einspruch, Euer Ehren!“, mit vor Missgunst triefender Stimme meldete sich der Stadtadvokat zu Wort. „Die Anklägerin, die hier als tatsächliche Aggressorin auftritt, spricht schon lange nicht mehr von den Ereignissen, um die es hier geht. Sie lobpreist lediglich ihre eigenen Heldentaten..!“
Schnell schoss die Antwort aus ihrem Mund: „Ich dachte mir, es wäre vielleicht interessant zu wissen, was ich tat – was in der Zwischenzeit von meiner Kindheit hier in Gareth und meinem heutigen Hiersein die Zeit füllte und zum heutigen Erscheinen meinerseits führte..!“
Der Richter sah einen Augenblick unschlüssig zwischen den beiden gegnerischen Parteien hin und her, ehe er maulig seine Meinung verlauten ließ: „Nun.. Ich denke, dass Ihr fortfahren könnt, Fräulein Banokborn. Vielleicht.. Ja, vielleicht haben diese Ereignisse einen Einfluss auf den Prozess. Damit ist der Einspruch abgewiesen..“

Erleichterung fasste ihr Herz, ein tiefes Durchatmen dehnte ihre Brust, als sie erneut zum Sprechen ansetzte: „Auch als es zum Orkensturm kam, kehrte ich zurück in meine Heimatstadt Gareth. Ich wollte sie verteidigen, es nicht darauf ankommen lassen, dass die Schwarzpelze der Stadt und ihren Bewohnern würden schaden können. Also ging ich zur Armee. Ich kämpfte an der Seite unseres Prinzen Brin auf den Silkwiesen. Wir schlugen die Orken zurück. Ich war dabei als das standhafte Greifenfurt belagert wurde. Wir verteidigten und hielten die Stadt bis zuletzt. Ich wurde zur Heldin von Greifenfurt erklärt. Ich ging einige Jahre nach Trallop und lernte den herzoglichen Inquisitor Calfang Rodebrannt kennen. Wir wurden Freunde und sein Einfluss, die häufigen Gespräche mit ihm, bewogen mich dazu, endlich wieder dahin zurückkehren zu wollen, wo ich herkam. Ich wollte hier in Gareth sesshaft werden, vielleicht sogar das Handwerk meines Vaters wieder aufnehmen. So habe ich dank eines Leumundsschreibens von Dexter Nemrod -Ihr dürftet eine Abschrift von meinem Advokaten Groterian bekommen -ein Grundstück in der Weststadt erwerben können und hoffe das Stückchen Land wieder aufbauen zu können, denn das bisherige Haus wurde in einem Feuer zerstört. Mit dem Geld, das meiner Familie gehört, das mein Vater seinem Bruder vermachte, da ich, sein einziges Kind, noch nicht mündig war und das seit dem unberührt auf der Nordlandbank liegt, auch wenn es nur ein Bruchteil vom Vermögen meines Vaters darstellt, da sein eigener Bruder diese Erbschaft in kürzester Zeit zur Hälfte verhurte und versoff… Ich will wieder in Gareth leben mit der Erbschaft, die mir zusteht. Danke hohes Gericht.“
Sie nickte und strebte ihren Platz an.
„Weitere Zeugen?“ schallte es vom Podest durch den Saal.
„In der Tat! Ich lade vor – Lamiadon, der Vermieter der Klägerin.“ Mit einer weisenden Geste sah die Goldzunge zur Tür.
Und tatsächlich.. federnden Schrittes kam der Elf herein, der Neferu und ihren Begleitern seit vielen Tagen ein gemietetes Zimmer zur Verfügung stellte.
Sie war verwundert – was hatte Lamiadon hier zu suchen?
Gut gelaunt trat das Spitzohr vor den Richter und lobpreiste ausschweifend die Wahrhaftigkeit und Gutherzigkeit seiner Mieterin.
Ich stehe doch unter einem Eidsegen.. wie hätte ich lügen sollen, selbst wenn ich gewollt hätte?
Gleichmütig nickte der Richter ab, der den Eindruck machte, gedanklich schon bei seinem Mittagessen zu sein und die Prozedur nur schnellstmöglich hinter sich bringen wollte.

Nun war te Guden an der Reihe. Die Personifikation des arroganten Horasiers wies in einer feindlich anmutenden Darbietung darauf hin, dass noch die Klärung darüber ausstehe, ob die Klägerin vielleicht die Mörderin ihres Onkels sei. Er stellte ihre Notwehr in Frage, ebenso wie ihre Motive.
Nef wäre am liebsten aufgesprungen und hätte dem Mann einen deftigen Zauber vor den seidenen Latz geknallt. Der Mann ruinierte alles!
Ein Blick zu Groterian ließ sie ruhiger werden, denn der wirkte der Vorwürfe wegen kein bisschen aus der Fassung gebracht.
Auch sie lehnte sich zurück, grub die Fingernägel in die Handballen.
Te Gudens Hauptaugenmerk galt den Verjährungsfristen der Nordlandbank. Zwölf Jahre, dann ging ein Konto an die Stadt über. Er bekräftigte, die zwölf Jahre seien vorüber.
Neferu war sich selbst nicht sicher, ob es nun elfeinhalb oder zwölf waren, tatsächlich hatte sie bisher versäumt, sich ihre Geburtsurkunde und das Geburtsdatum anzusehen.
Der Stadtadvokat spickte seine Aussage mit zwei Zeugen, von denen mindestens der Erste nichts weiter zu sein schien, als eine bezahlte Sockenpuppe: Ein schmutziger Südquartierer, der sich sicher war, der Mord an Banokborn sei zwölf Jahre her und ein schon ernst zu nehmenderer Mann der Stadtwache, der ebenfalls mit großer Sicherheit in der Stimme bezeugte, man habe damals im Schnee vor dem Haus Fußspuren des Mädchens gefunden und das sei ganz sicher auch im Firun gewesen, also zwölf Jahre her. Verjährt.

Weitere Zeugen gab es keine.
Neferu verstand mitnichten, was diese Zeugenaussagen bewirken sollten, beließ es aber kommentarlos dabei.
Beweise wurden ausgepackt. Te Guden wedelte mit den Gesetzmäßigkeiten der Nordlandbank, während Groterian ihre Bürgerschaftsurkunde, das Tagebuch ihrer Mutter, ihr Geständnis zum Töten ihres Onkels der CriminalCammer, das Leumundsschreiben von Dexter Nemrod und auch den Vertrag über das Konto ihres Onkels mit der Bank auspackte.

Ausdruckslos besahen sich die drei auf hohem Posten all die Schriftstücke.
Neferu selbst fühlte für den Augenblick gar nichts. Ihre Gedanken durchdrangen die wertvollen Wandmaterialien, schwebten hinaus auf den Brunnenplatz und suchten die Nähe des Vampirs, der mit einem ruhigen, selbstbewussten Lächeln auf sie wartete und sie in die Arme nahm. Ihr war nach Nähe zu mute, hatte sie doch das Gefühl auf feindlichem Terrain verloren und von allen Seiten eingekreist zu sein.
Endplädoyers?
Siegesgewiss verneinte der Stadtadvokat und winkte herablassend ab.

Die Stunde von Bolatrius Groterian allerdings war gekommen. Er erhob sich mit fürstlicher Ausstrahlung, das morgendliche Sonnenlicht in seinem Rücken, das ihn wie eine glanzvolle Aureole umgab. Und er bewies, dass er seine 1.551 Dukaten wert war.
Er hielt eine Rede, die vor überzeugender, mitreißender Kraft strotzte.  Alleine seine Rhetorik war von solcher Brillanz, dass Neferu kurz der Meinung war, er habe die rednerische Macht einen Zerwas dazu zu bewegen, ins Praiosnoviziat einzutreten.
Groterian fasste Neferus Leben zusammen, das Leben einer Frau, die von der Stadt im Stich gelassen worden war, als ihre Eltern starben. Eine Frau, die man ihrem Onkel überließ, der nicht ihr Vormund war, sondern ihr Peiniger. Eine Frau, die floh, aus Angst, die Stadt könne sie für ihr richtiges und notwendiges Verhalten abstrafen. Und eine Frau, die eben zu jener Stadt zurückkehrte, jederzeit ihr Leben für sie zu geben. Die sogar in der Heimatregion des Gegensprechers als Heldin gefeiert wird.
Und zuletzt, als finalen Akt konterte er den Stadtadvokaten vernichtend, indem er den Richter bat einen kleingedruckten Absatz aus den Verträgen der Nordlandbank vorzulesen.
Mürrisch folgte Kleefeld und trug laut vor, dass der Ablauf der zwölf Jahre, die zur Verjährung notwendig sind mit dem Ende eines Jahres beginnen und eben nicht mit dem Tod des Kontoeigentümers!
„Und so.. läuft die Frist Ende Rahja ab und eben nicht im Firun!“ schloss Groterian kraftvoll und schlug entschieden, aber nicht aggressiv seine Mappe zu.
„Damit klagt meine Mandantin fristgerecht das Erbe ihrer Familie ein, das ihr ohnehin von vornherein zustand!“

Die drei von der Empore zogen sich zu einer Beratung zurück, die wenige Minuten dauerte.
Neferu Banokborn sollte die 3102 Dukaten ihrer Familie erhalten.
„Und jetzt gehe ich Mittagessen…“ murmelte der Richter.

Von den 3102 Dukaten blieben ihr immerhin 1551, nachdem Groterian abbezahlt worden war. Der wedelte nach kürzester Zeit mit seinem Formular der Anwaltskosten. Erschreckenderweise tat er sogar das charmant und keineswegs impertinent.
Noch heute wollte sie diese Schuld begleichen.

…Zerwas wartete am Brunnen, genau wie es ihre Gedankenwelt versprochen hatte.