Gareth 5 (Feqzjian)
Kategorien: 1013 BFDer Puls der StadtFeqzjianGarethNeferuGareth am Tage war ein Wunderwerk der Menschheit. Ein Kunstwerk, zusammengesetzt aus lärmenden Menschenmassen, golden funkelnden Dächern, Mauern aus Ziegel und wuchtigen Wehrbauten. Eine Stadt die vor Leben überzukochen schien. Eine Stadt, in der das Glück an jeder Ecke lauerte und wo jedes Angebot auch einen Abnehmer fand. Ja, hier kam man vom Bauernalrik zum Stoerrebrandt, wenn man ein paar Kniffe beherrschte und zur rechten Zeit am rechten Ort war.
Bei Nacht aber, bei Nacht war in Gareth eine Magie anderer Art spürbar. Breite Gassen fielen, Flüssen gleich, innerhalb weniger Stunden trocken. Beherbergten bestenfalls vereinzelte Zecher, die auf dem Heimweg strauchelten und von einer Wache aufgelesen wurden. Aber beherrscht wurde die Nacht von der Stille. Einer Stille, die zu dieser riesigen Stadt nicht passen wollte und die gerade deswegen so vollkommen war.
Phexdan saß auf einem Dachfirst in der Nähe der Stadtmauer, die Tempelhöhe umgab und hatte die Beine übereinander geschlagen. Von hier aus konnte er weite Teile der Altstadt überblicken, sah die Lichter, die selbst jetzt – im tiefsten Dunkel der Nacht – für Lichtinseln in der beruhigenden Finsternis dieser ausufernden Stadt sorgten.
Der Wind des Firun wehte ihm nur in schwachen Böen um die Ohren, während er das Meer des Schweigens unter sich betrachtete. Hier oben war es angenehm. Man fühlte sich ein wenig über den Rest der Stadt erhoben. Nicht wegen der blanken Höhe oder der Fähigkeiten, die einen überhaupt unbemerkt auf das besagte Dach gebracht hatten. Nein – was ihn erhob war der Umstand, dass nur die wenigsten die Stille dieser Stadt in ihrer Gesamtheit zu würdigen wussten. Wenn man über Gareth sprach, dann lobte man seine Märkte, die Anzahl seiner Einwohner und seine Erfolge. Seine Heiligen, die Straßen und berühmten Gebäude. Aber niemand würdigte, wie viel mehr Wert die Momente der Stille dieser Stadt waren, als in anderen Orten.
Ein Lächeln legte sich auf die Züge Fexdans, als das Äffchen auf seiner Schulter sich auf die Hinterbeine stellte und sich mit der Linken an seinem Ohr festhielt, um vollkommen tieruntypisch eine Hand abschirmend über seine Augen zu halten und in die Dunkelheit zu spähen. „Ich weiß, Dajin, ich weiß. Ich bin nicht hier, um die Stille zu genießen. Wir haben ein Ziel. Festhalten.“
Zufrieden ließ das Tier sich auf den Hintern plumpsen und packte den Stoff an der Schulter der Kleider des Phexensjüngers.
Agil stieß der Halbmaraskaner sich von dem Dach ab und bekam den Rand eines nahe gelegenen Balkons zu fassen, von wo aus er sich weiter bis zum Dach eines Schuppens schwang. Als er dort sicheren Stand hatte, warf er dem Monarchen auf seiner Schulter einen kurzen Blick zu. Mit königlichem Ernst in den großäugigen Zügen krallte dieser sich noch immer an seinem humanoiden Transportmittel fest, als trage es ihn seinem Schicksal entgegen.
Der Phexgeweihte setzte seinen Weg fort. Querte drei Dächer in Richtung Norden, dann eines nach Osten, sodass er sich erneut einer Stadtmauer anzunähern begann. Ein letzter Satz ließ ihn eine Dachschräge hinunter schlittern und dann routiniert auf dem kleinen Stück Erde aufkommen, dass sich zwischen einem schrägen Häuschen und der Stadtmauer befand. Er federte aus den Knien hoch und sah sich um. Das Stückchen Land war nicht groß und wurde selbst von seinem Eigentümer – dem Bewohner des Häuschens über das er gerade noch gestiegen war – geflissentlich ignoriert. Nicht einmal Fenster gab es in dieser Richtung. Kein Wunder – anbauen konnte hier keiner der Praiosjünger etwas. Dieses Stück Land berührte die Sonne nie direkt. Nur Wasser fand reichlich hier hinab. Es perlte von dem Dach und dem Unterstand der nahen Stadtmauer herunter. Die Erde hier war dunkel und feucht und deswegen ungeliebt von allen.
Fast allen., korrigierte er sich in Gedanken, als der Koboldmaki von seiner Schulter sprang und mit allen Vieren auf dem umgewühlten Erdreich landete. Das kleine Tier war es gewesen, das hergeführt hatte. Das Klima hier hatte viele Insekten angelockt und war damit eine gedeckte Tafel für den unverschämten Pelzträger. Phexdan dagegen hatte hier einen gänzlich anderen Schatz gefunden. Bereits in früheren Tagen hatte ihn eine Leidenschaft immer begleitet, die nicht so recht zu seinem Ruf und seinem Verhalten passen wollte. Bedächtig ging er in die Hocke und ignorierte die schmatzenden Geräusche und das raubtierhafte Getrappel, die von Dajins Jagd auf Krabbler herrührten.
Aus der Erde vor ihm wuchsen drei Nachtschattengewächse. Der Firun war ihnen nicht gut bekommen, sie alle waren klein. Aber sie lebten – und das war das Wichtigste. Zuerst hatte sich die Mandragora officinarum ihren Weg an die Oberfläche gebahnt. Ihre hell lilanen Blüten waren klein und zart, aber schön anzusehen. Nichts ließ darauf schließen, dass die Säfte dieses unscheinbaren Blümchens potentes Gift in sich trugen. Gift, dass stark genug war zu betäuben und zu töten.
Rasch warf er einen Blick zu Dajin, der inzwischen – beide Hände voller Krabbler – auf dem Hintern saß, die Beine von sich gestreckt und sich genüsslich einen Leckerbissen nach dem anderen in das kleine Mäulchen schob. An diesem Affen war etwas anders, das war Feqzjian klar – aber was, das konnte er nicht sagen. Er hatte gehört, dass Affen klug waren und dazu neigten Menschen zu ähneln. Aber Dajins Anpassungsfähigkeit und – bisweilen – Tücke waren nicht die eines Tieres. Er versuchte sein eigentliches Wesen zu verbergen, aber das gelang ihm nicht immer.
Mit einem Kopfschütteln wandte er sich wieder den Pflanzen zu. Fast alle waren giftig, wenn man sie richtig verarbeitete, aber das haftete Nachtschattengewächsen nun einmal an. Er hatte sie nicht angebaut um sich ihrer toxischen Unterstützung im Notfall sicher zu wissen. Die Mandragora wuchs hier nur, weil sie so weit verbreitet war, er sie aber bisher niemals hatte blühen sehen. Seine Neugier hatte ihn getrieben.
Die zweite Pflanze war eine Asmodenie. Der Name war irreführend. Sie war kein dämonisches Gewächs – genauer gesagt nicht einmal giftig, sie war hübsch anzusehen. Nur das. Er kannte sie aus Grangor, wo sie zwischen den Rahjarosen gewachsen waren. Ihre schlanken aber kurzen grünen Stiele öffneten sich zu nachtblauen Kelchen mit weißen Sprenkeln, wenn am Himmel die Sterne zu sehen waren. Auf den ersten Blick mochte es einem Betrachter so erscheinen, als spiegelten sie den Nachthimmel wider, weswegen Feqzjian sie für sich auch „Phexenslilie“ nannte. Er mochte diese Pflanze und zog eine von ihnen auf, wann immer er lange genug an einem Ort verweilte, um sie wachsen zu sehen. Sie erblühte jede Nacht, um am Morgen darauf ihre Schönheit wieder zu verschließen. Und so blieb den meisten Garether Bürgern ihre Schönheit verwehrt.
Die dritte im Bunde war eine Pflanze von der er selbst nicht genau wusste, warum er sie gepflanzt hatte. Die Samen waren ihm schon vor einer ganzen Weile in die Hände gefallen und sie würde zu lange brauchen, um weit genug zu wachsen. Eigentlich war es keine Blume – eher ein Buschgewächse. Die ‚Posaunen von Nebachtot‘ oder ‚Alveranstrompeten‘. Bisher hatte sich von ihr kaum mehr als ein kleiner Setzling durch die Erdoberfläche gebohrt. Aber – auch sie lebte.
Eine Weile saß er da und betrachtet das schweigende Nachtleben vor sich. Diese drei Gestalten, die hier auf ihn warteten und sich über seine Zuwendung freuten. Er war beinahe jede Nacht hier und hegte die Pflanzen, verantwortete ihr Wachsen und verhinderte ihren Tod. Schnitt Triebe oder wärmte sie mit frischem Hundekot, den er gesammelt hatte. Sein Lächeln kehrte zurück. Niemand würde vermuten, wohin er – der Rumtreiber – Nachts ging. Verantwortungsvolle Arbeit in einem geheimen Garten schien nicht zu ihm zu passen. Er zuckte mit den Schultern. Die Wahrheit war eben nicht immer mit dem bloßen Auge zu sehen – und wenn aufrechte Praioten Kinder schändeten, dann musste es dem krummen Gassenstreicher erlaubt sein, Blumen ihrer Schönheit wegen zu züchten.
Ihrer Schönheit und ihrer Aussagekraft wegen. Damit wandte er sich von den drei ausgetopften Pflanzen ab und den beiden Töpfen zu, die er ein wenig von der Mauer und dem Haus weggeschoben hatte, sodass sie die meiste Zeit des Tages in der Sonne lagen. In diese Töpfe war besonders viel Kot gewandet – und wieder beseitigt worden. Und diese Töpfe – waren mit den wichtigsten Pflanzen bestückt. Behutsam zog er die tönernen Erdmäntel zu sich und begutachtete die Ergebnisse seiner Mühen. In dem einen Topf hatte sich auf einer eher kleinen Fläche eine Art Kraut ausgebreitet, dessen kleine, beinahe runde Blätter ein sattes Grün besaßen. In dem zweiten Topf steckten einige Holzsplitter, an denen sich schwach ein paar klein geratene, dreigeteilte Blätter emporrankten. Zu mehr waren er und die Pflanze in der kurzen Zeit und bei den Voraussetzungen der Außenwelt nicht fähig gewesen. Aber es würde reichen müssen.
Aus seiner Tasche zog er ein kleines Schäufelchen hervor. Etwas, das ihn seit seiner Zeit in Grangor begleitete und das mitzunehmen, er niemals bereut hatte. Behände löst er beide Pflanzen aus ihren Gefäßen und band sie zu einem ungewöhnlichen, unscheinbaren Gesteck zusammen. Hinein steckte er ein Stück Pergament, das er zuvor selbst beschrieben hatte:
Pflanzen sind stumm und sagen doch so viel.
Gefallen dir die Blumen nicht, so kann ich das verstehen.
Gefällt dir ihre Bedeutung nicht, so schmerzt es mich.
Füchschen.
Zufrieden betrachtete er seine Arbeit und sah zu dem Affen in seinem Rücken. „Dajin, du wirst fett und träge, wenn du so weiter machst. Komm schon, wir sind hier vorerst fertig.“ Der empörte Blick des Affen brachte ihn zum Lachen, ehe er stockte. Er hatte den Affen beleidigt, ja und es war amüsant seine Reaktion zu sehen – aber das war so eine Sache: Dajin hätte die Worte gar nicht verstehen dürfen. Trotzdem warf er die Reste seiner Mahlzeit fort, als habe er den Wink verstanden, schoss auf den Phexgeweihten zu und setzte sich wieder auf die rechte Schulter, die er nun offenkundig als seine angestammte Heimstatt betrachtete. Eine Handbewegung die „Nur weiter!“ zu sagen schien, war das Zeichen, dass das Tier Halt gefunden hatte. Dann versank der Maki in stille Regungslosigkeit.
Verwirrt sah Feqzjian zu seinem nahen Begleiter und blinzelte. Dann aber entschied er, diesem Geheimnis ein anderes Mal auf den Grund zu gehen und machte sich auf den Weg nach Hause. Er würde die Gewächse nicht sofort übergeben. Aber im Laufe des Tages würden sie sich in Neferus Tasche anfinden – spätestens am Morgen des übernächsten Tages. Und das war nur der erste Schritt. Dieser Tote würde seine schlaffe Haut und die sicher gelblichen Zehennägel früher oder später unter der Erde wiederfinden. Mochte die Welt glauben, was sie wollte. Er war entschlossener als je zuvor die Frau, die sein Leben vollkommen umgekrempelt hatte, zu seiner zu machen.