Gareth 7 (Neferu)

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Sie fühlte sich befreit, als sie die Überweisung der Summe für den Anwalt hinter sich gebracht hatte. Ihr war bewusst, dass Groterian an ihr beinahe das dreifache eines normalen Verdientes gemacht hatte. Aber das war es wert gewesen.
Der Mittag war klar und kalt. Zerwas an ihrer Seite sprach nicht viel, hielt den Kopf gesenkt. Sie wusste, dass ihm die winterlichen Sonnenstrahlen mehr zu schaffen machten, als er zugab.
Eilig, Lamiadon an ihrer Seite, schritten sie im Dreiergespann zurück zur Smaragdnatter.

Der Tag schien ihr verheißungsvoll. Ihre positive Stimmung war ungewöhnlich, ließ sie kichern und lachen – wenn meiste Zeit auch lediglich innerlich. Sie war lange aus dem Alter und der Verfassung hinaus, sich wie ein Mädchen aufzuführen.
In der Natter erwartete sie eine Nachricht von Gesse. Dem Mann, der seiner Familie im Haus ihrer Eltern ein gutes Leben ermöglichte.
Bitter stellte sie fest, dass in ihren Gedanken leiser Neid mitschwang. Sie verdrängte den Gedanken an diese Erkenntnis, wollte sich nicht die gute Laune verderben lassen.

Gut, in den Seelander. Mit einem völlig Fremden, der zufällig an der gleichen Adresse wohnte, wie sie vor zwanzig Jahren. Was hatte sie sich noch gleich dabei gedacht?
Immerhin sicherten ihr Salpico und Zerwas zu in der Zwischenzeit zu Nerix Sandsteiner zu gehen, einem Hügelzwerg aus Wallgraben, der den Ruf eines ausgezeichneten Architekten hatte.
Neferu nutzte die zwei verblieben Stunden Zeit um zusammen mit Salpico und dessen neuen Bekannten Thamien Langbart, Magister Extraordinatius der Schwert und Stab-Akademie einen Grundriss für das zukünftige Haus zu zeichnen. Doppelstöckig, mit zwei Kaminen und einer kleinen Terrasse. Der alte Magier mit dem klassischen Rauschebart, warf immer wieder Tipps ein, wenn er es für nötig hielt, seine Pfeife aus dem Mund zu nehmen.
Die Schankstube der Smaragdnatter wurde zum Bauzeichnerbüro.
Mit Wohlwollen betrachtete die Hexe die Freude in Salpicos Gesicht. Echte Freude, deren Grundlage sie gelegt hatte. Sie fühlte sich gut dabei, hatte sie in ihrem Groll doch das Wissen ausgenutzt, dass ihm Alleinsein schlimmer war als das, was Menschen im Allgemeinen fürchteten. Sie hatte ihm längst verziehen. Seit Zerwas wieder da war, betrachtete sie Salpico aus anderen Augen. Mit der Zeit reifte in ihr das Gefühl heran, dem Schwarzmagier tatsächlich überlegen zu sein. Er war nur ein ängstlicher schwacher Mann, der Angst vor Einsamkeit und Tod hatte. Jemand, der ihr Mitgefühl verdiente, nicht ihren Zorn.

Zur rechten Zeit traf sie zurechtgemacht am Zwölfgötterplatz ein. Sie umrundete den Springbrunnen, vor dem überlebensgroße Statuen der Zwölfe standen und ringsum auf die Bürger der Stadt hinabsahen. Von diesem einen speziellen Winkel aus, wirkte es, als greife Phex in Firuns Tasche… Sie musste unweigerlich schmunzeln. Diese entzückende Dreistigkeit… Phexdan.
Das Bild des Phexgeweihten mischte sich in ihren Geist. Ein Augenzwinkern, ein keckes Grinsen… Wann verließ der unzuverlässige Narr endlich wieder ihren Kopf? Sie spürte unmittelbar den Umschwung ihrer Laune. Innere Gewitterwolken zogen auf – eine Wut gegen den Halbmaraskaner gerichtet, der nicht einmal etwas dafür konnte.
Vesper hatte einfach zuviele Jahre mit ihm verbracht. Zuviele untätige Jahre in denen sie beide die meiste Zeit in den Kissen gelegen und sich geliebt hatten.
Mit gemischten Gefühlen dachte sie an die Erinnerung zurück.
Sie nahm sich fest vor, dass dieser Mann ihre Gedanken verlassen musste. Und sie hoffte inständig, dass ihr satuarisches Gefühl mitspielte und sich von dem Tunichtgut löste.
Du kannst es so schnell nicht vergessen…
Sie mahnte den Rat ihrer inneren Stimme und hielt rasch auf das protzige Hotel Seelander zu.

Das Essen mit Kordovan Gesse war entspannter als erwartet. Sie fanden schnell Themen, die sie beide ansprachen und unterhielten sich ungezwungen über Die Zwölfe und Dere.
Sie nahm den bunten Gemüseacker mit Rosenknospen an bornschem Kartoffelstampf und zum Nachtisch Karamelisiertes Orangenparfait, dazu Aquenauer Südhang.
Aquenauer Südhang… Wieder blinzelte ihr der Fuchs verschlafen entgegen, ein vertrautes Lächeln auf den Lippen. Eine blasse Erinnerung aus Khunchom, einer der unzähligen sonnigen Morgenden, an denen er neben ihr aufgewacht war.
Sie lenkte das Gespräch auf das Geschäft Gesses. Er war ein Händler von Eisen- und Rüstwaren. Ein Händler… Verpasse keine Gelegenheit, die sich bietet.

„Ich habe in den Dingen meines Vaters ein Papier gefunden, das wohl mit einem Geschäft zusammenhängt, wohlmöglich mit Stoerrebrandt. Ich weiß nicht wie alt es ist, aber es werden die Abkürzungen BO und STB verwendet. Es geht wohl um die Soldliste eines bewachenden Wagenzugs.“, log sie freundlich lächelnd, „Ich hoffe Ihr haltet mich nicht für eine Närrin, aber ich klammere mich so sehr an alles, das ich in die Finger kriegen kann, was meine Eltern hinterlassen haben und vom Feuer übrig ist, versteht Ihr?“
Er verstand. Natürlich verstand er.
Und sie fand Bestätigung in seinen verständnisvollen Ausführungen. BO stand sicherlich für das Bornland, wo der Händler Zeit sparen konnte, so sparte er. Also auch an Buchstaben. Schnell wurde in diesem Metier aus BOR ein BO. Und STB war Stoerrebrandt. Das Fräulein Banokborn hätte da ganz Recht. Diese Abkürzungen für Handelsmänner führte das Handelsregister.
Er nahm an, dass sich die betreffende Handelsabwicklung ob des Alters in einem Archiv befände. Entweder im Zeug- und Lagerhaus von Stoerrebrandt selbst, oder was wahrscheinlicher war: In seinem Kontor im Schlossviertel.

Nach dem Essen zahlte sie weniger als erwartet. 18 Dukaten ließ sie im Seelander.
Ich werde dekadent…
Gemeinsam mit Gesse ging sie durch den Schneeregen nach Nardesheim, zum alten Haus ihrer Eltern. Oder besser. Zu dem Haus, das anschließend auf das Grundstück gebaut worden war.
„Praios zur Ehr‘, den 8 zum Gedenken“ las sie wieder über dem Türsturz und fragte danach. Gesse erzählte ihr von den acht Märthyrern Gareths, die Hela-Horas im Krieg gegen Bosparan hatte verbrennen lassen, zum Zeichen, dass die Zwölfe nicht eingreifen würden, sie zu retten.
Sie wurde überaus herzlich im Hause Gesse empfangen. Die perfekte Familie, hatte Neferu meinen wollen.
Eine Schar fröhliche Kinder, die ihren Vater begrüßten, eine überaus freundliche Ehefrau, die sogleich Tee kochte und die Tochter der alten Eigentümer herumführte.
Duridanya, so ihr Name, war das Verständnis in Person. Sie war so zuvorkommend und gutherzig, dass Neferu eine Weile ein böses Geheimnis vermutete. Oder immenses Schauspieltalent.
Aber selbst nach zwei Stunden noch, längst nachdem sich die zwei Frauen vom Rest der Großfamilie in einen kleinen Salon abgesetzt hatten, erschien nichts an Duridanya, das Misstrauen rechtfertigte. Neferu hatte ein solches Gefühl selten bei Menschen. Es passierte vielleicht alle fünf Jahre einmal, dass ihr jemand begegnete bei dem sie das Gefühl hatte, ihm nach kürzester Zeit das Herz ausschütten zu können. Und so war es bei Duridanya Gesse: Neferu erzählte von Zerwas, von Phexdan, zeigte der Blondbezopften Zeichnungen aus ihrem Tagebuch beider Männer.
Die Gespräche drehten sich großteils um das andere Geschlecht. Und es tat Nef gut mit einer Seele darüber zu sprechen, die außenstehend war und keinerlei Voreingenommenheit zeigte.
Sie betitelte Phexdan als süß und Zerwas als Augenschmaus.
Und Nef fühlte sich eine kurze Weile integriert und Zuhause.

Erst auf dem Weg in der Dunkelheit allein zum Smaragdnatter durch das aufkommende Schneegestöber fand der Stein zurück auf ihr Herz, der da versteckt schon mehrere Jahre weilte, wenngleich er auch kleiner geworden war.
Phexdan süß… Zerwas ein Augenschmaus. Sie bemerkte das jeder mit dem sie über diese zwei Männer – ‚Vespers zwei Männer‘ – sprach, Zerwas als den Begehrenswerteren herausstellte. Und selbst wenn sie das vor Jahren ebenso emsig verteidigt hätte, so gab es mittlerweile eine kleine Stimme die flüsterte, sie solle eine neue Zeichnung von Phexdan festhalten. Ein Bild, das ihn so zeigte, wie er war: Zerwas ebenbürtig.