Perricum 8 (Cyruion)
Kategorien: 1013 BFCyruionDie Zeichen der SiebenPerricumVitusZeitraum: PER 1013
Perricum, die Stadt mit Delphin im Wappen und Löwin im Herzen, präsentierte sich dem Auelfen an diesem Morgen ähnlich wie bereits in den vergangenen Tagen. Die Praiosscheibe stand hoch am Himmel und erhitzte mit jeder Stunde die verging, zumindest bis Mittag, zunehmend die Gemüter. An einen Regenschauer oder vergleichbares war gar nicht zu denken, zu sehr trieb der Wind die wenigen Wolken offenkundig in Richtung Trollzacken, um sich dort in aller erdenklichen Fülle und Pracht zu entladen. Die nicht vorhandene Wolkendecke hatte etwas beunruhigendes, an einem Tag, der sich für ganz Perricum um Blitz und Donner drehte. Das neue Schwert der Schwerter würde offenbart und zudem würde bereits in wenigen Stunden über Vitus geurteilt werden.
Cyruion schmerzte die rechte Hand etwas; diese Nacht hatte er schlechter geschlafen als die Woche zuvor. Die einzige Erklärung, die sich ihm dafür bot, war der Umstand, dass sein Geist auch des späten Abends noch mit den Umständen um die Arrestierung von Vitus beschäftigt war. Allerdings war diese Antwort nur auf einen Teil der Sache bezogen. Nicht zu erklären wusste er sich den Umstand, dass er aufgewacht war, weil er an die Tür klopfte – und warum er seine Hose zuvor ausgezogen und in den Raum geworfen hatte. Selbst wenn es ihn beschäftigte, so pflegte er normalerweise nicht mit seinen Sachen umzugehen. Doch, und das war ihm sehr wohl klar, war er in der Nacht nicht immer er selbst, nicht alles erklärbar, wenig machte Sinn. Er konnte nur froh sein, dass Narond die Zimmertüre am Abend abgeschlossen und den Schlüssel mit sich genommen hatte, um dem Elfen am Morgen wieder aufzuschließen. Ansonsten… Cyruion mochte gar nicht darüber nachdenken. Er schüttelte kurz das Haupt und legte sich eine Haarsträhne hinter das Ohr.
Sein Vorgehen war in der Angelegenheit mit der Perricumer Stadtwache und Vitus nicht allzu galant gewesen, nicht so, wie die Menschen es sicherlich von jemandem erwarteten, dessen Ohren derart spitz waren. Jedoch hatten die Geweihten und Löwenritter ihn nach der Erzählung bestärkt, grundsätzlich richtig gehandelt zu haben. Der Mann wurde gesucht, insofern war es verständlich die Wache zu informieren. Sein alter Freund, Garion, war allerdings wenig begeistert. Der Magier war sich unsicher, ob dies nur daher rührte, dass er so gehandelt hatte oder die mäßige Laune des Geweihten mehr daran lag, dass zu diesem Zeitpunkt bereits ausreichend viele Probleme existierten.
William hatte sich der daimoniden Charyptoroth angebiedert, buhlte entweder um ihre Gunst oder sehnte sich nach Aufmerksamkeit oder vielleicht, und nur vielleicht, war törichter als es anzunehmen war. Der Seemann mit der Duftnote „stark alkoholisierter Mensch ohne Obdach“ redete viel, besonders wenn der Tag lang war und es für ihn wenig zu tun gab. Am Abend war er hingegen in das Lesen und Vorlesen vertieft, beschäftigte sich mit dem Vademecum der Rondra. Garion hatte es ihm ausgehändigt, in bester Absicht, damit William zumindest noch etwas über Rondra lernte oder um ihn von der aufkeimenden Panik im tiefsten Inneren ein wenig abzulenken.
Das Frühstück in der Löwenburg brachte der Elf rasch hinter sich, denn in der Burg des Ordens der Heiligen Ardare zu Arivor warteten die Probleme auf seine Gefährten und ihn. William würde sicherlich bald aus dem Efferd-Tempel zurückkehren, das stand zumindest zu hoffen, und der Geweihte Bronnjar wollte noch erörtern, inwieweit sie dem fahnenflüchtigen Medicus bei seiner Verhandlung behilflich sein konnten.
Früh wurde dabei für den Elfen klar, dass er sich weitestgehend heraushalten würde, da er die Absichten des Menschen nicht unbedingt verstand. Dies wurde ihm insbesondere bewusst, als er sich im Verhandlungssaal befand. Die eine Seite äußerte die Anschuldigungen gegen Vitus. Vitus selbst bemühte sich um eine Erklärung, die jedoch mehr schwer denn leicht über seine Lippen kam, als wisse er selbst nicht um das „Warum?„. Der Ardarit und ein Freund des Heilers, seines Zeichens Leutnant der Stadtwache und einstiger Kamerad, hatten die Absicht die unbekannte Frau schließlich zur Hexe zu erklären und sie zu verdammen. Es musste oder würde wohl ein Zauber gewesen sein, der dafür gesorgt hätte.
Ein bedächtiges Nicken des Auelfen. Die Erklärungen klangen zumindest denkbar, dass es sich um eine Frau mit magischem Potential handelte. Doch weder war sie da, noch ließ sich diese Vermutung beweisen. Er selbst kannte Zauberformeln wie den Bannbaladin und seine mögliche Wirkung, besonders bei entsprechend willensschwachen Zielen. Eine Formel, die dazu nutzen konnte, großen Schaden anzurichten – oder einfach nur, um mehr Informationen zu erhalten.
Seltsam an Vitus‘ Fall war jedoch, dass eine Anwendung solcher Zauber für den auelfischen Magier keinen Sinn ergeben wollte. Denn selbst wenn Vitus, als einfacher Straßenwächter, etwas erzählt hatte – geschehen war danach nichts und auch langfristig war kein Schaden entstanden. Solche Zauber als eine Art Liebeszauber zu wirken, konnte sich Cyruion zwar vorstellen, doch gab es dafür sicherlich bessere Lösungen, etwa alchimistiche Gebräue oder Tinkturen. Doch auch dann wäre es nicht nötig gewesen, eine Pflichtverletzung des Mannes herbeizuführen.
Schlüssiger schien es dann zu sein, dass der Mann vernarrt in die Frau war, sich entfernt hatte um den Akt zu vollziehen und sich als Lückenbüßer ausnutzen ließ. Das machte sie jedoch nicht direkt zur Hexe, es konnte andere Gründe für solches Verhalten geben. Zum Beispiel, dass sie ein schlechter Mensch war oder kurz nach Vitus auf eine Person gestoßen war, die ihre Bedürfnisse besser oder eher erfüllen konnte. Dann hätte der Straßenwächter dennoch zurückgehen können.
Im weiteren Verlauf wurden die selben Punkte wieder und wieder aufgegriffen, zudem ging es besonders zum Ende hin um Schuld und darum, dass Vitus vor dieser davon gelaufen wäre. Die Brauen des Elfen zuckten dabei, sporadisch, unmerklich nach oben. Denn er verstand dies schlicht und ergreifend nicht. Wenn er sich einen Tag von der Akademie entfernte, obwohl er dort sein musste, fühlte er sich bestimmt auch schlecht. Dann jedoch würde er zurückgehen, mit den entsprechenden Konsequenzen leben und weitermachen. Ob als Magier am Seminar in Donnerbach, Knecht auf einem Hof nahe Gareth oder Straßenwächter bei Perricum… Für jeden war dieser Weg möglich, auch wenn die Strafe hier und dort sicherlich härter ausfiel.
Jeder war eben für sein eigenes Handeln verantwortlich.
Es nützte demnach nichts, eine unbekannte Frau, von deren Existenz außer Vitus niemand wusste und nie gesehen ward, zur Hexe verunglimpfen zu wollen. Zudem waren Hexen, auch wenn es im Praiosglauben anders gesehen wurde, nicht unbedingt schlechte Menschen. Hexen waren Frauen. Frauen, die magisch waren und deren Wirken weniger dem gildenmagischen und mehr dem elfischen gleichen sollte. Zumindest hatte Cyruion es so verstanden, wenn die Magister sich am Seminar über die Besenreiterinnen aus Weiden und anderen Landen geäußert hatten. Auch hatte er sie nie derart erlebt, dass es bösartige Exemplare gab, war jedoch nicht auszuschließen, wobei er in der Verliebtheit keine Boshaftigkeit erkennen konnte. Nachdenklichen Blickes folgte er der Verhandlung.
Insgesamt überraschte das Urteil den Auelfen nicht, Vitus wurde schuldig gesprochen. Der, der ganze zehn Jahre vor den Konsequenzen seines Handelns weglief, ob aus Angst, Feigheit oder anderen Gründen, der war nicht ehrenhaft im Sinne Rondras, ohnehin schuldig und hatte es, auch wenn der Gedanke sich selbst für den Elfen bitter anhörte, nicht anders verdient. Inwieweit das Strafmaß angemessen war, wusste der Cyruion nicht zu beurteilen. Mehrere tausend Dukaten oder eine mehrjährige Haftstrafe hieß es, obwohl nichts passiert war, doch das war sicherlich auch der langen Abstinenz geschuldet.
Glücklicherweise verfügte Vitus noch über etwas Geld, wie er der Gruppe kurz nach Urteilsverkündung mitteilte, und musste sich daher lediglich Gedanken um die nächsten Raten in Höhe von eintausend Dukaten machen. Doch das, so viel war dem Elfen klar, war allen voran seine Sorge und sollte auch seine bleiben.
Cyruion war es nicht geheuer, sich überhaupt damit zu beschäftigen. Der, der sündigt, der soll auch Buße tun. So oder so ähnlich hatten es die Geweihten in Donnerbach den Menschen schon gepredigt und damit ging er konform. Soweit möglich würde er Vitus wohl helfen, doch es war nicht im Sinne des Erfinders oder Rondra, wenn man diese Last einfach von seinen Schultern nahm. Dann wäre es schließlich auch keine Strafe mehr.