Gareth 17 (Neferu)

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Zeitraum: TSA 1013

Neferu saß am Tisch in der Dachkammer in Rosskuppel und brütete über der Karte aus Störrebrandts Archiv. Es war noch früh, gleißend drang die Morgensonne des Wintertages durch das spröde gewordene Fensterglas.
Den Kopf in die Hand gestützt, fuhr sie mit dem Finger die Schlangenlinien nach, die die gemalten Fuchsfährten ergaben, wilde Wege, ein ganzes Labyrinth. Bisher war sie noch nicht hinter das Geheimnis des Rätsels gekommen. Allerdings war sie überzeugt davon, dass sich ein Sinn ergäbe, sobald sie einen der symbolisch bezeichneten Orte gefunden hatte.
Waren die drei abgebildeten Häuser mit dem Fuchskopf der Anfang der Schnitzeljagd oder das Ziel? Sie sahen garethisch aus, waren mehrstöckig und von Fachwerk durchzogen.. Vielleicht fand sie jemanden, der die Konstellation der Gebäude wiedererkennen würde. Sie atmete durch und betrachtete erneut die Ortsymbolik… Ein mächtiger Baum mit stattlicher Krone.. ein zweiter Baum, tot – rußgeschwärzt? Ein Fels wie ein Finger in den Himmel zeigend, ein Weiher im Wald, ein Boronsanger mit verwitterten Steinen, der Schädel eines Raubtieres, das sie nicht einordnen konnte – ein Bär vielleicht? – Schwarz gepunkteter Boden.. möglicherweise schwarze Kiesel… dann eine Hütte aus Knochen, ein Fluss mit drei markanten Felsen und zuletzt ein Pentagramm aus Steinen. Unter allem prangten die drei mehrstöckigen Fachwerkhäuser, hinter ihnen aufragende Bäume. Ein Fuchskopf markierte einen schmalen Durchgang, der die Mauern zweier Häuser trennte.
Unter den Zeichnungen waren je ein überraschter oder grimmiger Totenkopf gemalt, sowie direkt darunter ein Pfeil, der in die eine oder andere Richtung zeigte.
Die Bedeutung der Köpfe erschien ihr leicht – sie nahm sich vor, der Richtungsangabe der grantigen Schädels zu trotzen und sich an den mit ihnen markierten Orten für die gegensätzliche Richtung zu entscheiden.
Aber erstmal die Orte finden, das war leichter gedacht als getan.
Sie faltete das Pergament, steckte es sorgsam in ihre rote Umhängetasche.
Ihr Blick fiel auf die Holzkiste, die mit Erde gefüllt unter dem Fenster stand. Zerwas hatte ihr die Erde besorgt. Sie hätte den gefrorenen Boden sicher nicht herausbrechen können.
Ein beklemmendes Gefühl drückte ihren Hals. Sie hatte den Efeu und die Brunnenkresse von Phexdan eingepflanzt. Sie hatte den Wunsch geäußert, die Pflänzchen nicht absterben zu lassen, hatten sie sich doch bis hierhin gegen den Winter behauptet. Und Nef hatte schon immer eine Schwäche für schwache, benachteiligte Wesen, die sich trotz aller Widrigkeiten durchbissen.
Also war Zerwas ihrer Bitte nachgekommen und hatte ihr den nötigen Grund für die kleinen Wurzeln besorgt, ungeachtet der Tatsache, dass sie Geschenke von Phexdan gewesen waren.

Schnell erhob sie sich, um nicht weiter über diese schräge Dreiecksbeziehung, die da unausgesprochen in der Luft hing, nachzudenken.
Phexdan war Vergangenheit. Zerwas war ihre Zukunft. Nur so machte es Sinn, nur so war es richtig. Die Unsterblichen gehörten zusammen und der Sterbliche würde irgendwann gehen, so furchtbar es auch war. Sie nickte heftig, als ob irgendjemand in der Kammer gewesen wäre, den sie hätte überzeugen müssen. Aber sie war allein.

~

Es dauerte nicht einmal bis zum Mittag, dann hatte sie die drei Häuser gefunden.
Sie hatte sie von der Karte abgezeichnet und einem halben Dutzend Leute gezeigt, ehe ihr überraschenderweise der scharfäugige Wächter der Nordlandbank sagen konnte, dass diese Häuser aussahen wie solche, die er vom Hexenkessel kannte.
„Hexenkessel…?“ Hatte sie nur des Klanges wegen – fast schon zu belustigt – gefragt, als ihr zeitgleich selbst eingefallen war, dass sich hinter dem Namen eine Häuseransammlung in der Südstadt verbarg – nahe der Brache. Die Brache.. Die obskuren Symbole auf der Karte hatten in ihr schon am Morgen die Ahnung heraufbeschworen, dass soviel Unheimlichkeit und soviel Wald auf einmal eigentlich nur die Dämonenbrache meinen konnte. Sie hatte die scheußliche Vorstellung, durch das verfluchte Holz stiefeln zu müssen beim Frühstück beiseite geschoben.
Doch jetzt… Sie sah auf zu den blätternden Fassaden der drei Häuser und wieder hinab zu dem Rätsel in ihrer Hand. Das waren sie ganz gewiss.
Und die Bäumchen hinter der Zeichnung, die ihr vor Stunden noch so harmlos vorgekommen waren, entpuppten sich zu ihrem Unglück als der Waldrand in den verfluchten Forst..

~

Stunden später lief die Frau mit dem roten, fellbesetzten Umhang keuchend durch das Schneegestöber Alt-Gareths. Gehetzt blickte sie sich um, während ihr Atem die weißen Wolken zeigte, wenn Hitze auf Kälte traf. Vor die morgens noch starke Sonne hatte sich unterdessen eine schlierig helle Wand geschoben, die alles verbarg, was Himmel war. Firun zeigte sein Wirken.
Ich bin unschuldig… flüsterte die dunkle Stimme direkt in ihrem Kopf.
Unruhig ruckte ihr Blick umher, die Augen waren gerötet, denn sie schloss sie zu selten.

Sie hatte etwas mitgebracht. Aus der Brache. Wie viele Stunden war sie dort gewesen? Nicht lange.. Es konnte noch nicht weit nach Mittag sein.. Menschen kamen ihr entgegen. Doch dieses Mal nahm sie den steten Strom, der durch Gareth wallte, viel intensiver wahr. Ihr war heiß. Sie spürte wie sie nass unter den Armen schwitzte.
Hatte sie eine Zeitreise gemacht? War das noch das Gareth, das sie kannte? Sie fühlte sich ausgebrannt, jeder Muskel zog, das Skelett in ihrem Leib schien verdreht schmerzend.
Die Menschen starrten sie an, mit gestreng-vernichtendem Blick, mit Beurteilung und mit Augen die sagten du bist schuldig.
Zumindest glaubte sie das, als sie sich ungelenk strauchelnd durch die Massen bewegte. Nur wenige blickten ihr teilnahmslos nach. Die Garether waren es gewohnt zu jeder Tageszeit Betrunkene und Wirrköpfe zu sehen. Das brachte eine Metropole mit sich. So erhielt die Rote höchstens hier einen mitleidigen, da einen desinteressierten und von den jüngeren der Bauern, Händler, Bürger und Besucher vielleicht doch einen neugierigen oder spottenden Blick. Eine Aufmerksamkeit, die darauf abzielte, etwas zu sehen, dass besonders war, damit man morgen etwas spannendes zu erzählen hatte.
Niemand hielt sie auf – kein Büttel, kein Praiosdiener.
Ich bin unschuldig…! säuselte es in ihrem Kopf und sie meinte aus dem Augenwinkel zwischen dem Fluss der Leute eine dunkle Person mit strähnigem Haar zu sehen, die fort war, als sie genauer hinsah.

„Salpico!“ Neferu stürzte mit letzter Kraft an Frau Ahlemeyer vorbei, die ihr verdutzt hinterherblickte. Als die Vermieterin den Mund aufmachen wollte, war die Tulamidin mit den exotischen Zöpfen bereits die Treppe herauf gelaufen. Wenn Frau Ahlemeyer noch Frau Ahlemeyer war.. dann war mit der Zeit alles in Ordnung.
Der Magier war tatsächlich in seiner Kammer und mit gehobenen schwarzen Brauen, ließ er Neferu ein, die ganz entgegen ihrer alltäglichen Gewohnheiten alles andere als gefasst aussah.
„Alles in Ordnung? Du siehst aus als…“
„Ich war in der Brache!“ Sie wedelte mit einem Pergament vor seiner Nase herum. Sah aus wie ein Labyrinthrätsel mit einigen Zeichnungen darauf.
Die Mine des Brabakers zeigte alles andere als Begeisterung, er sah sie lediglich an. Ganz so, als erwarte er, dass sie jeden Augenblick mit einem erklärenden Monolog beginnen würde.
„Da war der Baum! Der Zerstörte von der Karte! Ich habe ihn gefunden, sehr bald sogar. Er war gar nicht weit entfernt vom Zugang..“ sie tippte auf unsicheren Knien schwankend auf das aufgemalte Rätsel. Salpico nahm sie bei den Schultern und setzte sie schweigend auf einen Stuhl. Es war leider ganz und gar nicht ungewöhnlich, dass Menschen die Gefahr von Dämonen, Geistern und wirklich verfluchten Orten (nicht diesen vollkommen ungefährlichen Tempelruinen, die einer schlechten Wirtschaftslage und dem Horn Satinavs zu verdanken waren) deutlich unterschätzten.
„Es gab zwei Wege.. der eine schmal und düster, er führte durch ein Moor. Mir wurde mulmig und ich machte mich lieber vom Acker, obwohl der Totenkopf eigentlich nicht grimmig dreinglotzte, der auf dem Papier und es der richtige Weg hätte sein müssen… so im nachhinein war er das sicher auch! Denn der breitere Weg führte in einen Wald, zu einer alten Zollstation. Auf dem Weg dahin hörte ich es in den Wipfeln flüstern, denn es ist kein Winter in der Brache. Nicht wirklich! Es gibt noch Bäume, belaubte Bäume.. und da hing etwas im Baum, aber ich sah nicht hin. Das Flüstern wurde deutlicher, es war ein Mann..! Er sprach ‚Ich bin unschuldig.‘.. Immer wieder! Und auf der Lichtung bei dem zerfallenen Gebäude der Station dann…kam der andere, durchscheinende Kerl mit dem Tellerhelm und er… er verzog sein Gesicht! Als.. würde er mich verschlingen wollen und als ich wieder die Augen aufmachte, war die Zollstation in gutem Schuss, es war Licht darin und von draußen konnte man die Silhouetten feiernder Menschen erkennen.“
Sie holte pustend Luft.
Salpico nickte langsam, da war er gewesen, der Redeschwall.
Auch wenn er kein Meister darin war, die Gefühlsregungen anderer korrekt einzuschätzen, so war er sich sehr sicher, dass Nef aufgebracht war. Und dass sie in der Brache Kontakt zu einem Geist oder Dämon gehabt hatte.
„Ich hör dir zu, was ist dann passiert?“ gab er ermunternd von sich und zwang sich zu einem pädagogischen Lächeln, das sie beruhigen sollte.
Ihre Wangen hatten wieder ein bisschen Farbe bekommen und sie bestätigte schwer nickend seine Aufforderung.
„Gut.. oder auch nicht.. Ich bin dann.. in diesem … Traum herumgelaufen. Er schien wie die Vergangenheit. 932 nach Bosparans Fall, konnte ich auf einem Stein lesen. Ich konnte sogar mit den Männern in der Station sprechen, Pico! Dieser Gehängte im Baum…Sie erzählten mir, er war am Strang gestorben, ein Kinderschänder! Und dann kam er plötzlich zurück.. Als Untoter! Ins Zollhaus. Und tötete da alle! Als ich wieder zu mir kam und Satinav die Zeit wieder so geregelt hatte, wie sie gehörte, sah ich die Reste der Leichen im Haus. Und mit Blut stand an die bleichen Bretter geschrieben ‚unschuldig‘! Und ich glaube… ich habe ihn mitgebracht! Ich höre ihn auch hier!“ Sie endete leiser, drückte die Lippen aufeinander und starrte Salpico an wie ein Patient, der auf das Urteil des Heilers wartete.
Salpico nickte stoisch.
„Tödliche Unschuld.“ diagnostizierte er mit Kennermine. „Sie sind überzeugt davon, eine Tat, die sie aus dem Diesseits befördert hat, nicht begangen zu haben. Doch das haben sie! Obwohl ich noch nie mit einer gesprochen habe, nehme ich an, dass das so ähnlich wie das Verdrängen bei uns Menschen ist. Der lebende Mensch tut etwas ganz Furchtbares, das eigentlich sogar gegen seine eigenen Grundsätze verstößt und verstirbt kurz darauf, noch während er mit seinem schlechten Gewissen hadert. Kommt zu diesem Hadern noch der Schock eines gewaltsamen Todes, so kann es passieren, dass die Seele keine Ruhe findet und nicht in Borons Hallen eingeht. Sie bleibt dann in der Nähe des Todes- oder Tatortes und versucht durch die Übernahme Lebender seinen Namen reinzuwaschen oder zumindest jene über das Nirgendmeer zu befördern, die seiner Ansicht nach seinen Tod herbeigeführt haben.“
Einen Augenblick schwieg er nachdenklich und ließ seinen Blick aus dem Fenster schweifen, während er seinen Bart kraulte. „Seltsam eigentlich. Ich lese selten von Erwachsenen die das betrifft. Oft sind es eher junge Menschen, die aus Versehen jemanden getötet haben, ein Geschwisterteil das andere vielleicht, oder…“, mit einem Blick in das Gesicht der jungen Hexe brach er ab. Sie hatte wieder an Farbe verloren und starrte ihn mit weit offenen Augen an, ein irgendwie konzentrierter Blick, als würde sie jemandem oder etwas lauschen.
Irgendwo im hintersten Winkel seines Bewusstseins manifestierte sich die Vermutung, dass Nef größere Probleme hatte als seinem akademischem Fachwissen zu lauschen. Sicher war es besser, wenn er die Angelegenheit schlicht auf den Punkt brachte.
„Ich schätze… du bist besessen. Noch ist das nicht weiter schlimm. Die tödliche Unschuld ist eher schwach wenn es darum geht, einen wachen Geist zu übernehmen. Das funktioniert nur bei hirnamputierten Söhnen der Dummheit. Bei dir muss die Unschuld warten, bis du einschläfst, ehe sie mit ihrem Rachefeldzug beginnen kann.“, er setzte ein zufriedenes Lächeln auf und nickte zuversichtlich – was Neferus Gesicht seltsamerweise nicht entspannen konnte.
Einen Augenblick schwieg er verdutzt, ehe er anfügte:“Ich brauche nur ein paar Kleinigkeiten, dann angeln wir diesen Parasiten wieder aus dir heraus und stopfen ihn dorthin zurück, wo er hingehört. Die Brache. Ich bin gleich zurück!“

~

Die Prozedur war weniger schlimm als angenommen.
Tatsächlich hatte die tödliche Unschuld von ihr Besitz ergriffen, sich wie eine Made in den Apfel, in ihren empfänglichen Geist eingenistet. Während ihr kaum mehr zu tun blieb, als auf einem Schemel in Salpicos ‚Arbeitsraum‘ sitzen zu bleiben, hatte dieser sich ungewohnt eifrig und fachkundig daran gemacht, ihre Sitzgelegenheit mit aus Kreidestaub bestehenden Kreisen, Mustern und Glyphen zu umgeben. War das tulamidisch?
„Ein Bannkreis, zwei Schutzkreise.“ dozierte er dabei, ehe er ein recht schlichtes, irgendwie altertümlich wirkendes Kurzschwert offenbarte. Es sah zugegeben ein wenig amüsant aus – wie ein Hund, dessen Nase an einer Fährte klebte -, wie der Schwarzmagier auf dem Boden umher kroch, die Linien peinlich genau prüfte und dann das Schwert – scheinbar recht willkürlich – dazwischen legte, ehe er einige klischeehafte, schwarze Kerzen anzündete.
Bald darauf stand Salpico in einem der Kreise und begann seinen Körper, begleitet von einem seltsam nichtmenschlich anmutenden Singsang hin und her zu biegen. Der Geist der Hexe umwölkte sich, als die Magie des Mannes nach ihm Griff – und als die Schleier sich hoben, blieb nur die Erinnerung an das Gefühl eines unbestimmten Ringens, eines Reißens und Windens, eines kurzen aber heftigen Kampfes. Die Erinnerung daran, dass die Made mit einem unangenehmen Ruck aus dem Apfel entfernt worden war.

~

Keine gute Idee, alleine und unvorbereitet nur mal gucken zu wollen, was denn in der Brache so los war. Sie schalt sich innerlich. Kaum zu glauben, dass sie eine Geweihte des Listenreichen war. So überstürzt wie sie dem Rätselchen nachgejagt war, ganz egal, wohin es sie führte, fühlte sie sich eher wie ein Köter, dem sein Stöckchen in einen unbekannten Wald geschleudert worden war. Doch selbst der Vierbeiner wäre zu schlau gewesen, dieses Stöckchen aus dem dürren Gras der Brache zu zupfen..
Sie schlug sich mehrfach die Handballen gegen die Stirn. Bei allen Dämonen, wie hatte sie nur so stumpfsinnig sein können. Sie füllte ihre Brust mit Luft und hielt sie kurz an.
Erst nachdenken, erst ein Plan. Oder zumindest eine passable Vorbereitung.
Die Brache… was wusste sie darüber?
Ihr Blick schnellte zu Salpico, der wieder am Schreibtisch des Zimmerchens saß und geistesabwesend über einem Buch brütete.
Sie hatte sein Bett zum Meditieren annektiert und saß im Schneidersitz darauf.
„Picchen? Was kannst du mir über die Brache erzählen?“
„Nicht viel, sie ist alt – der Rest einer Dämonenschlacht. Es gibt Geister und Dämonen dort. …und man sollte nicht unvorbereitet hineinspazieren.“ schnarrte der Tulamide, ohne dass er aufsah.
Nef runzelte missfällig die Stirn, die dichten Brauen sanken tief über ihre Mandelaugen.
„Danke,“ murrte ihre tiefe Stimme, „das ist nicht viel.“. Sie rutschte vom Bett, schlüpfte in die Stiefel, „Ich höre mich um.“
An der Tür hielt sie noch einmal inne.
„Wenn ich das nächste Mal – vorbereitet – in die Brache gehe… begleitest du mich?“
Nun hob er endlich den Kopf, sah sie mit seinen seltsamen Augen an, deren Iris komplett schwarz war, als hätte man ihm zwei finstere Perlen in die Glaskörper gedrückt.
„Sicher.“

~

Solange sie sich mit dem Brachenrätsel befasste, mussten alle anderen Baustellen auf ihrer langen Liste von nötigen Handgriffen für ein passendes Leben in Gareth, ruhen.
So kratzte es ihren Stolz auch kaum, dass diese Oberhexe, die im Levthans Horn unter der Obhut eines Angroschim arbeitete, sie seit Tagen ignorierte. Trotz dem sie zwischendurch sogar da gewesen war und nach ihr gefragt hatte, höchstpersönlich! Beim Schlendern durch das heruntergekommene Südquartier fragte sich Neferu, ob es so unüblich in Gareth war, dass diejenigen, die ihre Magie mittels der Erdnähe kanalisierten, sich untereinander bekannt machten. Wie konnte so überhaupt ein Garether Zirkel bestehen?
Sie kuschelte sich in ihren Umhang. Die Flocken, die dick aus den Wolken stoben, wie Federn aus einem zu kräftig geschüttelten Kissen, legten sich sachte auf ihren dunklen Kopf, wie ein flauschiges Eismützchen.
„Da bist du..“ Die tiefe Stimme des Dunkelhaarigen durchschnitt die wattige Stille, die die Laute dämpfte. Zerwas‘ Schritte knirschten, als er über den frischgefallenen Schnee ging.
Er hatte seinen Dienst auf dem Hof wohl zu Ende gebracht, so kurz vor der Abenddämmerung. Sie war ehrlich froh, ihn zu sehen. Der Schock über die Besessenheit saß ihr noch tief in den Gliedern. Mit geneigtem Kopf ging sie ihm die letzten Schritte entgegen und umarmte ihn fest. Zuerst überrascht, dann sanft, nahm er sie an sich.

~

Eine Dämonenschlacht vor einem Jahrtausend, die so übel ausgegangen war, dass das Echo der vor achtzig Jahren am Rand der Brache befindlichen Zollstation noch immer hallte. Damals am Rand der Brache, jetzt darin. Der verfluchte Wald breitete sich aus, immer weiter, Jahr für Jahr. Sie musste furchtbar aufpassen, auch wenn Salpico und Zerwas sie begleiten wollten.
Ein Artefakt gegen Besessenheit in kurzer Zeit aufzutreiben, gestaltete sich als unmöglich. Weder die Schwarzmagier aus dem Südquartier – genannt der Zirkel der freien Wissenschaften – noch der stadtbekannte Artefakturmeister Erpelgrieb, bei dem Salpico eine Art Lehre anfangen wollte, konnten ihr helfen.
Sie kleidete sich in ihre Tuchrüstung, denn das erschien ihr angesichts der Sumpflöcher der Brache als besser. Sollte sie fallen… in einen dieser morastigen Weiher, konnte ihr zuviel des Guten schnell den Tod bringen.
Sie teilten sich auf. Zerwas besorgte Steinsalz, einem alten Aberglauben folgend. Und sie ließ ihre Waffe gegen einen Obolus von zwei Dukaten segnen.
Sie griff nach jedem Halm.
Die grauen Wolken des jungen Abends verpackten den Himmel dick, als befände sich in Alveran eine trübe Suppe, die bis in die Sphäre der Menschen vordrang.
Neferu forschte explizit nach jemandem, der sich in der Brache auskannte.
Im Südquartier hörte sie sich um, denn sie wusste, dass die Ohren und Augen dort nie verschlossen waren.
Sie fand die brauchbare Auskunft: Phygius II. war der Name des Mannes, der einmal die Woche, immer Rondratags, abwechselnd in zwei Gasthäusern am Rande des Quartiers speiste.
Als verschroben galt er und sehr gepflegt, aber was kümmerte sie das, solange sie ihn dazu bringen konnte, ihr zu helfen.
Seine Stammtavernen waren ‚Lieblicher Yaquir‘ und ‚Almada-Stube‘. Es war nur eine Theorie, aber es deutete doch alles darauf hin, dass dieser Phygius ursprünglich Almadaner war.
Die Wirtin der ‚Almada-Stube‘ schwor sogar, dass der seltsame Brachenspezialist in dem pervertierten Wald leben sollte. Wahrlich leben!

Bis zum Rondratag waren es noch zwei Tage…