Grangor 9 (Garion)

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Langsam aber sicher begann er sie zu spüren. Kälte, die nach seinem Körper griff. Es schien als breit sie sich von seiner Brust aus über seinen ganzen Körper aus. Er riss die Augen auf und sah rasch umher. Noch immer lag er in dem Bottich, doch das Licht der hereinfallenden Sonne war ein ganzes Stück weiter durch den Raum gewandert, seit er die Augen geschlossen hatte. Er musste eingeschlafen sein…er wagte eine Bewegung. Sofort kam das unangenehm kalte Wasser in Bewegung und schwappte an eine bisher unberührte Stelle. Seine Nackenhaare stellten sich auf.

Er wusste nicht wie lange er geschlafen hatte, aber eigentlich war das auch nicht wichtig. Neferu war nicht im Haus, er wusste nicht einmal wo sie war und so wie er sich fühlte hätte er keine lange Suche durchgestanden. Stattdessen ließ er seinen Blick durch den Raum gleiten bis er an der Wand gegenüber hängen blieb. Sie erinnerte ihn an etwas…ja…ganz sicher. Sie erinnerte ihn an eine andere Holzwand, eine, die er in glücklicheren Zeiten gesehen hatte. Damals, in der Taverne Heldentrutz hatte er den glücklichsten Moment seines Lebens erlebt. Er hatte wahren Mut bewiesen, hatte sich nahe an Neferu rangewagt, sie berührt, rückwärts an die Wand gedrückt. Ja, er war mutig gewesen. Er musste matt lächeln. Er wusste dass viele in den Rondriten den Inbegriff des Mutes sahen, stellten sie sich doch beinahe jedem Kampf, aber er wusste es besser. Mutig zu sein hieß Ängste zu besiegen die einen quälten…aber er fürchtete den Kampf nicht. Ein Kampf war planbar, wenn man auf alle Einzelheiten achtete wusste man, wer gewinnen würde. Man wusste ob man selbst oder der Gegner besser war. Mut hatte er bewiesen, als er sie geküsst hatte…den Gedanken, dass sie ihn von sich stoßen oder ihn verachten würde weit von sich geschoben hatte und den Sprung gewagt hatte.
Er ballte seine rechte Hand zu einer lockeren Faust, die Finger die seinen Handteller berührten waren kalt, wohl vom Wasser. Seine Zunge hatte mit ihrer gerungen, sein Mut hatte sich gelohnt und er war sich sicher, dass seine Gefühl erwidert wurden, dass sich die Pforten Alverans gerade weit aufgetan hatten um ihn zu empfangen, dann hatte Richard geklopft und der Moment war vorbei.
Was er wohl tun musste, damit sie ihn bemerkte? Ja, das war die wichtigste Frage…was musste er tun? Sie zu beschützen wo immer er konnte schien ihr nicht zu reichen – Rücksicht war nicht, was sie beeindruckte.
Wieder zog der mächtige Zweihänder neben der Tür seinen Blick an. Garion hatte seinen Besitzer getötet. Vorgeblich, weil er einen Anhänger des Namenlosen hatte auslöschen wollen, das entsprach auch durchaus der Wahrheit, der Mann war ihm ein Dorn im Auge gewesen…aber das war nicht alles. Den Mann hätte sein Schicksal ohnehin ereilt, ob nun durch die Vernichtung der Stadt, weil die drei versagt hätte oder nach ihrem Erfolg und durch ein paar Gardisten der Rondratempelwache. Nein, sein Angriff war nicht durch die pure Anwesenheit eines Speichelleckers des Namenlosen provoziert worden. Er hatte vor seinem inneren Auge gesehen, wie der Mann mit seinem Schwert über Richard und Neferu hergefallen war. Hatte gesehen, wie die große Klinge ein Stück Fleisch aus seiner Liebe gerissen hatte, hatte ihre Schreie im Ohr gehabt…sein Blut hatte gekocht, der Mann hatte sterben müssen.
Sein Blick glitt an der großen Klinge hinauf und hinab. Die lange, gerade Klinge, das breite Schwertheft der Griff, der für zwei Hände gedacht war. Leise und vorsichtig atmete er ein – ja, in dieser Klinge sah er sein Schicksal. Seine Blicke streiften die getrockneten Blutflecken – nicht sein Eigenes, das eines weiteren Ketzers. Der Anblick weckte eine unbekannte Art der Trauer in ihm, er fühlte sich unwohl in seiner Haut. Die Kälte des Wassers wurde ihm schmerzhaft bewusst, doch noch immer dachte er nicht daran den Badezuber zu verlassen, die Ruhe der Abgeschiedenheit dieses Raumes verschaffte ihm die willkommene Gelegenheit seine Gedanken zu ordnen.
Niemals würde er aufgeben, niemals von ihrer Seite weichen. Seine Stirn legte sich in tiefe Falten, er musste über seinen Schatten springen, so viel war ihm bewusst. Er schluckte schwer und rührte abwesend mit seinem rechten Finger in dem Wasser herum. Aber die Alternative schreckte ihn weitaus mehr. Mit einer langsamen Bewegung zog er seine rechte Hand aus dem kühlen Nass und begann über den geschliffenen Rand des Zubers zu streichen. Es fühlte sich angenehm unter seinen geschrumpelten Fingern an – es war so viel tapferer als er. Das Holz unter seinen Fingern stand hier sicher seit Jahren. Hatte Freude und Leid der Welt geteilt und hatte niemals gezweifelt, war niemals gewankt, hatte immer um seinen Platz gewusst. Ein trauriges Lächeln glitt über die Züge Garions. An was er so dachte. Seine Finger hielten bei einer kleinen Kerbe inne und betasteten sie. Die Zeit ging also auch an diesem Zuber nicht spurlos vorbei. Er hatte sich offenbar der Realität gestellt und dabei eine Narbe erfahren.
Seufzend griff er mit beiden Händen nach den Rändern des Zubers und richtete sich mit einem raschen Zug auf. Der Schmerz seiner Rippen wurde von der Kälte der Raumluft überschattet, die silbrigen Perlen des Badewassers rannen ihm den Leib hinab und fanden leise plätschernd den Weg zurück in ihre Heimat. Mit nachdenklicher Miene griff er zu dem Leinenhandtuch, das auf einem Haken an der Wand auf seinen Einsatz wartete. Er wischte sich damit über das Gesicht, eine seltsame Angewohnheit wie er fand…der ganze Körper fror und war nass, aber aus irgendeinem Grund trocknete er nach jedem Bad zuerst sein Gesicht. Rasch wandte er sich seinem Oberkörper, der Brust, dem Bauch und den Achseln zu. Er würde versuchen sich ihr mehr zu öffnen, behutsam, ganz vorsichtig…aber doch deutlich. Seine Stirn legte sich in hilflose Falten. Aber wie? Er mochte sich vor keinem Kampf scheuen, um den Einsatz vieler Waffen wissen, aber die Aufgabe vor der er nun stand schien ihn zu erdrücken. Achtsam stieg er aus dem Zuber und wandte sich der Trocknung seines Unterleibs und der Beine zu. Alles was er über das Umwerben einer Frau wusste, hatte er von seinem „Bruder“ Ven erfahren. Wieder entrang sich ein entmutigter Seufzer seiner Brust. Ven war keine große Hilfe gewesen, er hatte beinahe monatlich die Frau an seiner Seite gewechselt, ihm war kein Glück in einer Beziehung beschieden wie es schien. Alles woran Garion sich mit seinen schmerzenden Gliedern erinnern konnte, war das Ven ihn einmal spöttisch angesehen und gesagt hatte:“Du bist zu schweigsam Garion. Vielleicht ist es das Beste, wenn du die Blumen für dich sprechen lässt. Frauen mögen Blumen.“, er hatte ihm lachend auf die Schulter geschlagen und war mit seiner neuen Flamme auf den Markt in Festum gegangen. Garion war damals wie heute allein gewesen, allein mit sich selbst und seinen Gedanken. Aber…warum sollte er eigentlich nicht versuchen eine Blume sprechen zu lassen? Ven wusste wovon er sprach, zumindest hoffte er das, und sollte Neferu sich nicht über die Blume freuen, so musste er wenigstens ihr Gesicht nicht sehen.
Mit klammen Fingern griff er nach seiner weit geschnittenen Hose. Er hatte sie in der Khomwüste als Geschenk erhalten und sie war ohne Frage bequem. Das dazugehörige Hemd und die Hose ebenfalls, diese Kleider würden seine Quetschung schonen, so würde zumindest sein Körper zu Ruhe kommen, auch wenn er zweifelte, dass sein Geist ihm nachfolgen würde.
Mit seinen Gedanken weit von seinen Handlungen entfernt schloss er die Hose und warf sich das Hemd über. Als er nach den Stiefeln griff sah er zu seiner dreckigen Kleidung. Die Magd, die das Bad bereitet hatte, hatte ihm gesagt er solle sie einfach dort zurücklassen, sie würde sie waschen. Das war ihm nur recht, er hatte den Kopf nicht frei genug um sich um seine Wäsche zu kümmern.
Mit einem Ruck brachte er den zweiten Stiefel fest an seinen Fuß und ging zu der Tür hinüber um sie zu entriegeln. Die Zeit der Ruhe, der Besinnung und der Planung war vorbei, der Tag war noch jung genug um in die Stadt zu gehen, mit einem Blick zur Seite entschied er seine Waffe später in sein Zimmer zurück zu bringen, immer in der Hoffnung, dass sich niemand daran stören würde.
Er verließ den Raum und nahm den Weg den Flur hinab in Richtung der Stufen, die ihn in das Erdgeschoss des Anwesens führen würden, hinunter in den Hof und hinaus auf die Straße. Ihm war bewusst, dass die wenigsten, die es sich leisten konnten die Seewege durch die Stadt zu nutzen sich freiwillig in die engen Straßen der Stadt begaben, aber er war der Ansicht, dass ein wenig Lärm, Gestank und Leben ihm jetzt nicht schaden konnten. Schon bei seiner Ankunft in Grangor hatte er gesehen, was nun sein Ziel war. Nahe des Südtores der Stadt, kaum mehr als 500 Schritt in eine Gasse zu seiner Linken lag ein kleiner Blumenladen, der sich beinahe schüchtern in den Schatten der hohen Stadtmauer zu ducken schien, genau dort wollte er hin.
Auf seinem Weg merkte er kaum, dass er mehrfach angerempelt oder abgedrängt wurde. Seine Gedanken waren nicht mit dem Getummel auf den Straßen beschäftigt sondern mit einem Gesicht, das ihm nicht aus dem Kopf wollte. Immer wieder sah er Neferus ernste, braungebrannte Miene, wie er sie am Abend ihrer Rückkehr in der offenen Hand vor sich gesehen hatte. Irgendetwas hatte sie verändert – hatte das Funkeln ihrer Augen abgewandelt, ihr das kecke Lächeln von den Lippen gewischt. Schwermütig seufzend bog er in eine Ecke und tauchte in die Dämmerung einer kleinen Gasse ein. Eine fürchterliche Erinnerung, die sich ihm machtvoll auf das Gemüt zu legen begann.
„Kopf hoch, Garion. Eine Schlacht magst du verloren haben, aber der Krieg ist nicht vorbei!“, schalt er sich selbst und reckte das Kinn ein wenig empor um sich selbst zu beweisen, dass noch etwas Kraft in ihm war. Er hielt inne, vor ihm lag der Blumenladen, den er gesucht hatte…es war an der Zeit das erste Mal auf diesem Weg seinen Mut zu beweisen. Ehe er sich noch umentscheiden konnte war er an der Tür und drückte sie etwas zu kräftig auf. Überrascht hob eine kleine, verhutzelte Frau ihren Blick an und sah zu ihm auf. „Holla, junger Mann. Lasst Vorsicht walten, meine Tür ist beinahe so alt wie ich selbst.“, sie kicherte leise.
Garion schluckte schwer:“Ich…tut mir leid.“, er kam sich dumm vor, jeder Dreizehnjährige konnte eine Blume kaufen und er stellte sich an wie ein Schaf auf dem Weg zur Schlachtbank. „Ich, ähm, wollte eine Blume kaufen.“, was war das denn für eine hirnrisse Ankündigung? Was sollte er sonst hier wollen? Die Frau auf der anderen Seite der Theke schien mehr Nachsicht mit ihm zu haben als er selbst, sie lächelte ihm herzlich entgegen:“Natürlich mein Junge. Was für eine darf es denn sein? Sag…ist sie für ein Mädchen?“
Garion schluckte leise, nickte aber stumm. „Wie schön! Was ist ihre Lieblingsfarbe?“, fragte das Mütterchen freundlich und offenbar aufrichtig erfreut über eine junge Liebe.
Garion zögerte. Er hatte Neferu nie nach ihrer Lieblingsfarbe gefragt, aber er glaubte, dass ihre Kleider ihre Lieblingsfarbe repräsentierten. Er holte tief Luft:“Ich denke, sie mag Rot.“, wie sprachlich geschliffen seine Ausführungen heute waren. Innerlich verdrehte er die Augen.
Sein Gegenüber aber klatschte freudig in die Hände:“Dann habe ich genau das Richtige für dich! Warte einen Moment.“, damit huschte sie durch eine niedrige und etwas schiefe Tür in einen für Garion nicht einsehbaren Nebenraum. Er blinzelte sachte. Ganz offensichtlich hatte er zumindest mit der Wahl dieses Ladens etwas richtig gemacht, die Frau vermittelte ihm das Gefühl die richtigen Worte gefunden zu haben. Vielleicht lag es aber auch an seinem Gesichtsausdruck. Wie mochte er gerade aussehen? Ängstlich? Verzweifelt? Stocksteif? Er wusste es nicht.
In diesem Moment kehrte die untersetzte Frau mit einer Blume in der Hand zurück in den Laden und wuselte um die Theke herum. Die Blüten der einzelnen Blume waren blutrot und nicht ganz geöffnet, an ihrem grünen Stiel zeigten sich hier und dort Dornen, die allerdings ausgedünnt genug schienen um ohne große Gefahr zugreifen zu können. „Eine Rose. Hier Junge, nimm. Vermutlich mache ich mir damit irgendwann den Laden kaputt, aber ich kann euch jungen Leuten einfach keine drei Kreuzer abnehmen, wenn ihr so ein Gesicht zieht.“, damit drückte sie ihm die Blume in die Hand.
Einen Moment lang betrachtete er die Blume nachdenklich…Rot…ob das ein gutes Zeichen war? Immerhin war Rot sowohl unter den Farben Rondras als auch Rahjas. Ein schwacher Schmerz seiner Rippe riss ihn in die Gegenwart zurück und als er an sich hinab sah, erkannte er den Grund dafür. Das Muttchen hatte ihn umarmt. Zwar hatte sie es nicht ganz um ihn herum geschafft, aber sie hatte sich alle Mühe gegeben ihm ein wenig Mut zu machen. „Geh jetzt. Es ist nicht gut solche Angelegenheiten warten zu lassen. Ich wünsche dir von Herzen alles Gute.“, Garion lächelte ihr ein wenig traurig zu. Ja, alles Gute, das wünschte er sich auch.
Mit gemischten Gefühlen ließ er sich nach draußen geleiten und machte sich auf den Weg in Richtung der Hortemanns. Er konnte nur hoffen, dass Neferu nicht in ihrem Zimmer war. Den mütterlich besorgten Blick der Ladenbesitzerin bemerkte er gar nicht, als er ihm folgte…