1014 BF

Gute Zeiten, schlechte Zeiten 1 (Rahjard) (TRA 1014)

Kaum zwei Tage alt, war es dem Traviamond bereits gelungen sowohl Herrchen als auch Hund auszulaugen, mürbe zu machen. Unter einem hörbaren Ächzen ließ sich Rahjard achtlos auf das Bett im, mittlerweile fertiggestellten, Eigenheim im Garether Arenaviertel fallen. Auch ohne die letzten Stunden, schlechte oder überraschende Kunde von und über Garion sowie die Vorbereitungen für einen baldigen Aufbruch, waren diese Tage, eher Wochen, ein ziemlicher Akt gewesen. Schließlich hatte Neferu, tollkühn, ihr Versprechen eingehalten und war mit Voltan am Vortag den Traviabund eingegangen und wer hätte besser helfen können als er? Besonders wenn es darum ging, eine Feier zu organisieren. Zwar ohne den harten Alkohol und eine Schar Dirnen, so wie er früher oft gefeiert hatte, aber dafür gesittet und einem erlesenen Kreis von Menschen angemessen, darunter Gestalten wie Großinquisitor Nemrod, Vertreter verschiedener Magiergilden und, auch wenn ein Kommen nicht zu erwarten stand, hatte sich auch der Reichsregent auf der Liste derer wiedergefunden, die eine Einladung erhalten hatten.

Die Sprenglers. Er schmunzelte und schob die Rechte unter den Kopf, den Blick auf die Decke gerichtet.

Sie, die dereinst offenbar von Rahja in Grangor verspottet worden war, hatte den vermeintlichen Rahjafluch der auf den Freunden lastete durchbrochen, die Liebe, Geborgenheit und eine neue Familie gefunden und, das galt es obendrein nicht zu vergessen, hatte sich dafür dem Empfinden nach ein Stück weit von ihrer großen Liebe gelöst – Feqzjian. Das wusste selbst einem Al’Anfaner Mut zu machen, der selbst bisweilen noch am Gedanken an die Heilerin aus Hinterbruch hing und sich dafür verdammte, fortgegangen zu sein. Doch nicht jeder Moment dieser Feierlichkeiten, ob nun am Vortag oder heute, war in Glückseligkeit getränkt.
Denn er, der Ardarit, Garion, war auch nach der letzten Begegnung in Kurkum gereist und hatte genug dabei, die Feierlichkeiten zu sprengen. Aventurische Boten, die überall vom Erscheinen von Dämonen und anderen Tragödien kündeten, sprach außerdem von Reisen in die lebensfeindlichsten Gebiete überhaupt, erzählte von Magiern und Magierkriegen und mahnte schließlich die Rückkehr des Dämonenmeisters an.

Eisige Stille hatte sich – besonders von Seiten derer, die gar nichts mit solcherlei Themen anzufangen wussten und schlicht ein gutbürgerliches Leben führten – ausgebreitet, bis die Hexe Luzelin das Wort erhob und von Erlebnissen sprach, die fast 30 Jahre zurücklagen. 30 Jahre. Die meisten unter ihnen waren noch nicht einmal so alt und sahen sich jetzt mit solchen Dingen konfrontiert. Noch am Tisch, das war ihm sicherlich auch anzusehen, hätte er am liebsten einen lauten, gequälten Seufzer nach dem Nächsten ausgestoßen – denn war es nicht eigentlich sein Wunsch, nach all den Jahren ein geregeltes Leben zu führen, einen Alltag zu haben?

Heute hatte er sich stattdessen wieder, und sogar freiwillig, auf eine womöglich gefährliche Unternehmung eingelassen. Bethana, Selem, vielleicht Fasar. Orte, an denen der Bethanier gewirkt hatte – neben der Gor. Orte, die er an der Seite des Nekromanten Salpico abgrasen wollte, nach Informationen, auch über den Schergen Liscom. Einen Borbaradianer, den Garion laut eigener Aussage mit einigen anderen in der Gor gestellt und unter seinem Turm begraben hatte. Im Angesicht all dieser Umstände waren andere Enthüllungen dieser Tage verblasst und es wusste ihn weniger zu erheitern, wie Voltans Mutter kläglich an dem Versuch gescheitert war, die während der Feierlichkeiten anwesenden Vertreter der Inquisition auf die rote Hexe Neferu aufmerksam zu machen. Er schüttelte den Kopf.

In der Gor. So verhärtet die Fronten zwischen den Beiden auch waren, so sehr sich ihre Ansichten unterschieden, selbst er fing an sich um den Ardariten, den Recken ohne sonderlich viel Freude oder Vergnüglichkeit im Leben, zu sorgen. Denn, so viel schien sicher, es wurde gefährlicher. Die Namenlosen Tage in den Thermen waren Beweis genug und ein triftiger Grund dafür, in Gareth leben, aber nicht länger vagabundierend umherziehen zu wollen. 

Es lag ihm doch fern, im besten Alter in Borons Hallen einzuziehen. Und, dennoch: Wie konnte er unstetes Gemüt ruhig in den eigenen vier Wänden sitzen und eine Tasse Tee mit den Nachbarn schlürfen, während die eigenen mehr oder minder guten Freunde wie die Fliegen auf den Feldern Aventuriens fielen? Rahjard pustete die Luft scharf aus. Er hasste diese Momente, in denen selbst er zur Vernunft neigte, sich lieber in eine der vorderen Reihen stellte als das Leben schlicht zu genießen.

„Reich müsste man sein, oder dumm, oder am besten beides“, murmelte er.

Dann bräuchte es einen nicht interessieren, die eigenen Söldner würden es schon richten, oder man selbst würde den Ernst der Lage gar nicht begreifen und deshalb einfach weitermachen, wie gehabt. Unglücklicherweise war er derzeit knapp bei Kasse und auch nicht derart töricht. Also ein weiteres Mal Dere retten.

Rahjard seufzte. „Wie immer“, äußerte er angestrengt und dachte über den Plan nach.

Sich mit den Gefährten besprechen,

Vorkehrungen treffen,

Informationen sammeln,

Gegner festsetzen oder erschlagen,

Überleben,

Hund streicheln.

Gareth 27 (Neferu) (EFF 1014)

Es waren bereits zwei Monate ins Land gegangen, seit Voltans Leben durch einen von langer Hand geplanten Besuch in eines der zahllosen Feenreiche gerettet worden war und Neferu im Anschluss seinen Heiratsantrag noch in selber Nacht angenommen hatte.
Die letzten Wochen waren geprägt gewesen von den Vorbereitungen zum Schließen des Traviabundes.
Abend um Abend war verflogen, während Voltan und Neferu gemeinsam ihre Gästeliste erstellt hatten. Sie hatten das Türschild von Knüppel-Golle, dem Koboldhändler aus Eschenrod aufgehängt und damit ihre Einigkeit nach draußen demonstriert.
Und die Hexe hatte sich entschieden, sie würde ihr Grundstück in der Weststadt nicht verkaufen. Nicht an die Praioskirche, nicht an die Pfeile des Lichts, an gar niemanden. Sie hatte ihren Architekten Nerix lediglich ein paar Änderungen am Bauplan übermittelt und anschließend das Stück Land mittels Pachtvertrag an die Silberklingen übergeben – eine Söldnerbande, die gelegentlich in Eschenrod aufräumte und von einer Frau namens Bernwidda angeführt wurde.
Die Nachforschungen bezüglich des schwarzen Dorns, der für einige Tote innerhalb der alten Gilde verantwortlich gewesen war, waren ins Leere verlaufen.
Die rote Hexe und ihr Verlobter hatten in all der Zeit die Schlösser des Hauses im Arenaviertel vorsorglich austauschen lassen, Blauhimmelsstern gepflanzt – die heilige Blume des Phex – und gegen eine kleine monatliche Summe an Harlaf Gorthingen die Kapazität des Waisenhauses nahezu verdoppelt.

Nun galt es die eigenen, ganz persönlichen Ziele zu verwirklichen und Voltan zeigte sich im Jonglieren mit ihren Ersparnissen bezüglich der Kosten pro Kopf an ihrem Hochzeitstag als der Geschicktere von beiden. Gemeinsam setzten sie zwei Tage zum Feiern Anfang Travia an – inklusive Verköstigung der Gäste, deren Unterhaltung, der Miete des Gebäudes, die zu verschickenden Einladungen, die Traviadekoration und die Boten, die all das auf ihren zwei Beinen und mit der Arbeit ihrer Hände zu verteilen und zu dekorieren hatten.

Immer wenn der Inspektor, der jetzt Bräutigam in spe war, den Anschein erweckte eine Form von Unsicherheit an den Tag zu legen, spielte Nepheruna mit ihm „Wünsch dir eine Wand“. Von Kätzchen, Blumen und schönstem Efeu zauberte die Hexe ihm nicht nur die jeweiligen Wände mit Hilfe ihrer satuarischen Magie, sondern auch ein Lächeln auf das Gesicht.
Was die vierbeinigen Gefährten anging, so war die Tralloper Stute Elster dem Erwachsenwerden nahe und wurde darauf vorbereitet eingeritten zu werden.
Meistens mit Hilfe eines Sacks Kartoffeln oder einer Decke auf ihrem Rücken.
Die Kaninchen Assaf und Calaman waren in den Götternamen, in denen das künftige Ehepaar auf Reisen gewesen war von den Nachbarn versorgt worden und hoppelten und mümmelten, wie es ihre Art war, wieder in ihrem angestammten Zuhause im Arenaviertel.
Nef war endlich weit genug zu ihrem Parderjungen Ineri durchgedrungen, dass das Raubtier, das in Gareth völlig fehl am Platz war – sich zumindest bemühte keine Anstalten mehr zu machen, seine hoppelnden Mitbewohner zu jagen und zu verspeisen.

Ende Efferd dann wurde der Ablauf der Hochzeit, der auserwählte Ort und die Anzahl der Gäste spezifiziert und auch das selbstverständlich rote Hochzeitskleid mit den funkelnden Edelsteinen, die wie ein Sternenhimmel auf einem dunkelroten Nachtsamt prangten, war seiner Vollendung nahe.
Meisterin Altacker, von der Schneiderei Samt & Sonders, hatte bei dem Sternenkleid eigens Hand angelegt.
Voltan und Neferu, die er liebevoll „Vesper“ nannte, entschieden sich für Weißgoldringe mit Monden und Rahjarosenranken mit kleinen Dornen, hergestellt von einem Angroschim namens Xador Birkenholz aus Nardesheim. In die Innenseite der Ringe war graviert worden: Voltan & Vesper, 1. Travia 1014 BF.

Von den fünf übrig gebliebenen Tanzdielen in der engeren Auswahl wurde die Herberge Bei Algrid im Schlossviertel gemietet, die einen großen Festsaal mit bemaltem Holz ihr Eigen nannte.
Neferu hatte zwischendurch getan, was sie am besten konnte: Sich umentschieden.
Während sie anfangs noch einer kleinen, bescheidenen Hochzeit zugetan gewesen war, spürte besonders Voltans Portemonnaie, dass sie – je näher die Hochzeit rückte – doch mehr wollte, als sie ursprünglich gedacht hatte. So beschrieb sie ihren Wunsch mittlerweile als „üppig“, sinnierte über Speisenfolgen, gute Weine, echten Kakao, erlesenes Rauchwerk, Gaukler, Barden und Musici und rote Rahjarosen – sehr, sehr viele rote Rahjarosen.

Neferu hatte Mutter Harina, die verantwortliche Traviageweihte vom Lowanger-Greiber-Waisenhaus dazu überredet die Trauung zu vollziehen und fünfzehn der Waisenkinder dazu verdonnert, rote Rosen zu streuen – bei Nef drehte sich in den letzten Tagen fast alles um diese Blumen in eben dieser Farbe – und alles fühlte sich noch viel schicksalhafter und bestimmter an, als die Stadthexe feststellte, dass sich in einem schlichten, zweistöckigen Bürgerhaus direkt gegenüber der Herberge ein Traviatempel befand.

Voltan entschied sich für seinen ehemaligen Kameraden Rank Karlow als seinen Besten Mann. Mit einem lachenden und einem weinenden Auge hatte Nef Rychard zu ihrem Trauzeugen erkoren. Trotz allem konnte sie ihn gut leiden und sie stellte sich vor, dass er diese Ehre mit doppelter Münze zurückzahlen würde. Im übertragenen Sinne natürlich – sie erwartete kein Geld von ihm. Aber alles musste sich schließlich irgendwie rechnen.

Gareth 26 (Salpico) (RON 1014)

Als er vor die Tür trat atmete er erst einmal tief ein. Es war noch früh am Morgen, die Sonne hatte noch nicht geruht in die Schatten der Schnittengasse hinab zu steigen und dennoch war es nicht ruhig. Obgleich die Straße, die der Magier hinab sah von nur wenig Menschen bevölkert war, so drangen doch aus anderen Gebieten der Stadt von den größeren Straßen her die Geräusche des Lebens auf ihn ein. Ohne jedes Anzeichen von Eile nahm Salpico sich einen Moment, um den Eindruck wirken zu lassen. Man nahm die Geräusche und einzelne Blickwinkel sehr viel genauer wahr, wenn man das tat. Es waren Momente an die man sich Jahre später noch erinnerte. Mit denen man auch dann noch ein Gefühl verband.
Solche Momente waren wichtig – umso wichtiger, wenn man ein langes und gefährliches Leben führte. Wenn man in der Lage sein wollte die Gesundheit seines eigenen Geistes auch dann noch zu erhalten, wenn die Welt um einen herum einen radikalen Wandel durchlief. Soviel hatte sein Mentor ihm unwissentlich bereits beigebracht und er wollte verdammt sein die Fehler des alten Mannes zu wiederholen, wenn er es denn vermeiden konnte.

Ein kurzer Blick über die Schulter zum Haus zurück zeigte ihm die Fassade hinter der er nun wieder lebte. Nun, da er aus Fasar endlich nach Gareth zurückgekehrt war. Die Fassade hinter der Sjören Vanderbloom sich mit ihm eine Wohnung teilte.
Langsam setzte er sich in Bewegung und folgte der Straße nach Westen. Die letzten Wochen waren voller neuer Erkenntnisse gewesen: Seine Sterblichkeit war ihm schmerzlich bewusst geworden, als er hilflos unter der attackierenden, brennenden Mumie gelegen hatte. Ohne seine Begleiter hätte Boron sich an diesem Tag seiner Seele bemächtigt. So erschreckend dieses Wissen war, so formend war es doch gewesen. Prioritäten hatten sich geändert, er hatte eine neue Seite an sich entdeckt – den Stolz – und er hatte erkannt, was seine Zukunft ausmachen sollte.
Aus seiner jetzigen Position heraus hatte er sich in einigen schlaflosen Nächten Gedanken gemacht, deren Ergebnisse er nun bewahrte.

Erstens: Er würde leben – und zwar nach seinen Wünschen. Dazu war es notwendig Entscheidungen zu treffen, die seinen Charakter festigen und formen würden. Entscheidungen wie die, sich von der Totenbeschwörung endgültig abzuwenden. Leichen zu erheben mochte in Notsituationen nützlich sein, aber es hatte sich als nicht alltagstauglich erwiesen. Zweifellos war das Detailwissen wertvoll – und sei es nur, weil er in seinen Lehrjahren viel über die Anatomie der Lebenden erfahren hatte. Und diese Lehrjahren waren es, die ihn in Form von Schulden noch immer verfolgten. Sie zu tilgen bedeutete einen Schritt hin zu der persönlichen Freiheit nach der er strebte.

Zweitens: Es gab Menschen, die waren wichtiger als andere. Das auszusprechen hätte vermutlich Empörung bei seinen Mitbürgern hervor gerufen, aber niemand konnte widersprechen ohne zu lügen. Und man musste sich zu jeder Zeit in seinem Leben bewusst sein, wer diese Menschen waren. In Gefahrensituationen galt es schnell und effektiv zu ihrem Schutz zu handeln. Neferu und ihre Familie gehörte dazu, Richard und auch sein Mentor. Vanderbloom ebenfalls. Von letzterem wusste er wo er sich befand. Was die anderen anging so war das nicht der Fall – das musste sich ändern.

Drittens: Er war ein stolzer Mensch. Was nicht meinte, dass er arrogant war – jedenfalls nicht offen. Vielmehr betrachtete er seine eigene Würde als unantastbar für Außeneinwirkungen. Sollte ärgerlicherweise der Fall eintreten, dass ein solcher externer Einfluss doch an seiner Würde kratzte, so war es notwendig und angemessen dieses Geschehen sofort aufzuhalten und wenn möglich umzukehren. So lächerlich es erscheinen mochte – das aktuellste Ärgernis war das antike Kleidungsstück, das sein Mentor ihm geschenkt hatte und das ein Opfer der Flammen geworden war. Seine Reste zu restaurieren war eines der vordringlicheren Ziele.

Viertens: Selbstbewusstsein war ein wichtiger Punkt jeder herausragenden Persönlichkeit, die als solche wahrgenommen werden wollte. Es war daher notwendig nach den eigenen Stärken und Schwächen zu forschen und sie auch dort zu finden, wo man sie nicht erwartete. Eines dieser eher überraschenden Talente hatte er erst kürzlich in Fasar entdeckt. Bei einer Operation am offenen Hirn hatte er erstaunliche Kunstfertigkeit bewiesen – auf einem Gebiet, das sich die Menschen besseren Standes einiges kosten ließen: Gesundheit.
Zu seinem Unglück beherrschte er lediglich die Wundbehandlung, wenn auch sehr gut. Was bedeutete, dass er sich eingehender mit der Behandlung von Krankheiten beschäftigen musste, um einen Wert für die Gesellschaft zu erhalten, die ihm einen Lebensunterhalt und auch die Verfolgung seiner Pläne langfristig garantierte.

Er bog auf die Puniner Straße ein und begann ihr nach Süden zu folgen. Da die Häuser von Nef wie auch von Rychard am gestrigen Abend leer gewesen waren, war es notwendig geworden das aktuelle Ziel zu korrigieren. Die Zeit bis zur Rückkehr der Hexe würde er damit verbringen jemanden zu finden, der ihn in die Kunst der Krankheitsbehandlung würde einweisen können. Aus den Erzählungen und Erfahrungen Neferus wusste er von einer Medica, die nahe am Puniner Tor eine Art Praxis betrieb. Sie war sein Ziel. Indem er ihr Hilfe anbot war es vielleicht möglich von ihrem Wissen zu profitieren. Wenigstens weit genug, um eine soldige Grundlage zu schaffen auf der er selbst während eigener Behandlungen weiter lernen konnte, worauf es zu achten galt. Davon abgesehen hatten die Echsen nahe Brabak ihm bereits einen gewissen Einblick gewährt.

Auf dem Platz vor dem Puniner Tor hielt er noch einmal inne, um den Anblick der wehrhaften Anlage in sich aufzunehmen. Seine Schulden zu tilgen war im jetzigen Augenblick möglich ohne seine eigene Barschaft endgültig zu erschöpfen. Außerdem hatte er die Erlaubnis Sjörens. Allerdings galt es danach rasch an gutes Gold zu kommen. Aus mehreren Gründen. Zwar war die Handlungsfreiheit nach Abzahlung seiner Ausbildungsschulden von einiger Relevanz, aber es gab noch andere Prioritäten für die das Edelmetall notwendig war.
Die Erste und Wichtigste davon war das Gestüt zu gründen. Nur mit ihm war es möglich weiteres Geld zu generieren, ohne seine ganze Lebenszeit hinein zu stecken.
Mit diesem Geld wollte sodann ein Zweitstudium der Heilung für Vanderbloom bezahlt sein – das Stipendium war Salpicos Versprechen an den liebgewonnenen Freund geworden, nachdem der seine Kräfte derart strapaziert hatte, um das Äußere des Adepten wieder zu dem zu machen was es einmal war.
Von dem was dann noch über war, sollten zunächst vier weitere Personen profitieren: Abdul Rethag, Tair, Mohammed und Lawin. Jeder dieser vier hatte entweder sein Leben für das seine in die Waagschale geworfen oder sein Leben auf andere Weise gerettet. Und es war ihm wichtig ihnen – und der Welt – zu zeigen, dass er das nicht auf die leichte Schulter nahm. Es war daher unausweichlich sie noch einmal zu entlohnen – oder in Abduls Fall anzustellen.

Ja, Loyalitäten waren wichtig. Sie bedeuteten Sicherheit, Ruhe und – ein Zuhause. Ein Zuhause wie das, was er aus dem Mittelreich zu machen gedachte. Hier im Kern des Reiches würde er leben und wirken. Natürlich würde er es verlassen um zu lernen, zu wachsen und zu helfen. Aber er hatte vor immer wieder hierher zurückzukehren. Aber dafür galt es seinen frommen Gedanken auch Taten folgen zu lassen.
Mit diesem Wissen setzte er sich wieder in Bewegung und hielt auf die Heilerstube zu.

Vergeben & Vergessen 1 (Voltan) (PRA 1014)

Ein weiteres Mal hob der junge Mann seinen Oberkörper von dem polierten Holzboden an und drückte dabei seine Arme durch. Er fühlte sich warm, Schweiß glänzte auf seiner Haut und seine Muskeln brannten. Auf seinem Gesicht aber formte sich ein Lächeln, als er seine Arme anwinkelte und sich so wieder in Richtung des Bodens sinken ließ.
Er hatte sich schon immer gerne bewegt, doch war es über eine Dekade lang eine Notwendigkeit gewesen – nicht ein Genuss wie heute. Nach der Begegnung mit dem Herold hatte sich seine ganze Welt verändert und immer wieder schossen ihm die Worte des Wesens durch den Kopf, als es in den Kampf eingriff:“…ich bin euer neuer Gott!“.
Wieder drückte er sich vom Boden weg. Natürlich war das anmaßend gewesen – unwahr – aber er konnte doch nicht leugnen: Dieses Wesen war daran beteiligt gewesen ihm ein neues Leben zu schenken.
Ein paar Haare lösten sich aus dem Zopf des jungen Alberniers und gerieten ihm in das glühende Gesicht, ehe er sie zur Seite pusten konnte. Als er sich vom Boden erhob, glitt ein weiteres Lächeln über seine Lippen. Die wahre Göttin in dieser Geschichte war jemand anderes. Mit dem Selbstvertrauen eines Mannes, der seine wahre Stärke gerade erst entdeckt hat, griff er nach einem Dachbalken, um sich daran hinauf zu ziehen und dann wieder herunterzulassen.
Die treibende Kraft hinter seiner Gesundung war keiner der Zwölfe, kein Wesen von nahezu unendlicher magischer Kraft – sondern seine Verlobte. Vesper Banokborn hatte eine Hartnäckigkeit bewiesen, die an Fanatismus grenzte und sogar den Lebenswillen Voltans noch überstrahlte. Während er versucht hatte zu überleben, ein möglichst normales Leben zu führen, bis sein unüberwindbares Leiden ihn einholen würde, hatte sie sich geweigert zu stagnieren. Von einem Tag auf den anderen schien ihr ganzes Leben, all ihr Hab und Gut, jede Verbindung, jede Freundschaft nur noch darauf ausgerichtet zu sein die Krankheit zu besiegen, die sich des Inspektors bemächtigt hatte. Innerhalb weniger Götternamen hatte sie jedes Register gezogen, dass ihr möglich war. Ungläubig und noch immer mit nur geringer Hoffnung auf Erfolg hatte der Leutnant Expertisen von Schwarzmagiern, Hexen, Graumagiern, Spektabilitäten, Elfen und sogar Kobolden registriert. Und selbst als es einem von Vespers Freunden gelang in sein Gehirn einzudringen und die Magie zu durchbrechen, die um seine Kindheitserinnerungen lag, wagte er kaum zu hoffen. Die Hexe an die er sein Herz verloren hatte, brauchte dagegen keine Hoffnung. Mochte sie auch sonst an allem und jedem zweifeln – den Weg zu Voltans Heilung beschritt sie ohne zu zögern, kompromisslos und – so erschien es ihm – unaufhaltsam.
Selbst die Menschen, die eigentlich Voltan näher standen, schienen sich von ihr mitreissen zu lassen. Kurz nacheinander trafen sein Vater und seine Mutter mit ihrem neuen Mann ein. Bald darauf stellten sowohl die Wache, als auch die Criminal-Cammer ihn frei. Sogar einer seiner vormaligen Untergebenen schloss sich mit der Erlaubnis der Garether Stadtwache dem Konvoi zweier Kutschen an, die sie nach Honingen bringen sollten – wo ein elfischer Magier von einer der graumagischen Akademien sie bereits erwartete.
Voltan ging zu der Wasserschüssel neben dem Bett hinüber und begann sich zu waschen. Es wollte ihm noch immer unglaublich erscheinen, was sie erreicht hatten. Nach ihrer Ankunft hatten sie zunächst im Archiv der Stadt nach ähnlich gelagerten Fällen gesucht, waren aber in den meisten Fällen lediglich auf Kinder gestoßen, die verschwunden waren und verschwunden blieben. Keines war zurückgekehrt und hatte über plötzliche Fettleibigkeit und Gesundheitseinbußen geklagt.
Wenigstens aber hatte der Elf herausfinden können, in welchem Waldstück das Feenportal liegen musste, durch das der kleine Junge, der Voltan vor Jahren gewesen war, seinen Weg in die Feenwelt gefunden hatte. Etwas südöstlich der Stadt, in der seine Mutter nun wieder lebte, fand sich ein Ausläufer eines größeren Waldes. Gerade nah genug, dass Kinder ihn noch erreichen konnten. Dort – zwischen den weniger dicht stehenden Bäumen des Waldrandes hatte er schon früher herumgetollt, war aber stets unbeschadet zurückgekehrt. Und da die Bilder aus seiner Erinnerung von einem See zeugten, der von sehr viel dichter stehenden Bäumen umgeben war, musste er dieses eine Mal tiefer in den Wald eingedrungen sein – wenn auch nicht zu tief für die Füße eines Kindes. Unter diesen Voraussetzungen war es ihnen verhältnismäßig schnell gelungen tiefer in den Wald einzudringen und den ungefähren Ort des Portals auszumachen.
Während der Inspektor sich abtrocknete konnte er sich ein leises Lachen nicht verkneifen, als er daran dachte, wie sie versucht hatten in die Welt der Feen zu wechseln. Sicher waren sie nur in der Hinsicht gewesen, dass Voltan von einem Ast hinab in den sumpfigen Teich gefallen war. Daher war Rychard als der beste Kletterer zuerst gegangen, hatte den Ast erklommen und sich dann absichtlich fallen lassen – nur um dann mit einer Körperhälfte im Matsch zu stecken. Bis ihnen gänzlich klar war, dass ein unfreiwilliger Sturz für das Durchqueren notwendig war, hatte es drei weitere Bruchlandungen in dem kühlen Gemisch aus Wasser und Sand gebraucht.

Nachdem er sich gewaschen hatte, ging er hinüber zu dem Schrank mit der frischen Kleidung und zog sich eines seiner Hemden über, dass er – seiner Mutter zur Liebe – bis oben hin schloss und mit einem Halstuch versah, ehe er eine Weste darüber knöpfte. Noch einmal ließ er seinen Blick über das Zimmer gleiten. Das Bett war gemacht, die Gardinen seitlich des Fensters befestigt und aus dem offenen Fenster hingen das Hemd und die Hose in denen er geschlafen hatte. Es war an der Zeit hinunter zu gehen und nach Vesper zu suchen.
Heute war ein wichtiger Tag. Ein wichtiges Mittagessen um genau zu sein. Noch am Abend – oder besser am Morgen – seiner Genesung, bedeckt mit Schlamm, müde und angeschlagen hatte er sie gefragt, ob sie ihm die Ehre erweisen würde seine Frau zu werden. Und – beinahe wider Erwarten – hatte sie ja gesagt. Sie hatte diesen großartigen Tag vollkommen gemacht und Voltans Herz hatte gelacht. Seinetwegen hauptsächlich, aber auch des Kindes wegen, dass Vesper unter dem Herzen trug und das so – wie ihm später bewusst wurde – dem Stigma des Bastards entgehen würde. Auch seiner Mutter wegen, die ihm sogar angetragen hatte diese Frau zu heiraten.
Heute war der Tag, an dem sie ihre Verlobung öffentlich machen wollten – heute Mittag beim Essen, zu dem sie auch Tsam, seinen Vater einladen würden. Rasch strich er noch einmal seine Weste glatt, um dann die Treppe hinab zu eilen.

Zum ersten Mal in vielen Jahren fühlte er sich unbeschwert und glücklich.

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