Cyruion

Gareth 30 (Garion) (TRA 1014)

Die schwache Flamme der Kerze auf dem kleinen Beistelltischchen flackerte, als der hochgewachsene Mann sich das kühle Wasser aus der bereit gestellten Wasserschüssel zuerst ins Gesicht warf und dann benutzte, um seine Achseln zu waschen. Sein morgendliches Waschritual weckte ihn nicht nur endgültig auf, es hinterließ eine erfrischende Kühle auf seiner Haut, eine Reinheit, die er brauchte. Das schwere und nahezu allgegenwärtige Gefühl der Konsequenzen seiner Entscheidungen war nach der täglichen Reinigung eine Weile lang weniger stark.
Er hat soviel, das er bereuen konnte. Sein bornländisches Blut erinnerte ihn immer wieder daran, was hätte sein können, wenn er einen anderen Weg eingeschlagen hatte. Schwermut war ihm ein treuer Begleiter und er hatte schon vor Jahren aufgehört zu versuchen, ihn zu bezwingen.
Sein ganzes bisheriges Leben war eine Kette aus folgenschweren Entscheidungen gewesen. Seine Berufung hatte ihren Teil dazu beigetragen. So oft hatte er vor sich selbst rechtfertigen müssen, dass er getötet hatte. Aus Notwehr zwar, aber dennoch so zahllose Kerzen, die er zum Erlöschen hatte bringen müssen.
In der Stille des Raumes trocknete er sich das Gesicht. Ein Seitenblick flüchtete zum tanzenden Schein des zittrigen Flämmleins.
Er hatte keine Wahl gehabt. Hatte er?
Draußen vor dem kleinen Fenster der Herberge war es noch dunkel, bestenfalls das entfernte Glühen erster Sonnenstrahlen war zu erahnen, als der Rondrageweihte nach dem sauberen Tuch zu seiner Linken griff und sich damit abtrocknete. Dann ging er zu dem gemachten Bett hinüber, auf dem sein Ornat bereit lag. Vorbei an dem kleinen Tisch in seinem Zimmer, auf dem eine grobe Karte des nördlichen Mittelreichs ausgebreitet lag. Darauf – noch immer offen – das Notizbuch Garions, dessen Seiten mit seiner engen, sauberen Schrift gefüllt waren. Sein rechter Mundwinkel hob sich matt. Dieses Buch war ein Abbild seines Lebens. Es war eng, korrekt und ordentlich. Er schnaubte leise, um diesen Gedanken zu verscheuchen als sei er eine lästige Fliege, die seinen Kopf umschwirrte. Alle Entscheidungen die er getroffen hatte, hatten ihn hierher in dieses Zimmer geführt. Hatten ihn zu dem gemacht, der er jetzt war. Kurz hielt er inne und sah auf seine schwieligen Hände hinab. Menschen dachten immer, dass sie Entscheidungen machen würden – aber tatsächlich war es andersherum. Entscheidungen machten Menschen. Sie formten Leben oder beendeten sie. Kurz blinzelte er. An manchen Morgenden zwickte ihn das silberne Auge in seiner linken Augenhöhle, wenn er auch nie herausgefunden hatte warum. Kurz legte er zwei Finger auf das Augenlid, um das Gefühl zu ersticken.

Den gestrigen Tag hatte er damit verbracht seine Route nach Firun von Gareth bis hinauf nach Donnerbach zu planen. Gedankenverloren zog er sich das weiße Hemd über den Kopf und zurrte den Gambeson darüber, ehe das Kettenhemd folgte. Die neue Rüstung bestand aus mehr Teilen als die Alte – dafür war sie beweglicher und hatte einen passenden Helm – davon, dass sie weit weniger auffällig war einmal abgesehen. Nachdem er den Wappenrock übergestriffen hatte, beugte er sich noch einmal über seine Notizen während er seinen Waffengurt anlegte.
Zunächst war der Weg klar gewesen. Die Reichsstraße nach Firun, über Wehrheim und Altnorden bis hin nach Trallop. Ab hier allerdings begann der Norden sich seinen rauen Ruf zu verdienen. Die gut ausgebaute Reichsstraße fand in Trallop ihr Ende und von dort aus lag noch immer der ganze Neunaugensee zwischen ihm und Donnerbach. Von hier aus gab es drei Gangbare Wege – vier, wenn man davon ausging mehr als genug Zeit zu besitzen – und keiner von Ihnen war erbaulich. Der kürzeste Weg führte direkt über den See, dicht an der Küste des Nebelsmoors entlang in Richtung Firun.

Als der Waffengurt an Ort und Stelle saß lehnte er sich vor und stützte sich mit den rauen Händen auf dem Tisch ab, um ein weiteres mal einen genau Blick auf die Alternativen zu werfen. Der kürzeste Weg mochte immer noch gute 130 Meilen auf einem offenkundig gefährlichen See vorbei an der Küste eines der verrufensten Moorgebiete des ganzen Kontinents bedeuten. Die zweitbeste Strecke allerdings führte direkt durch das Nebelmoor, efferdwärts am See vorbei. Diesen Weg nahmen gelegentlich Handelskarawanen, aber niemand reiste allein. Zu groß war die Gefahr, dass ein einzelner Wanderer dort verscholl und niemals wiedergesehen wurde. Zumal auf die Wege dort nicht immer Verlass war – oft waren sie verschlammt, unterspült oder gänzlich im Moor versunken. Gedankenvoll griff er nach der ersten seiner beiden Schwertscheiden und riemte sie an sein Wehrgehänge.
Der dritte Weg umrundete den See im Rahja. Dieser Weg war der Komfortabelste und stützte sich auf Landstraßen oder Karrenpfade. Das Gebiet war relativ sicher und umging jedes Grauen, das im Efferd lauern mochte – war dafür aber deutlich länger. Der vierte Weg dagegen führte weit in den Efferd, umrundete auf der Gashoker Ebene das Nebelmoor und seine Ausläufer und führte dann in einem Bogen nach Donnerbach. Das Problem war: Dieser Weg existierte nicht. Die Ebene war wildes Land und es gab nur wenige Straßen dort – und noch weniger, die verzeichnet waren. Der Weg war lang und bestenfalls wenig gefährlich. Und schied deswegen aus.

Er drückte sich von dem Tisch hoch und befestigte eilig die zweite Schwerscheide an seiner Hüfte, ehe er die Halsberge anlegte. Es hatte wenig Sinn sich noch weitere Gedanken über die Strecke zu machen. Diese Entscheidung war bereits am Vortag gefallen. Sein Sohn wartete dort oben im Norden auf seine Eltern – und das schon viel zu lange – also würde er den kürzesten Weg wählen, falls sich ein Schiffer fand, der nach all den Sichtungen im Neunaugensee noch bereit war ihn zu befahren. Sollte das nicht der Fall, würde er prüfen, ob in Bälde eine Karawane durch das Nebelmoor aufbrach und sich ihr anschließen. Und erst, wenn auch das nicht der Fall war… dann würde er den sicheren Weg im Rahja nehmen. So oder so. Die Reise würde lang werden und wo er sich zu Beginn noch an die Reichsstraße und die an ihr befindlichen gastfreien Häuser würde halten können, so würde der Weg nach Trallop einsamer werden und die eine oder andere Nacht würde er sicherlich am Rande einer Straße unter dem Schutz seiner Zeltplane verbringen und sich fragen warum er schon wieder eine derart wichtige Reise alleine angetreten hatte.
Für einen Moment hielt er inne. In seiner Vorstellung konzentrierte er sich auf seinen Körper und begann dann langsam mehr und mehr der Welt um sich herum zuzulassen. Das Zimmer in dem er sich befand und das ihm nur deshalb zur Verfügung stand, weil er den Wirt dafür bezahlt hatte. Die Herberge in der das Zimmer lag und die ein anderer Mensch einmal hatte bauen lassen – von jemandem der sich Gedanken über die Lage des Zimmers gemacht hatte. In Gareth – einer Stadt die es seit mehr als 1000 Jahren gab und die stoisch jedes Einzelschicksal der vielen Tausend Seelen innerhalb ihrer Mauern zuließ und beobachtete. In diesen 1000 Jahren hatte es sicher andere Menschen gegeben, die sich allein gefühlt hatten. Die fürchteten zu unterlegen – viele von ihnen um einiges schlechter ausgebildet, mit weniger Freunden und weniger Geld als Garion selbst.

Ohne es wahrzunehmen schnallte er seinen Schild auf den Rücken, griff nach einer kleinen schmucklosen Kiste neben seinem Bett und verließ das Zimmer, hinaus in den Schankraum der Herberge Schwert und Schild. Seit Neferu ihm die Existenz seines Sohnes offenbart hatte, fiel es ihm schwer sich zu konzentrieren. Wofür blutete und kämpfte man, wenn nicht für die Familie? Wofür die langen Stunden der Ausbildung und der Entbehrung? Wofür ließ man sich verletzen und riskierte sein Leben, wenn nicht für die Familie? Nicht unbedingt die Eigene natürlich. Familien gab es überall in Aventurien und jede von ihnen in denen Liebe die Bande stärkte war schützenswert. Aber zu wissen, dass er einen Sohn hatte – ein Kind, dass die fleischgewordene Verbindung zwischen ihm und Neferu war, dass er selbst einen Nachfahren hatte – das hatte ihn aus der Bahn geworfen. Der Schutz all dieser Menschen war ihm stets eine Pflicht gewesen, ein Dienst an seine Göttin, ein offizieller Auftrag. Aber jetzt – jetzt war es etwas Persönliches. Jede Bedrohung für diese Welt war auch eine Bedrohung für sein Kind – und das Neferus.
Noch auf der umlaufenden Galerie des Hauses hielt er inne, beugte sich vor und legte seine Unterarme auf das Geländer. Neferu Banokborn… oder Vesper Sprengler wie man sie jetzt nannte. Er hatte geglaubt, was andere sagten – dass seine Zuneigung zu ihr zwar innig war, aber wie eine Art nachhaltiges Strohfeuer. Sie war schnell entflammt gewesen hatte sich dann langsam, aber merklich abgekühlt. Jetzt war er gezwungen einzusehen, dass es dumm gewesen war was die anderen behauptet hatten. Die Heirat Nefs schmerzte ihn – sogar sehr. Er mochte sich eingeredet haben über die Südländerin mit Hang zur Vermögensumverteilung hinweg zu sein, aber das war nicht mehr gewesen als der schwache Versuch die Wahrheit zu leugnen. Er liebte sie und daran würde sich niemals etwas ändern – und das machte ihr gemeinsames Kind unvorstellbar wertvoll. Die Vergangenheit war vorbei und er konnte nicht ändern was er getan hatte – und selbst wenn das anders gewesen wäre, war er sich nicht sicher, ob er es getan hätte. Aber ob sein Leben nun als wenig lebenswert oder als göttergefällig gewertet werden mochte: Das Leben seines Sohnes war in keinster Weise vorgeprägt und sollte allein in seiner Hand liegen. Rondradus sollte jeder Weg offen stehen, den zu nehmen er wünschte – und dafür würde er seine Eltern brauchen.

Er biss sich auf die Unterlippe, um in die Realität zurückzukehren. Der Schankraum war bis auf einen weiteren Gast leer, der alles andere als ausgeschlafen wirkte. Lediglich der Wirt hinter der Theke machte einen geschäftigen Eindruck. „Den Göttern zum Gruß, Herr Ummingshausen.“, ließ Garion seine tiefe Stimme ertönen. „Wenn es keine Umstände macht, dann wäre ich Euch dankbar, wenn ihr mir nur rasch zwei Scheiben Brot mit etwas dazwischen gebt. Ich habe es eilig.“
„Guten Morgen Euer Gnaden.“, erwiderte der Wirt mit einem gut gelaunten Lächeln und nickte ihm zu. „Sicher. Gebt mir einen Augenblick.“
Wenig später trat der Geweihte hinaus in die graue Dämmerung über der Hauptstadt des Mittelreichs. Es war ein kühler Morgen, der ihn mit Nieselregen begrüßte, den er aber nur an Händen und Gesicht spürte. Auf dem Krautmarkt waren einige der frühen Händler mit dem Aufbau ihrer Auslage beschäftigt, während Garion sich nach Praios wandte und bei nächste Gelegenheit nach Rahja abbog – in Richtung des Brig-Lo-Platzes. Sein Ziel war die hiesige Filiale der Nordlandbank. Die Erfahrungen der letzten Wochen und Monate waren furchtbar gewesen, aber sie hatten einiges an Geld bedeutet. Kurz fiel der Blick blauer Augen auf die Kiste, die unter seinem Arm klemmte – dann biss er in sein Brot. Es mit auf die Reise nach Firun zu nehmen war undenkbar – es handelte sich um beinahe 2000 Dukaten. Also hatte er entschlossen, den Großteil des Goldes auf sein Konto einzuzahlen und dafür zu sorgen, dass seine Gefährten im Fall der Fälle Zugriff darauf erhielten. Ohnehin war es notwendig gewesen sein Testament anzupassen. Nicht nur, dass das Geld auf seiner hohen Kante auf jeden Fall dem Kampf gegen Borbarad zugute kommen musste, sollte ihm etwas passieren – auch sein Sohn und dessen Mutter sollten versorgt sein. Geld war kein adäquater Ersatz für die Liebe und Geborgenheit, die ein anwesender Vater einem Kind angedeihen lassen konnte, aber zusammen mit einem Brief voller Erklärungen für verpasste Geburtstage, den Status als Bastard und die wenigen Besuche mochte es ein Mindestmaß an väterliche Sorge darstellen. Er sah in den Himmel hinauf und wischte sich ein wenig Feuchtigkeit von der rechten Wange. Die Wirkung der morgendlichen Waschung hatte heute nicht besonders lange vorgehalten.
Weniges später erreichte er das trutzige und schwer gesicherte Gebäude. Die Hoffnung, dass ein frühes Eintreffen ihm eine rasche Abwicklung ermöglichen würde zerschlug sich, als er der Schlange von Kaufleuten und Sekretären gewahr wurde, die sich vor den noch verriegelten Türen der Bank versammelt hatte. Er steckte sich das letzte Stück seines Brotes in den Mund, rieb sich dann das rechte Auge und stellte sich mit einem leisen Seufzen ganz hinten an, wobei er nicht vergass der Frau vor ihm einen „Guten Morgen.“ zu wünschen.

Etwas mehr als eine Stunde später hatte er das Gebäude wieder verlassen. Die Kiste, die er noch immer unter seinem Arm trug war deutlich leichter geworden. Nur etwa 100 Dukaten waren in verschiedenen Münzen in ihr verblieben. Daneben befand sich ein Wechsel der Nordlandbank über weitere 20 Dukaten. Zwar gab es in Donnerbach keine Filiale, aber vielleicht würde ihm das Stück Papier dennoch von Nutzen sein können. Wenn nicht jetzt, dann später.
Zurück auf seinem Herbergszimmer verstaute er den Inhalt der Kiste in seinem Rucksack und ließ die Kiste selbst als Geschenk an einen späteren Bewohner zurück. Sein restliches Habe war wenig genug. Er faltete die Karte zusammen, griff sich sein Notizbuch und klemmte sich einige andere Dinge unter den Arm, die er in den Satteltaschen Rotsturms verstauen würde, die in einem Stall nahe der Herberge wartete.

Die Vorbereitungen für seine Reise waren beinahe abgeschlossen. Sobald er das Pferd geholt hatte, würde er noch einen Halt bei Voltan und Neferu machen – dem frisch vermählten Paar, von dem er nicht anders konnte als es zu mögen, obwohl ihm der Gedanke der Verbindung noch immer mit jeder Faser seines Körpers widerstrebte. Kurz schoss ihm der Gedanke Rahjard lebewohl zu sagen durch den Kopf, aber er verwarf ihn rasch wieder. Raj bereitete sich selbst auf eine Reise vor, die ihn an genau das andere Ende des Kontinents führen würde. Die Entscheidung des Schönlings hatte ihn überrascht, sie war selbstlos gewesen – beinahe heldenhaft und jetzt wollte er ihn nicht bei der Umsetzung stören. Sicher – Rahjard würde sich darüber auslassen, dass er – Garion – wieder einmal gegangen sei, ohne sich um ihn zu kümmern. Aber genau genommen wollte Garion das auch nicht. Alles was der Al’Anfaner damals getan hatte war wie weggewaschen im Vergleich zu der Vergewaltigung einer Geweihten. Und genau genommen war seine Reise in den tiefen Süden nicht heldenhaft – sie war das Mindeste, was er tun konnte um sich von diesem dunklen Fleck auf einer ohnehin schon lange nicht mehr weißen Weste zu befreien. Nein – er würde nicht bei Rahjard vorbei sehen. Er würde sich direkt auf den Weg zu den Sprenglers machen. Danach würde er nach Norden aufbrechen. Noch heute wollte er Ginsterfeld erreichen und Donnerbach so wenigstens ein Stück näher sein. Sein Sohn hatte lange genug gewartet und vielleicht war Cyruion immer noch dort – und konnte ihm einen besseren Weg für die Zukunft vorschlagen.

Tobrien 1 (Cyruion) (5NT 1013)

Ein weiteres Mal blickte der Bergadler für einen Augenblick zurück, um sich ausbleibender Gefahr durch Blaufalken und ähnliche Feinde zu vergewissern. Das Federkleid des Tiers erschien selbst im Licht der aufgehenden Sonne eher matt denn glänzend und wenn ein genauerer Blick erhascht werden konnte, schienen die Flügel unter der Anstrengung einer mehrstündigen Etappe gen Warunk zu zittern. Obgleich keine Schweißperlen über die gefiederte Stirn liefen, das Tier segelte vorrangig und versuchte weitere Flügelschläge weitestgehend zu vermeiden.

Cyruion war mit seinen Kräften am Ende und konnte nur erahnen, wie es seinen Gefährten möglicherweise ging. Sie waren vielleicht tot, niedergestreckt von einer Feuersbrunst, kaum dass er sich in die Lüfte aufgeschwungen hatte. Angefangen hatte alles vor einigen Praiosläufen als sie die Trollzacken, einen Ogerangriff wie Geländerutsch gerade so überlebt und wieder zusammengefunden hatten. In der schwülen, beinahe schon unangenehmen Hitze des Rahjamondes setzten sie ihren Weg fort. Eines Abends bemerkte die Reisegruppe, dass der Himmel sich rötlich, fast schon übertrieben blutrot eingefärbt hatte und das Firmament klar war, wie nur einmal im Götterlauf. Sie waren inmitten der Wildnis in die Namenlosen Tage geraten, jene Zeit, in der sich die meisten Menschen in ihren Häusern verschanzten und die Straßen selbst in Gareth stets leerer gewirkt hatten.

Der Auelf erschauderte bei dem Gedanken jedes Mal wieder, denn nicht nur, dass er das Dunkle nicht besonders mochte, in diesen fünf Tagen war die Dunkelheit bedrohlich wie sonst nie, alles angetrieben vom Einfluss dessen, was für den Untergang der Kultur seiner Vorfahren verantwortlich war. Leise atmete er durch. Nicht aus der Fassung bringen lassen.

Wenige Zeit später riss ein Blitz den Elfenmagier aus seinen Gedanken und kurze Zeit später traf die berittene Gruppe um Garion einen am Boden befindlichen Reiter und sein Pferd. Die Sichtung des Geschehens ergab schnell, dass der unbekannte Reiter ein Geweihter des Götterfürsten gewesen und offenbar in einen Kampf verwickelt gewesen war. Verschlüsselte Nachrichten, Tand und eine undefinierbare, große magische Macht, die  offenbar von einer Statuette ausging, fanden sich in den Taschen des Mannes wieder. Dann wurden sie angegriffen, noch an Ort und Stelle, von Kultisten des Namenlosen und weiteren Schergen der Schlechtigkeit.

Unnötigerweise zusätzlich, trotz Verwundung oder gerade deshalb, gejagt und getrieben von Hetzern, die die Gruppe immer in eine bestimmte Richtung zu lenken schien, ohne dass dies zunächst zu erkennen war. Besonders absonderlich war jedoch ein Dorf, Salwynsfelden, dachte der Elf, das sie nach einigen Tagen erreicht hatten. Natürlich waren sie nicht Willkommen, alleine der Umstand, dass sie ein Spitzohr dabei hatten verschärfte die Situation. Genauso wie die Geburt eines Kalbes mit zwei Köpfen, der einen wütenden Mob aufziehen ließ und die vom Rondra-Geweihten angeführte Gruppe weiterziehen ließ. Ungeachtet dessen, dass die drückende Hitze mit jedem Tag schlimmer wurde.

Zumindest, wenn es nicht gerade Merkwürdigkeiten waren, die die Aufmerksamkeit auf sich zog. Denn wer hätte erwartet, dass an einem Sommertag plötzlich Eiseskälte vorherrschte, Nebel aufzog? Doch der Verstand wusste es zuzuordnen, denn überall dort machte das Wetter Firun vermeintlich alle Ehre, wo sich die Kreaturen des Dhaza aufhielten, wie die Hetzer, die sich nach und nach verstofflichten und wahrscheinlich am letzten Tag des Namenlosen zu ihrer vollen Kraft kommen und der Gruppe das Leben schwermachen würden. Noch waren sie nicht besonders gefährlich. Auf der anderen Seite war für den Elfen auch ein altes Kloster der Gütigen, Peraine, recht befremdlich. Er hatte es jedenfalls noch nicht gesehen, dass weibliche Geistergestalten mit Ghulen tanzen. Wenn er obskures sehen wollte, sollte er in den Tagen des Namenlosen des Öfteren vor die Türe, auch wenn immer die Frage nach der Gefahr bleibt und ob es das wert ist. 

Am wahrscheinlich dritten oder vierten Tag, was er schon nicht mehr recht zuordnen konnte ob der wirren Geschehnisse, als jeder Regentropfen weiter ein Segen gewesen wäre, passierten sie einen reichlich unheimlichen Boronanger, trafen wenig später auf eine Gauklertruppe mit ihren Wagen. Darunter befand sich auch Wilbur, ein alter Freund des Rondra-Geweihten aus Andergast, der seine Familie offenbar vor längerer Zeit verlassen hatte. Doch nicht alles am Zusammentreffen mit den Gauklern zog Positives nach sich. Schon bei der ersten Begegnung hatte eine Gauklerin versucht, den Elfen um einen Teil seiner Habe zu erleichtern. Abgesehen davon vergnügten sie sich jedoch rege in der illustren Runde und der Elf war sehr zufrieden, dass ihm eine Gauklerin recht schnell einen Schlafplatz bei sich feilbot. Endlich wieder in einem Bett schlafen. Womit er nicht gerechnet hatte war, dass das Schlimmste noch bevorstand an diesem Abend. Denn kaum, dass sie mit den Vagabunden gespeist und getrunken hatten, legte sich Müdigkeit über die Freunde des Elfen und ihn. So viel zum gemütlichen Schlafplatz. Waren sie vergiftet worden?

Dunkel.

Die Nacht war bereits über Dere und Tobrien hereingebrochen als der elfische Zauberer aus Donnerbach erwachte. Die Gauklerinnen waren fort, zumindest jene, die sich noch mit William vergnügen wollten. Doch der Pirat und der Heiler, Vitus, waren im Wagen. Ansonsten herrschte befremdliche Stille. Rasch, aber vorsichtig sah sich der Elf um und musste mit Erschrecken feststellen, dass das Feuer erloschen war und die Gaukler offenbar aufgebrochen waren. Zwei Wagen hatten sie zurückgelassen…

…und die Statuette war fort, wie auch alle Pferde bis auf zwei. Dieses offenbar mächtige, magische Artefakt, es war fort. Jenes, weshalb sie von Namenloskultisten angegriffen worden waren und für das ein Diener des Götterfürsten sein Leben gelassen hatte. Cyruion zog die Brauen zusammen und sah nach den Gefährten. Während er Garion und Tarambosch schnell erreichte und wecken konnte, schlugen sämtliche Versuche bei William und Vitus in diese Richtung fehl.

Sie wachten nicht auf. Doch, lebten sie überhaupt noch oder träumten sie selbst?

Obgleich die schiere Dunkelheit Unbehagen beim Elfen auslöste, versuchte er sich für einen BLICK IN DIE GEDANKEN zu konzentrieren. Auf diese Weise ließ sich zumindest herausfinden, ob Vitus nur ein Abbild des Heilers war und ansonsten so lebendig wie ein Stein oder ob er der Heiler war, der fest schlief, träumte. Zum Glück des Elfen gelang der Zauber und er konnte den Heiler aus seinen märchenhaften Träumereien reißen, während sich Garion und Tarambosch auf rabiatere Weise um William kümmerten.

Anschließend machten sie sich auf, die Gaukler auf den übrigen zwei Pferden und dem Pony des Angroschim zu verfolgen, unter Einsatz ihrer, mehr oder minder vorhanden, Kenntnisse im Umgang mit der Natur. Sie waren in diesem Moment die Hetzer, die jagten und etwas trieben, zumindest bis sie unweit eines Baumes innehielten, der auf den Elfen obskur wirkte. Denn die Äste waren übersät von Nachtwinden, jenen Vögeln, die Magie etwa so sehr verabscheuen wie die Angroschim Drachen. Nachdem eine Eule am Baum vorbeigezogen und angegriffen worden war, folgten alle bis auf Cyruion und Vitus dem Kampf zwischen Eule und Nachtwind. Denn die Eule könnte schließlich, wenn sie angegriffen wurde, ein Elf sein und unter der Wirkung eines ADLERSCHWINGE stehen.

Aus der Ferne konnte Cyruion vernehmen, wie insbesondere Garion und Tarambosch schnellen Prozess mit dem Nachtwind machten und ihn – wie die Garether Metzger sagen würden – buchstäblich zerhackten. Anschließend näherten sich auch die beiden Zurückgebliebenen dem Rest der Gruppe, nur um festzustellen, dass es sich bei der Eule um keinen Elfen handelte. Eine ältere, blinde Frau hatte die Eule zum Vertrauten und nutzte es, um sehen zu können. Da das Tier geschwächt war und nicht weiterfliegen konnte, brachten sie die ältere Frau noch zu ihrer Hütte… weiterhelfen konnte sie ansonsten aber, leider, nicht wirklich. Sie war nur zum Beweis dafür geworden, dass er sich niemals einem Nachtwind nähern durfte, wenn er sich als Adler in die Lüfte erhoben hatte.

Es wäre wahrscheinlich sein Tod.

Leise schluckte Cyruion, während sie die Jagd nach den Gauklern fortsetzten.

Auf dem Weg den Gauklern hinterher, konnten sie noch ein ums andere Mal die Hetzer erspähen, auch wenn sich diese nicht mehr für sie interessierten. Diese Kreaturen des Namenlosen waren demnach ausnahmslos auf jene angesetzt, die die Statuette in ihrem Besitz hatten. Aber was genau war so wichtig an diesem kleinen Stück, das wahrscheinlich das Abbild eines Drachen oder Daimoniden zeigte?

Cyruion verschnaufte einen Moment, er durfte nicht zu sehr in Gedanken schweifen, denn noch hatte er sein Ziel, Warunk, nicht erreicht. Zwar zeichneten sich die Konturen und Umrisse der Stadt bereits ab, doch noch war er nicht dort, konnte nicht sagen, wo er konkret hinsollte und wie viel Zeit überhaupt vergangen war. Es war ein unpraktischer Gedanke, jetzt, da ihm die Flügel allmählich schwer wurden. Zwar hatte er den Zauber in der Vergangenheit bereits ausgereizt, jedoch nie unter solchem Stress, nie mit dem Wissen, dass das eigene Zeitgefühl in diesen vergangenen Tagen abhandengekommen war.

Seine verbliebene, astrale Kraft hatte er für das zweimalige Wirken des ADLERSCHWINGE aufgeopfert, riskierend, dass ihm irgendwo im Wald noch während der Rückverwandlung, einem Durchatmen sowie einem längeren, sorgenvollen Blick zurück in Richtung seiner Gefährten, Diener oder Kreaturen des Dhaza auflauern konnten. Wenn er sich nicht völlig verkalkulierte, dann würde er es gerade so nach Warunk schaffen und falls nicht, noch vor den Stadttoren wie ein Stein vom Himmel fallen. Es war daher ohnehin erforderlich, dass er nicht zu weit über den Wipfeln der Bäume flog, sofern es sich anbot noch tiefer ging, um im Falle eines Absturzes nicht zu viel körperliches Gebrechen zu riskieren. Spätestens die Arie mit dem Fenster in Zackenberg hatte ihm wieder vor Augen geführt, dass sich jeder Schaden, den er in Tiergestalt nahm, entsprechend auf seinen gewöhnlichen Elfenleib auswirkte. Ein Gedanke, den er verdrängt hatte, wo er den Zauber sonst eher wirkte, um auszukundschaften, oder sich der Natur schlicht näher zu fühlen.

Doch sei es, wie es wollte, all die Gedanken um einen elfischen Kollateralschaden waren nicht besonders förderlich und für das eigene Empfinden hatte er die letzten Wochen genug gelitten. Leid schien ohnehin das große Thema dieses Lebensabschnitts zu sein. Während er seinen Weg beschwingt fortsetzte, musste er an die heiligen Tiere der Zwölfe denken, die ihm vor einigen Tagen unter die Augen gekommen waren. Eine Jagdgesellschaft hatte sich offenkundig die Mühe gemacht, diese Tiere zu erlegen. Und zwar ausschließlich solche. Wie bei der Haijagd von Bacha und Phileasson hatte er dafür kein Verständnis, als ihm jedoch deutlich gemacht wurde, dass es sich beinahe um einen Frevel handelte, wurde er schon wieder nachdenklich. Namenloskulte, eine mächtige Statuette und die zwölfgöttlichen Tiere erlegt und zu einer schwer befestigten Burg geschliffen?

Nur ein Narr hätte dahinter, spätestens ab diesem Zeitpunkt, nichts Größeres erwartet. Daher war es nur folgerichtig, den Gauklern und ihren Wagenspuren über Stock und Stein zu folgen. Über der besagten Burg selbst schwebte ein Blaufalke, nach der Eule nicht das erste, zu bewundernde Federvieh. Der König der Lüfte… abgerichtet, sicherlich zur Warnung oder Jagd genutzt. Jedoch sollte das nicht helfen. Aus einem kurzen Gespräch ging ein Impuls von William aus und er versuchte sich über karges Feld zur Burg zu bewegen, nur um von zwei Bolzen zerschlissen zu werden. Garion konnte ihn mit einem geschickten Manöver retten, doch dann zogen sie einmal mehr weiter. Es war zu erwarten, dass die Burg die gesuchten Antworten beinhaltete, doch sie wirkte uneinnehmbar mit solch einer kleinen Gruppe, aus der ein Streiter noch verletzt war.

Es wurde allmählich dunkel, wenn er sich recht entsann, warteten sie ab. Denn irgendwann würde schon irgendetwas passieren – und nach einer ganzen Weile konnten die erschöpften Gefährten einen Lichtschein fernab der Burg erblicken, dem zu folgen war. Tarambosch schlich, ohne Rüstung, am Waldrand entlang und verschaffte sich einen ersten Blick, erschlug dazu ein kleines Mädchen und kam auf diese Weise in den Besitz einer Kultistenrobe wie -maske. Offenbar sammelten die Kultisten noch Holz. Sachen, die nur ihm passten. Sie näherten sich, nachdem sie den Gedanken verworfen hatten, die Kultisten zu infiltrieren. Denn es erschien unmöglich, noch an diesem Abend in kürzester Zeit hinreichend passende Gewandung zu erlangen, ohne dass es irgendwann auffällig wurde.

Aus etwa 150 bis 200 Schritt Entfernung war der Platz gut zu überblicken. Eine große Statue des Namenlosen im Zentrum, eine Statue, die ihn erhaben und nicht etwa in Ketten zeigte… dazu ganze dreizehn Scheiterhaufen. Dreizehn. Es war seine Zahl. Seit jeher.

Noch während die anderen und der Elf anfingen sich Gedanken machten, wie vorzugehen war, begab sich ein ganzer Tross aus Dienern des Namenlosen zum Kultplatz. Darunter obskure Gestalten wie ein Junge mit fast schon schneeweißem Haar, einer der wenigen, der keine Maske trug oder vielleicht sogar der einzige. Offensichtlich kamen sie aus Richtung Burg und hatten, zu allem Überfluss, die zwölf Tiere dabei. Kurz darauf wurden die Scheiterhaufen, gespickt mit den heiligen Kreaturen der Zwölfgötter, angezündet. Ihnen lief allmählich die Zeit davon – und noch immer hatten sie keinen richtigen Plan, was auch immer dort geschehen sollte zu verhindern. Denn, so viel war sicher, es würde keine gute Tat sein, die heute hier in diesem Ambiente verrichtet werden sollte. Im Gegenteil. Es brauchte eine zündende Idee…

Eine gefühlte Ewigkeit später hatten sie sich auf eine Möglichkeit, die weniger Unmöglichkeit in sich barg als viele andere Gedanken, verständigt. Zumindest, nachdem sie die Statuette auf dem Kultplatz in der Nähe eines blassen Elfen sichten konnten. William hatte sich indes weiter nach vorn geschlichen, um den Kultplatz aus nächster Nähe zu erleben, vielleicht von dort etwas vornehmen zu können und gegebenenfalls für Ablenkung zu sorgen. Es war jedenfalls heikel, denn er begab sich mitten in die Höhle des Löwen, am späten Abend des fünften Tages des Namenlosen.

Cyruion zog sich etwas zurück, sammelte sich. Es war nie wichtiger gewesen, dass seine Verwandlung gelang und dass er selbst, zum Glück, unversehrt war. Nach den Worten „ADLERSCHWINGE WOLFSGESTALT“, setzte der Verwandlungsprozess ein und kaum einen Augenblick später stand der gefiederte Elfenmagier inmitten des heldenhaften Trüppchens, das aus nicht mehr als einer Hand bestand.

Ein Alveranskommando.

Im Gegensatz zu den Menschen fürchtete der Auelf das bevorstehende Ende allerdings nicht wirklich. Denn, so dachte er, die Sagen und Legenden seines Volkes sangen immer wieder von Reinkarnation oder dem Weg ins Licht. Es war ein beruhigender Gedanke, nicht die Niederhöllen fürchten zu müssen, sondern schlicht eins mit dem eigenen Volk zu werden, gleich wann sie das Schicksal geholt hatte. Kein möglicherweise ewiges Warten in Borons Hallen, ehe eines der zwölfgöttlichen Paradise sich öffnet. Die Situation war angespannt, doch eine gewisse Ruhe konnte er sich nicht absprechen. Wenn er hier starb, dann war es wenigstens für eine größere, eine wahrscheinlich nicht unbedeutende Sache, wenn er nur an das Artefakt und seine Macht dachte.

Dann war es soweit…

Tarambosch gehörte der erste Schritt, es war an ihm, das Ritual und den Ablauf des Abends in erster Instanz zu stören und er hatte sich das Ziel für seinen Bolzen gut gewählt. Der schwarzäugige Elf, der nahe der Statuette offenbar in einem Beschwörungskreis stand. Von der Wucht des Bolzens wurde dieser verräterische Elf umgeworfen. Vorab hatte sich Cyruion ein Stück abseits bereits in die Lüfte erhoben.

Er brauchte eine Menge Anlauf wie Höhe, dass Angriff und Flucht in so kurzer Zeit passierten, dass eine Reaktion nahezu unmöglich wurde. Während der namenlose Elfenmagier zu Boden ging, setzte der verwandelte Auelfenzauberer an. Es war das Signal für sein Eingreifen – jetzt oder nie.

Sturzflug. Dere zischte an ihm vorbei, doch der geschärfte Blick des Elfen hatte die Statuette längst fokussiert. Er hörte nichts mehr außer dem Rauschen der Luft, die die eigenen Flügel durchschnitten. Ein ohrenbetäubender Lärm, an den er sich einen Moment gewöhnen musste. Die Fänge waren gespreizt, etwa 80 Schritt die Sekunde. Hoffentlich packte er im rechten Moment zu. Sonst war alles umsonst…

 

Geschafft!

 

Allerdings, wie er in einem kurzen Anflug von Euphorie bemerkte, hatte er nicht alles zu Ende gedacht. Noch auf den ersten Metern weg vom Ritualplatz bemerkte der zum Bergadler gewordene Auelf, dass er keinen Gedanken an den Blaufalken nahe der Burg verschwendet hatte. Dieser war ebenfalls am Ritualplatz. Cyruion versuchte das bestmögliche aus seinem Überschuss an Geschwindigkeit zu machen, konnte die Gefahr jedoch nicht abschütteln. Der Falke rückte ihm allmählich auf die Federn, in leichter Hektik und Panik drehte Cyruion bei in Richtung seiner Gefährten und ließ einen Schrei ab. Er brauchte sie, oder zumindest eine Klinge, einen Bolzen, sonst würde er das Nachsehen haben. Unablässig rückte der Falke näher. Eine weitere Runde im weiten Radius, dazu hatte der Elfenmagier des Namenlosenkultes sich gefangen und setzte seine Kraft gegen den Bergadler ein. Es wurde schwerer, sich überhaupt in der Luft zu halten, voranzukommen.

Hilfe.

Verzweiflung machte sich im Blick des Adlers breit. Ein weiteres Mal überflog er die Gefährten, machte sich bemerkbar – dann traf endlich ein Bolzen. Erleichterung überkam den Elfen als der Blaufalke zu Boden sank und sich nicht mehr erhob. Bei aller Liebe zu Tieren, dieser Tod war kein nutzloser, sondern diente einer größeren Sache. Angeschlagen von den Einflüssen der luftelementaren Magie stieg Cyruion wieder auf, die Statuette noch immer fest in den Fängen und setzte sich ab. Dorthin, wo er Warunk vermutete; jene Richtung, die sie zuletzt eingeschlagen hatten, als sie nach Warunk wollten.

Dann die Feuersbrunst, unter einem lauten Knall und schier endlosem Knarzen und Knirschen verendete der Wald, offenbar eine Auswirkung der Macht des Knaben, der um seinen Ritus gebracht wurde. Cyruion war jedoch weit genug weg. Nur die Bekannten… ob sie es geschafft hatten?

Ächzend und krächzend kreiste Cyruion wenige Minuten später über Warunk und setzte vor dem auf, was er aus der Luft als Tempel des Götterfürsten Praios vermutete und verwandelte sich vor zwei Sonnenlegionären ungeniert zurück. Die Statuette übergeben, das Erlebte schildern, wo sie gewesen waren. All das hatte er vor, doch für mehr als die Statuette reichte es nicht. Völlig erschöpft, physisch wie psychisch, fragte er noch im Tempel Praios‘ nach dem nächstmöglichen Bett, das er beanspruchen könnte… und nach Tempelasyl. Denn zumindest solange, wie die alte Reisegruppe nicht zusammengefunden hatte, wollte er sich inmitten Götterdienern wissen, die mit den Schrecken des Dhaza besser umzugehen wussten.

 

1014.

 

Es konnte nur besser werden..

Perricum 10 (Cyruion) (PER 1013)

Nachdenklich betrachtete Cyruion Garion. Doch in diesem Moment sparte er sich trotz aller Neugier eine Nachfrage. Es war sicherlich nicht der richtige Moment, eine andere Wunde mit Salz zu bestreuen und zu sehen, wie unglücklich die Reaktion darauf vielleicht ausfiel. Ohnehin waren die Tage in Perricum bislang eine einzige Ablenkung gewesen, so dass es sowieso falsch erschien nachzubohren, weshalb sein Weg nicht steiler verlaufen war. Eben gerade vielleicht wegen der vielen Ablenkungen? Zumindest wollte Cyruion jetzt keine darstellen.

In die Rolle der Ablenkung würde sicherlich bald eine andere Person schlüfen, mit Wonne. Vitus schien mit seiner zweifelhaften Vergangenheit in Perricum prädestiniert dafür und William, nun, vielleicht. Dem Blick auf das Wesen des Piraten, Seeräubers und liderlichen Mannes war geschuldet, dass sich Cyruion über einen Umstand im Klaren war: William gab vor dümmer zu sein, als es der Wahrheit entsprach. Er war befähigt zu kämpfen, oder zumindest seine Haut zu retten, bis es an der Zeit für die Flucht war. Auch eine gewisse, handwerkliche Befähigung war dem Mann mit zerschlissenen Kleidern – im Gegensatz zu Bücherwissen – zu attestieren. Womöglich ging es dabei um solcherlei Dinge, die er sich selbst beigebracht oder auf See gelernt hatte, wie etwa eine Planke zu schrubben oder notdürftig zu reparieren.

Dann stockte der auelfische Schneider und sah aus dem Augenwinkel in Richtung des monumentalen Portals des Tempels, in dem sie immer noch standen. Eine Person, die den Eindruck machte auf und ab zu gehen, sich nach etwas umzusehen, vielleicht nervös war. Sein Gebahren passte nicht ganz zu dem, was andere taten: den Tempel schlicht verlassen. Doch vielleicht wartete er auch nur auf seine Begleiter, obgleich der Mann in feinem Zwirn nicht unbedingt den Eindruck machte, als gehörte er einer Schicht an die oft oder sonderlich gerne wartete. Cyruion zog die hellen Brauen zusammen und sah wieder in die Runde.

Unlängst hatte er den Gesprächsfaden verloren, weshalb er sich lediglich die Mühe machte die Gruppe während einer Gesprächspause, einem kurzen Moment des Schweigens nur,auf die Gestalt am Eingang aufmerksam zu machen. Wenig verwundertlich war, was folgte, dass zumindest der Geweihte ein reges Interesse zeigte die Gestalt zumindest zu fragen, ob sie Hilfe benötigte oder vielleicht etwas anderes brauchte?

Zügig stellte der Fremde klar, dass er auf die Mischung aus Geweihtem, Angroschim, Elfen und anderen, recht willkürlich aussehenden Menschen aufmerksam geworden war und tatsächlich Hilfe benötigte. Er, der sich als Valadus von Darrenfurt vorstellte, kam nach eigener Aussage aus Perricum. Und er benötigte Hilfe? Ein Hauch von Neugier veranlasste den Elfen dazu, den anderen zu folgen und sich die Sorgen des Darrenfurt anzuhören und gemeinsam begaben sie sich auf den Weg zur Stadtvilla des, offenkundig, reichen Mannes, der einen ausschweifenden Lebensstil prägte. Sein ganzes Haus war voll und beinahe Überladen von Kunstwerken und anderen Dingen, die als Schätze bezeichnet werden konnten – und durften.

Sein Problem war jedoch ein anderes – die Liebe. Eine der wenigen Sachen, die nicht käuflich war, wie er bitterlich hatte feststellen müssen. In dieser Hinsicht duldete der Auelf keinen Widerspruch, denn das was William und andere sich für einige Dukaten erkauften, war keine Liebe, sondern ein Trostpflaster für einen verletzten, einsamen oder brünstigen Geist. Ansonsten wären auch all die Geschenke, die Darrenfurt seiner Herzensdame wohl unterbreitet hatte, genug gewesen um einen Traviabund herbeizuführen. Darrenfurt ging auf Nachfrage weiter ins Detail. Er hatte um die Tochter des Barons von Zackenberg gefreit, die so schön war, dass er sie unbedingt seiner Sammlung hinzufügen wollte. Cyruion betrachtete den Mann skeptisch, der wirkte wie ein verzweifelter Schatzsammler, aber gleichwohl von Liebe und Heirat sprach, obwohl er über die begehrte Dame gar nichts zu wissen schien.

Ihre Lieblingsblume waren Blumen. Frauen mochten schließlich Blumen.

Das gesprochene Wort des Edelmannes war dem Elfen beinahe ein Augenrollen wert. Er konnte das, was er erzählte, nicht wahrhaftig ernst meinen oder zumindest nicht in dieser Form.

Cyruion tat sich demnach schwer, dem Mann zu glauben, umschmeichelte er doch auch den Elfen und hoffte auf eine Gesangsdarbietung oder die Möglichkeit ihn vielleicht zu einem seiner Feste zu laden, sei es nur für die musikalische Untermalung. Es gab etwas, das ihn daran störte. Weniger der Umstand, dass er einige Dukaten verdienen konnte, sondern mehr die Besorgnis am Ende in einer Kiste auf dem Dachboden zu enden – als Teil einer großen Sammlung, irgendwo abgelegt und nur mehr zu besonderen Anlässen herausgeholt, wie gegebenenfalls auch die Tochter des Barons von Zackenberg. Cosima.

Cosima, der besondere, seltene und begehrenswerte Schatz, der, wie Darrenfurt erzählte, zusätzlich unter einer verhängnisvollen, schlechten Konstellation der Sterne den Weg nach Aventurien gefunden hatte, wie schon ihre Mutter, die bei der Geburt verstarb. Wieder wurde der Elfenschneider hellhörig. Die Sterne – tatsächlich vermochten sie einiges auszusagen, doch leider konnte Valadus keine hilfreichen Informationen als das liefern, was sicherlich auch der Volksmund sprach: schlechte Omen, Unheil, schlechte Menschen?

Zum Glück gab es in Perricum eine Akademie, die dem Elfen sicherlich mehr verraten konnte.

Bedächtig strich Cyruion eine Strähne hinter eines der spitzen Ohren zurück. Nur vielleicht war es die Wahrheit, die Valadus sprach. Vielleicht war es tatsächlich Liebe, vielleicht war sie nicht nur ein Stück Beute, sondern das, was ihm zu seinem Glück fehlte und er vermochte sein Leid nicht besser in Worte zu fassen? Nach einem längeren Gespräch sagte die Gruppe ihre Unterstützung zu. Doch benötigten sie noch weitere Informationen, wie auch eine gute Idee, wie überhaupt auf die Burg oder die Tochter heranzukommen war. Immerhin war es Adel, den sicherlich nicht jeder ohne weiteres besuchen konnte.

[…] Am darauffolgenden Morgen hatte Cyruion wenigstens den Umstand verdaut, dass William am Vorabend beinahe beharrlich den Weg von Vitus einschlagen und Bekanntschaft mit dem Perricumer Kerker machen wollte. Valadus hatte ein Bild seiner Geliebten gezeigt und der Seefahrer alle erforderlichen Anstalten gemacht, dieses unauffällig in seiner Tasche verschwinden zu lassen. Zum Glück war jedoch mehreren der bloße Versuch aufgefallen. Noch immer wurde der Elf aus dem Mann hinter der dämlichen Fassade nicht schlau. Warum stellte er sich so an, wie er es tat, wenn er insgeheim doch so intelligent schien?

Vielleicht hatte ihn die raue See verdorben.

Cyruion schüttelte den Kopf. Über den Barbaren, der an der Flasche hing, konnte er sich noch viele Jahre den Kopf zerbrechen. Den Morgen selbst wollte er nach einer kurzen Wäsche und einer Begegnung mit Garion und den anderen jedoch für etwas sinnvolles aufopfern. Die Schule der Austreibung war sein Ziel. Auch wenn ihnen das Datum noch fehlte, das sie benötigten, immerhin konnte das Alter der Dame auf 19 Jahre festgelegt werden.

[…] Gegen Mittag war der elfische Zauberer ernüchtert aus der Akademie zurückgekehrt. Ohne ein Datum konnten sie ihm keine Auskunft geben und empfanden auch den Zugang zur Bibliothek als wenig zielführend oder sinnvoll. Daher war es erforderlich, dass sie Valadus noch einmal befragten, der am Vorabend nicht den Eindruck gemacht hatte, irgendetwas über Cosima von Zackenberg zu wissen, das ins Detail ging.

[…] Valadus hatte tatsächlich helfen können und seinen Diener oder Schreiber bestellt, das Tagebuch heranzuschaffen, in dem er den Vermerk hatte machen lassen. Eifrig schrieb Cyruion mit, damit der nächste Gang zur Akademie nicht wieder sinnlos sein würde und er mehr über Cosima und die Sterne herausfinden konnte. 5 ING 993. Neugier machte sich in den Gedanken des Elfen breit. Was er wohl herausfinden würde, was ihm die Bibliothek über Cosima anhand der Sterne verraten mochte?

[…] Es dämmerte bereits, als der auelfische Zauberer mit ungewohnt steinerner Miene in die Ordensburg der Ardariten zurückkehrte. Der bloße Ortswechsel ermutigte ihn nicht, bessere Laune zu haben. Er fühlte sich, wie die nach außen scheinende, grinsende Fassade von William allzu oft wirkte: Dumm.

Die Schule der Austreibung hatte dem Elfen gegen einen Obolus den Zugang zur Bibliothek gewährt und er, er war unachtsam gewesen. Kaum, dass er eines der ersten Werke zur Sternkunde aufgeschlagen hatte, war ihm die Henkelkerze umgefallen und hatte einen Brand ausgelöst, der das Buch in seine Bestandteile aufzulösen begann. In seinem blanken Unverständnis für dieses Missgeschick hatte der Auelf sich später herauswinden wollen, bemühte sich um Erklärungen, die den Schaden abschwächen sollten, ehe er den fatalen Umstand wieder berücksichtigte, dass seine mangelnde Sorgfalt verantwortlich für all das war.

Das liebgewonnene Geld, das er die letzten Wochen verdient hatte, verknappte sich durch dieses Missgeschick in seinem Geldbeutel deutlich. Eine Strafe von mehreren Dukaten wurde dem Elfen abverlangt, wie auch entschuldigende Worte an den Verfasser der Schrift, der zu seinem Glück jedoch erzählte, dass dem Elfen nur eine Abschrift in Flammen aufgegangen war.

Glück im Unglück. Dennoch behagte dem Elfen die Situation nicht und wäre er in dieser Situation ein Mensch gewesen, hätte er rege Scham für sein Verhalten empfunden. Ungewohnt enerviert über die eigene Unzulänglichkeit bließ der Elf die Backen auf. Glück im Unglück.

Denn es war nur eine Abschrift – und der Verfasser erbarmte sich zumindest, dem Elfen die Antwort auf seine Frage aus dem Original und seinen Unterlagen herauszusuchen. Ein mäßiger Erfolg. Auf diese Weise erfuhr er zwar, und vielleicht schneller als durch eigene Recherche, worum es dabei ging, doch ohne Feuer und den Verlust der Münzen wäre es ihm lieber gewesen, wäre es eine eigene Leistung, ein tatsächlicher Erfolg gewesen und sich unterschwellig weniger das Gefühl von Mitleid einschleichen.

Durchatmenderweise erzählte er seinen Begleitern von diesem Unfall, am Rande, versuchend die wesentlichere Information auffällig in den Vordergrund zu stellen und von seinem Versagen abzulenken. Sie sollten hauptsächlich wissen, dass die Sternenkonstellation nicht unbedingt so negativ war, wie sie generell empfunden wurde. Tatsächlich war von der Geburt weiser Anführer die Rede, die des Öfteren den Versuchungen der Macht erlagen. Nicht immer, aber oft. Gab es nicht schlechtere Omen für die Geburt eines Kindes, als die Erwähnung der Geburt eines Anführers? Es kam dem Donnerbacher Magier fast so vor, als hätten alle vor ihm nur den zweiten Teil des Satzes gelesen und die Worte vor dem Beistrich ignoriert.

Weshalb, das verstand Cyruion nicht, doch dieser Tag war sowieso nicht seiner. Insofern freute es ihn umso mehr, dass sie die Unternehmung mit den gewonnenen Informationen schlicht weiter konkretisierten und ihm dabei Aufgaben zuteil wurden, der er sich annehmen konnte – wohl ohne dieses Mal zum Scheitern verdammt zu sein.

Der restliche Abend, die Planung und weiteres, zogen ansonsten eher am Elfen vorbei.

Dieser eine Moment in der Bibliothek ließ ihn nicht los.

Perricum 9 (Cyruion) (PER 1013)

Während Vitus mit den anderen über sein Schicksal brütete und überlegte, auf welche Weise er die Strafzahlung im besten Fall leisten konnte, hielt sich der auelfische Zauberer weitestgehend zurück und streute seine Gedanken nur sehr sporadisch in das Gespräch ein. Sein Bedürfnis war nicht gewesen, den zurückhaltenden Menschen in diesem Moment mit seiner Weisheit zu erleuchten. Dazu kam, dass er mit fortschreitender Zeit bemerkte, dass ein Hauch von Aufregung bis hin zu Vorfreude in ihm aufkeimte. Der Nachmittag war bereits angebrochen und der Sinn und Zweck seiner Reise sollte sich an diesem Abend endlich erfüllen.

Das neue Schwert der Schwerter würde im Tempel zu den Menschen sprechen.

In bester Laune zuckten die Mundwinkel des Elfen nach oben und nachdem die Angelegenheiten des Vitus Arres geklärt waren, machten sie sich auf den Weg zur Burg, um letzte Vorbereitungen zu treffen. In der Löwenburg schien es vielen ähnlich zu gehen, wie dem Elfen. Zwischen Aufregung und Sorge meinte er alle nur erdenklichen Stimmungen ausmachen zu können. Das wunderte ihn nicht, denn so wie er es verstand, war die Person hinter dem Titel maßgeblich mitverantwortlich für die Richtung, die die Rondra-Kirche in den darauffolgenden Jahren einschlagen würde. Auch Donnerbach, auch Aldare und selbst Narond konnte und würde dieser Umstand dann beeinflussen.

Cyruion schwelgte in Gedanken, während er seine Sachen ordentlich zusammenlegte und sich in das Reisegewand kleidete. Die Robe war dem Anlass angemessen, davon abgesehen würde er anschließend wohl nicht mehr all zu lange auf der Löwenburg weilen und sich anderweitig umsehen müssen, außer er trat mit der Donnerbacher Delegation direkt dem Heimweg an, Dem stand jedoch noch ein Ardarit im Wege, den er gerne als Freund bezeichnete und an dessen Seite er sicherlich auch einen Moment verweilen konnte. Dort, wo es ihn hinführte, würde es schließlich auch andere Mode geben, Inspiration und weitere, sonstige Möglichkeiten Wissen mitzunehmen, zu lernen, die Zeit sinnvoll zu nutzen.

Es klopfte.

Mehr in einer Randnotiz wurde er darüber informiert, dass die Meisterin der Senne Nord und ihre Gefährten sich auf den Weg machten. Er, als Magier des Trosses, wollte und sollte dabei vielleicht nicht fehlen. Mit einem dankbaren Nicken verließ er die Kammer und begab sich an der Seite von Thali und den anderen in den Perricumer Tempel der Rondra. Der Weg war zum Glück nicht all zu weit und einen guten Blick konnte er ebenso erhaschen. Nebst seiner Größe gerieten ihm hier auch die guten Augen zum Vorteil. Ihm fielen die Wachen auf, die im vorderen Teil unauffällig auffällig ihre Position bezogen hatten.

Der Saal füllte sich, immer mehr, bis jedes Bisschen Luft im Raum für einen der Anwesenden reserviert war.

Gemurmel und Getuschel an allen Ecken und Enden. Einige Menschen zählten sicherlich die Sekunden oder Minuten die vergingen, bis sich eines der Portale öffnete und ein Mann den Raum betrat, sich im Zentrum des abgeschirmten Bereiches postierte und nach einem Augenblick zu sprechen begann. Es war offensichtlich, dass er es war, er, das neue Schwert der Schwerter. Langer, wallender Umhang, dunkelblondes Haar und die Fraise blieben dem Elfen im Gedächtnis, neben einem auffallend langen Namen. Doch so schien es gang und gäbe bei den menschlichen Herren von Stand.

Dragosch Aldewîn Ferlian Corrhenstein von Sichelhofen.

Leise murmelnd wiederholte Cyruion den Namen des Mannes, ehe er den Blick schweifen ließ.

Freude, Besorgnis, Unsicherheit, Glück – wieder schien jede Gemütslage vertreten zu sein.

Viel sprach der Mann von Sichelhofen nicht, dafür, dass so ein Tamtam um seine Person, sein Amt und einen möglichen Neuanfang für die Rondra-Kirche gemacht wurde. Nach kaum zehn Minuten schien das Spektakel vorbei. Cyruion musste zumindest sich selbst eingestehen, dass er etwas anderes oder schlicht mehr erwartet hatte, wie einen Gottesdienst. Doch dazu kam es nicht. Nachdem Dragosch von Sichelhofen den Raum verlassen hatte, machten einige Fraktionen und Gruppen Anstalten es ihm gleichzutun.

Auch Aldare und ihre Gefolgsleute wollten sich besprechen.

Sang und klanglos hatte sein Dienst damit, einmal mehr, sein Ende gefunden. Thali hatte ihn darüber in Kenntnis gesetzt.

Während die Rondra-Geweihten und geladenen Gäste sich gen Ausgang orientierten, hielt der Auelf Ausschau nach dem bornländischen Ardariten und seinen bunt gemischten Begleitern – dem Angroschim, dem Verbrecher und William. Nach einem Moment wurde er fündig und gesellte sich dazu, um zumindest Garions Meinung über Dragosch einzufangen. Bedauerlicherweise gab er wenig preis, außer dass er offenbar mit Dragosch gerechnet hatte – oder es bereits im Vorfeld erfahren hatte. Der Mann, der nun die Kirche führte, schien jedenfalls einer von denen zu sein, die sich ihre hohe Stellung innerhalb der Geweihtenschaft eher in kurzer Zeit verdient hatten.

Vielleicht schwang deshalb etwas Unmut in der Stimme des Ardariten mit?

Perricum 8 (Cyruion) (PER 1013)

Perricum, die Stadt mit Delphin im Wappen und Löwin im Herzen, präsentierte sich dem Auelfen an diesem Morgen ähnlich wie bereits in den vergangenen Tagen. Die Praiosscheibe stand hoch am Himmel und erhitzte mit jeder Stunde die verging, zumindest bis Mittag, zunehmend die Gemüter. An einen Regenschauer oder vergleichbares war gar nicht zu denken, zu sehr trieb der Wind die wenigen Wolken offenkundig in Richtung Trollzacken, um sich dort in aller erdenklichen Fülle und Pracht zu entladen. Die nicht vorhandene Wolkendecke hatte etwas beunruhigendes, an einem Tag, der sich für ganz Perricum um Blitz und Donner drehte. Das neue Schwert der Schwerter würde offenbart und zudem würde bereits in wenigen Stunden über Vitus geurteilt werden.

Cyruion schmerzte die rechte Hand etwas; diese Nacht hatte er schlechter geschlafen als die Woche zuvor. Die einzige Erklärung, die sich ihm dafür bot, war der Umstand, dass sein Geist auch des späten Abends noch mit den Umständen um die Arrestierung von Vitus beschäftigt war. Allerdings war diese Antwort nur auf einen Teil der Sache bezogen. Nicht zu erklären wusste er sich den Umstand, dass er aufgewacht war, weil er an die Tür klopfte – und warum er seine Hose zuvor ausgezogen und in den Raum geworfen hatte. Selbst wenn es ihn beschäftigte, so pflegte er normalerweise nicht mit seinen Sachen umzugehen. Doch, und das war ihm sehr wohl klar, war er in der Nacht nicht immer er selbst, nicht alles erklärbar, wenig machte Sinn. Er konnte nur froh sein, dass Narond die Zimmertüre am Abend abgeschlossen und den Schlüssel mit sich genommen hatte, um dem Elfen am Morgen wieder aufzuschließen. Ansonsten… Cyruion mochte gar nicht darüber nachdenken. Er schüttelte kurz das Haupt und legte sich eine Haarsträhne hinter das Ohr.

Sein Vorgehen war in der Angelegenheit mit der Perricumer Stadtwache und Vitus nicht allzu galant gewesen, nicht so, wie die Menschen es sicherlich von jemandem erwarteten, dessen Ohren derart spitz waren. Jedoch hatten die Geweihten und Löwenritter ihn nach der Erzählung bestärkt, grundsätzlich richtig gehandelt zu haben. Der Mann wurde gesucht, insofern war es verständlich die Wache zu informieren. Sein alter Freund, Garion, war allerdings wenig begeistert. Der Magier war sich unsicher, ob dies nur daher rührte, dass er so gehandelt hatte oder die mäßige Laune des Geweihten mehr daran lag, dass zu diesem Zeitpunkt bereits ausreichend viele Probleme existierten.

William hatte sich der daimoniden Charyptoroth angebiedert, buhlte entweder um ihre Gunst oder sehnte sich nach Aufmerksamkeit oder vielleicht, und nur vielleicht, war törichter als es anzunehmen war. Der Seemann mit der Duftnote „stark alkoholisierter Mensch ohne Obdach“ redete viel, besonders wenn der Tag lang war und es für ihn wenig zu tun gab. Am Abend war er hingegen in das Lesen und Vorlesen vertieft, beschäftigte sich mit dem Vademecum der Rondra. Garion hatte es ihm ausgehändigt, in bester Absicht, damit William zumindest noch etwas über Rondra lernte oder um ihn von der aufkeimenden Panik im tiefsten Inneren ein wenig abzulenken.

Das Frühstück in der Löwenburg brachte der Elf rasch hinter sich, denn in der Burg des Ordens der Heiligen Ardare zu Arivor warteten die Probleme auf seine Gefährten und ihn. William würde sicherlich bald aus dem Efferd-Tempel zurückkehren, das stand zumindest zu hoffen, und der Geweihte Bronnjar wollte noch erörtern, inwieweit sie dem fahnenflüchtigen Medicus bei seiner Verhandlung behilflich sein konnten.

Früh wurde dabei für den Elfen klar, dass er sich weitestgehend heraushalten würde, da er die Absichten des Menschen nicht unbedingt verstand. Dies wurde ihm insbesondere bewusst, als er sich im Verhandlungssaal befand. Die eine Seite äußerte die Anschuldigungen gegen Vitus. Vitus selbst bemühte sich um eine Erklärung, die jedoch mehr schwer denn leicht über seine Lippen kam, als wisse er selbst nicht um das „Warum?„. Der Ardarit und ein Freund des Heilers, seines Zeichens Leutnant der Stadtwache und einstiger Kamerad,  hatten die Absicht die unbekannte Frau schließlich zur Hexe zu erklären und sie zu verdammen. Es musste oder würde wohl ein Zauber gewesen sein, der dafür gesorgt hätte.

Ein bedächtiges Nicken des Auelfen. Die Erklärungen klangen zumindest denkbar, dass es sich um eine Frau mit magischem Potential handelte. Doch weder war sie da, noch ließ sich diese Vermutung beweisen. Er selbst kannte Zauberformeln wie den Bannbaladin und seine mögliche Wirkung, besonders bei entsprechend willensschwachen Zielen. Eine Formel, die dazu nutzen konnte, großen Schaden anzurichten – oder einfach nur, um mehr Informationen zu erhalten.

Seltsam an Vitus‘ Fall war jedoch, dass eine Anwendung solcher Zauber für den auelfischen Magier keinen Sinn ergeben wollte. Denn selbst wenn Vitus, als einfacher Straßenwächter, etwas erzählt hatte – geschehen war danach nichts und auch langfristig war kein Schaden entstanden. Solche Zauber als eine Art Liebeszauber zu wirken, konnte sich Cyruion zwar vorstellen, doch gab es dafür sicherlich bessere Lösungen, etwa alchimistiche Gebräue oder Tinkturen. Doch auch dann wäre es nicht nötig gewesen, eine Pflichtverletzung des Mannes herbeizuführen.

Schlüssiger schien es dann zu sein, dass der Mann vernarrt in die Frau war, sich entfernt hatte um den Akt zu vollziehen und sich als Lückenbüßer ausnutzen ließ. Das machte sie jedoch nicht direkt zur Hexe, es konnte andere Gründe für solches Verhalten geben. Zum Beispiel, dass sie ein schlechter Mensch war oder kurz nach Vitus auf eine Person gestoßen war, die ihre Bedürfnisse besser oder eher erfüllen konnte. Dann hätte der Straßenwächter dennoch zurückgehen können.

Im weiteren Verlauf wurden die selben Punkte wieder und wieder aufgegriffen, zudem ging es besonders zum Ende hin um Schuld und darum, dass Vitus vor dieser davon gelaufen wäre. Die Brauen des Elfen zuckten dabei, sporadisch, unmerklich nach oben. Denn er verstand dies schlicht und ergreifend nicht. Wenn er sich einen Tag von der Akademie entfernte, obwohl er dort sein musste, fühlte er sich bestimmt auch schlecht. Dann jedoch würde er zurückgehen, mit den entsprechenden Konsequenzen leben und weitermachen. Ob als Magier am Seminar in Donnerbach, Knecht auf einem Hof nahe Gareth oder Straßenwächter bei Perricum… Für jeden war dieser Weg möglich, auch wenn die Strafe hier und dort sicherlich härter ausfiel.

Jeder war eben für sein eigenes Handeln verantwortlich.

Es nützte demnach nichts, eine unbekannte Frau, von deren Existenz außer Vitus niemand wusste und nie gesehen ward, zur Hexe verunglimpfen zu wollen. Zudem waren Hexen, auch wenn es im Praiosglauben anders gesehen wurde, nicht unbedingt schlechte Menschen. Hexen waren Frauen. Frauen, die magisch waren und deren Wirken weniger dem gildenmagischen und mehr dem elfischen gleichen sollte. Zumindest hatte Cyruion es so verstanden, wenn die Magister sich am Seminar über die Besenreiterinnen aus Weiden und anderen Landen geäußert hatten. Auch hatte er sie nie derart erlebt, dass es bösartige Exemplare gab, war jedoch nicht auszuschließen, wobei er in der Verliebtheit keine Boshaftigkeit erkennen konnte. Nachdenklichen Blickes folgte er der Verhandlung.

Insgesamt überraschte das Urteil den Auelfen nicht, Vitus wurde schuldig gesprochen. Der, der ganze zehn Jahre vor den Konsequenzen seines Handelns weglief, ob aus Angst, Feigheit oder anderen Gründen, der war nicht ehrenhaft im Sinne Rondras, ohnehin schuldig und hatte es, auch wenn der Gedanke sich selbst für den Elfen bitter anhörte, nicht anders verdient. Inwieweit das Strafmaß angemessen war, wusste der Cyruion nicht zu beurteilen. Mehrere tausend Dukaten oder eine mehrjährige Haftstrafe hieß es, obwohl nichts passiert war, doch das war sicherlich auch der langen Abstinenz geschuldet.

Glücklicherweise verfügte Vitus noch über etwas Geld, wie er der Gruppe kurz nach Urteilsverkündung mitteilte, und musste sich daher lediglich Gedanken um die nächsten Raten in Höhe von eintausend Dukaten machen. Doch das, so viel war dem Elfen klar, war allen voran seine Sorge und sollte auch seine bleiben.

Cyruion war es nicht geheuer, sich überhaupt damit zu beschäftigen. Der, der sündigt, der soll auch Buße tun. So oder so ähnlich hatten es die Geweihten in Donnerbach den Menschen schon gepredigt und damit ging er konform. Soweit möglich würde er Vitus wohl helfen, doch es war nicht im Sinne des Erfinders oder Rondra, wenn man diese Last einfach von seinen Schultern nahm. Dann wäre es schließlich auch keine Strafe mehr.

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