Die Zeichen der Sieben

Perricum 7 (Garion) (PER 1013)

Mit einem raschen Griff legte der Rondrit einen neuen Holzscheit in die züngelnden Flammen des Lagerfeuers, das tanzende Schatten an die Felswände der Trollzacken warf. Die Holz- und Schmutzreste in seinen Handflächen rieb er beiläufig an seiner Hose ab, ehe er sich wieder setzte und einen Blick in die Runde warf, deren Wächter er die kommenden drei Stunden war. Vor ihm, gebettet auf Schlafmatten oder dem Boden und geschützt von Decken oder Schlafsäcken lagen ein Elf, ein Zwerg und zwei Menschen. Einer von beiden Freibeuter – wenigstens – der andere Medicus und Deserteur. Und über ihnen alle spannte sich das Himmelszelt mit unzähligen funkelnden Sternen, dominiert vom fahlen Licht des Madamals.

Ein tiefer Atemzug des Kriegers riss die kühle Abendluft tief in seine Lungen und weitete seine Brust, ehe er den Atem wieder fahren ließ. Die Gruppe, die sich die schützende Wärme des Feuers teilte, war derart bunt gemischt, dass es Garion bisweilen wie ein Wunder erschien, dass sie zusammenhielt. Das Grün seines verbliebenen Auges verfing sich an den blonden Haaren des Elfen. Cyruions Alter war schwer zu schätzen, aber wie vermutet war er der Älteste der Runde. Es war schon einige Jahre her, dass sie sich kennengelernt hatten – damals zunächst an Bord eines Schiffes, dann zu Fuß auf dem Weg ins Landesinnere. Von Beginn an hatte der Elf sich durch eine beinahe absonderliche Tierliebe ausgezeichnet, gleichzeitig aber am Kreislauf des Tötens wie selbstverständlich teilgenommen. Empathie und Gnadenlosigkeit in gleichem Maß – wie Garion fand ein deutliches Zeichen für die naturnahe Lebensweise der elfischen Sippen, die sich vom Erbe ihrer Vorfahren distanziert hatten, um die Fehler derer die vor ihnen waren nicht zu wiederholen.
Trotzdem hatte Cyruion stets auf die eine oder andere Weise den Eindruck erweckt, seinen elfischen Wurzeln entrückt zu sein. Hatte sich menschlich gekleidet, hatte aber nie menschlich geklungen, hatte nach Wissen gedürstet wie ein Mensch, aber hatte den menschlichen Essensgewohnheiten weitgehend entsagt. Ihre Wege hatten sich getrennt, als der Magier sich einer Haijagd verweigert hatte und diese – wie er es genannt hatte – unnütze Grausamkeit nicht hatte mit ansehen wollen.

Garion strich sich gedankenvoll über seine rechte Braue und blinzelte etwas Rauch aus seinem tränenden Auge. Und jetzt – Jahre später hatte sie der Zufall wieder zusammengeführt. Cyruion hatte Perricum in Begleitung einer Gesandtschaft der Senne Nord erreicht, um sie in magischen Belangen zu beraten und im Notfall einzugreifen. Gemäß dem Gedankengut seiner Alma Mater in Donnerbach war er das Gruppenmitglied, das ihm am wenigsten Sorgen bereitete. Cyruion war bisweilen ein wenig weltfremd, aber er war umgänglich und geduldig, war um Völkerverständigung bemüht. Die üblichen Aversionen von Elfen gegenüber den Angroschim waren bisher nicht ruchbar geworden – nicht einmal als ‚Stummel‘ oder ‚Halbmann‘ hatte er Tarambosch betitelt.

Die Aufmerksamkeit des Wachhabenden glitt von dem blonden Elfen fort und kettete sich an den ebenfalls blonden Angroschim. Er wusste, dass der gedrungene Bartträger sich bereits zurückhielt. Trotzdem war es unverkennbar, dass offene Worte, Konfliktbereitschaft und ja – auch eine Spur rassistischer Vorurteile in seinem Blut kochten. Dennoch würde Garion niemals auf ihn verzichten wollen. Nach ihrem ersten Treffen in Ranak bei Kap Brabak hatte sich schnell herausgestellt, dass sie gerne und gut zusammenarbeiteten. Ihr Ehrverständnis und sogar Teile ihrer Weltsicht deckten sich, wenngleich ihr kultureller Hintergrund und ihre Ausbildung bisweilen für geteilte Meinungen sorgten.
So war dem Zwerg die Abneigung allem Echsischen gegenüber in Fleisch und Blut übergegangen, während in der Glaubenslehre Rondras der hohe Drache Farmelor als Gemahl der Göttin selbst gepriesen wurde. Die Diskussion über diesen Punkt war kürzlich aufgeflammt, war aber rasch (und vorläufig) beigelegt worden.
Gedankenverloren rieb der Wächter Daumen und Zeigefinger aneinander, während er die Gestalt des beinahe totengleich schlafenden Zwerges betrachtete. Doch obgleich die Emotionen des Zwerges von Zeit zu Zeit für Ärger innerhalb ihrer Gruppe sorgen konnten, betrachtete er ihn nicht mit Sorge. Selbst wenn der Axtschwinger sich mit seiner ganzen Gruppe stritt, so würde das Auftauchen eines gemeinsamen Feindes doch für eine geschlossene Front sorgen. Auch das lag den Kriegern Xorloschs im Blut – im Krieg dachte man praktisch, nicht emotional.

Als sich ein fremdes Geräusch in das Knacken des Feuers mischte, sah der Rondrit auf. Die Gegend in der sie sich befanden, galt im Allgemeinen als gefährlich, wenn sie auch bisher nicht angegriffen worden waren. Mit einer Hand am Griff seines Schwerts erhob er sich von dem kleinen Felsen, auf dem er saß, und ließ den Blick in die nähere Umgebung des Lagers fahren. Der Ort war gut ausgesucht. Die kleine Mulde war von drei Seiten von größeren und kleineren Felsen umgeben und öffnete sich mit der vierten zum Weg. Das Licht des Lagerfeuers war auf diese Weise nicht sehr weit zu sehen und der Wind nicht allzu harsch. Ein paar Schritte führten ihn auf den schmalen Weg hinaus, von wo aus er einen noch besseren Blick hatte. Eine Gefahr war aber nicht zu sehen – kein Grund also die anderen zu wecken und in Alarmbereitschaft zu versetzen. Nun wieder ruhiger setzte er sich an seinen Platz zurück und angelte nach seinem Proviantbeutel und Wasserschlauch. Während er etwas Proviant verzehrte, lenkte er seinen Blick zu den beiden Menschen hinüber. William und Vitus. Beide männlich und beide schwer einzuschätzen.

William hatte ein loses Mundwerk, flinke Finger, die nur zu gerne auch genutzt werden wollten und verbog sich die Realität auf eine Weise, dass eine leise Stimme in Garions Kopf aus jedem „Das ist wahr!“ ein „Das ist wahr!-scheinlich wahr.“ machte. Tatsächliche Talente hatte William seit Garion ihn kannte, nicht gezeigt. Wenn man von ‚Sich Ärger einhandeln.‘ und ‚Das Wirtshaus leer trinken.‘ einmal absah. Die Geschichten des jungen Seefahrers waren beinahe so groß wie sein Ego und hinter jeden Ecke lauerte ‚Die Eine‘, um sich ihm voll der Liebe an den Hals zu werfen.
William war ein Buch mit sieben Siegeln und Garions größte Sorge. Dabei ging es nicht einmal um die erfundenen Geschichten, die mangelnde Etikette, das mangelnde Wissen um das Pantheon oder die bisweilen vorgeschobene Inkompetenz. Wesentlich größeren Eindruck hinterließ der Umstand, dass William mit all dem so bereitwillig herausrückte. Die Vergangenheit hatte gezeigt, dass Menschen selten ihren wahren Charakter offen legten, wenn sie ihr Gegenüber nicht kannten. Wenn der Seefahrer genauso war, dann stellte sich die Frage, was er hinter der Fassade verbarg. Das Bild eines plündernden Freibeuters oder – schlimmer noch – Piraten verfestigte sich immer mehr. Zuletzt als die Admiralität Perricums bestätigt hatte, Williams Vater aus ähnlichen Gründen zu suchen. Vor diesem Hintergrund hatte es ihn überrascht, dass der Mann in Zeiten der größten Not in der Ordensburg der Ardariten aufgetaucht war, um dort nach Hilfe zu suchen. Das war vernünftig gewesen – beinahe zu vernünftig für den Charakter, den er sonst an den Tag gelegt hatte. Aber – war es Vertrauen gewesen oder Opportunismus? Hatte er sich seinen Gefährten anvertraut oder nur gewusst, dass sie ihm helfen würden, die Suppe auszulöffeln, die er sich eingebrockt hatte?
Langsam massierte der Adelige sich seine Nasenwurzel. Früher oder später würden sie alle gemeinsam in die Klemme geraten und dann würde sich zeigen, ob in William jemand steckte, auf den man sich verlassen konnte oder ob er eher versuchen würde seine eigene Haut zu retten – egal wen oder was er dafür opfern musste. In jedem Fall hielt er es für besser sein Auge auf ihm zu behalten.

Erneut sondierte Garion die Umgebung des Lagers. Wachdienst nahm er stets ernst. Eine Einheit – egal wie gut ausgebildet – war zu ihren Ruhezeiten am verwundbarsten. Gelang es einem Angreifer die Wache lautlos auszuschalten, so war es ein leichtes die schlafenden Gruppenmitglieder im Schlaf zu töten oder kampfunfähig zu machen. Garion wollte verdammt sein, wenn das während seiner Wache geschah. Noch einmal drückte er sich von dem Stein hoch und drehte eine Patrouillen-Runde um das Lager. Einige Minuten lang hielt er den Blick in die Dunkelheit gerichtet, um sein Auge daran zu gewöhnen. Wieder war alles still – wenn man von den normalen Geräuschen einer Nacht in der Wildnis einmal absah. Der Wind rauschte durch einige der mageren Gewächse, hier und dort raschelten kleine Tiere und die Feuchtigkeit des Holzes ließ das Feuer krachen. Gute zwanzig Schritt vom Feuer entfernt, lehnte er sich an den Steilhang der den Weg begrenzte und sah von dort zu seinen Begleitern hinüber.
Vitus mochte ein Deserteur sein, aber er war als Heiler schon rein objektiv wichtig für die Gruppe. Und wenn man genau genug hinsah, dann war es nicht allzu schwer zu erkennen, wie schwer seine Schuld ihn belastete. In Perricum hatte er sich dem Urteil der heiligen Rondra ergeben und war bei der Gruppe geblieben, obgleich er Zeit und Gelegenheit zur Flucht gehabt hätte. Garion mochte nicht glauben, dass ihm oder den anderen von Vitus Gefahr drohte. Dennoch war der Mann schwer zu durchschauen. Kaum einmal sprach er – und wenn er es tat, dann war er oft offener und emotionaler als sein Handeln es hatte erwarten lassen. Er war gläubig, gut ausgebildet und soweit der Rondra-Geweihte das beurteilen konnte, aufrecht. Die Liebe war es, die ihn vom Weg abgebracht hatte – und da war er beileibe nicht der Erste. Sich auf ihn zu verlassen war noch nicht ohne jedes Risiko, aber es bestand Hoffnung, dass er sich beweisen würde. Gerade nachdem die Gruppe beschlossen hatte, ihm bei der Abzahlung seiner Strafe zu helfen, schien es Garion als habe die Bindung sich gefestigt. Und für Zwist innerhalb der Gruppe würde die verständige Art des Mannes aller Wahrscheinlichkeit nach auch nicht sorgen.

Er ertappte sich dabei, dass beim Anblick der vier Schlafenden ein Lächeln über seine Lippen rann. Die Gruppe mochte in ihrer Zusammensetzung untypisch sein, aber labil war sie nicht. Nach allem was er wusste, war es gut möglich, dass sich an diesem Feuer genug Talent, Fähigkeit und Wissen versammelt hatte, um alles was das Schicksal ihnen entgegen schleudern wollte zu überwinden. Es galt nur die beiden wichtigsten Regeln dieser Welt zu beachten. Erstens: Zu wissen, wann es an der Zeit ist etwas zu tun. Zweitens: Zu wissen, wann es an der Zeit ist nichts zu tun. Vorsichtig stieß er sich in der Plattenrüstung von dem Stein ab und hielt wieder auf das Feuer zu. Dort angekommen setzte er sich vorsichtig wieder, schabte aber mit seiner Rüstung über den Stein, was eine kurze Bewegung des Elfen zur Folge hatte. Es wurde wirklich Zeit für eine Kettenrüstung.

Von seinem Platz aus betrachtete er die ungleichen und bisweilen gefährlich unbekannten Gefährten. So oder so: Für die kommenden Stunden war es an ihm jeden einzelnen dieser Männer mit seinem Leben zu beschützen. Genau wie er es auch nach Ablauf dieser Stunden tun würde, Tag um Tag, Woche um Woche, Götterlauf um Götterlauf. So lange sie sich als gut erwiesen. Denn wenn es nach ihm ging, dann galt für diese Gruppe dasselbe, was für den Ardaritenorden galt: Wir stehen zusammen, wir fallen zusammen.

Perricum 6 (Garion) (PER 1013)

Als die Tür seiner Kammer hinter ihm ins Schloss fiel, erlaubte er seinen Schultern ihre Straffung zu verlieren. Einige Augenblick lang stand er regungslos im Raum, nur dann und wann von einem tiefen Atemzug bewegt, ehe er sich umsah. Die dicken Mauern der Ardaritenfestung in Perricum waren von innen weiß verputzt, nur hier und dort war einer der dicken Steine zu erahnen, die dem Bollwerk zu seiner Standhaftigkeit verhalfen.
Die abgeschliffenen Holzbohlen des Bodens waren zum Teil von einem großen, weichen Teppich verdeckt, dessen Erschaffer kunstvoll die Figur eines Löwen hineingeknüpft hatte und neben einem Bett und dem Schrank gab es einen kleinen Schreibtisch mitsamt Stuhl. Eben dort stand auch eine kleine Wasserschale bereit – ganz wie er es mochte. Wieder atmete er tief aus.

Einer Gewohnheit folgend, öffnete er die Schnallen, die seine Schwertscheide an dem breiten Gürtel um seine Hüfte hielten und lehnte sie an das Fußende seines Bettes. Gleich darauf folgte die ungleich schwerere Halterung von Adamant, seinem Zweihänder. Kurz wog er das Gewicht der Waffe in den Händen und besah sich die Gebrauchsspuren auf der Scheide seines Weiheschwerts. Hier sah man jeden Sturz, jeden Hieb – alles was Garion traf, beeinflusste üblicherweise auch das Leder, das den Rondrakamm umhüllte. Mit einem matten Lächeln auf den Zügen lehnte er die Waffe von innen an die Tür seiner Kammer. Dann öffnete er den Gürtel, legte den verschmutzten Wappenrock ab und öffnete die Armschützer, sowie den Torso seiner Rüstung. Nachdem beides einen sicheren Platz auf den nachgiebigen Decken des Betts gefunden hatte, wandte der Rondra-Geweihte sich der Waschschüssel zu, griff mit beiden Händen hinein und rieb eine Portion Wasser in sein Gesicht. Das kühle Nass ließ seine Lebensgeister wieder aufflammen. Es tat gut eine Kammer zu haben in der man sich waschen konnte – auch wenn der Anlass seines Hierseins ein Trauriger war.

Während er sich zu waschen begann, sah er zum Fenster hinüber und verlor sich im Glitzern des Meeres im Licht der untergehenden Abendsonne. Das Schwert der Schwerter war tot. Ermordet von einem feigen Mörder aus dem Hinterhalt. Und das bei einem Turnier in direkter Nähe zum König von Garetien. Diese Ungeheuerlichkeit würde den Täter teuer zu stehen kommen, sollte man – sollte die Kirche der Leuin – seiner habhaft werden. Zwar hatte er Viburn von Hengisford niemals persönlich kennen gelernt, doch war sein Ruf in den Reihen der Geweihten hervorragend gewesen und der Umstand, dass auch seine Tochter ein hochrangiges Mitglied des Klerus war, würde es dem Angreifer nicht einfacher machen, sich zu verstecken.
Garion konnte die Wut nur erahnen, die in diesem Moment ein schmerzhaftes Feuer durch die Adern Bibernells von Hengisford senden musste. Sicher würde sie alles daran setzen den Tod ihres Vaters zu rächen.
Nachdenklich kaute er auf der Innenseite seiner linken Wange. Wut und Rache waren selten gute Berater, aber es war zu früh, um ihr Rasen schon verhindern zu können. Auch war es nicht seine Aufgabe Bibernell zu beraten – die Probleme, denen er sich zu stellen hatte, waren ungleich näher, ungleich persönlicher.
Mit flinken Bewegungen trocknete er seine Achseln, die Brust, den Hals und den Bauch, ehe er nach der Scheide seines Schwertes griff. Die Waffe war aus hochelfischer Hand, verziert mit Zeichen, die zu lesen er nicht im Stande war und von einer Qualität, wie man sie selten fand. Aber eines hatte sie mit anderen Klingen gemein: Ohne Pflege würde auch sie vergehen. Die blanke Klinge in der Hand griff er nach dem Waffenfett und dem gebrauchten Lappen, den er stets in seinem Rucksack mit sich führte. Ob er den Wetzstein brauchte, würde sich erst später zeigen. Mit ernster Miene sank er auf die Kante seines Bettes und begann die Klinge sorgfältig zu reinigen.

William hatte sich als erstes Problem erwiesen. Dem Ardariten war zwar bewusste gewesen, dass das Wesen der Götter nicht jedem Menschen derart nahe lag wie ihm und auch, dass gerade William der stofflichen Welt besonders verhaftet war. Dass er aber derart wenig über Götter und Dämonen wusste, dass er den Namen einer Erzdämonin offen und unbekümmert im Munde führte – das hatte ihn getroffen wie ein Faustschlag. Mitten im Speisesaal der Ordensburg, in Anwesenheit von Ness, hatte er den Namen gleich zweimal von sich gegeben und damit beinahe eine Katastrophe über sich und alle anderen gebracht. Es war notwendig gewesen, den Seemann handfest aus der Burg zu schaffen und nach Hause zu schicken, um die Wogen zu glätten.
Prüfend polierte er eine Stelle der scharfen Schneide in seiner Hand. Immerhin …, dachte er … wird er nicht gesucht. Dieser Umstand war zwar bestenfalls angetan die Unruhe ein wenig zu lindern, stand aber nach einem Vorsprechen bei der Admiralität Perricums wenigstens fest. Auch wenn die weiße Weste Williams sich nicht auf seinen Vater zu erstrecken schien.
Rasch schüttelte er den Kopf. Wichtiger als kriminelle Familienmitglieder waren jetzt seine Begleiter selbst. William war später am Tage zunächst nicht aufzufinden gewesen, hatte sich dann aber doch schon vor Garion wieder in der Festung eingefunden. Wie befürchtet zeigte er erste Anzeichen dessen, was der direkte Blick eines Erzdämonen mit sich bringt. Er fühlte sich unwohl, verfolgt, sein Gewissen plagte ihn – aber er suchte Befreiung davon, wollte sich den Kirchen der Zwölfe anvertrauen.
Kurz schloss er die Augen. Das war ein Punkt, an dem er Ruhe finden konnte. William hatte tatsächlich aus blanker Unwissenheit gehandelt. Keinesfalls wollte er seine Seele an eine Erzdämonin verlieren. Im Gegenteil – er war bereit dafür zu kämpfen, dass es nicht geschah. Sogar das Rondra-Vademecum hatte er gelesen, während Garion sich mit den anderen beraten hatte. Und die darauf folgende Nacht im Tempel Efferds, des direkten Gegenspielers Charyptorots hatte den … Seemann gestärkt an Seele, Glauben und Körper in den aufkommenden Morgen treten lassen.
Alles in allem war dieses Vorkommnis zu begrüßen. Garions Ruf innerhalb seines Ordens mochte unter Gefährten wie diesen gelitten haben, aber wenn er sich nicht gänzlich täuschte, hatte es William näher an die Götter und vielleicht sogar an Rondra im Speziellen gerückt. Und das waren ein paar schiefe Blicke in Arivor allemal wert.

Ein letzter Blick auf das Mordwerkzeug in seinen Händen genügte, um ihn davon zu überzeugen, dass er getan hatte, was er konnte. Er stellte die Klinge zurück an ihren Platz und ging zu Adamant hinüber, um sich seiner anzunehmen. Die geflammte Klinge war schon zweimal gebrochen und stets wieder zusammengesetzt worden. Zuletzt von Tarambosch, dem Angroschim, den er nun seit Jahren kannte und mit dem er beinahe ebenso lange zusammen wohnte. Seit der Zwerg sich der Waffe angenommen hatte, schien sie unverwüstlich zu sein.

Fragiler als die Waffe selbst erschien ihm inzwischen Vitus. Der Heiler hatte eine Vergangenheit als Straßenwächter und Deserteur – und das ausgerechnet in Perricum. Als Cyruion, der Elf den er vor Jahren kennengelernt und dann in einem Disput wieder verloren hatte, Garion mitgeteilt hatte, dass Vitus gesucht und er die Wache darauf aufmerksam gemacht hatte, dass er hier in der Stadt sei, hatte er sich zunächst gefragt, warum Vitus überhaupt hierher nach Perricum gekommen war. Hatte der Heiler nicht jede Möglichkeit besessen unauffällig seine Route zu ändern? Hätte er nicht ohne Ansehensverlust jederzeit seine Gefährten verlassen können? Inzwischen aber dämmerte es dem Geweihten. Vitus hatte seiner Strafe nicht ausweichen wollen. Er war Jahre lang vor seiner Schuld davon gelaufen. Und ganz gleich wie lange oder wie weit man vor seinen Problemen davon läuft – sie holen einen ein, sobald man rastet. Also hatte Vitus sich entschlossen sein Schicksal in die Hände der Götter zu legen. Zwar hatte er sich nicht selbst gemeldet oder seinen Gefährten anvertraut, aber er hatte sich auch sofort gestellt und nicht gewehrt, als Garion ihn auf den Steckbrief angesprochen und unter Arrest gestellt hatte. Und nicht einmal das hatte er ihm übel genommen. Im Gegenteil. Ruhig und gefasst hatte er dem Rondriten seine in Tuch geschlagenen Waffen überantwortet und mit ihm die Ankunft der Wache erwartet, der er dann ohne Widerstand gefolgt war.
Einen Augenblick ließ er von Adamant ab und sah hinüber in die Zimmerecke in der er die Bewaffnung Vitus‘ gelagert hatte. Es hatte ihn gereizt zu erfahren, was sich unter dem Tuch verbarg – aber es war nicht Recht gewesen, nachzusehen. Er hatte sich daher vorgenommen Vitus zu fragen, warum er die Klingen stets versteckte, sobald sich die Gelegenheit dazu ergab.

Bedacht nahm er die Waffenpflege wieder auf.
Die Verhandlung des ehemaligen Straßenwächters hatte Details zutage gefördert. Er hatte seinen Posten zum Schutz eines Wagens verlassen, um einer Frau zu folgen, ehe die Wachablösung angekommen war. Zwar gab es keine ersichtlichen Schäden, weder an Kameraden noch an dem Wagen, doch war Vitus die Last, die seinen Rücken beugte im Gerichtssaal deutlich anzusehen. Seine Verteidigung war lückenhaft und schwach – beinahe als habe er die Strafe nicht nur akzeptiert, als verlangte er sie sogar. Es war seltsam gewesen, obwohl Garion Desertation keinesfalls gut heißen wollte oder konnte, so hatte er doch seine Stimme zur Verteidigung erhoben. Im Nachhinein vielleicht ein wenig zu eindringlich, aber doch gerechtfertigt. Nicht nur, dass niemandem Schaden entstanden war – Garion kannte das Gefühl von einer Frau angezogen zu werden. Es hatte ihn in den Dschnungel verschlagen. Nach Al’Anfa und andere Landesteile, die er sonst sicher nicht freiwillig besucht hätte. Vielleicht, erkannte er, vielleicht hatte er vor diesem Gericht weniger Vitus als sich selbst verteidigt. Für eine Tat, die er zwar nie begangen, aber doch schon oft im Geist bewegt hatte.
Davon einmal abgesehen war es nun aber wie es war. Vitus war gegen die Zahlung einer Geldstrafe vorerst auf freien Fuß gesetzt worden und er würde für die Summe gerade stehen müssen. Und er wollte verflucht sein, wenn er ihm dabei nicht helfen konnte. Nicht, dass er den Mann lange gekannt hätte, aber in der kurzen Zeit, die sie nun zusammen reisten, hatte er sich als wertvoller Gefährte und kompetenter Heiler erwiesen – und das würde in Zukunft sicher noch öfter der Fall sein. Dazu kam, dass die Schuld, die Vitus als sichtbaren Makel auf seiner Seele trug ihn davon abhalten würde, jemals wieder einen Kameraden im Stich zu lassen. Das konnte er fühlen. Dennoch – oder gerade deshalb – würde er das Gespräch mit Vitus noch einmal suchen müssen. Wenn sie zusammen reisten, kämpften und bluteten, dann wollte er im Bilde über seine Begleiter sein.

Er schenkte der Klinge von Adamant einen letzten Blick und steckte sie weg. Ob Waffe oder Bindung zu einem Gefährten – beides lief ohne Pflege Gefahr spröde zu werden und im unpassendsten Moment zu zerbrechen.

Perricum 5 (Cyruion) (PER 1013)

Frühmorgens rang sich der Auelfenmagier ein Gähnen ab. Am Vorabend hatte er Thali beim Essen zugesagt, dass er sie selbstverständlich zur Morgenandacht begleiten würde. In einem kurzen Moment fragte er sich jedoch, ob es nicht klüger gewesen wäre doch auszuschlafen. Die Tage auf Reisen hatten an ihm gezehrt, obwohl der Delegation um die Meisterin der Senne Nord stets überall ein ausreichendes Quartier zur Verfügung stand.

Nach einem kurzen Stocken, einem beinahe irritierten Blinzeln, schien die Müdigkeit dann jedoch wie aus dem Gesicht des Schneiders gewaschen. Sicherlich wäre es komfortabel und schön, lange zu schlafen und zu regenerieren, doch hatten schon seine Eltern wie die Magister auch betont, dass nur der frühe Vogel den Wurm fangen könnte. Dieser Wurm hieß Perricum und schien es wert zu sein, kurz nach Sonnenaufgang den Tag zu beginnen. Es gab schließlich viel zu tun.

Doch musste sich der Elf zunächst des naheliegenden Problems zuwenden. Zwar empfand er den Gedanken, den Tag wie der Vogel anzufangen, generell als löblich… allerdings musste er sich dafür erst von seinen Fesseln lösen. Er hatte Narond am Abend zuvor gebeten, ihn besser zuschnüren, als ein Päckchen das er dem Beilunker Reiter übergab. Cyruion erhoffte sich davon nicht zur späten Stunde durch die Burg zu wandern und sich womöglich, versehentlich, das Genick zu brechen. Ein solcher Unfall wäre nicht schön und hätte die Stimmung zusätzlich getrübt. Der Rondra-Geweihte war der Bitte entsprechend nachgekommen.

Unglücklicherweise war Narond jetzt nicht zugegen, wie noch zur Zeit der gemeinsamen Reise. Auf umständliche Weise hatte Cyruion die Tür mehr mit dem Ellenbogen geöffnet, um dann nur mit einer Hose bekleidet in der Burg zu stehen.

Narond?“, fragte er in die Umgebung und sah sich um. Keine Reaktion.

Der Gedanke den ganzen Tag in Fesseln durch die Stadt zu laufen, ohne Hemd und ohne Schuhe, beunruhigte den Auelfen zusehends. Zumindest solange, bis ihm einfiel, dass er derzeit auf einer Burg gastierte und diese, so stand es in den Büchern, voll von Leben war. Tatsächlich dauerte es nicht lange, bis ein Knecht dem Elfen zur Hand gehen und seine Fesseln lösen konnte. Die verstörte Miene des unbekannten Knechts bemerkte der Elf wenn, dann nur am Rande und ging nicht weiter darauf ein.

Vielleicht war es unklug gewesen zu sagen, dass sein Freund ihn gefesselt hatte.

Den Kopf von der einen zur anderen Seite wiegend und leise summend, kleidete sich Cyruion kurz darauf an und begab sich in den Speisesaal des Gästehauses. Thali war noch mit ihrem Frühstück beschäftigt, doch erwartete sie ihn bereits. Die anderen, Narond und Rondrald, sah er nicht. Lediglich einige Löwenritter hatten sich zu dieser Stunde noch im Raum eingefunden. Doch die Gesellschaft der Geweihten genügte ihm vollkommen. Sie tratschten, ehe Thali fast schon beiläufig erwähnte, dass das neue Schwert der Schwerter am kommenden Tag eine Ansprache im Rondra-Tempel halten würde.

Das war interessant und er musste dort hin, denn wie oft konnten die langlebigeren Elfen mit den Menschen zusammen schon ein solches Ereignis begehen? Wer das neue Schwert der Schwerter wohl war, ob er einen guten Blick auf die Person erhaschen konnte, die bald das Leben von Thali, Garion oder Narond maßgeblich beeinflussen sollte und, oder konnte?

[…] Eine halbe Stunde später befanden sich die Beiden im Rondra-Tempel von Perricum. Allzu viele hatten sich am morgen nicht zur Andacht hierher begeben, in diesen riesigen Prachtbau. Das Gebäude hatte etwas an sich, das Cyruion in nahezu jedem Augenblick ins Staunen versetzte. Für gewöhnlich fielen Rondra-Tempel, so viel wusste er, nicht derartig monumental aus. Rondra war schlichter, weniger prunkvoll – Rondra war nicht Praios. Und dabei hatte er bis zu diesem Zeitpunkt nur einen Bruchteil dessen gesehen, was sie Tempel nannten. Überall lauerten verschlossene, teilweise bewachte Türen. Bei all den Gedanken um das Heiligtum verpasste der Auelf, in Gedanken schwelgend, beinahe die Andacht. Selbige nahm jedoch kaum fünf Minuten in Anspruch, ehe die Gläubigen bereits wieder ins alltägliche Leben entlassen wurden.

Tatsächlich hatte er sich in diesem Tempel unter einer Andacht mehr vorgestellt, als ein kurzes Gebet an die Göttin Rondra. Doch pflegte man selbst in Perricum wohl noch die bekannten Tugenden und ließ nicht alles ausschweifen, so wie beim Tempelbau.

Sachte hoben sich seine Schultern an und an Thalis Seite verließ er den Tempel. Sie hatte anderen, unbekannten Geweihten und Löwenrittern bereits im Speisesaal zu verstehen gegeben, dass sie nach der Andacht noch etwas bummeln wollte. Cyruion hatte sich selbstverständlich angeboten, ihr Gesellschaft zu leisten. Ohnehin war sein Vorhaben für diesen Tag, etwas von Perrcum zu sehen.

[…] Gemeinsam flanierten die Beiden durch die Stadt, allen voran auf der Suche nach einer speziellen Gewandung für Thali. Soweit er wusste, handelte es sich dabei um eine Kombination aus Bluse, Tuch und Unterrock, was der gemeine Aranier als Sari bezeichnete. Er selbst kannte die aranische Mode nicht sonderlich gut. Selten verirrte sich ein Mann aus dem Süden nach Donnerbach und in Gareth sah man sie ebenfalls selten, doch selbst wenn, kamen sie dann zumeist eher aus anderen Regionen als Aranien.

Cyruion ließ die Eindrücke auf sich wirken, sich von der Perricumer Mode einnehmen. Insbesondere ein blauer Kaftan samt Tunika mit einer Zierrankenborte weckte dabei sein Interesse, ein Stück von guter Qualität und außerdem für nur acht Dukaten zu erwerben. Ohne mit der Wimper zu zucken, hatte er dem Aranier das Geld übergeben und sich über die neue Inspiration, sowie Bekleidung für wärmere Tage oder Aufenthalte im Süden gefreut.

Thali hingegen hatte weniger Glück. Zwar stieß sie beim selben Aranier auf den herbeigesehnten Sari, doch stand ihr dieser, wie Cyruion und sie rasch erkannten, leider nicht besonders. Die Geweihte sah dem jedoch gelassen entgegen: Hauptsache sie hatte das versucht, was sie schon immer wollte. Aufmunternd lächelte der Magier seiner Begleiterin zu und versicherte, dass er schon etwas anderes für Thali finden oder kreieren würde, sobald sie wieder in Donnerbach waren.

[…] Eine Dreiviertelstunde später begaben sich Thali und Cyruion auf den Weg zurück Richtung Löwenburg. Der auelfische Schneider war an einem weiteren Stand auf Farben und Stoffe gestoßen, wobei er lediglich bei zwei Rechtsschritt blaugrauen Leinenstoffes nicht widerstehen konnte. Mit diesen Lagen wollte er sein Reisegewand, um sich vor Regen oder ähnlichem zu schützen, zumindest um eine Art von Gugel ergänzen. Es hatte schon seine Vorteile Schneider zu sein.

Dann jedoch stockte Cyruion, auch Thali hielt inne und sah fragend zu dem Elfen neben sich. Nur den einen oder anderen Moment hatte er bislang in der Nähe von Garion und seinen Begleitern verbracht. Es hatte ausgereicht, um sich die Namen und Gesichter der Personen zu merken, wie auch ihre grobe Berufung. Geweihter, Seefahrer, Heiler. Der Blick des Elfen aus Donnerbach hing an einem vergilbten, der Witterung zum Opfer gefallenen Steckbrief in einiger Distanz. Während er sich diese eine Sache näher ansehen wollte, verabschiedete sich Thali und begab sich alleine zurück zur Burg.

Cyruion hingegen trat zielgerichtet auf das Brett zu, an dem eine Menge Steckbriefe angeschlagen waren. Ein wenig untergegangen, mittendrin, offenkundig älter und länger nicht gepflegt: der Aushang, der ihm aufgefallen war, der ihn, je länger er ihn betrachtete, nur mehr an Vitus erinnerte.

Diese Augenpartie.

Die Brauen zusammenziehend wanderte sein aufmerksamer Blick weiter hinab.

Vitus Arres
gesucht wegen Fahnenflucht

Vitus Arres, so war doch der Name von Vitus? Vielleicht war es besser derlei zu melden. Rasch sah er zur Seite, doch erblickte er keinerlei Wachen. Die Ohren des Elfen zuckten jedoch. Auffällig war, dass rechts vom Brett eine Gasse abging, aus der eine beachtliche Lautstärke drang. Nichtsahnend, wohin er sich begab, folgte er dem Weg – und fand sich schließlich auf einem Innenhof wieder.

„Entschuldigung?“, fragte er jene Person, die von allen am lautesten schien.

Ein zackiges „Wer seid Ihr und was wollt Ihr hier?“ später, begann der Elf sich zu öffnen.

„Ich glaube, ich habe jemanden von Euren Steckbriefen gesehen.“

Umgehend wurde er gebeten, der unbekannten Gestalt zu folgen und wurde mit einigen, wenigen Fragen gelöchert. Um welche Person es ging, wann er diese zuletzt gesehen habe, mit wem…

„Kann ich eine Abschrift haben?“

„Eigentlich wollte ich das erst einmal prüfen, ob er das ist.“

„Die Augenpartie auf dem Bild gleicht seiner sehr.“

„Es geht um Vitus Arres.“

„Er reist zusammen mit einem Rondra-Geweihten, Garion.“

„Die beiden wohnen auf der Ordensburg der Ardariten.“

„Das letzte Mal habe ich ihn heute Morgen gesehen, bei der Andacht.“

„Ich habe ihn erst gestern am Tor kennengelernt.“

Danach wurde der elfische Schneider bereits entlassen und verließ den Hof mit einer Abschrift des Steckbriefs in der Tasche. Während er aus dem Hof noch lautes Übungsgetöse vernahm, blieb ihm die Zeit, seine Vermutungen zu prüfen. Falls er richtig lag, war es richtig die Stadtwächter von Perricum zu informieren. Er hätte zuvor mit Garion sprechen können, aber dann würde Vitus vielleicht fliehen. Er wurde hier gesucht. Er musste ein Verbrecher sein, auch wenn dem Elfen nicht klar war, wie schwer Fahnenflucht bei den Menschen generell oder insbesondere in Perricum überhaupt wog.

[…] An der Ordensburg der Ardariten angelangt, teilte man ihm mit, dass Garion gerade nicht zugegen wäre, doch einige andere bereits im Speisesaal auf ihn warteten. Cyruion packte die Gelegenheit beim Schopfe, zunächst seine Errungenschaften vom Markt in sein Zimmer auf der Löwenburg zu bringen. Der Weg war glücklicherweise nicht besonders weit.

Anschließend begab er sich zurück zur Ordensburg. Dort angekommen, traf er neben William und Vitus auch auf eine Frau, die Ness genannt wurde, und die sich offenkundig interessiert mit William beschäftigte. Vitus erzählte, dass William offenbar den Namen der Widersacherin Efferds mehrfach ausgesprochen hätte und nun beschlich den muffigen Seefahrer das Gefühl, dass er von etwas verfolgt wurde. In einem weniger ernsthaften Moment hätte er sich vielleicht noch einen Scherz abgerungen, dass es sich dabei bestimmt nur um einen Vertreter für Badeöl handelte, der William als Goldgrube betrachtete.

Doch soweit Cyruion wusste, waren die erzdämonischen Widersacher ein nicht zu verachtendes Problem und entsprechend schilderte er auch das, was er über sie und ihre Wirkung zu sagen wusste. Dass sie nach der Seele des Betroffenen angeln würden; dass sie überall Köder auslegten und selbst etwas Gutes, das demjenigen passierte, zu noch viel schlechteren Dingen führen konnte und seine Seele am Ende in den Niederhöllen landete; dass der Tod bei weitem nicht das Schlimmste war, was einen erwartete.

Einige Minuten später kam auch Garion hinzu, der William mit Tarambosch zum Efferd-Tempel geleiten wollte. Jene, die Efferd dienten, konnten vielleicht die beste Hilfe leisten, wenn es doch um seine Widersacherin ging. Bevor sie jedoch aufbrachen, nahm der Auelf den Ardariten zur Seite und zeigte ihm die Abschrift des erhaltenen Steckbriefes.

„Ich glaube das ist Vitus.“

„Ich habe die Stadtwache bereits informiert.“

„Von dort habe ich die Abschrift. Es hing in der Stadt aus.“

Der Geweihte kräuselte die Stirn und zog die Brauen zusammen. Cyruion konnte sich nur vorstellen, was in ihm vorging. Erst diese Probleme mit William, der sich einer Erzdämonin aus unerklärlichen Gründen anbiederte und ihren Namen offen aussprach, dann ein altes Problem das den Heiler einholen würde.

[…] Es vergingen einige Minuten, in denen Räume verlassen und weitere Worte gewechselt wurden. Und noch ehe Cyruion auf die Löwenburg zurückkehren konnte und die ganze Gruppe um Garion die Burg in Richtung Efferd-Tempel verlassen hatte, wurden sie von einem Löwenritter gestört, der tatsächlich den Besuch der Stadtwache ankündigte. Nach all den Jahren schienen sie weiterhin interessiert daran, solche wie Vitus dingfest zu machen.

Vitus stellte sich, dennoch legten sie ihm die Eisen an.

Vitus stellte sich, dennoch würde er die nächste Nacht in einer Zelle verbringen.

Vitus stellte sich, doch Cyruion fragte sich, ob es nicht klüger gewesen wäre, zunächst mit Garion über die Angelegenheit zu sprechen, statt doch direkt zur Wache zu gehen. Besonders im Hinblick auf das Problem mit William war die Sache um Vitus gerade ein unnötiger, kalter Tropfen auf einen heißen Stein.

Hätte er die Angelegenheit nicht anders, nein, besser klären können?

Vielleicht gaben sie ihm deshalb, für gewöhnlich, nur kleinere Aufgaben am Seminar.

Mit gemischten Gefühlen machte sich Cyruion auf zur Löwenburg, in sein Zimmer, in den Speisesaal, um dort den restlichen Abend in der Nähe seiner ursprünglichen Begleiter zu verbringen. Am nächsten Tag würde es, so Thali, gegen Abend die Ansprache des Schwertes der Schwerter geben und lange davor sollte in Perricum über Vitus‘ Zukunft entschieden werden.

Er war ein Verbrecher – aber auch ein Freund von Garion.

In dieser Nacht waren die Fesseln gelöst, doch die Tür verschlossen.

Ein Glück für den Elfen, der das erste Mal seit Reisebeginn einen sehr bewegten Schlaf hatte…

Perricum 4 (Cyruion) (PER 1013)

Einige Minuten hatten die Geweihten und ihr elfischer Begleiter an den Toren von Perricum zugebracht und waren dabei auf eine weitere Gruppe gestoßen, in deren Mitte niemand geringeres stand als Garion von Arivor. Die Mundwinkel des Auelfen zuckten vor Freude nach oben und ein Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. Der Geweihte war ebenfalls in Perricum, bei diesem Anlass wohl keine Überraschung, aber dass sie sich ausgerechnet am gewaltigen Stadttor begegneten, konnte doch als ein glücklicher Zufall betrachtet werden.

Noch ehe er seinen alten Freund in die Arme schloss, warf Cyruion einen Seitenblick auf die Weggefährten des Bronnjaren. Er hatte seine Vorliebe für sonderbare Mitstreiter offenbar beibehalten, denn dem Elfen wurden nacheinander ein Heiler namens Vitus Arres, der für einen von seiner Berufung erstaunlich blass um die Nase war und zu kränkeln schien, und ein kleiner Angroschim namens Tarambosch vorgestellt. Und dann war da noch William, dem Cyruion begegnet war, der schon aus der Ferne wiederholt nach dem Ardariten gerufen hatte, als sie seiner Gewahr wurden. Immerhin schuldete Garion ihm noch bare Münze oder war ein alter Freund.

Für den Auelfen stand bei William eines im Vordergrund: der Geruch. Leider haftete an Garion und seinen Gefährten ein ähnlich bedrohlicher Geruch, doch konnte ein Schluck aus dem Wasserschlauch den Magen, die Galle und womöglich auch andere Körperteile des Elfen zunächst beruhigen und er sich beherrschen, nicht noch mehr von sich vor Perricum abzusondern.

„Ihr solltet ein Bad nehmen“, empfahl er der Gesellschaft bereits nach kurzer Zeit.

Wie hielten es diese Menschen nur miteinander aus?

Störten sie sich nicht an diesem, gerade wenn er an William dachte, bestialischen Geruch?

Vielleicht war es bei einigen Menschen so, dass der mit dem strengsten Geruch am Ende das Mädchen bekam, doch von den Geweihten um Ardare, Donnerbach und anderen Städten war er bislang eigentlich anderes gewohnt. Mit verlausten Seefahrern, Angroschim und bornländischen Geweihten hatte er bislang allerdings noch nicht allzu viel zu tun gehabt. Cyruion wurde für einen Moment nachdenklich, während er unweit des Ardariten den Weg fortsetze – wenn auch naserümpfend. Er folgte der Delegation aus Donnerbach bis auf die Löwenburg, wohingegen Garion bereits bei der nahegelegenen Burg der Ardariten abbog und sich die Wege der Beiden, zumindest für den Moment, trennten. Diesen Umstand konnte der auelfische Magier jedoch verkraften, da er ohnehin alle Mühe hatte die Eindrücke von Perricum zu verarbeiten. Eine Burg unweit der nächsten Burg. Perricum drohte den Elfen förmlich zu erschlagen. Alleine die Löwenburg, auf der er Quartier bezog, erweckte den Eindruck von solchem Ausmaß zu sein wie das Dominium. Dazu standen in der Stadt eben noch mehr Burgen. Burgen – oder der, verglichen mit Gareth oder Donnerbach, monumentale, überragende und imposante Tempel der Himmelsleuin.

Ein Rondra-Tempel, der in Aventurien wahrscheinlich seinesgleichen suchte.

In Gareth wäre ein solcher Monumentalbau wahrscheinlich direkt als Stadt der Ehre bezeichnet worden.

Für die hinreichende Erkundung dieser Stadt würde er Wochen, wenn nicht Monate benötigen, so viel war ihm klar.

Auf dem Zimmer angekommen, das eher funktional eingerichtet war und nur einen Ausblick bis zur nächsten Häuserwand bot, ließ sich der Elfenmagier mit Liebe zum Stoff auf der Bettkante nieder und verschnaufte einige Augenblicke, ehe er damit begann sich häuslich einzurichten. Zumindest jene Tage auf der Burg wollte er sich doch wohlfühlen und voll auskosten. Doch mit Garion musste er sich auch treffen. Immerhin hatte der Ardarit gesagt, dass er seit geraumer Zeit nicht mehr mit Lanyana reiste und irgendwann den kleinen Angroschim kennengelernt hatte. Zudem hatten die Ardariten ebenso eine Burg in dieser Stadt, die die Neugier des Elfen weckte. Ob sie wohl ähnlich groß war wie die Burg, auf der er selbst nächtigte und speisen würde?

Perricum stand ihm jedenfalls offen. Doch die Frage, die er noch beantworten musste, war jene nach dem Anfang. Wo sollte er überhaupt beginnen, Perricum und seine Eigenheiten zu ergründen? Die Geweihten, so viel hatten ihm Narond und Thali anvertraut, hätten kurz nach der Ankunft noch eine Besprechung. Damit blieb ihm, der er nur einen Begleiter darstellte, den kirchliche Belange höchstens aus eigenem Interesse betrafen, umso mehr Zeit für sich.

Und da seine Gedanken ohnehin noch um die Burg kreisten, war es wenig verwunderlich, dass er sich tatsächlich zunächst eben jener annahm. Er ließ einige Zeit verstrichen, beim Versuch den bestmöglichen Ausblick von der Burg über Perricum und vielleicht auch auf das Meer zu erhaschen. Viel mehr konnte er an diesem Tag ohnehin nicht mehr tun. Am Morgen darauf gab es eine Andacht, dieser würde er beiwohnen, danach war er wieder für alles offen. Rondragefälliges, ehrenhaftes Tun, Neugier oder Abenteuer. Möglicherweise würde er auch den Heiler von Garion besuchen, wenn sich sein Zustand nicht bessern sollte. Irgendjemand musste dem jungen Volk doch das Handwerk beibringen und obendrein sicherstellen, dass der Heiler in guter Form war, wenn er sich ausgerechnet um einen Freund kümmern durfte.

Federnden Schrittes verließ der Elf, von Neugier geleitet, sein Zimmer, um sich in der Höhle des Löwen umzusehen…

Perricum 3 (Vitus)

Vitus gelangte langsam zurück in die Ordensburg und genoss die Morgensonne auf seinem Gesicht. Er hatte sein Schicksal in die Hände der Götter gelegt und nun war er wieder hier in Perricum. Er hatte seit langer Zeit wieder einer Andacht beigewohnt und konnte seine Gedanken ordnen. Die Schwerter, besonders jenes aus Endurium, würden bei seinem Ableben oder einer Festnahme hier her gelangen. Dieser Tatsache war er sich sicher, besonders wenn er Garion darum bitten würde.

Gemeinsam nahm man das Mahl nach der Andacht in der Ordensburg zu sich. Die Frau mit der Garion sich im Tempel unterhalten hatte, setzte sich zu ihnen und sie stellte sich mit Ness ni Daire vor. William versuchte mit seinem Charme die schöne Ness von sich zu überzeugen. Diese jedoch hatte mehr Augen für Garion und schien ein recht diszipliniertes und kühles Dasein anzustreben. Das Gespräch kippte schneller als Vitus es mit bekam. William sprach von Gottheiten und nannte einen für Vitus unbekannten Namen. An den Reaktionen von Garion und Ness ni Daire erkannte er, es musste sich um eine Gotteslästerung handeln. William wiederholte auf Nachfrage den Namen, als wäre er unwichtig. Ness wäre ihm beinahe mit ihrer Waffe an den Leib gegangen. Jedoch konnte Garion sie gerade noch davon abhalten. Vitus verstand mit Hilfe der Geweihten, dass dieser Name von einem Erzdämon stammt und beim dritten Mal ausgesprochen einer Anrufung gleich käme. Garion entfernte William aus dem Speisesaal und ließ Vitus mit Ness  zurück.

Ness ni Daire zeigte Gefühle, auch wenn es nur Wut war. Vitus erkannte, dass sie sich Sorgen um Garion machte und wurde in diesen Gedanken bestärkt. Ness fragte nach der Reise mit Garion und wie Garion solche Leute kennen konnte. Vitus sah die Liebe in ihr, vielleicht von einer Schwester zu einem Bruder oder gar mehr? Garion und sie kannten sich auf jeden Fall. Sie wollte alles wissen, dabei hatte Vitus nicht viel zu erzählen und wollte sich auf seine Gedanken konzentrieren. Als auch Ness langsam ihren Pflichten wieder nach ging, blieb Vitus in der Ordensburg allein. Er war ohnmächtig einen Schritt aus diesen Räumlichkeiten zu den Straßenwächtern oder Gardisten zu machen. Tarambosch und Garion verließen die Burg, um nach William zu suchen.

Am Nachmittag kam Willian zur Ordensburg und konnte sich mit dem Namen von Garion von Arivor Zutritt verschaffen. Dabei geriet er jedoch an Ness ni Daire. William fühlte sich verfolgt und beteuerte, dass ein Schatten ihn verfolgen würde. Die sonst kühle Ness nahm diese Bedrohung sehr ernst und begann damit für William einen Unterschlupf zu finden. Er sollte mit dem Glauben Rondras geschützt werden. Vitus kam auf William zu, aber er wusste nicht, was er zu ihm sagen sollte. Er versuchte immer wieder Ansätze, ihn zu beruhigen, jedoch schien Vitus mit seiner unausgeglichen Art nicht viel zu bewirken. Vitus beschwichtigte William, dass ihm hier sicher geholfen werden könne. Immerhin beruhigte es ihn sich soweit, dass man sich auf eine Steinbank setzte und auf Ness wartete. Während dieser Zeit kamen Garion, Tarambosch und Cyruion dazu. Man berichtete von Williams Angst und versuchte eine Lösung zu finden. Diese Unterhaltung wurde jäh unterbrochen von Ness, die nun drängte in die Burg in ein Zimmer zu gehen.

Kaum im Zimmer angekommen bat Garion Vitus auf den Flur zu einer Unterredung. Garion zeigte Vitus einen neuen Steckbrief und die Sonne verfinstere sich für ihn. Vitus Gesicht verzog keine Miene mehr und er nickte nur noch. Er hatte im Tempel bereits der Göttin offengestellt ihn zu bestrafen. Man ging in Garions Zimmer in der Burg mit Tarambosch. Garion und Tarambosch schienen angespannt, aber von Vitus fliehen langsam die Sorgen. Seine Reise würde nun hier enden.

Vitus legte die Waffen in Garions Hände mit dem guten Gefühl, dass diese wenigstens noch etwas bewirken konnten. Die Schritte durch die Stadt zur Wache und in die Zelle waren nicht so schwer, wie die Enttäuschung, die er in den Augen von Garion und Tarambosch gesehen hatte. Beim Weg zur Zelle begann es langsam zu regnen. Efferd schenkte William ein Zeichen, dass seine Seele gerettet werden würde. In der Zelle angekommen, die wie zu erwarten nur kleine mit Gittern gesicherte Fenster in der Mauer und eines in der Holztür aufwies, setzte sich Vitus auf den Holzhocker hin. Sein Blick war leer geworden und auf den Boden gerichtet. Er begriff langsam, dass seine Abenteuer hier enden würden.

Der Regen hörte die ganze Nacht nicht auf und das Wasser floss an den Wänden, tropfte vom Fenster her in die Zelle. Diese Geräusche schienen wie Kriegstrommeln zur Hinrichtung. Vitus wusste, dass nach diesem Verrat keine Hilfe oder Anfrage bei Garion oder Tarambosch gerechtfertigt war. Er wollte jedoch eine andere Schuld begleichen und Boromir, seinen alten Weggefährten und Kameraden bei den Straßenwächtern, bei der Verhandlung haben. Damit dieser hören konnte, was geschehen war. Nach dieser letzten Tat waren alle Schulden auf Dere bezahlt und der Weg in Borons Hallen wäre kein schwerer mehr.

Am Morgen erbat Vitus, dass man nach Bormir schicken würde. Bei Bormirs Anblick hätte Vitus lieber einen Schlag ins Gesicht erhalten, als die Worte die er ihm sagte. Jede körperliche Wunde wäre zu ertragen gewesen, aber diese Verletzungen rissen alte Wunden auf und ließen jedes Wort in der Kehle verklingen.

 

Nach diesem Besuch war Vitus kaum im Stande noch über die Zukunft nach zu denken, er dachte an die schönen Tage seiner Kindheit und die Tage als Wächter der Straßen zurück. Er erinnerte sich an Eide und Gesetze vergangener Tage und an die Worte, die er in der Nacht einige Male wiederholte um seiner Schuld gerecht zu werden.

Die Schuld ist mein!
Mit Wort und Tat werde ich abbüßen, was ich Schlechtes getan habe.
Leite mich, damit ich das Gute vom Schlechten unterscheiden kann,
und damit ich für all jene, die meiner Hilfe bedürfen, nur das Beste leiste,
und damit ich meine Schuld an dir und deinen Geboten für immer reinwasche.
Dein Wille sei mein Befehl.

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