Neferu
Grangor 1 (Neferu) ( –––)
Neferu ließ sich an der übermannshohen Steinmauer, welche den kaum von außen zu erahnenden Gartenbezirk des Efferdtempels abtrennte, langsam und in nachdenklicher Zögerlichkeit herabsinken.
Auf die gleiche Art und Weise taten es ihre Lider dem in sehr eigen und fast archaisch zusammengeschneiderten roten Kleidern steckenden Körper der Phexgeweihten nach.
Tief durchatmend verharrte sie eher erschöpft als aufrecht auf dem kopfsteingepflasterten Boden, den Rücken an den kühlen Stein der aufragenden Abgrenzung gelehnt.
Die letzten vier Monaten hatten sie nach ihrer eigenen Einschätzung zu einem neuen, anderen Menschen geformt, sinnierte sie in theatralisch angehauchter Grübelei.
Während sie mit geschlossenen Augen und umwölkter Stirn die Kälte des Untergrundes in ihrem Leib heraufkriechen ließ, was ihr eine Gänsehaut bescherte, drangen leise und dennoch einvernehmend die Laute der Gartentätigkeit jenseits der Mauer in ihr Ohr. Die metallene kleine Schaufel drang ruckartig in die Erde, welche anschließend beiseite geräumt wurde. Kurze Zeit Stille, dann das Festklopfen des Bodens.
Die Gänsehaut, die steil aufrecht auf ihren Armen prangte, wurde zu einem Frösteln, welches sie in sekundenschnelle und nur den Bruchteil eines Augenblicks durchflutete.
Phexdan. In ihrem Kopf rumorte es und die Bilder der letzten Tage und Wochen drangen ohne Warnung auf sie ein. Sie war aufgrund eines Auftrages nach Grangor gekommen, einem Ort von dem sie zuvor nur vage gehört hatte. War das Ziel, welches sie in besagter Theatralik beinahe schon als ihren göttergewollten Auftrag betrachtet hatte in der Vergangenheit Maraskan gewesen, so schwand dieses ehemalig drängende Gefühl diesen Ort betreffend Tag für Tag, während es von ihren Erlebnissen in der Kanalstadt Grangor erbarmungslos übermannt wurde.
Im Schnelldurchlauf ließ sie das Geschehene in ihren Gedanken noch einmal Wirklichkeit werden. Richard und sie waren mit der Nereide, einem Grangor-Hai in wenigen Tagen von Ferdok zu ihrem Ziel gelangt um einen der Altvorderen vor einem Serienmörder zu schützen, welcher sich als alte Druidin herausstellte, die bei Archon Megalon gelehrt worden war und die den unrechtmäßigen Tod ihres Sohnes an den damals Verantwortlichen rächen wollte. Neferu hatte Verständnis für das Handeln der Frau, aber dennoch hatte sie sich entschieden, diese fremde, aber augenscheinlich freundliche Person gemeinsam mit Richard ans Messer zu liefern.
Während der Ermittlungen, bereits am ersten Tag in Grangor war ihr einer der vielen Bettler aufgefallen, die in der Stadt der Wasserstraßen wie Könige zu residieren schienen. In der Nähe eines Schneiders hatte er seinen Platz. So wie er da saß, schätzte sie den Schwarzhaarigen nicht groß, vielleicht einen Finger höher gewachsen als sie selbst und ebenfalls nicht alt, vielleicht einen oder zwei Götterläufe mehr als ihr Alter betrug. Anfang zwanzig mochte er also sein und lockte mit seinem einnehmenden Äußeren die Passanten, dessen Spenden er mit einem uneinschätzbarem Lächeln quittierte. Seine Kleidung war schäbig und zum Teil zerrissen, das kurze Haar umgab struppig sein Haupt und auch sein Bartwuchs, den er seit mindestens einer halben Woche nicht gestutzt hatte, vermittelte den Eindruck einer gewissen Verwahrlosung, aber trotzdem passte sein den Augen schmeichelndes Erscheinungsbild nur schwerlich in die Szenerie der Alten und Krüppel, deren Bild man gemeinhin von Bettlern im Kopf hat.
Neferu kannte den Wissensschatz solcher Obdachlosen nur zu genau und so fokussierte sie den jungen Mann an und schritt mit zielgerichtetem Tunnelblick geleitet von ihrem Begleiter Richard auf ihn zu.
Wenn sie im Nachhinein darüber nachdachte, so hatte sich bereits beim ersten Blick ein Magnetismus ausgewirkt, der sie unweigerlich zu ihm gezogen hatte und nicht zu einem der vielen anderen hundert Bettler von Grangor.
Mit seiner Hilfe und seinen Informationen, die sie ihm gut bezahlte, lösten sie die Mordfälle. Währendessen kreuzten sich immer wieder ihre Wege. Na gut. Sie musste zugeben, ab und an ließ sie sie absichtlich kreuzen. Bei dem Gedanken, dass sie sich die Blöße geben könnte einem Mann ernsthaft nachzustellen, verzog sie ihre nachdenkliche Miene in deutlichem Unbehagen und erhob sich mit einem ertappten Blick zur Pforte, die in das Garteninnere führte, wo Phexdan sich noch immer um das Gedeien der Pflanzen bemühte.
Es gelang ihr sich von der Wand zu lösen, die zwischen ihr und dem Fuchs stand. Mit jedem Schritt widerstrebend, aber entschlossen entfernte sie sich. Die Richtung war ihr einerlei, nahm sie Grangor ohnehin nur durch den rauchigen Schleier ihrer eigenen Gedankenwelt war.
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