Perricum

Perricum 11 (William) (PER 1013)

Das modernde, dustere Holz wurde von einer einzelnen Kerze beleuchtet. In großem Kontrast zu dem Leinen-Vorhang, der schon gemütlicher unter dem Kegel der Kerzenflamme wirkte. Der Vorhang trennte diese, sonst hölzerne Höhle von dem Rest der ärmlichen Hütte und versuchte den Rest der Wärme am gehen zu hindern.

Der Raum war nicht allzu groß und nur spärlich eingerichtet. Ein kleiner Stuhl, ein Nachttisch und das Bett, auf dem sich Heidelinde und William niedergelassen hatten. An der Wand spielte die Kerze mit ihren Körpern. Ihr Schatten verschmolz mit dem seinen, auch wenn sich ihre Körper auf dem Bett nicht berührten.

William runzelte die Stirn bei dem Gedanken, wie schnell Körper hitziges Feuer entwickeln und wie schnell sie wieder akühlen konnten, als wäre nie eine Flamme gelodert. Auch vorhin hatte der heißhunger, die Lust beider aufeinander die Zeit so schnell verschlungen, wie ein loderndes Feuer einen dünnen Holzscheid. Das einzige Vermächtnis der Liebe beider war sein leicht mit Schweiß verklebter Körper und das feuchte Bettlaken.

Sein Blick wanderte von dem Schattenspiel zur Decke und er atmete einmal kräftig durch. Wieder eine neue Decke, stellte er in Gedanken fest. Wieder ein anderer Ort. Zumindest wusste er, wo er war und hatte zu allem Überfluss sogar einen Plan. Sein Mund hatte sich zu einem Grinsen verzogen, als er daran dachte, was er hier in Perricum alles anstellen könnte. Dann wanderte sein Blick wieder zu Heidelinde. Er biss sich leicht auf seine Lippe. Irgendwie musste er sich nur erst einmal hier herauswinden. Sie war schön anzusehen, staunte er, als hätte er anderes erwartet. Ihre Haut glänzte hier und da von eingetrockneten Schweißperlen im Kerzenlicht. Ihr Oberkörper hob die Leinen-Decke. Jeder ihrer sanften Atemzüge deckte ein wenig mehr von ihrem Arm frei, versteckte diesen aber auch gleich wieder. Seine Blicke brauchten nicht lange, um von diesem harmlosen Gedanken wieder Richtung Rahjasbrunst zu stoßen, als er betrachtete, was die Decke noch so alles verbarg. Er ließ jedoch schnell ab, hatte er doch nun die Gelegenheit sich hier und jetzt schnell aus dem Staub zu machen.

Seine Augen suchten den Raum methodisch ab. Schuhe, .. Lederhose, .. Hartledertaschen, .. Säbel. Er stutzte kurz. Warum hatte ich meinen Säbel mitgenommen? Verwarf den Gedanken und schaute weiter, bis er sämtliche seiner Sachen erblickt hatte. Wie eine Schlange zog er sich aus dem Bett heraus ohne dieses zu sehr zu erschüttern. Er hielt kurz inne, erstarrt wie eine Statue, um zu prüfen, ob Hildelinde aufgewacht sei. Schnell überlegte er sich eine Ausrede wie, dass er pinkeln müsste oder sein Rücken verzerrt ist. Als Hildelinde sich nicht regte, atmete er erleichtert aus, nur um wieder erstarrt zu ihr zu blicken, als der Atemzug lauter war, als beabsichigt. Sie schien jedoch tief und fest zu schlafen. Verständlich, hatten sie sich sehr innig und sehr feurig geliebt. Er erschrak, als er sich erinnerte, wie unerfahren sie war und fühlte sich schlagartig tiefschuldig. Oder aber sie war nur eingerostet, seufzte er leicht. Möge Saturahja mir verzeihen, doch sie wollte es ja. Das schlechte Gewissen verschwand so rasch, wie es über ihn hereingebrochen war und sein Gemüt erheiterte sich wieder. Sie wollte es ja!, wiederholte er zu sich, wie ein freudiges Kind, dass seinen ersten eigenen Kreuzer in der Hand hielt. Und es war ausgesprochen schön, fügte er in Gedanken hinzu.

Derweil war er vollkommen bekleidet und rückte seine Sachen zurecht. Sein Blick wanderte noch einmal über ihren Körper. Nachdem er ihr einen leichten Kuss auf den Oberarm gegeben hatte und die Decke etwas schützender über sie zog, spähte er durch den Vorhang. Ihre Mutter war nicht wach. Ob sie die ganze Zeit geschlafen hatte? Sie waren nun doch etwas lauter beim fröhnen Saturahjas, doch vielleicht hat gerade diese ihre Liebschaft geschützt? Ein leichtes Röcheln Heidelindes Mutter wirkte wie eine Antwort auf seine Vermutung. Seine Augen wanderten durch den Vorhang zur Tür. Dann schlich er hinaus.

Perricum 10 (Cyruion) (PER 1013)

Nachdenklich betrachtete Cyruion Garion. Doch in diesem Moment sparte er sich trotz aller Neugier eine Nachfrage. Es war sicherlich nicht der richtige Moment, eine andere Wunde mit Salz zu bestreuen und zu sehen, wie unglücklich die Reaktion darauf vielleicht ausfiel. Ohnehin waren die Tage in Perricum bislang eine einzige Ablenkung gewesen, so dass es sowieso falsch erschien nachzubohren, weshalb sein Weg nicht steiler verlaufen war. Eben gerade vielleicht wegen der vielen Ablenkungen? Zumindest wollte Cyruion jetzt keine darstellen.

In die Rolle der Ablenkung würde sicherlich bald eine andere Person schlüfen, mit Wonne. Vitus schien mit seiner zweifelhaften Vergangenheit in Perricum prädestiniert dafür und William, nun, vielleicht. Dem Blick auf das Wesen des Piraten, Seeräubers und liderlichen Mannes war geschuldet, dass sich Cyruion über einen Umstand im Klaren war: William gab vor dümmer zu sein, als es der Wahrheit entsprach. Er war befähigt zu kämpfen, oder zumindest seine Haut zu retten, bis es an der Zeit für die Flucht war. Auch eine gewisse, handwerkliche Befähigung war dem Mann mit zerschlissenen Kleidern – im Gegensatz zu Bücherwissen – zu attestieren. Womöglich ging es dabei um solcherlei Dinge, die er sich selbst beigebracht oder auf See gelernt hatte, wie etwa eine Planke zu schrubben oder notdürftig zu reparieren.

Dann stockte der auelfische Schneider und sah aus dem Augenwinkel in Richtung des monumentalen Portals des Tempels, in dem sie immer noch standen. Eine Person, die den Eindruck machte auf und ab zu gehen, sich nach etwas umzusehen, vielleicht nervös war. Sein Gebahren passte nicht ganz zu dem, was andere taten: den Tempel schlicht verlassen. Doch vielleicht wartete er auch nur auf seine Begleiter, obgleich der Mann in feinem Zwirn nicht unbedingt den Eindruck machte, als gehörte er einer Schicht an die oft oder sonderlich gerne wartete. Cyruion zog die hellen Brauen zusammen und sah wieder in die Runde.

Unlängst hatte er den Gesprächsfaden verloren, weshalb er sich lediglich die Mühe machte die Gruppe während einer Gesprächspause, einem kurzen Moment des Schweigens nur,auf die Gestalt am Eingang aufmerksam zu machen. Wenig verwundertlich war, was folgte, dass zumindest der Geweihte ein reges Interesse zeigte die Gestalt zumindest zu fragen, ob sie Hilfe benötigte oder vielleicht etwas anderes brauchte?

Zügig stellte der Fremde klar, dass er auf die Mischung aus Geweihtem, Angroschim, Elfen und anderen, recht willkürlich aussehenden Menschen aufmerksam geworden war und tatsächlich Hilfe benötigte. Er, der sich als Valadus von Darrenfurt vorstellte, kam nach eigener Aussage aus Perricum. Und er benötigte Hilfe? Ein Hauch von Neugier veranlasste den Elfen dazu, den anderen zu folgen und sich die Sorgen des Darrenfurt anzuhören und gemeinsam begaben sie sich auf den Weg zur Stadtvilla des, offenkundig, reichen Mannes, der einen ausschweifenden Lebensstil prägte. Sein ganzes Haus war voll und beinahe Überladen von Kunstwerken und anderen Dingen, die als Schätze bezeichnet werden konnten – und durften.

Sein Problem war jedoch ein anderes – die Liebe. Eine der wenigen Sachen, die nicht käuflich war, wie er bitterlich hatte feststellen müssen. In dieser Hinsicht duldete der Auelf keinen Widerspruch, denn das was William und andere sich für einige Dukaten erkauften, war keine Liebe, sondern ein Trostpflaster für einen verletzten, einsamen oder brünstigen Geist. Ansonsten wären auch all die Geschenke, die Darrenfurt seiner Herzensdame wohl unterbreitet hatte, genug gewesen um einen Traviabund herbeizuführen. Darrenfurt ging auf Nachfrage weiter ins Detail. Er hatte um die Tochter des Barons von Zackenberg gefreit, die so schön war, dass er sie unbedingt seiner Sammlung hinzufügen wollte. Cyruion betrachtete den Mann skeptisch, der wirkte wie ein verzweifelter Schatzsammler, aber gleichwohl von Liebe und Heirat sprach, obwohl er über die begehrte Dame gar nichts zu wissen schien.

Ihre Lieblingsblume waren Blumen. Frauen mochten schließlich Blumen.

Das gesprochene Wort des Edelmannes war dem Elfen beinahe ein Augenrollen wert. Er konnte das, was er erzählte, nicht wahrhaftig ernst meinen oder zumindest nicht in dieser Form.

Cyruion tat sich demnach schwer, dem Mann zu glauben, umschmeichelte er doch auch den Elfen und hoffte auf eine Gesangsdarbietung oder die Möglichkeit ihn vielleicht zu einem seiner Feste zu laden, sei es nur für die musikalische Untermalung. Es gab etwas, das ihn daran störte. Weniger der Umstand, dass er einige Dukaten verdienen konnte, sondern mehr die Besorgnis am Ende in einer Kiste auf dem Dachboden zu enden – als Teil einer großen Sammlung, irgendwo abgelegt und nur mehr zu besonderen Anlässen herausgeholt, wie gegebenenfalls auch die Tochter des Barons von Zackenberg. Cosima.

Cosima, der besondere, seltene und begehrenswerte Schatz, der, wie Darrenfurt erzählte, zusätzlich unter einer verhängnisvollen, schlechten Konstellation der Sterne den Weg nach Aventurien gefunden hatte, wie schon ihre Mutter, die bei der Geburt verstarb. Wieder wurde der Elfenschneider hellhörig. Die Sterne – tatsächlich vermochten sie einiges auszusagen, doch leider konnte Valadus keine hilfreichen Informationen als das liefern, was sicherlich auch der Volksmund sprach: schlechte Omen, Unheil, schlechte Menschen?

Zum Glück gab es in Perricum eine Akademie, die dem Elfen sicherlich mehr verraten konnte.

Bedächtig strich Cyruion eine Strähne hinter eines der spitzen Ohren zurück. Nur vielleicht war es die Wahrheit, die Valadus sprach. Vielleicht war es tatsächlich Liebe, vielleicht war sie nicht nur ein Stück Beute, sondern das, was ihm zu seinem Glück fehlte und er vermochte sein Leid nicht besser in Worte zu fassen? Nach einem längeren Gespräch sagte die Gruppe ihre Unterstützung zu. Doch benötigten sie noch weitere Informationen, wie auch eine gute Idee, wie überhaupt auf die Burg oder die Tochter heranzukommen war. Immerhin war es Adel, den sicherlich nicht jeder ohne weiteres besuchen konnte.

[…] Am darauffolgenden Morgen hatte Cyruion wenigstens den Umstand verdaut, dass William am Vorabend beinahe beharrlich den Weg von Vitus einschlagen und Bekanntschaft mit dem Perricumer Kerker machen wollte. Valadus hatte ein Bild seiner Geliebten gezeigt und der Seefahrer alle erforderlichen Anstalten gemacht, dieses unauffällig in seiner Tasche verschwinden zu lassen. Zum Glück war jedoch mehreren der bloße Versuch aufgefallen. Noch immer wurde der Elf aus dem Mann hinter der dämlichen Fassade nicht schlau. Warum stellte er sich so an, wie er es tat, wenn er insgeheim doch so intelligent schien?

Vielleicht hatte ihn die raue See verdorben.

Cyruion schüttelte den Kopf. Über den Barbaren, der an der Flasche hing, konnte er sich noch viele Jahre den Kopf zerbrechen. Den Morgen selbst wollte er nach einer kurzen Wäsche und einer Begegnung mit Garion und den anderen jedoch für etwas sinnvolles aufopfern. Die Schule der Austreibung war sein Ziel. Auch wenn ihnen das Datum noch fehlte, das sie benötigten, immerhin konnte das Alter der Dame auf 19 Jahre festgelegt werden.

[…] Gegen Mittag war der elfische Zauberer ernüchtert aus der Akademie zurückgekehrt. Ohne ein Datum konnten sie ihm keine Auskunft geben und empfanden auch den Zugang zur Bibliothek als wenig zielführend oder sinnvoll. Daher war es erforderlich, dass sie Valadus noch einmal befragten, der am Vorabend nicht den Eindruck gemacht hatte, irgendetwas über Cosima von Zackenberg zu wissen, das ins Detail ging.

[…] Valadus hatte tatsächlich helfen können und seinen Diener oder Schreiber bestellt, das Tagebuch heranzuschaffen, in dem er den Vermerk hatte machen lassen. Eifrig schrieb Cyruion mit, damit der nächste Gang zur Akademie nicht wieder sinnlos sein würde und er mehr über Cosima und die Sterne herausfinden konnte. 5 ING 993. Neugier machte sich in den Gedanken des Elfen breit. Was er wohl herausfinden würde, was ihm die Bibliothek über Cosima anhand der Sterne verraten mochte?

[…] Es dämmerte bereits, als der auelfische Zauberer mit ungewohnt steinerner Miene in die Ordensburg der Ardariten zurückkehrte. Der bloße Ortswechsel ermutigte ihn nicht, bessere Laune zu haben. Er fühlte sich, wie die nach außen scheinende, grinsende Fassade von William allzu oft wirkte: Dumm.

Die Schule der Austreibung hatte dem Elfen gegen einen Obolus den Zugang zur Bibliothek gewährt und er, er war unachtsam gewesen. Kaum, dass er eines der ersten Werke zur Sternkunde aufgeschlagen hatte, war ihm die Henkelkerze umgefallen und hatte einen Brand ausgelöst, der das Buch in seine Bestandteile aufzulösen begann. In seinem blanken Unverständnis für dieses Missgeschick hatte der Auelf sich später herauswinden wollen, bemühte sich um Erklärungen, die den Schaden abschwächen sollten, ehe er den fatalen Umstand wieder berücksichtigte, dass seine mangelnde Sorgfalt verantwortlich für all das war.

Das liebgewonnene Geld, das er die letzten Wochen verdient hatte, verknappte sich durch dieses Missgeschick in seinem Geldbeutel deutlich. Eine Strafe von mehreren Dukaten wurde dem Elfen abverlangt, wie auch entschuldigende Worte an den Verfasser der Schrift, der zu seinem Glück jedoch erzählte, dass dem Elfen nur eine Abschrift in Flammen aufgegangen war.

Glück im Unglück. Dennoch behagte dem Elfen die Situation nicht und wäre er in dieser Situation ein Mensch gewesen, hätte er rege Scham für sein Verhalten empfunden. Ungewohnt enerviert über die eigene Unzulänglichkeit bließ der Elf die Backen auf. Glück im Unglück.

Denn es war nur eine Abschrift – und der Verfasser erbarmte sich zumindest, dem Elfen die Antwort auf seine Frage aus dem Original und seinen Unterlagen herauszusuchen. Ein mäßiger Erfolg. Auf diese Weise erfuhr er zwar, und vielleicht schneller als durch eigene Recherche, worum es dabei ging, doch ohne Feuer und den Verlust der Münzen wäre es ihm lieber gewesen, wäre es eine eigene Leistung, ein tatsächlicher Erfolg gewesen und sich unterschwellig weniger das Gefühl von Mitleid einschleichen.

Durchatmenderweise erzählte er seinen Begleitern von diesem Unfall, am Rande, versuchend die wesentlichere Information auffällig in den Vordergrund zu stellen und von seinem Versagen abzulenken. Sie sollten hauptsächlich wissen, dass die Sternenkonstellation nicht unbedingt so negativ war, wie sie generell empfunden wurde. Tatsächlich war von der Geburt weiser Anführer die Rede, die des Öfteren den Versuchungen der Macht erlagen. Nicht immer, aber oft. Gab es nicht schlechtere Omen für die Geburt eines Kindes, als die Erwähnung der Geburt eines Anführers? Es kam dem Donnerbacher Magier fast so vor, als hätten alle vor ihm nur den zweiten Teil des Satzes gelesen und die Worte vor dem Beistrich ignoriert.

Weshalb, das verstand Cyruion nicht, doch dieser Tag war sowieso nicht seiner. Insofern freute es ihn umso mehr, dass sie die Unternehmung mit den gewonnenen Informationen schlicht weiter konkretisierten und ihm dabei Aufgaben zuteil wurden, der er sich annehmen konnte – wohl ohne dieses Mal zum Scheitern verdammt zu sein.

Der restliche Abend, die Planung und weiteres, zogen ansonsten eher am Elfen vorbei.

Dieser eine Moment in der Bibliothek ließ ihn nicht los.

Perricum 9 (Cyruion) (PER 1013)

Während Vitus mit den anderen über sein Schicksal brütete und überlegte, auf welche Weise er die Strafzahlung im besten Fall leisten konnte, hielt sich der auelfische Zauberer weitestgehend zurück und streute seine Gedanken nur sehr sporadisch in das Gespräch ein. Sein Bedürfnis war nicht gewesen, den zurückhaltenden Menschen in diesem Moment mit seiner Weisheit zu erleuchten. Dazu kam, dass er mit fortschreitender Zeit bemerkte, dass ein Hauch von Aufregung bis hin zu Vorfreude in ihm aufkeimte. Der Nachmittag war bereits angebrochen und der Sinn und Zweck seiner Reise sollte sich an diesem Abend endlich erfüllen.

Das neue Schwert der Schwerter würde im Tempel zu den Menschen sprechen.

In bester Laune zuckten die Mundwinkel des Elfen nach oben und nachdem die Angelegenheiten des Vitus Arres geklärt waren, machten sie sich auf den Weg zur Burg, um letzte Vorbereitungen zu treffen. In der Löwenburg schien es vielen ähnlich zu gehen, wie dem Elfen. Zwischen Aufregung und Sorge meinte er alle nur erdenklichen Stimmungen ausmachen zu können. Das wunderte ihn nicht, denn so wie er es verstand, war die Person hinter dem Titel maßgeblich mitverantwortlich für die Richtung, die die Rondra-Kirche in den darauffolgenden Jahren einschlagen würde. Auch Donnerbach, auch Aldare und selbst Narond konnte und würde dieser Umstand dann beeinflussen.

Cyruion schwelgte in Gedanken, während er seine Sachen ordentlich zusammenlegte und sich in das Reisegewand kleidete. Die Robe war dem Anlass angemessen, davon abgesehen würde er anschließend wohl nicht mehr all zu lange auf der Löwenburg weilen und sich anderweitig umsehen müssen, außer er trat mit der Donnerbacher Delegation direkt dem Heimweg an, Dem stand jedoch noch ein Ardarit im Wege, den er gerne als Freund bezeichnete und an dessen Seite er sicherlich auch einen Moment verweilen konnte. Dort, wo es ihn hinführte, würde es schließlich auch andere Mode geben, Inspiration und weitere, sonstige Möglichkeiten Wissen mitzunehmen, zu lernen, die Zeit sinnvoll zu nutzen.

Es klopfte.

Mehr in einer Randnotiz wurde er darüber informiert, dass die Meisterin der Senne Nord und ihre Gefährten sich auf den Weg machten. Er, als Magier des Trosses, wollte und sollte dabei vielleicht nicht fehlen. Mit einem dankbaren Nicken verließ er die Kammer und begab sich an der Seite von Thali und den anderen in den Perricumer Tempel der Rondra. Der Weg war zum Glück nicht all zu weit und einen guten Blick konnte er ebenso erhaschen. Nebst seiner Größe gerieten ihm hier auch die guten Augen zum Vorteil. Ihm fielen die Wachen auf, die im vorderen Teil unauffällig auffällig ihre Position bezogen hatten.

Der Saal füllte sich, immer mehr, bis jedes Bisschen Luft im Raum für einen der Anwesenden reserviert war.

Gemurmel und Getuschel an allen Ecken und Enden. Einige Menschen zählten sicherlich die Sekunden oder Minuten die vergingen, bis sich eines der Portale öffnete und ein Mann den Raum betrat, sich im Zentrum des abgeschirmten Bereiches postierte und nach einem Augenblick zu sprechen begann. Es war offensichtlich, dass er es war, er, das neue Schwert der Schwerter. Langer, wallender Umhang, dunkelblondes Haar und die Fraise blieben dem Elfen im Gedächtnis, neben einem auffallend langen Namen. Doch so schien es gang und gäbe bei den menschlichen Herren von Stand.

Dragosch Aldewîn Ferlian Corrhenstein von Sichelhofen.

Leise murmelnd wiederholte Cyruion den Namen des Mannes, ehe er den Blick schweifen ließ.

Freude, Besorgnis, Unsicherheit, Glück – wieder schien jede Gemütslage vertreten zu sein.

Viel sprach der Mann von Sichelhofen nicht, dafür, dass so ein Tamtam um seine Person, sein Amt und einen möglichen Neuanfang für die Rondra-Kirche gemacht wurde. Nach kaum zehn Minuten schien das Spektakel vorbei. Cyruion musste zumindest sich selbst eingestehen, dass er etwas anderes oder schlicht mehr erwartet hatte, wie einen Gottesdienst. Doch dazu kam es nicht. Nachdem Dragosch von Sichelhofen den Raum verlassen hatte, machten einige Fraktionen und Gruppen Anstalten es ihm gleichzutun.

Auch Aldare und ihre Gefolgsleute wollten sich besprechen.

Sang und klanglos hatte sein Dienst damit, einmal mehr, sein Ende gefunden. Thali hatte ihn darüber in Kenntnis gesetzt.

Während die Rondra-Geweihten und geladenen Gäste sich gen Ausgang orientierten, hielt der Auelf Ausschau nach dem bornländischen Ardariten und seinen bunt gemischten Begleitern – dem Angroschim, dem Verbrecher und William. Nach einem Moment wurde er fündig und gesellte sich dazu, um zumindest Garions Meinung über Dragosch einzufangen. Bedauerlicherweise gab er wenig preis, außer dass er offenbar mit Dragosch gerechnet hatte – oder es bereits im Vorfeld erfahren hatte. Der Mann, der nun die Kirche führte, schien jedenfalls einer von denen zu sein, die sich ihre hohe Stellung innerhalb der Geweihtenschaft eher in kurzer Zeit verdient hatten.

Vielleicht schwang deshalb etwas Unmut in der Stimme des Ardariten mit?

Perricum 8 (Cyruion) (PER 1013)

Perricum, die Stadt mit Delphin im Wappen und Löwin im Herzen, präsentierte sich dem Auelfen an diesem Morgen ähnlich wie bereits in den vergangenen Tagen. Die Praiosscheibe stand hoch am Himmel und erhitzte mit jeder Stunde die verging, zumindest bis Mittag, zunehmend die Gemüter. An einen Regenschauer oder vergleichbares war gar nicht zu denken, zu sehr trieb der Wind die wenigen Wolken offenkundig in Richtung Trollzacken, um sich dort in aller erdenklichen Fülle und Pracht zu entladen. Die nicht vorhandene Wolkendecke hatte etwas beunruhigendes, an einem Tag, der sich für ganz Perricum um Blitz und Donner drehte. Das neue Schwert der Schwerter würde offenbart und zudem würde bereits in wenigen Stunden über Vitus geurteilt werden.

Cyruion schmerzte die rechte Hand etwas; diese Nacht hatte er schlechter geschlafen als die Woche zuvor. Die einzige Erklärung, die sich ihm dafür bot, war der Umstand, dass sein Geist auch des späten Abends noch mit den Umständen um die Arrestierung von Vitus beschäftigt war. Allerdings war diese Antwort nur auf einen Teil der Sache bezogen. Nicht zu erklären wusste er sich den Umstand, dass er aufgewacht war, weil er an die Tür klopfte – und warum er seine Hose zuvor ausgezogen und in den Raum geworfen hatte. Selbst wenn es ihn beschäftigte, so pflegte er normalerweise nicht mit seinen Sachen umzugehen. Doch, und das war ihm sehr wohl klar, war er in der Nacht nicht immer er selbst, nicht alles erklärbar, wenig machte Sinn. Er konnte nur froh sein, dass Narond die Zimmertüre am Abend abgeschlossen und den Schlüssel mit sich genommen hatte, um dem Elfen am Morgen wieder aufzuschließen. Ansonsten… Cyruion mochte gar nicht darüber nachdenken. Er schüttelte kurz das Haupt und legte sich eine Haarsträhne hinter das Ohr.

Sein Vorgehen war in der Angelegenheit mit der Perricumer Stadtwache und Vitus nicht allzu galant gewesen, nicht so, wie die Menschen es sicherlich von jemandem erwarteten, dessen Ohren derart spitz waren. Jedoch hatten die Geweihten und Löwenritter ihn nach der Erzählung bestärkt, grundsätzlich richtig gehandelt zu haben. Der Mann wurde gesucht, insofern war es verständlich die Wache zu informieren. Sein alter Freund, Garion, war allerdings wenig begeistert. Der Magier war sich unsicher, ob dies nur daher rührte, dass er so gehandelt hatte oder die mäßige Laune des Geweihten mehr daran lag, dass zu diesem Zeitpunkt bereits ausreichend viele Probleme existierten.

William hatte sich der daimoniden Charyptoroth angebiedert, buhlte entweder um ihre Gunst oder sehnte sich nach Aufmerksamkeit oder vielleicht, und nur vielleicht, war törichter als es anzunehmen war. Der Seemann mit der Duftnote „stark alkoholisierter Mensch ohne Obdach“ redete viel, besonders wenn der Tag lang war und es für ihn wenig zu tun gab. Am Abend war er hingegen in das Lesen und Vorlesen vertieft, beschäftigte sich mit dem Vademecum der Rondra. Garion hatte es ihm ausgehändigt, in bester Absicht, damit William zumindest noch etwas über Rondra lernte oder um ihn von der aufkeimenden Panik im tiefsten Inneren ein wenig abzulenken.

Das Frühstück in der Löwenburg brachte der Elf rasch hinter sich, denn in der Burg des Ordens der Heiligen Ardare zu Arivor warteten die Probleme auf seine Gefährten und ihn. William würde sicherlich bald aus dem Efferd-Tempel zurückkehren, das stand zumindest zu hoffen, und der Geweihte Bronnjar wollte noch erörtern, inwieweit sie dem fahnenflüchtigen Medicus bei seiner Verhandlung behilflich sein konnten.

Früh wurde dabei für den Elfen klar, dass er sich weitestgehend heraushalten würde, da er die Absichten des Menschen nicht unbedingt verstand. Dies wurde ihm insbesondere bewusst, als er sich im Verhandlungssaal befand. Die eine Seite äußerte die Anschuldigungen gegen Vitus. Vitus selbst bemühte sich um eine Erklärung, die jedoch mehr schwer denn leicht über seine Lippen kam, als wisse er selbst nicht um das „Warum?„. Der Ardarit und ein Freund des Heilers, seines Zeichens Leutnant der Stadtwache und einstiger Kamerad,  hatten die Absicht die unbekannte Frau schließlich zur Hexe zu erklären und sie zu verdammen. Es musste oder würde wohl ein Zauber gewesen sein, der dafür gesorgt hätte.

Ein bedächtiges Nicken des Auelfen. Die Erklärungen klangen zumindest denkbar, dass es sich um eine Frau mit magischem Potential handelte. Doch weder war sie da, noch ließ sich diese Vermutung beweisen. Er selbst kannte Zauberformeln wie den Bannbaladin und seine mögliche Wirkung, besonders bei entsprechend willensschwachen Zielen. Eine Formel, die dazu nutzen konnte, großen Schaden anzurichten – oder einfach nur, um mehr Informationen zu erhalten.

Seltsam an Vitus‘ Fall war jedoch, dass eine Anwendung solcher Zauber für den auelfischen Magier keinen Sinn ergeben wollte. Denn selbst wenn Vitus, als einfacher Straßenwächter, etwas erzählt hatte – geschehen war danach nichts und auch langfristig war kein Schaden entstanden. Solche Zauber als eine Art Liebeszauber zu wirken, konnte sich Cyruion zwar vorstellen, doch gab es dafür sicherlich bessere Lösungen, etwa alchimistiche Gebräue oder Tinkturen. Doch auch dann wäre es nicht nötig gewesen, eine Pflichtverletzung des Mannes herbeizuführen.

Schlüssiger schien es dann zu sein, dass der Mann vernarrt in die Frau war, sich entfernt hatte um den Akt zu vollziehen und sich als Lückenbüßer ausnutzen ließ. Das machte sie jedoch nicht direkt zur Hexe, es konnte andere Gründe für solches Verhalten geben. Zum Beispiel, dass sie ein schlechter Mensch war oder kurz nach Vitus auf eine Person gestoßen war, die ihre Bedürfnisse besser oder eher erfüllen konnte. Dann hätte der Straßenwächter dennoch zurückgehen können.

Im weiteren Verlauf wurden die selben Punkte wieder und wieder aufgegriffen, zudem ging es besonders zum Ende hin um Schuld und darum, dass Vitus vor dieser davon gelaufen wäre. Die Brauen des Elfen zuckten dabei, sporadisch, unmerklich nach oben. Denn er verstand dies schlicht und ergreifend nicht. Wenn er sich einen Tag von der Akademie entfernte, obwohl er dort sein musste, fühlte er sich bestimmt auch schlecht. Dann jedoch würde er zurückgehen, mit den entsprechenden Konsequenzen leben und weitermachen. Ob als Magier am Seminar in Donnerbach, Knecht auf einem Hof nahe Gareth oder Straßenwächter bei Perricum… Für jeden war dieser Weg möglich, auch wenn die Strafe hier und dort sicherlich härter ausfiel.

Jeder war eben für sein eigenes Handeln verantwortlich.

Es nützte demnach nichts, eine unbekannte Frau, von deren Existenz außer Vitus niemand wusste und nie gesehen ward, zur Hexe verunglimpfen zu wollen. Zudem waren Hexen, auch wenn es im Praiosglauben anders gesehen wurde, nicht unbedingt schlechte Menschen. Hexen waren Frauen. Frauen, die magisch waren und deren Wirken weniger dem gildenmagischen und mehr dem elfischen gleichen sollte. Zumindest hatte Cyruion es so verstanden, wenn die Magister sich am Seminar über die Besenreiterinnen aus Weiden und anderen Landen geäußert hatten. Auch hatte er sie nie derart erlebt, dass es bösartige Exemplare gab, war jedoch nicht auszuschließen, wobei er in der Verliebtheit keine Boshaftigkeit erkennen konnte. Nachdenklichen Blickes folgte er der Verhandlung.

Insgesamt überraschte das Urteil den Auelfen nicht, Vitus wurde schuldig gesprochen. Der, der ganze zehn Jahre vor den Konsequenzen seines Handelns weglief, ob aus Angst, Feigheit oder anderen Gründen, der war nicht ehrenhaft im Sinne Rondras, ohnehin schuldig und hatte es, auch wenn der Gedanke sich selbst für den Elfen bitter anhörte, nicht anders verdient. Inwieweit das Strafmaß angemessen war, wusste der Cyruion nicht zu beurteilen. Mehrere tausend Dukaten oder eine mehrjährige Haftstrafe hieß es, obwohl nichts passiert war, doch das war sicherlich auch der langen Abstinenz geschuldet.

Glücklicherweise verfügte Vitus noch über etwas Geld, wie er der Gruppe kurz nach Urteilsverkündung mitteilte, und musste sich daher lediglich Gedanken um die nächsten Raten in Höhe von eintausend Dukaten machen. Doch das, so viel war dem Elfen klar, war allen voran seine Sorge und sollte auch seine bleiben.

Cyruion war es nicht geheuer, sich überhaupt damit zu beschäftigen. Der, der sündigt, der soll auch Buße tun. So oder so ähnlich hatten es die Geweihten in Donnerbach den Menschen schon gepredigt und damit ging er konform. Soweit möglich würde er Vitus wohl helfen, doch es war nicht im Sinne des Erfinders oder Rondra, wenn man diese Last einfach von seinen Schultern nahm. Dann wäre es schließlich auch keine Strafe mehr.

Perricum 7 (Garion) (PER 1013)

Mit einem raschen Griff legte der Rondrit einen neuen Holzscheit in die züngelnden Flammen des Lagerfeuers, das tanzende Schatten an die Felswände der Trollzacken warf. Die Holz- und Schmutzreste in seinen Handflächen rieb er beiläufig an seiner Hose ab, ehe er sich wieder setzte und einen Blick in die Runde warf, deren Wächter er die kommenden drei Stunden war. Vor ihm, gebettet auf Schlafmatten oder dem Boden und geschützt von Decken oder Schlafsäcken lagen ein Elf, ein Zwerg und zwei Menschen. Einer von beiden Freibeuter – wenigstens – der andere Medicus und Deserteur. Und über ihnen alle spannte sich das Himmelszelt mit unzähligen funkelnden Sternen, dominiert vom fahlen Licht des Madamals.

Ein tiefer Atemzug des Kriegers riss die kühle Abendluft tief in seine Lungen und weitete seine Brust, ehe er den Atem wieder fahren ließ. Die Gruppe, die sich die schützende Wärme des Feuers teilte, war derart bunt gemischt, dass es Garion bisweilen wie ein Wunder erschien, dass sie zusammenhielt. Das Grün seines verbliebenen Auges verfing sich an den blonden Haaren des Elfen. Cyruions Alter war schwer zu schätzen, aber wie vermutet war er der Älteste der Runde. Es war schon einige Jahre her, dass sie sich kennengelernt hatten – damals zunächst an Bord eines Schiffes, dann zu Fuß auf dem Weg ins Landesinnere. Von Beginn an hatte der Elf sich durch eine beinahe absonderliche Tierliebe ausgezeichnet, gleichzeitig aber am Kreislauf des Tötens wie selbstverständlich teilgenommen. Empathie und Gnadenlosigkeit in gleichem Maß – wie Garion fand ein deutliches Zeichen für die naturnahe Lebensweise der elfischen Sippen, die sich vom Erbe ihrer Vorfahren distanziert hatten, um die Fehler derer die vor ihnen waren nicht zu wiederholen.
Trotzdem hatte Cyruion stets auf die eine oder andere Weise den Eindruck erweckt, seinen elfischen Wurzeln entrückt zu sein. Hatte sich menschlich gekleidet, hatte aber nie menschlich geklungen, hatte nach Wissen gedürstet wie ein Mensch, aber hatte den menschlichen Essensgewohnheiten weitgehend entsagt. Ihre Wege hatten sich getrennt, als der Magier sich einer Haijagd verweigert hatte und diese – wie er es genannt hatte – unnütze Grausamkeit nicht hatte mit ansehen wollen.

Garion strich sich gedankenvoll über seine rechte Braue und blinzelte etwas Rauch aus seinem tränenden Auge. Und jetzt – Jahre später hatte sie der Zufall wieder zusammengeführt. Cyruion hatte Perricum in Begleitung einer Gesandtschaft der Senne Nord erreicht, um sie in magischen Belangen zu beraten und im Notfall einzugreifen. Gemäß dem Gedankengut seiner Alma Mater in Donnerbach war er das Gruppenmitglied, das ihm am wenigsten Sorgen bereitete. Cyruion war bisweilen ein wenig weltfremd, aber er war umgänglich und geduldig, war um Völkerverständigung bemüht. Die üblichen Aversionen von Elfen gegenüber den Angroschim waren bisher nicht ruchbar geworden – nicht einmal als ‚Stummel‘ oder ‚Halbmann‘ hatte er Tarambosch betitelt.

Die Aufmerksamkeit des Wachhabenden glitt von dem blonden Elfen fort und kettete sich an den ebenfalls blonden Angroschim. Er wusste, dass der gedrungene Bartträger sich bereits zurückhielt. Trotzdem war es unverkennbar, dass offene Worte, Konfliktbereitschaft und ja – auch eine Spur rassistischer Vorurteile in seinem Blut kochten. Dennoch würde Garion niemals auf ihn verzichten wollen. Nach ihrem ersten Treffen in Ranak bei Kap Brabak hatte sich schnell herausgestellt, dass sie gerne und gut zusammenarbeiteten. Ihr Ehrverständnis und sogar Teile ihrer Weltsicht deckten sich, wenngleich ihr kultureller Hintergrund und ihre Ausbildung bisweilen für geteilte Meinungen sorgten.
So war dem Zwerg die Abneigung allem Echsischen gegenüber in Fleisch und Blut übergegangen, während in der Glaubenslehre Rondras der hohe Drache Farmelor als Gemahl der Göttin selbst gepriesen wurde. Die Diskussion über diesen Punkt war kürzlich aufgeflammt, war aber rasch (und vorläufig) beigelegt worden.
Gedankenverloren rieb der Wächter Daumen und Zeigefinger aneinander, während er die Gestalt des beinahe totengleich schlafenden Zwerges betrachtete. Doch obgleich die Emotionen des Zwerges von Zeit zu Zeit für Ärger innerhalb ihrer Gruppe sorgen konnten, betrachtete er ihn nicht mit Sorge. Selbst wenn der Axtschwinger sich mit seiner ganzen Gruppe stritt, so würde das Auftauchen eines gemeinsamen Feindes doch für eine geschlossene Front sorgen. Auch das lag den Kriegern Xorloschs im Blut – im Krieg dachte man praktisch, nicht emotional.

Als sich ein fremdes Geräusch in das Knacken des Feuers mischte, sah der Rondrit auf. Die Gegend in der sie sich befanden, galt im Allgemeinen als gefährlich, wenn sie auch bisher nicht angegriffen worden waren. Mit einer Hand am Griff seines Schwerts erhob er sich von dem kleinen Felsen, auf dem er saß, und ließ den Blick in die nähere Umgebung des Lagers fahren. Der Ort war gut ausgesucht. Die kleine Mulde war von drei Seiten von größeren und kleineren Felsen umgeben und öffnete sich mit der vierten zum Weg. Das Licht des Lagerfeuers war auf diese Weise nicht sehr weit zu sehen und der Wind nicht allzu harsch. Ein paar Schritte führten ihn auf den schmalen Weg hinaus, von wo aus er einen noch besseren Blick hatte. Eine Gefahr war aber nicht zu sehen – kein Grund also die anderen zu wecken und in Alarmbereitschaft zu versetzen. Nun wieder ruhiger setzte er sich an seinen Platz zurück und angelte nach seinem Proviantbeutel und Wasserschlauch. Während er etwas Proviant verzehrte, lenkte er seinen Blick zu den beiden Menschen hinüber. William und Vitus. Beide männlich und beide schwer einzuschätzen.

William hatte ein loses Mundwerk, flinke Finger, die nur zu gerne auch genutzt werden wollten und verbog sich die Realität auf eine Weise, dass eine leise Stimme in Garions Kopf aus jedem „Das ist wahr!“ ein „Das ist wahr!-scheinlich wahr.“ machte. Tatsächliche Talente hatte William seit Garion ihn kannte, nicht gezeigt. Wenn man von ‚Sich Ärger einhandeln.‘ und ‚Das Wirtshaus leer trinken.‘ einmal absah. Die Geschichten des jungen Seefahrers waren beinahe so groß wie sein Ego und hinter jeden Ecke lauerte ‚Die Eine‘, um sich ihm voll der Liebe an den Hals zu werfen.
William war ein Buch mit sieben Siegeln und Garions größte Sorge. Dabei ging es nicht einmal um die erfundenen Geschichten, die mangelnde Etikette, das mangelnde Wissen um das Pantheon oder die bisweilen vorgeschobene Inkompetenz. Wesentlich größeren Eindruck hinterließ der Umstand, dass William mit all dem so bereitwillig herausrückte. Die Vergangenheit hatte gezeigt, dass Menschen selten ihren wahren Charakter offen legten, wenn sie ihr Gegenüber nicht kannten. Wenn der Seefahrer genauso war, dann stellte sich die Frage, was er hinter der Fassade verbarg. Das Bild eines plündernden Freibeuters oder – schlimmer noch – Piraten verfestigte sich immer mehr. Zuletzt als die Admiralität Perricums bestätigt hatte, Williams Vater aus ähnlichen Gründen zu suchen. Vor diesem Hintergrund hatte es ihn überrascht, dass der Mann in Zeiten der größten Not in der Ordensburg der Ardariten aufgetaucht war, um dort nach Hilfe zu suchen. Das war vernünftig gewesen – beinahe zu vernünftig für den Charakter, den er sonst an den Tag gelegt hatte. Aber – war es Vertrauen gewesen oder Opportunismus? Hatte er sich seinen Gefährten anvertraut oder nur gewusst, dass sie ihm helfen würden, die Suppe auszulöffeln, die er sich eingebrockt hatte?
Langsam massierte der Adelige sich seine Nasenwurzel. Früher oder später würden sie alle gemeinsam in die Klemme geraten und dann würde sich zeigen, ob in William jemand steckte, auf den man sich verlassen konnte oder ob er eher versuchen würde seine eigene Haut zu retten – egal wen oder was er dafür opfern musste. In jedem Fall hielt er es für besser sein Auge auf ihm zu behalten.

Erneut sondierte Garion die Umgebung des Lagers. Wachdienst nahm er stets ernst. Eine Einheit – egal wie gut ausgebildet – war zu ihren Ruhezeiten am verwundbarsten. Gelang es einem Angreifer die Wache lautlos auszuschalten, so war es ein leichtes die schlafenden Gruppenmitglieder im Schlaf zu töten oder kampfunfähig zu machen. Garion wollte verdammt sein, wenn das während seiner Wache geschah. Noch einmal drückte er sich von dem Stein hoch und drehte eine Patrouillen-Runde um das Lager. Einige Minuten lang hielt er den Blick in die Dunkelheit gerichtet, um sein Auge daran zu gewöhnen. Wieder war alles still – wenn man von den normalen Geräuschen einer Nacht in der Wildnis einmal absah. Der Wind rauschte durch einige der mageren Gewächse, hier und dort raschelten kleine Tiere und die Feuchtigkeit des Holzes ließ das Feuer krachen. Gute zwanzig Schritt vom Feuer entfernt, lehnte er sich an den Steilhang der den Weg begrenzte und sah von dort zu seinen Begleitern hinüber.
Vitus mochte ein Deserteur sein, aber er war als Heiler schon rein objektiv wichtig für die Gruppe. Und wenn man genau genug hinsah, dann war es nicht allzu schwer zu erkennen, wie schwer seine Schuld ihn belastete. In Perricum hatte er sich dem Urteil der heiligen Rondra ergeben und war bei der Gruppe geblieben, obgleich er Zeit und Gelegenheit zur Flucht gehabt hätte. Garion mochte nicht glauben, dass ihm oder den anderen von Vitus Gefahr drohte. Dennoch war der Mann schwer zu durchschauen. Kaum einmal sprach er – und wenn er es tat, dann war er oft offener und emotionaler als sein Handeln es hatte erwarten lassen. Er war gläubig, gut ausgebildet und soweit der Rondra-Geweihte das beurteilen konnte, aufrecht. Die Liebe war es, die ihn vom Weg abgebracht hatte – und da war er beileibe nicht der Erste. Sich auf ihn zu verlassen war noch nicht ohne jedes Risiko, aber es bestand Hoffnung, dass er sich beweisen würde. Gerade nachdem die Gruppe beschlossen hatte, ihm bei der Abzahlung seiner Strafe zu helfen, schien es Garion als habe die Bindung sich gefestigt. Und für Zwist innerhalb der Gruppe würde die verständige Art des Mannes aller Wahrscheinlichkeit nach auch nicht sorgen.

Er ertappte sich dabei, dass beim Anblick der vier Schlafenden ein Lächeln über seine Lippen rann. Die Gruppe mochte in ihrer Zusammensetzung untypisch sein, aber labil war sie nicht. Nach allem was er wusste, war es gut möglich, dass sich an diesem Feuer genug Talent, Fähigkeit und Wissen versammelt hatte, um alles was das Schicksal ihnen entgegen schleudern wollte zu überwinden. Es galt nur die beiden wichtigsten Regeln dieser Welt zu beachten. Erstens: Zu wissen, wann es an der Zeit ist etwas zu tun. Zweitens: Zu wissen, wann es an der Zeit ist nichts zu tun. Vorsichtig stieß er sich in der Plattenrüstung von dem Stein ab und hielt wieder auf das Feuer zu. Dort angekommen setzte er sich vorsichtig wieder, schabte aber mit seiner Rüstung über den Stein, was eine kurze Bewegung des Elfen zur Folge hatte. Es wurde wirklich Zeit für eine Kettenrüstung.

Von seinem Platz aus betrachtete er die ungleichen und bisweilen gefährlich unbekannten Gefährten. So oder so: Für die kommenden Stunden war es an ihm jeden einzelnen dieser Männer mit seinem Leben zu beschützen. Genau wie er es auch nach Ablauf dieser Stunden tun würde, Tag um Tag, Woche um Woche, Götterlauf um Götterlauf. So lange sie sich als gut erwiesen. Denn wenn es nach ihm ging, dann galt für diese Gruppe dasselbe, was für den Ardaritenorden galt: Wir stehen zusammen, wir fallen zusammen.

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