Havena 16 (Sagarta)

Kategorien: 1013 BFDer Tod trägt RotHavena

Mit der Eleganz einer al’anfanischen Katze ließ sich die Vampirin auf den schwarzen Stoff eines der Kissen sinken, die um die Rabenstatue herum auf dem Boden lagen. Sie legte den Kopf in den Nacken und sah zum steinern-kalten Antlitz des Rabengottes auf. Warum…?, fragte sie stumm. Warum hast du mir all‘ diesen Tumult auf die Insel gebracht? War es dir hier zu still?
Der schweigende Gott bedachte sie mit keiner Antwort. Aber sie hatte auch keine erwartet. Statt sich weiter auf den einseitigen Austausch zu konzentrieren, schloss sie die Augen, um das Vergangene noch einmal Revue passieren zu lassen.

Begonnen hatte der gestrige Abend mit der recht kurzfristig eingetroffenen Information über die Gefahr, die den Geweihten auf der Insel zu drohen schien. Es war nicht nur seltsam, dass ein direkter Angriff auf die Boronsinsel derart spät an ihre Ohren drang – noch dazu hatte die Hand Borons ihr übliches Gebiet weit überschritten. Beides zusammen hatte sie zu der Erkenntnis gebracht, dass der Meuchler nur der Gelegenheit wegen einen Abstecher zur Insel gewagt hatte. Sein Hauptziel war mit Sicherheit ein anderes gewesen – also hatte es auch keinen Grund gegeben ihn weiter zu befragen. Es war ihr klug vorgekommen, den Neuen auf die Jagd nach einem Verbrecher zu schicken, während sie selbst die Geweihten bei einem späten Abendmahl im Auge behielt. Auf diese Weise war jeder Gefahr angemessen begegnet.

Ein leiser Seufzer drang in die Stille der dunklen Statuenhalle hinaus. Sie liebte es, wenn ein Plan funktionierte, aber der hier hatte nur gut begonnen und war dann zu einer kleinen Katastrophe geworden. Nachdem der erste Kampf – der des Meuchlers um sein Leben – erfreulich schnell ein Ende gefunden hatte – genau wie des Meuchlers Leben – hatte sie gewagt sich ein wenig zu entspannen. Hatte ein Gespräch mit dem klapprigen Kahlkopf Padraig begonnen, als ihr der spitze Schrei einer Frau das Rückgrat hinabgeschauert war.
Selten war sie so froh gewesen, dass niemand auf dieser Insel ihre Beweggründe zu hinterfragen wagte.
Sie war den Gang entlang gerannt, hatte die Doppeltür aufgestoßen und war in die Nacht hinausgestürzt. Zu ihrem eigenen Glück hatte die Hexe sich heftig gewehrt und war so leicht ausfindig zu machen gewesen.

Es hatte nicht lange gedauert ihrem Schützling die Grundregeln friedlichen Zusammenlebens durch Gewalt beizubringen. Aber nachdem auch das Geräusch des rieselnden Steins verklungen war, der an der Stelle von der Wand fiel, gegen den sie ihn geschmettert hatte, fand sie sich zwischen drei leblosen Körper wieder. Und einer war seltsamer als der andere gewesen!
Der Meuchler hatte einen ganzen Haufen kleiner Obsidianhände mit sich geführt, als habe er erwartet mindestens zweihundert Geweihte auf der Insel richten zu können. Und der stattliche Henker von Greifenfurt – von dem sogar sie schon Geschichten gehört hatte – hatte sich mit Blut bespritzt wie ein Jungvampir der als Dreijähriger gebissen worden war.

Aber am verstörendsten war die Hexe. Sie hatte – inmitten ihres eigenen Blutes – umringt von erblühten Rosen auf dem Rücken gelegen, ihre dunklen Haare um den Kopf herum aufgefächert. Dies Bild alleine hätte der Borongeweihten durchaus zusagen können. Eine Szene, die vor etwa zwei Jahrhunderten in Vinsalt sicher für tränende Augen gesorgt hätte. Aber nicht nur, dass diese Rosen aus irgendeinem ihr völlig unbekannten Grund noch ihre Wurzeln hatten – noch dazu hatte Zerwas der jungen Frau bei seinem Angriff offensichtlich den Kiefer gebrochen, sodass ihr Gesicht grotesk deformiert ausgesehen und die hübsche Szene vollkommen ruiniert hatte.
Und überhaupt…, schoss es ihr durch den Kopf. Wer trägt denn _nur_ Rot, wenn er auf eine Insel kommt, die das Heim von wenigstens zwei Vampiren ist?

Zugeben musste sie allerdings, dass ihr der Mut der jungen Frau imponierte. Und wenn sie ganz ehrlich war – und tief versteckte Wahrheiten an den Haaren an die Oberfläche zog – dann bewunderte sie auch die Liebe, die sie für diesen toten Mann empfinden musste. Mitten in der Nacht mit Rahjarosen auf einer solchen Insel anlanden und dann nicht einmal einen Zauber gegen den Geliebten zu richten, der einen tierhaft anfiel – so etwas vermochte nur ein wahrhaft liebendes Herz.

Sie öffnete die Augen nur kurz – ihre Laterne war offensichtlich erloschen, während sie nachgedacht hatte – aber die war ohnehin nur Tarnung. Einen echten Nutzen hatte sie nicht.

Den Körper des Meuchlers hatte sie noch an Ort und Stelle dem großen Fluss überantwortet. Wer ihre Geweihtenschaft angreifen wollte, der sollte sich doch mit dem Flussvater oder Efferd selbst herumschlagen. Sie jedenfalls würde sich nicht die Mühe machen, ihn zu begraben. Auch Zerwas hatte sie sich selbst überlassen. Seine Wunden würden heilen und er fände selbst zurück. Nur Neferu – so der Name des Hexenweibes – war tatsächlich in ihre Obhut gekommen. Die Wunde zu schließen war einfach gewesen – aber auch verführerisch. Das Blut dieser Frau hatte anziehend genug gerochen, um ihre Fangzähne hervorspringen zu lassen. Aber im Gegensatz zu dem besinnungslosen Möchtegern-Erzvampir hatte sie sich zu beherrschen gewusst.

Den Kiefer zu richten hatte allerdings ihre Fähigkeiten überschritten. Es war notwendig gewesen, die Rotgewandete durch den Tunnel, der die Insel mit der Stadt verband, in das Haus eines befreundeten Heilers zu schaffen. In seinen Keller – um ganz genau zu sein. Dort hatte die Vampirin sie zurückgelassen. Wohlwissend, dass sie vorerst am Leben, in Sicherheit und in besten Händen war. Auf dem Rückweg war sie gerade rechtzeitig zurück an die Oberfläche der Insel gekommen, um die ersten Versuche des Henkers mitzuerleben, der wieder auf die Füße zu kommen bestrebt war. Sie hatte sich seiner angenommen und ihn in seine Zelle eskortiert, in der er dann gänzlich zu sich gekommen – und vollkommen außer Kontrolle geraten war. Erst die wiederholte Versicherung, dass die Frau, die er liebte, leben würde, hatte ihn zur Ruhe kommen lassen – weit genug jedenfalls, um die Tür anständig zu verrammeln.

Nun, eine gute Stunde später saß sie vor der Statue und betrachtet sie müßig. Es war so schön ruhig gewesen…