Havena 18 (Zerwas)

Kategorien: 1013 BFDer Tod trägt RotHavenaZerwas

Die Dunkelheit des Zimmers im ersten Stock des Heilerhauses war nicht derart vollkommen wie sie es in den Verliesen der Boronsinsel war, aber sie reichte um ihn vor den Blicken eines neugierigen Pflegers zu schützen. Er drang durch das Fenster in das Zimmer ein, in dem die rote Hexe ruhte. Ihr Geruch hing nur schwach in der Luft, beinahe so, als sei ihre Existenz, ihre Lebenskraft auf ein Weniges zusammengeschrumpft.

Schuld krampfte in seiner Brust, als ihm ein wesentlich deutlicherer Geruch in die Nase stieg – der nach Knochenmark und geronnenem Blut. Zwar hatte er ihn erwartet, da Sagarta ihn auf die Verletzung hingewiesen hatte, aber er traf ihn dennoch mit unerwarteter Härte. Nicht, weil er den Geruch schwerer Verletzungen nicht gewohnt gewesen war, sondern weil diese Verletzung von ihm herrührte, obgleich er sie niemals beabsichtigt hatte.

Seine Lippen waren trocken, sodass er darüber lecken musste. Es kam selten vor, dass er in eine Situation mit derart hohem Einsatz und derart ungewissem Ausgang geriet. Ein ungewohnt drückendes Gefühl lastete auf seiner Brust, als er sich lautlos dem Bett näherte – das Gefühl etwas Wunderbares zerstört zu haben. In wenigen Sekunden vernichtet zu haben, was sich über Jahre bewährt hatte. Das bittere Gefühl eines schweren Verlustes, das sich eines Herzens bemächtigte, wenn ein geliebter Mensch zu Boron gefahren war, stieg in ihm auf, als er neben der schlafenden Frau mit den dicken Verbänden um den Schädel auf das Bett sank.

Niemals zuvor war Neferu ihm derart zerbrechlich vorgekommen, wie in diesem einen Moment. Und ihn beschlich das ungute Gefühl, dass der Verband, der eine Hälfte ihres Gesichtes, einschließlich des Auges verbarg, ihm den wahren Schrecken noch vorenthielt.
Das Gefühl eines bevorstehenden Unheils sprang seine Brust hinauf, als die Atemzüge der jungen Frau unregelmäßiger wurden und sich eines ihrer Augen öffnete. Hätte er ein schlagendes Herz gehabt, es wäre dem zerspringen nahe gewesen. Der Moment der Wahrheit war gekommen. Sie würde vor ihm zurückzucken – um Hilfe rufen oder vielleicht sogar versuchen aus dem Bett zu gelangen, nur um ihm zu entkommen, da war er sich sicher.
Er hielt inne, rührte sich nicht – doch nichts geschah. Sie sah ihn einfach nur aus dem einen Auge wach und aufmerksam an, die Miene reglos. Ob sie unter Schock stand?
Ihm wurde klar, dass es an ihm war etwas zu sagen.
Mit brüchtiger Stimme wollte er sie gleich im Vorfeld beruhigen:„Hab keine Angst, ich will dir nichts tun.“
Noch immer war in den Atemzügen der Frau keine Panik auszumachen. Langsam und tief hob und senkte sich ihr Brustkorb.
In vorsichtigen Bewegungen, denn er wollte sie nicht verunsichern, nicht erschrecken, ließ er sich neben ihr auf das Bett sinken. Er musste sie aus der Nähe betrachten.
In die düsteren Misstöne der nagenden Angst mischte sich eine leise, hoffnungsvolle Melodie. Konnte es denn sein, dass ihre Liebe für ihn selbst diesen Angriff unbeschadet überstanden hatte? „Bitte hab‘ keine Angst vor mir…“, bat er sie leise, diesmal selbstsicherer.

Langsam schob er seinen Kopf weit genug vor, um mit seiner Stirn die ihre zu berühren. Kühles Fleisch stieß auf Warmes und blieb dort. Kein Zurückzucken ihrerseits, sie ließ es geschehen.
Zaghaft streckte er seine Rechte aus, um sanft mit einem Finger den Verband ihrer verwundeten Wange zu berühren. Was hatte er ihr nur angetan.. Er hoffte inständig, dass es eine Möglichkeit gab, die Verletzung schneller heilen zu lassen – ihr die Schmerzen zu nehmen.
Noch immer entzog sie sich ihm nicht. Blieb ruhig und nahe bei ihm liegen, machte weder Anstalten zu fliehen, noch zu schreien.
In einem Automatismus, der von vielen gemeinsam verbrachten Tagen und Nächten herrührte, suchte seine Hand unter der Wolldecke nach ihrer. Eine Welle der Erleichterung fuhr durch seinen Körper, als ihre schlanken Finger sich wärmend um seine schlossen und innig zudrückten.
„Bitte hass‘ mich nicht…“, flüsterte der Vampir seiner sterblichen Geliebten leise zu. Noch immer hielt das Gefühl, einer furchtbaren Katastrophe gegenüber zu stehen, sein Herz eng umfangen. Dass sie ihm tatsächlich bereits verziehen hatte, war irreal, lag so weit von seinen Erwartungen entfernt, dass sein Geist diese Möglichkeit nicht als Ergebnis seiner Handlungen einzuschätzen vermochte.

Während er mit seinen Gefühlen haderte, zweifelte und sich grämte, spürte er, wie der schwache, bettwarme Körper sich an seinen schmiegte, während Neferus Hand der seinen entglitt. Ihre Arme schlangen sich um ihn, schienen ihn so fest halten zu wollen, dass er nie wieder fort konnte. Zusammen mit der Wärme des Körpers neben sich, kam die Wärme in seinem Herzen. Obgleich sein schlechtes Gewissen ihn noch immer quälte, konnte er doch nicht anders, als dem Gefühl nachzugeben. Er drückte sie an sich, als könne sie ihm jederzeit wieder entrissen werden.
Obwohl er es nicht für möglich gehalten hatte, spürte er, dass der Kelch aus dem die Hoffnungslosen tranken, an ihm vorübergegangen war. Ein Umstand, für den er die Frau in seinen Armen nur umso mehr liebte.