Trallop 2 (Zerwas)

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Er atmete durch den Mund aus und sah der schwachen Wärmewolke nach, die er dabei erzeugte. Diese Art kleiner Freuden war vergänglich. Überhaupt war es ihm nur möglich, seinen eigenen Atem zu sehen, wenn sein letztes Mahl nicht allzu lange her war. Zu schnell stahl die Wärme sich wieder aus seinen Adern.
Der Vampir verzog die Miene und stieß sich von dem Holzgeländer ab, das den Balkon umgab auf dem er stand um auf die nächtlichen Gassen Trallops hinab zu sehen. Wolfhelm verspätete sich, kein erfolgreicher Anfang für Geschäfte die eine kleine Ewigkeit währen sollten.

Nachdenklich wandte er den Blick von der Straße ab und ließ ihn in den Nachthimmel schweifen. Neferu war mit ihrer Bußqueste beschäftigt. Ein Unterfangen, dass wiedergutmachen sollten, was in der Vergangenheit schief gegangen war. Ein Ansinnen von äußerster Wichtigkeit. Es war nie gut die Vergangenheit unbereinigt zu lassen, lose Fäden von dem Gespinst des eigenen Lebens sorgten nur dafür, dass man sich früher oder später in ihnen verfing. Ja – er unterstützte ihre Bußqueste wirklich und wäre ihr heute wie auch sonst gerne gefolgt. Nur zur Sicherheit.
Aber heute trat er seine ganz eigene Bußqueste an. Auch diese hatte zum Ziel, einen Fehler seiner Vergangenheit zu korrigieren.

Unsichere Schritte unten in der Gasse ließen ihn aufmerken. In den Schatten der kleinen Nebenstraße bewegte sich eine Gestalt vorsichtig vorwärts und sah sich dabei suchend um. Den Hals verdreht, um möglichst in alle Richtungen sehen zu können, rammte sie einen Eimer, der polternd über das Pflaster davonrollte. Erschrocken machte die Gestalt halt und erstarrte – Wolfhelm war angekommen.
Mit einer flinken Bewegung war sein langlebiger Geschäftspartner über das Geländer hinweg und hinab in die Gasse gesprungen. Das Geräusch des Eimers hatte ihn mit Leichtigkeit übertönt, sodass er es unbemerkt in Wolfhelms Rücken geschafft hatte. „Wolfhelm. Du bist zu spät.“, ließ er ihn mit der Ruhe eines Mannes wissen, für den Zeit den Großteil ihrer Bedeutung verloren hat.
Der arme Mann zuckte noch einmal zusammen und wirbelte herum. „Ich…ich…“ brachte er hervor, während Zerwas ihn in Ruhe musterte.
Wolfhelm stammte aus Baliho und war dort Holzfäller gewesen, bis er sich bei der Arbeit mit Esche vergiftet hatte. Das war inzwischen etwas mehr als zwei Wochen her, aber das Gift schwächte ihn zunehmend, sodass er seine Arbeit nicht mehr ausführen konnte. Er hatte in Trallop nach Hilfe gesucht, aber – noch – keine gefunden. Besonders, da er sich bei der Geweihtenschaft Peraines nicht blicken lassen konnte. Um zu überleben hatte er mehrfach Firun freveln müssen – und in einem Fiebertraum einem Angebot Belshirashs zugestimmt. Zwar war er damit lediglich einen Minderpakt eingegangen – aber die Göttern waren weniger großmütig als Zerwas.
„…und dann waren da Wachen, also musste ich…“, stammelte der Mann sich gerade zusammen, während er den Vampir anstarrte. „Jaja. Ich kann meine Euphorie kaum zügeln.“, unterbrach Zerwas ihn. „Kommen wir zum Geschäftlichen. Deine Krankheit lässt dir keine Zeit für ausschweigende Entschuldigungen und mich interessieren sie nicht. Was hat der Medicus gesagt, wie lange du noch hast? Das Geld, das ich dir gab hat gereicht, nehme ich an?“
Ein Rasches Nicken war sein Lohn. „Er sagt, ich habe nicht mehr als 6 Götternamen. Bei den gütigen Schwestern! Ihr müsst mir helfen!“, die geröteten Augen in dem schmutzigen Gesicht mit dem langen, schwarzen Bart füllten sich mit Tränen, als er flehentlich seine Hände rang.

Bei Borons Gnade…hör auf zu wimmern, du Äffchen., schoss es dem Vampir durch den Kopf. „Dein Leben ist gerettet, Wolfhelm. Mehr noch – ich biete dir ein Leben das durch nichts mehr beendet werden kann. Du siehst der Unsterblichkeit entgegen…wenn du tust, was ich dir sage. Betrachte es als – eine Prüfung deiner geistigen Fähigkeiten und deiner Loyalität.“ Er verschränkte die Arme vor der breiten Brust und ließ seinen stechenden Blick in die Augen Wolfhelms wandern, der nickte, als hinge sein Leben davon ab.
„Es gibt da eine Stadt, die mir, obgleich sie mich behandelt wie einen Aussätzigen, sehr am Herzen liegt. Eine Stadt, die in diesen Tagen allzu sehr von inkompetenten Narren gelenkt wird. Sicher verstehst du, dass ich nicht zulassen kann, dass meine Heimat, meine Stadt wegen einiger törichter Ketzer zugrunde geht?“, langsam legte er seinen Kopf zur Seite und fixierte seinen Gesprächspartner.
Eben jener nickte erneut:“Natürlich, Herr! Was kann ich tun, um mich zu beweisen?“
Ein Lächeln huschte über das Gesicht des Nachtkindes. Die Ideale der Menschen krankten alle an demselben Fehler ihrer Rasse: Der Sterblichkeit. Er kannte nur wenige Menschen, die Golgaris Schwingen hörten und das Angebot auf ein langes, glückliches Leben ausschlugen, nur weil es von einem Vampir kam. „Es ist keine schwere Rolle, die du in dem Stück, das du ‚Leben‘ nennst spielen wirst.“, rasch warf er ihm einen Beutel zu, der mit nicht weniger als 200 Dukaten gefüllt war. „In einer Woche wird Anshag Lichtenfold, seines Zeichens wohlhabender Händler von Bernstein aus unserer wunderschönen Hauptstadt Gareth, in Greifenfurt eintreffen. Dort wird er mit den Geweihten Praios‘ handeln, mit ihnen trinken und versuchen bei ihnen zu nächtigen. Anshag ist ein frommer Mann, dessen Frau viel zu früh verstarb, sodass er sein Töchterlein daheim stets dem Schutze des Götterfürsten anempfiehlt, wenn er sich auf Reisen begibt. Man wird ihm viel erzählen und er wird noch mehr mithören.“

Nach dieser Erklärung verstrichen einige Sekunden, in denen Wolfhelm zwischen dem Beutel in seiner Hand und der hoch aufragenden, dunklen Gestalt des Vampirs hin und her sah. Dann strafften sich seine Schultern und er rückte die Mütze zurecht, die er auf dem Kopf trug. „Und ich nehme an…es ist besonders die Herrschaft und ihre politische Situation, die Euch interessieren?“
„…und die militärische, ja. Ich sehe, wir haben uns verstanden.“, entgegnete der Alterslose. „Ich erwarte deinen Bericht in vier Götternamen. Fällt er zu meiner Zufriedenheit aus, dann erhälst du deinen Lohn und weitere Aufgaben. Jetzt geh – meine Zeit ist nicht weniger kostbar als deine.“
Mit einer scheuchenden Handbewegung veranlasste er den Mann zu gehen und wandte sich dann selbst von der kleinen Gasse ab.
Ein Haus in Aranien wäre sicher eine Sache, wenn Neferu es mit ihm bewohnte. Eine Situation, die viele Menschen einfach genießen würden. Aber der Vampir wusste – er würde dort kein vollkommenes Glück finden. Zu tief saß der Stachel aus seiner eigenen Stadt vertrieben worden zu sein. Sein Reich eingebüßt zu haben, weil ein knabenliebender Schönling getan hatte, was er am besten konnte: Ein Horn zwischen die Lippen nehmen. Ein wütendes Schnauben ließ Luft durch seine Nase schiessen. Greifenfurt war sein, niemand hatte einen älteren Anspruch auf die Stadt als er selbst! Und wenn er erst die Schwächen der Herrschaft kannte, würde seine kalte Hand das Schicksal der Stadt erneut bestimmen. Ein Schicksal, das ein Heim für seine Familie ebenso beinhaltete, wie eine Namensänderung.

Er hielt inne, als er das Haus erreichte, in dem Neferu und er dieser Tage nächtigten. Der Duft der jungen Hexe hing noch schwach in der Luft, würde aber bald Vergangenheit sein. Sie war noch nicht zurückgekehrt – also würde er auf sie warten.