Garion

Grangor 15 (Garion)

Sie hatte ihm den Rücken zugedreht. Zu spät sollte es sein…
Er presste die Augen zusammen. Ja, er hatte Mut bewiesen, hatte ihr endlich sein Herz ausgeschüttet, hatte gehofft ihr seine Gefühle beweisen zu können. Aber sie hatte ihn abgelehnt, jeden seiner Versuche ihr nahe zu kommen kaltherzig zurückgewiesen. Hatte ihm gesagt, dass er den Mut drei Monde zuvor hätte finden müssen.

Er verfluchte sich, klagte sich selbst vor dem Tribunal der Götter an, haderte mit dem Schicksal.
Sanft drückte er seinen Körper von hinten an ihren. Einen „toten Fisch“ hatte sie ihn genannt…
Das war es also, was man erhielt, wenn man sich in ruhiger Zurückhaltung übte…
Das war es, was man erhielt, wenn man sich Mühe gab, niemanden zu verletzen, indem man Rücksicht nahm.
Der Löwe in seiner Brust brüllte getroffen. Wie von der Kette gelassen begann er zu toben. Hitze stieg in ihm auf. Da bewegte sich der Körper vor seinem – Neferu drehte sich auf den Rücken und stellte ihre Beine auf. Seine Hand stieß mutig vor und fuhr über ihre Haut, glitt über ihre Hüfte und ihren Bauch. Ihr Atem ging heiß, kein Unbehagen lag in den tiefen Zügen. Ihre Hand berührte seine und führte sie fordernd ihren Körper hinauf.
Die Fronten hatten sich geklärt. Garion stand auf der einen, Phexdan auf der anderen Seite, ein Kampf war unausweichlich.
Vorsichtig schob er sein Bein über ihres und strich damit über die weichen Innenseiten ihres Oberschenkels.
„Ich liebe es deine weiche Haut zu berühren…“, flüsterte er in ihr nahes Ohr.
„Andere Frauen haben auch weiche Haut, Garion…“, gab sie zur Antwort und versetzte seinen Geist damit in flammende Unruhe, er wollte keine andere Frau!
„Sie sind mir nicht wichtig…alles was ich will bist du.“, er hörte sie leise einatmen, wie es schien hatte er endlich etwas gesagt, was ihr Herz berührte. Sie führte seine Hand an sich hinab:“Dann berühr mich Garion.“

Nichts hielt ihn zurück, als er sich ihr vollends zuwandte und seinen tastenden Fingern freien Lauf ließ. Wie lange hatte er diesen Wunsch tief in sich verschlossen, immer in dem Gedanken sie nicht zu brüskieren…und nun lag er hier mit ihr und genoss was er tat. Ihre Lippen begegneten seinen und öffneten sich weit genug um seiner Zunge Einlass zu gewähren. Wie im Fieber antwortete er ihr, ließ seine Zunge vorstoßen und eröffnete den Tanz ihrer Leiber. Dicht zog er sie an sich und flüsterte ihr ins Ohr:“Eben noch hast du jede meiner Annäherungen als ungeziemt zurückgewiesen…was ist los…?“
Die weibliche Stimme die ihm antwortete war die Neferus, doch erschreckte ihn die ihr innewohnende Sinnlichkeit beinahe. „Ich habe mich umentschieden… Garion… Schlaf mit mir.“

Er fühlte sich wie vor den Kopf gestoßen, ihm wurde heiß und kalt. Wollte sie ihm tatsächlich ihre Jungfräulichkeit schenken oder war das eine neue List Rahjas, die es auf seine totale Vernichtung abgesehen hatte und ihr perfides Spiel mit ihm zu spielen gedachte?

Ihm blieb keine Zeit den Gedanken weiter zu führen. Er versank in dem gierigen Wirbel seiner Instinkte, der Löwe hatte die Oberhand gewonnen und zwang den Körper des Geweihten auf den der jungen Frau. Das war es also: nach Wochen, Tagen und Monaten voller Schmerz und Entbehrung hatte Rahja endlich ein Einsehen und gestand ihm zu, was er sich schon so lange ersehnte, was er kaum zu hoffen gewagt hatte. Alles in ihm schrie danach sie sanft zu nehmen, ohne sie zu verletzten, aber sein Körper gehorchte ihm nicht mehr. Wie im Wahn fiel er über sie her, drang mit aller Macht auf sie ein und bemächtigte sich ihres Leibes. Sie genoss was er tat. Er spürte Schweiß, der sich schimmernd zwischen ihren Körper gebildet hatte, fühlte wie Neferu von einer Gänsehaut übermannt wurde, wie sich seine Nackenhaare in verzehrender Lust aufstellten.

„Bitte lass das keinen Traum sein.“, flüsterte er leise in die Dunkelheit hinein, an niemanden bestimmten gerichtet. Doch trotz des unbestimmten Empfängers erfolgte eine leise Antwort. Die Stimme war die Neferus: “Doch…aber das hast du geahnt.“

Garions Bewegungen wurden langsamer: “Du bist nicht sie…du bist ein Gedankenbild…nicht die Frau die ich liebe.“ Er spürte ihren heißen Atem an seinem Ohr. „Ich bin sie…du fühlst mich…ich bin real…dein Traum ist die Wirklichkeit.“
Etwas in Garion sträubte sich dagegen ihre Worte anzuerkennen…sein Traum war nicht die Realität…Träume waren nichts wert…waren Hirngespinste, Wunschvorstellungen. Er drehte sich auf den Rücken und zog den nackten Leib seiner Geliebten mit sich.
„Du bist nicht Neferu…du bist ein Teil meiner Gedanken…ein Wunsch. Nichts, was mir helfen kann.“.
Sie hob die Arme an und warf ihr Haar zurück. Ihr blanker Busen bewegte sich im Takt ihrer Hüfte, die sich auf dem Leib des Rondriten vor und zurück schob und ihm die Freuden Rahjas offenbarte.
„Ich bin ihr Unterbewusstsein…das was sie wirklich will. Sie wird diese Nacht den gleichen Traum haben wie du.“, ließ sie ihn keuchend wissen. Ihr Unterbewusstsein? War es möglich, dass ihre Geister sich auf der Ebene der Träume trafen?
„Was muss ich tun, damit sie sich mir zuwendet…?“, fragte er leise, unterbrochen von einem Laut der lustvollen Ekstase, die von ihm Besitz ergriffen hatte.
Er erhielt keine Antwort.

Dann öffnete er die Augen. Die Dunkelheit des Zimmers stürzte über ihm zusammen, begrub alle Hoffnung unter sich. Sein Blick wanderte zur Seite, wo ein Sonnenstrahl, der durch die Vorhänge in den Raum eingedrungen war die wahre Neferu beschien. Sie war noch immer von ihm abgewandt, die Kleider, die ihren Körper noch immer verbargen, waren die des Mannes, den sie liebte.
Es…waren nicht seine Kleider.
Schwermut griff nach seinem Herzen, als er ihre Zöpfe betrachtete, die sich wie die Strahlen einer dunklen Sonne um ihr Haupt ausgebreitet hatte. Er konnte nicht anders…er streckte seine Hand nach ihr aus und berührte sie am Arm.
„Schläfst du…?“, einen Moment lang herrschte Stille in dem Raum. Die Gefühle in seiner Brust rangen um die Antwort auf die Frage, ob er sich freuen sollte nicht gehört worden zu sein oder ob ihn die Enttäuschung übermannen sollte, weil sie ihn nicht einmal bemerkte, wenn er sie ansprach. Dann aber wurde ihm die Entscheidung abgenommen:“Nein, Garion…ich schlafe nicht.“

Er blinzelte sachte. Sollte sie im gleichen Moment aufgewacht sein wie er selbst…? Hatte die Neferu in seinem Traum die Wahrheit gesagt…? War sie ihr Unterbewusstsein gewesen? „Hast du etwa…die ganze Zeit noch nicht geschlafen?“, er brauchte einfach Gewissheit.
„Doch, habe ich…und ich hatte einen sehr…beängstigenden Traum.“, ihre Stimme beherbergte ein wenig Misstrauen:“Seit wann interessiert dich, was ich träume…? Ich erkenne dich nicht als den Garion, der du noch gestern warst.“

Er biss sich auf die Unterlippe. Der Garion, den sie gekannt hatte war ein Feigling gewesen. Der, mit dem sie nun sprach hatte Mut gefasst…den Mut eines verwundeten Tieres, das in die Enge getrieben worden war…aber ohne jeden Zweifel…Mut.
„Ich muss es wissen. Ich muss wissen ob unsere Träume sich ähneln.“, seine Kehle war trocken. Er hatte gehofft, dass sie ihm wenigstens diese einfache Frage ohne zu Zögern beantworten würde…aber sie hatte sich wohl doch weiter von ihm entfernt als er gedacht hatte. Vorsichtig nahm er sie in seinen Arm. „Ich…will dir nicht davon erzählen.“, wich sie ihm aus. Noch immer lag sie von ihm abgewandt.
„Und ich sage dir sicher nichts, ehe du mir nicht erzählt hast, was du geträumt hast.“ Herzklopfen. Seine Hände wurden kalt, es kribbelte in seinem Magen. Ihre Fragen trafen immer und immer wieder den Punkt an dem er am Verwundbarsten war.
„Ich habe von dir geträumt…“, versuchte er sie zu bremsen…vergeblich.
„Und was?“ Er schloss die Augen wieder als wäre es ein Weg dieser Situation zu entkommen…in sich selbst zu versinken und seinen Geist tief in dem Labyrinth seines Hirns zu verschließen. „Der Traum spielte…hier in diesem Bett…“

Sie seufzte leise. Tränen sammelten sich hinter seinen geschlossenen Lidern und fanden einen Weg seinen rechten Augenwinkel hinab in die Kissen. Sie hieß es nicht gut.
„Lass mich raten. Ich…habe dich berührt…“.
Er bejahte.
„…dich geküsst…und gestreichelt.“.
Wieder konnte er nur nicken. Sie quälte ihn. All diese Verheißungen von ihren Lippen waren ihm verschlossen, waren nur noch für einen bestimmt. Die Bestätigung seiner Gedanken schnitt wie ein Blitz durch seine Gefühle.
„Dann kann ich mir denken, was du geträumt hast.“, die Stimme war trocken, lieblos, beinahe wie von Gefühlen befreit. Es hätte ihn nicht härter treffen können, hätte sie ihm ins Gesicht geschlagen und ihn angeschrien, dass sie ihn hasste. Alles um ihn herum begann sich zu drehen.
„Was hast du geträumt…? Sag es mir.“, bat er unter Aufbringung all seiner Kräfte.
„Ich habe von dir geträumt, Garion.“.
Da war er…der Lichtblick…wieder fasste er Hoffnung. Doch etwas trübte das Gefühl. Zu oft hatte er sich die letzten Tag an seine Hoffnung geklammert und war enttäuscht worden. Eine kleine Stimme flüsterte ihm zu, dass auch diese Hoffnung brüchig sei, dass sie ihm keinen Halt bieten würde.
„Was hast du geträumt…?“

Sie zögerte einen Moment zu lange.
“Der Traum spielte vor der offenen Hand…du hast Phexdan zum Duell gefordert, er wählte als Waffe die Zunge und hat dich in Grund und Boden argumentiert.“ Sie hatte gelogen, das fühlte er…hatte eine Lüge geschaffen, die ihn verletzte. War sie seiner über? Wollte sie ihn brechen und für den Rest seines Lebens sicher in der Zelle eines Noionitenklosters verwahrt wissen? „Das ist nicht wahr, Neferu…sag mir die Wahrheit.“, entkam es seinen Lippen, ohne, dass er es wirklich wollte.
„Nein, Garion…es war ein Traum, der mir mehr als unangenehm war…auch wenn du dabei besser weggekommen bist. Zumindest aus deiner Sicht.“, damit verfiel sie in ein Schweigen, das er nicht mehr zu brechen vermochte. Alles was ihm blieb…war ihr warmer Körper, an den er sich klammerte wie ein Ertrinkender an den letzten Rest einer Planke von der wusste, dass er früher oder später abrutschen und dann ertrinken würde.

Sie hingegen hing ebenfalls Gedanken nach, die sie schnell fortwischen wollte. Der Traum war noch so real. Sie hatten sich duelliert und Garion hatte gewonnen. Ihren Phexdan getötet.
Sie presste die Lippen aufeinander und versuchte das Bild des sterbenden Füchschens in ihren Armen zu verdrängen.

Grangor 14 (Garion)

Die Phase seines Schlafes dauert nicht einmal eine Stunde. Obwohl der frühe Morgen draußen bereits graute, schien es immer noch die beruhigende, zeitlose Schwärze der Nacht, die sie beide umgab, denn die schweren, dunklen Vorhänge waren zugezogen.
Neferu lag ruhig atmend tief in Borons Armen auf seiner Schulter.
Garion betrachtete die junge Frau lange, die sich vertrauensvoll dem Schlaf hingegeben hatte. Was sie wohl träumte? Ob er darin vorkam? Obwohl sein Körper warm war und die Wärme unter der Decke durch die aneinandergeschmiegten beiden Körper noch erheblich mehr Temperatur und Gemütlichkeit aufwies, fröstelte er.
Er musste seinen Mut wiederfinden, der ihm einst durch Küsse ihrer sinnlichen Lippen belohnt worden war.
Warum also nicht? Was hatte er zu verlieren?

Er neigte sich langsam vor und legte seine Lippen auf ihren schlafenden, weichen Mund. Sie reagierte nicht. Noch ein Stückchen schob er sich über sie und wagte mit der Zunge einen zärtlichen Versuch. Da! Ihre Arme hoben sich schlaftrunken und legten sich um seinen Hals, ehe sie den Kuss mit weiterhin geschlossenen Augen in einer steilen Kurve an Leidenschaft zunehmend erwiderte. In Garion flackerte eine zarte Hoffnung auf, auch er mehrte die Wildheit seiner begehrenden Bewegungen. Er fasste sogar den Mut seinen erregten Leib auf sie zu schieben.
Bis… ja, bis ihr ein Wort fiebrig gehaucht im Halbschlaf entkam: „Phexdan…“

Er wurde starr, doch ihre Hitze blieb. Sie schmiegte sich immerwährend an ihn und berührte ihn, als gäbe es nichts anderes von Priorität.
„Endlich…. Endlich darf ich dich-“, er drehte seinen Kopf zur Seite. Weg…nur weg von dem beißenden Schmerz, den ihre Lippen ihm bereiteten.
„Neferu, wach auf…“ bat er sanft und mit zitternder Stimme, „Ich bin nicht Phexdan… Wach auf und sieh mich an. Ich bin Garion… Garion, der dich liebt…“ Er fühlte seine Augen brennen, während er in die Dunkelheit starrte.
„Nein, ich will nicht aufwachen…“ erklang es leise und schlaftrunken, „Küss mich weiter… solange ich die Augen geschlossen halte, bist du meine Liebe, bist du Phexdan… Und deine Annäherungen sind mir willkommen…“
Drängend schob sie sich immer wieder dicht an seinen Leib. Rahja lachte nicht über ihn…Rahja spielte kein Spiel…sie führte Krieg, der nur ein Ziel kannte…totale Vernichtung.

„Neferu, nein… ich bin nicht Phexdan – Ich bin Garion! Und ich liebe dich! Ich gebe dich nicht her…“ Er umarmte sie fest, seine Worte hatten einen fast verzweifelten Klang bekommen. Nicht auf rahjaische Art war seine innige Umarmung, sondern eher in der Weise der Angst zu verlieren, was ihm am liebsten war.
Langsam schien sich der Schlaf komplett von ihr zu lösen.
„Garion…?“ murmelte sie zögerlich. „Was… was ist los mit dir?“
„Nef… Meine Nef…. Du kannst ihn nicht heiraten. Ich bin dein Gegenstück… Ich liebe dich seit dem ersten Tag, an dem ich dich sah.“ Heiß traten ihm erneut Tränen in die Augen und seine Stimme erlangte einen beklommenen Ton, trotz ihrer Festigkeit. „Du darfst ihn nicht heiraten, denn lange schon gehörst du zu mir. Erinnere dich an den innigen Kuss, den wir in Gareth in der Herberge Heldentrutz teilten. Erinnere, dass wir beieinander gelegen und uns beinahe einander hingegeben hätten…“ Noch nie hatte soviel Gefühl in seinen Worten gelegen. Noch nie war er so ehrlich zu ihr gewesen wie in diesem Moment. Noch immer lag sie in seinen Armen, geschützt durch die unwirkliche Dunkelheit des Raumes. Er hatte alles aufgegeben, hatte alle Ängste bei Seite geschoben, die Angst sie zu verlieren hatte die Angst von ihr verlacht zu werden ein für allemal besiegt.
Sie schien irritiert und überrumpelt, drehte sich von ihm fort. Einige Momente hing stilles Schweigen im Zimmer, das trotz Morgengrauen noch immer in tiefe Nacht gehüllt war.

„Ich erkenne dich kaum wieder… Hast du dich über eine Nacht so sehr verändert? Wo ist deine leidenschaftslose Beherrschung? Deine vernunftsbetonte Vorstellung von Liebe, die der meinen so gar nicht ähnelt?“
Er brannte ihr einen Kuss in den Nacken.
„Ich habe erkannt, dass meine Beherrschung dich hat von mir abwenden lassen. Ich will nicht länger beherrscht sein.“ Er streichelte sie mit seinen schwieligen Kriegerhänden so sanft wie möglich an der Schulter, ehe er auch dort eine Berührung seiner Lippen hinterließ. All das durfte sie ihm nicht rauben. Er konnte nicht darauf verzichten sie zu berühren, er würde als gebrochener Mann sterben…als Mann, den das Alter vor der Zeit erreicht hatte.
Ihre Antwort kam seufzend:
„Glaub mir Garion, Selbstbeherrschung ist eine gute Sache. Würde ich mich nicht selbstbeherrschen, würde ich nur Leid verursachen.“
Was meinte sie damit? Eine leise Stimme in ihm flüsterte einen Schleier von Hoffnung. Wenn sie sich nicht beherrschte… würde sie dann ihn, Garion küssen? Weil sie in Wahrheit etwas für ihn empfand, das sie nur in sich verborgen hielt?

Er forderte sie auf die Beherrschung sein zu lassen und sie begann wie in Trance schnell und mit sanfter Stimme zu sprechen.
„Wir lieben einander, seit sich unsere Blicke das erste Mal trafen, hier in Grangor, einen Tag nach der Ankunft. Er war so schön… Mein Füchschen. Auch wenn ich ihn nicht berühren kann… Er duftet nach Rosen… Sein schwarzes, strubbliges Haar ist weich… Seine grünen Augen… Nie hat mich jemand so durchdringend und intensiv angesehen wie er. Nie hat mich jemand so endgültig umarmt wie er. Er kann alles von mir haben. Alles… Ich werde ihm nichts verweigern.“
Garion fühlte die Schwärze des Raumes auf sich zukommen. Er hatte das Gefühl, er würde sich drehen und fallen und stammelte, sich an seinen Mut klammernd die Antwort:
„Ich kann auch nach Rosen duften, wenn du das willst… Mein Haar ist auch schwarz und weich… meine Augen sind auch grün…“
Sie reagierte nicht. Offensichtlich hatte sie seinen Rat befolgt und die Schranken ihrer Beherrschung niedergerissen. Ihre Worte entkamen so leicht den begehrten Lippen, dass es zusätzlich zu der Bedeutung schmerzte:
„Es ist als würde ein Stück von mir fehlen, wenn er nicht bei mir ist… Sind wir zusammen, bin ich erst vollständig. Ich habe ihn gebeten, mich zu küssen, aber er wollte nicht… konnte nicht… aus irgendeinem Grund. Ich nahm stattdessen seine Hand und streichelte sie so zärtlich es mir möglich war. Ich berührte sie mit meinen Lippen, ohne jedoch zu küssen. Ich sah, wie sich die Härchen seiner Hand im Schauer aufstellten… Behalte es für dich, ich weiß nicht, ob sie wollen, dass andere es erfahren: Phexje ist sein Bruder. Wir gingen zusammen auf den Markt, ich an der Hand des Kindes. Ich kaufte ihm einen Holzfuchs. Dann begegneten wir Phexdan. Seine blaue Kleidung schmeichelte seinem Leib – er ist nicht klobig und breit, sondern anmutig und athletisch. Wir… brachten Phexje gemeinsam zu einem Spielkameraden. Zu dritt, der Junge auf seinen Schultern. Auch wenn das Füchschen zwischendurch in einen der Kanäle sprang, um den Fuchs zu retten, der hineingefallen war….“ Sie hielt inne und der Redeschwall wurde endlich unterbrochen.

Die Übelkeit, die in Garion aufgestiegen war brachte ihn beinahe zum Bersten.
„Du siehst. Es ist besser, wenn ich mich selbst beherrsche. Sonst verletzte ich dich unnötig.“
Raunte sie leise. „Verzeih mir, aber… Es ist zu spät. Hättest du mich vor einigen Monaten diese Leidenschaft spüren lassen, dann… aber jetzt… Die Götter haben mich für Phexdan bestimmt. Endlich hat die Füchsin den Fuchs gefunden.“

Garion erstarrte. Er spürte wie sich etwas in ihm regte, etwas, dass er vor noch nicht all zu langer Zeit das erste Mal gespürt hatte. Es kroch aus der Nähe seines Herzens seinen Hals hinauf…dann übermannte ihn der Schlaf mit einer Wucht, die er nie für möglich gehalten hätte. Wie viel gnadenvoller war doch Boron, als es seine Schwester jemals gewesen war…

Grangor 13 (Garion)

Langsam streckte er sich auf dem Bett aus und betrachtete seine nackten Zehen für einen Moment der Stille. Er hatte darauf verzichtet sich auszuziehen, immerhin stand die Tür seines Zimmers offen. Es begann bereits zu dämmern und Neferu war noch immer nicht zurück – und wenn sie es war wollte er es sofort wissen. Es war schon einige Tage her, dass er ihr die Rose auf das Kissen gelegt hatte. Seitdem quälte ihn nagende Ungewissheit. Sie hatte die Rose mit keinem Wort erwähnt, weder ihm, noch (zumindest soweit er wusste) Richard gegenüber. Es war als stünde er vor dem Inquisitor, der noch mit seinen Schöffen über das Urteil beriet.

Mit einem unangenehmen Kloß im Hals rieb er sich über die geschlossenen Augen. Seine Gedanken klammerten sich an das kleine Zimmer in dem er lag. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er getan was er konnte. Sein Schicksal lag in Rahjas Händen, zumindest bist Neferu zurück käme. Zwar hatte er keine Ahnung wie er sie ansprechen, oder was er sagen sollte, aber er hatte sich geschworen herauszufinden, was anders war, warum sie kaum noch mit ihm sprach, wohin das wundervolle Flackern in ihre Augen verschwunden war. Mit einem unguten Gefühl in der Magengegend entzündete er die Kerze auf dem kleinen Nachttisch neben seinem Bett. Ein warmer, beinahe beruhigender Lichtschein machte sich im Zimmer breit und beschien das Bett und das sorgenvolle Gesicht des Geweihten. Eigentlich hatte er vorgehabt sich mit einem der Bücher aus den Regalen seines Gastgebers abzulenken, aber noch konnte er sich nicht dazu durchringen nach dem Buch zu greifen. Es gab noch so viel zu bedenken, so viele Sorgen, so viel Schmerz. Seiner trockenen Kehle entrang sich ein Seufzen.
Als er nach seinem Wasserschlauch griff musste er an seine Kindheit denken. Er hatte Angst vor der Dunkelheit gehabt, war jedes Mal wenn er in den Keller hinabsteigen musste schier wahnsinnig geworden. Er lächelte abgeschlagen. Damals hatte er gedacht, dass er niemals vor etwas mehr Angst haben würde als vor dem Keller der Burg Ithars…wie er sich doch getäuscht hatte.
Mit fahrigen Fingern verschloss er den Wasserbeutel wieder. Ihm war nicht nach trinken, so trocken seine Kehle auch sein mochte, er verspürte einfach nicht den Wunsch etwas zu trinken. Überhaupt hatte er, wie ihm nun auffiel, seit dem Ablegen der Rose kaum etwas getrunken und gar nichts gegessen. Merkwürdig, er spürte den Hunger, der ihn ohne jeden Zweifel plagen musste gar nicht.
Wo Neferu wohl gerade war? Ob sie diesen Phexdan suchte? Er drückte die Lippen aufeinander. Ob die Götter ihm etwas übel nahmen? Er hatte ihnen soweit er wusste nach bestem Wissen und Gewissen gedient. Sogar Grangor hatte er auf Geheiß Rahjas gerettet ohne dafür auch nur ein Dankeswort zu erhalten. Warum hätte sie ihm zürnen sollen? Unruhig warf er sich auf die Seite, sein Blick suchte und fand den Zweihänder, der inzwischen gereinigt und geschliffen an den Tisch lehnte. Er konnte die Spiegelung der Kerzenflamme in dem blitzenden Stahl sehen, auch sich selbst als verzogene Illusion. Den traurigen Rest dessen, was er eigentlich war.
Er legte die Hände unter seinem Kopf zusammen. Wie sein Leben wohl weiter verlaufen würde? Er wusste aus den Geschichten der Erzähler auf dem Markt in Festum, dass man auf schwere Zeiten später zurückblickte und sie als eine Art undurchsichtigen Knoten in seinem Lebensfaden empfand, als etwas dessen Verwirrungen man zwar inzwischen gelöst zu haben glaubte, die man aber dennoch nicht in vollem Umfang verstanden hatte. Langsam drehte er sich wieder auf den Rücken. Ithar hatte ihn ja gewarnt, hatte ihm gesagt, dass Liebe war wie sein Schwert wegzuwerfen und sich der Gnade des Gegners auszuliefern. Man mochte damit überleben, aber genau so gut konnte das Gegenüber einen foltern oder mit einem gezielten Stich töten.
Nun, da diese Unterhaltung schon einige Jahre zurück lagen spürte er die Wahrheit in Ithars Worten.
Mit einem gewaltigen Druck auf seinem Hals schwang er kurzentschlossen die Beine aus dem Bett. Der Boden kam ihm hart vor, jetzt, da seine Füße nicht von seinen Stiefeln umschlossen waren.
Schnellen Schrittes verließ er das Zimmer durch die ohnehin offene Tür und bog nach rechts ab, direkt auf das Zimmer zu, dass Richard und Neferu…oder Nef, wie er sie in Gedanken zu nennen pflegte, sich teilten. Richard musste da sein, er war selten spät noch unterwegs. Garion war sich darüber im Klaren, dass Richard nicht verstehen wollte, warum er gerade zu ihm kam, aber…er hatte eine seltsame Art von Vertrauen zu diesem Strauchdieb gefasst. Und er brauchte dringend jemanden zum reden.
Ein letztes Mal atmete er leise ein und fragte sich ober hinter dieser Tür die zweite Demütigung dieser Tage auf ihn wartete, dann klopfte er an und öffnete die Tür.
Garion verharrte. Das Zimmer vor ihm war leer, weder Neferu noch Richard waren anwesend. Wäre das alles gewesen, so wäre er geknickt in sein Zimmer zurückgeschlichen, aber ein kurzer Blick zeigte ihm, dass Richards Sachen verschwunden waren. Der junge Rondrit ließ seinen Kopf hängen, sicher, er hatte nicht viel von Richard erwartet, bestenfalls ein einziges freundlich gemeintes und in Gemeinheiten verpacktes Wort…oder ein mehr oder weniger mitfühlendes Schulterklopfen. Aber dass der junge Mann nun einfach verschwunden war ohne eine Nachricht oder ein Wort des Abschieds machte seine Zeit in diesem Haus nicht leichter. Kurz fasste er sich an die Stirn. Kopfschmerzen. Besser er legte sich wieder hin. Mit bekümmerter Miene zog er die Tür hinter sich zu und machte sich auf den Rückweg zu seiner Kammer, wo er sich wieder auf dem Bett ausstreckte.
Schließlich griff er nach dem Buch. Eigentlich interessierte ihn das Thema nicht sonderlich und er hatte berechtigte Zweifel daran, dass das Buch ihn würde ablenken können. Aber wenigstens einen Versuch wollte er dem Autor einräumen, also klappte er das Buch auf und begann im Lichte der kleinen Flamme die Zeilen des Buches abzutasten. Er konnte immer noch nicht sonderlich gut lesen. Ja, es reichte um auch kompliziertere Texte zu lesen, aber er brauchte für jedes Wort einige Sekunden. Er hätte früher damit anfangen sollen.
Plötzlich zuckte er zusammen. Waren das Schritte? Rasch verließ sein Blick das Buch. Tatsächlich! Neferu war auf den Flur getreten, durch die offene Tür seines Zimmers konnte er ihre Gestalt sehen, wie sie inne hielt, offenbar von dem Licht in ihrem Augenwinkel angezogen.
Rasch legte er das Buch zur Seite und richtete sich im Bett ein wenig auf. „Neferu…!“, sie wandte sich in seine Richtung und kam den Gang in seine Richtung hinauf. Es hielt ihn nicht auf dem Bett, er musste zu ihr!
„Garion, warum bist du noch wach?“, sie war wunderschön. Die dunkle Haut, die grünen Augen. Er mochte ihre neue Frisur, auch wenn er wusste, dass sie ihr nicht viel abgewinnen konnte. Er mochte die neckischen Zöpfchen. „Ich wollte auf dich warten, ich habe mir Sorgen gemacht.“, brachte er erleichtert hervor. „Es war schon so spät und du warst noch nicht da.“ Sie nickte sachte. Da spürte er es – etwas stimmte nicht. Sein Blick glitt in ihr Gesicht. Tatsächlich, sie haderte mit sich…etwas quälte sie. Die Miene, die sie trug ähnelte der eines Kindes, das etwas zerschlagen hat und seine Tat nun gestehen musste. Dann fiel sie ihm plötzlich um den Hals. Starr vor Schreck blieb er stehen, er spürte sein Herz schmerzhaft in seiner Kehle, es raubte ihm den Atem ihre Arme um sich gelegt zu fühlen…sollte sie seine Gefühle erwidern? War es möglich, dass auch sie bisher nur nicht die richtigen Worte gefunden hatte? Er atmete leise durch und legte seine Arme um sie…endlich…endlich würde alles gut. Er spürte ihre Lippen an seinem Ohr…sie öffneten sich, um ihm das lange zurückgehaltene Geständnis zu machen. „Garion…ich…“, gleich war es so weit! „….werde heiraten… Aber Phexdan ist jetzt erst einmal zwei Monate fort, du hast also zwei Monate Zeit mich umzustimmen.“, freundschaftlicher Scherz vergiftete die Klinge die ihre Worte führten.
Plötzlich war ihm schlecht…die Arme, die sich eben noch liebend um ihn gelegt hatten waren zu glühenden Ketten geworden, die seinen Geist und Körper peinigten. Seine Beine verloren an Gefühl als habe ihn die Faust des Golems direkt in den Magen getroffen. Eine kalte Kralle legte sich scharf um sein Herz. Garion gab seinen Beinen nach und ließ sich nach hinten auf das Bett fallen – Neferu behielt ihn im Arm und landete halb auf ihm. „Phexdan…“, schoss es ihm durch den Kopf. Ihr Haupt kam auf seiner Schulter zur Ruhe. Wie…wie lange hatte er sich gewünscht, dass sie zurückkehrte…? Wie lange hatte er gebetet, wie lange stumm gefleht. Und nun trieb Rahja diesen grausamen Scherz mit ihm.
„Ich habe einmal geglaubt dich zu lieben Garion, aber dann ist mir bewusst geworden, dass du das nicht erwiderst. Mir ist klar geworden, dass du nur eine Frau gesucht hast, die dir Kinder gebären kann, die dir hilft die Erwartungen zu erfüllen, die an dich gestellt werden. Sicher…dafür suchst du dir die Beste, die du kriegen kannst. Aber wirklich lieben…tust du mich nicht.“, er musste sich verhört haben…sie…glaubte tatsächlich er liebte sie nicht? Sie glaubte…er empfand eine Art zärtliche Freundschaft und wollte sie ansonsten nur völlig leidenschaftlos als seine Angetraute? Der Geschmack von Eisen breitete sich in seinem Mund aus, als er sich auf die Zunge biss. Ehe der Schmerz verschwunden war, sprach sie weiter. In ihre Stimme hatte sich wehmütige Melancholie geschlichen.
„Weißt du…. Ich war bei ihm und…Ich…kann ihn nicht berühren…oder küssen, aus irgendeinem Grund… wie ein Fluch. Er erlaubt es nicht.“ Sie schluckte, während sie ihren Kopf an seinem Hals vergrub. „Aber eigentlich…ist mir das fast einerlei, solange wir zusammen sein können.“
In dem Moment, den er für seinen größten Triumph gehalten hatte…wurden die Lieder dieses Barden aus Unau wahr. „Es ist nicht der Fall der schmerzt…es ist der Moment, wenn du auf dem Boden aufschlägst.“
Er war hart aufgeschlagen…Tränen stiegen ihm in die Augen…sie war so nah…und weiter weg als je zuvor. Er spürte wie sich heiße Tränen ihren Weg über seine Wangen bahnten, die Trauer hatte ihn schließlich geschlagen…hatte sein Herz als eine Festung mit weit offenen Toren vorgefunden und hatte sie gestürmt…was hatte er noch zu verlieren…? Er weinte lautlos.
Neferus Stimme drang durch den Nebel seiner Gedanken:“Garion…weinst du…?“, einen Moment spürte er nichts und hörte nur das Rauschen in seinen Ohren. Dann erschienen Verteidiger auf der Mauer seines Herzens und drängten die Eindringlinge zurück. Er kannte dieses Gefühl…er spürte wie sein Geist sich der göttlichen Macht eines Harmoniesegens beugte und seine Tränen versiegten. Er schloss die Augen…sie war eine Geweihte des Fuches.
Er blickte sie mit geröteten Augen an…er ahnte Fürchterliches. „Ich vertraue dir Garion…du wirst mich nicht verraten…und du wirst niemals von meiner Seite weichen.“, Neferus Stimme war wie ein Peitschenhieb. Rahjas grausame Macht brach die Wirkung des Harmoniesegens, als sich ihre Wange an seine schmiegte. Die Verteidigung seines Herzens brach in sich zusammen und schon nutzte der Feind seine Chance. Glühende Eisen stachen nach seinem Herzen. Sie hatte Recht…sie konnte ihm vertrauen…und er würde niemals von ihr lassen können…aber er spürte, was diese Worte bedeuteten. Sie wusste nicht, dass er sie liebte. „Hast…du die Rose gefunden…?“, fragte er leise.
„Die war von dir…? Ich dachte sie wäre von…“, Garion spürte wie seine Kehle sich zuschnürte…ein unbarmherziger Würger, der ihm das kommende Wort gnadenlos weissagte. „..Phexdan.“
Das Bett wurde ihm eng…er wollte weg…weit weg. Er fühlte sich trotz Neferus geringem Gewicht, als sei er unter Tonnen von unbarmherzigem Gestein lebendig begraben. Sein Blick glitt zu dem Körper, der auf seinem ruhte und sich langsam in Borons Arme begab. Sie trug sogar die Kleider dieses Hurensohns…ahnte sie nicht, was sie ihm antat? Wieder begann er zu weinen…er gab sich der Trauer hin. Ihm war egal, was andere von ihm dachten, ihm war egal ob die Tür zu seinem Zimmer noch immer offen stand, er wollte weinen, er konnte nicht anders. Was ihm wichtig war lag zerschlagen am Boden. Neferu hatte das Messer tief in seine Brust gerammt und es herumgedreht…langsam…genüsslich. Er fühlte sich einsam obwohl sie neben ihm lag, er wusste, dass dieses Gefühl von nun an sein Leben beherrschen würde…Einsamkeit…niemand war geblieben. Ithar würde alt werden und sterben, Richard war weg…Ven…Ven würde irgendwann gezähmt und sesshaft werden, er würde ihn nur bei einem seiner spärlichen Besuche bei ihm und seiner Frau sehen. Und Neferu…? Neferu würde einen anderen heiraten…sich ihm hingeben. Wieder wurde ihm schlecht, seine rechte Hand krampfte sich zusammen, als sein Gesicht zu einer Grimasse des Schmerzes wurde und Ströme von Tränen sich ohne einen Laut auf den Bezug des Kissens ergossen. Er würde einsam sterben…nachdem er ein Leben gelebt hatte, das wie der siebte Kreis der Verdammnis auf ihm lasten würde, dem er sich aber nicht zu entziehen wagte…aus Furcht auch noch das Letzte zu verlieren, was er von Neferu hatte…ihre Gegenwart…ihre schmerzende Freundschaft und ihr vernichtendes Vertrauen. Er würde sich selbst zerstören während er sie schützte, das war ihm klar. Er musste alleine…den Weg in Borons Hallen antreten und Rahja würde ihn trotz seiner Taten verspotten.
Nein…diese Nacht würde er keinen Schlaf finden. Seine Nacht wurde zu einem Vorgeschmack seines zukünftigen Lebens. Er wagte es nicht sich zu bewegen…Dämonen zerrten an seinem Geist, Krämpfe schüttelten den geschwächten Körper und attackierten immer wieder sein geschundenes Herz. Erst als die Sonne das wunderschöne Gesicht der Frau, die er liebte schadenfroh in ihr Licht tauchte, forderte sein erschöpfter Körper seinen Tribut. Er klammerte sich an sein Bewusstsein…der Morgen bedeutete, dass Neferu erwachen würde…und wenn er dann schlief…würde er ohne sie erwachen…ihm graute vor der Dunkelheit…und doch…besiegte sie ihn. Er glitt in einen traumlosen, unruhigen Schlaf hinüber…

Grangor 9 (Garion)

Langsam aber sicher begann er sie zu spüren. Kälte, die nach seinem Körper griff. Es schien als breit sie sich von seiner Brust aus über seinen ganzen Körper aus. Er riss die Augen auf und sah rasch umher. Noch immer lag er in dem Bottich, doch das Licht der hereinfallenden Sonne war ein ganzes Stück weiter durch den Raum gewandert, seit er die Augen geschlossen hatte. Er musste eingeschlafen sein…er wagte eine Bewegung. Sofort kam das unangenehm kalte Wasser in Bewegung und schwappte an eine bisher unberührte Stelle. Seine Nackenhaare stellten sich auf.

Er wusste nicht wie lange er geschlafen hatte, aber eigentlich war das auch nicht wichtig. Neferu war nicht im Haus, er wusste nicht einmal wo sie war und so wie er sich fühlte hätte er keine lange Suche durchgestanden. Stattdessen ließ er seinen Blick durch den Raum gleiten bis er an der Wand gegenüber hängen blieb. Sie erinnerte ihn an etwas…ja…ganz sicher. Sie erinnerte ihn an eine andere Holzwand, eine, die er in glücklicheren Zeiten gesehen hatte. Damals, in der Taverne Heldentrutz hatte er den glücklichsten Moment seines Lebens erlebt. Er hatte wahren Mut bewiesen, hatte sich nahe an Neferu rangewagt, sie berührt, rückwärts an die Wand gedrückt. Ja, er war mutig gewesen. Er musste matt lächeln. Er wusste dass viele in den Rondriten den Inbegriff des Mutes sahen, stellten sie sich doch beinahe jedem Kampf, aber er wusste es besser. Mutig zu sein hieß Ängste zu besiegen die einen quälten…aber er fürchtete den Kampf nicht. Ein Kampf war planbar, wenn man auf alle Einzelheiten achtete wusste man, wer gewinnen würde. Man wusste ob man selbst oder der Gegner besser war. Mut hatte er bewiesen, als er sie geküsst hatte…den Gedanken, dass sie ihn von sich stoßen oder ihn verachten würde weit von sich geschoben hatte und den Sprung gewagt hatte.
Er ballte seine rechte Hand zu einer lockeren Faust, die Finger die seinen Handteller berührten waren kalt, wohl vom Wasser. Seine Zunge hatte mit ihrer gerungen, sein Mut hatte sich gelohnt und er war sich sicher, dass seine Gefühl erwidert wurden, dass sich die Pforten Alverans gerade weit aufgetan hatten um ihn zu empfangen, dann hatte Richard geklopft und der Moment war vorbei.
Was er wohl tun musste, damit sie ihn bemerkte? Ja, das war die wichtigste Frage…was musste er tun? Sie zu beschützen wo immer er konnte schien ihr nicht zu reichen – Rücksicht war nicht, was sie beeindruckte.
Wieder zog der mächtige Zweihänder neben der Tür seinen Blick an. Garion hatte seinen Besitzer getötet. Vorgeblich, weil er einen Anhänger des Namenlosen hatte auslöschen wollen, das entsprach auch durchaus der Wahrheit, der Mann war ihm ein Dorn im Auge gewesen…aber das war nicht alles. Den Mann hätte sein Schicksal ohnehin ereilt, ob nun durch die Vernichtung der Stadt, weil die drei versagt hätte oder nach ihrem Erfolg und durch ein paar Gardisten der Rondratempelwache. Nein, sein Angriff war nicht durch die pure Anwesenheit eines Speichelleckers des Namenlosen provoziert worden. Er hatte vor seinem inneren Auge gesehen, wie der Mann mit seinem Schwert über Richard und Neferu hergefallen war. Hatte gesehen, wie die große Klinge ein Stück Fleisch aus seiner Liebe gerissen hatte, hatte ihre Schreie im Ohr gehabt…sein Blut hatte gekocht, der Mann hatte sterben müssen.
Sein Blick glitt an der großen Klinge hinauf und hinab. Die lange, gerade Klinge, das breite Schwertheft der Griff, der für zwei Hände gedacht war. Leise und vorsichtig atmete er ein – ja, in dieser Klinge sah er sein Schicksal. Seine Blicke streiften die getrockneten Blutflecken – nicht sein Eigenes, das eines weiteren Ketzers. Der Anblick weckte eine unbekannte Art der Trauer in ihm, er fühlte sich unwohl in seiner Haut. Die Kälte des Wassers wurde ihm schmerzhaft bewusst, doch noch immer dachte er nicht daran den Badezuber zu verlassen, die Ruhe der Abgeschiedenheit dieses Raumes verschaffte ihm die willkommene Gelegenheit seine Gedanken zu ordnen.
Niemals würde er aufgeben, niemals von ihrer Seite weichen. Seine Stirn legte sich in tiefe Falten, er musste über seinen Schatten springen, so viel war ihm bewusst. Er schluckte schwer und rührte abwesend mit seinem rechten Finger in dem Wasser herum. Aber die Alternative schreckte ihn weitaus mehr. Mit einer langsamen Bewegung zog er seine rechte Hand aus dem kühlen Nass und begann über den geschliffenen Rand des Zubers zu streichen. Es fühlte sich angenehm unter seinen geschrumpelten Fingern an – es war so viel tapferer als er. Das Holz unter seinen Fingern stand hier sicher seit Jahren. Hatte Freude und Leid der Welt geteilt und hatte niemals gezweifelt, war niemals gewankt, hatte immer um seinen Platz gewusst. Ein trauriges Lächeln glitt über die Züge Garions. An was er so dachte. Seine Finger hielten bei einer kleinen Kerbe inne und betasteten sie. Die Zeit ging also auch an diesem Zuber nicht spurlos vorbei. Er hatte sich offenbar der Realität gestellt und dabei eine Narbe erfahren.
Seufzend griff er mit beiden Händen nach den Rändern des Zubers und richtete sich mit einem raschen Zug auf. Der Schmerz seiner Rippen wurde von der Kälte der Raumluft überschattet, die silbrigen Perlen des Badewassers rannen ihm den Leib hinab und fanden leise plätschernd den Weg zurück in ihre Heimat. Mit nachdenklicher Miene griff er zu dem Leinenhandtuch, das auf einem Haken an der Wand auf seinen Einsatz wartete. Er wischte sich damit über das Gesicht, eine seltsame Angewohnheit wie er fand…der ganze Körper fror und war nass, aber aus irgendeinem Grund trocknete er nach jedem Bad zuerst sein Gesicht. Rasch wandte er sich seinem Oberkörper, der Brust, dem Bauch und den Achseln zu. Er würde versuchen sich ihr mehr zu öffnen, behutsam, ganz vorsichtig…aber doch deutlich. Seine Stirn legte sich in hilflose Falten. Aber wie? Er mochte sich vor keinem Kampf scheuen, um den Einsatz vieler Waffen wissen, aber die Aufgabe vor der er nun stand schien ihn zu erdrücken. Achtsam stieg er aus dem Zuber und wandte sich der Trocknung seines Unterleibs und der Beine zu. Alles was er über das Umwerben einer Frau wusste, hatte er von seinem „Bruder“ Ven erfahren. Wieder entrang sich ein entmutigter Seufzer seiner Brust. Ven war keine große Hilfe gewesen, er hatte beinahe monatlich die Frau an seiner Seite gewechselt, ihm war kein Glück in einer Beziehung beschieden wie es schien. Alles woran Garion sich mit seinen schmerzenden Gliedern erinnern konnte, war das Ven ihn einmal spöttisch angesehen und gesagt hatte:“Du bist zu schweigsam Garion. Vielleicht ist es das Beste, wenn du die Blumen für dich sprechen lässt. Frauen mögen Blumen.“, er hatte ihm lachend auf die Schulter geschlagen und war mit seiner neuen Flamme auf den Markt in Festum gegangen. Garion war damals wie heute allein gewesen, allein mit sich selbst und seinen Gedanken. Aber…warum sollte er eigentlich nicht versuchen eine Blume sprechen zu lassen? Ven wusste wovon er sprach, zumindest hoffte er das, und sollte Neferu sich nicht über die Blume freuen, so musste er wenigstens ihr Gesicht nicht sehen.
Mit klammen Fingern griff er nach seiner weit geschnittenen Hose. Er hatte sie in der Khomwüste als Geschenk erhalten und sie war ohne Frage bequem. Das dazugehörige Hemd und die Hose ebenfalls, diese Kleider würden seine Quetschung schonen, so würde zumindest sein Körper zu Ruhe kommen, auch wenn er zweifelte, dass sein Geist ihm nachfolgen würde.
Mit seinen Gedanken weit von seinen Handlungen entfernt schloss er die Hose und warf sich das Hemd über. Als er nach den Stiefeln griff sah er zu seiner dreckigen Kleidung. Die Magd, die das Bad bereitet hatte, hatte ihm gesagt er solle sie einfach dort zurücklassen, sie würde sie waschen. Das war ihm nur recht, er hatte den Kopf nicht frei genug um sich um seine Wäsche zu kümmern.
Mit einem Ruck brachte er den zweiten Stiefel fest an seinen Fuß und ging zu der Tür hinüber um sie zu entriegeln. Die Zeit der Ruhe, der Besinnung und der Planung war vorbei, der Tag war noch jung genug um in die Stadt zu gehen, mit einem Blick zur Seite entschied er seine Waffe später in sein Zimmer zurück zu bringen, immer in der Hoffnung, dass sich niemand daran stören würde.
Er verließ den Raum und nahm den Weg den Flur hinab in Richtung der Stufen, die ihn in das Erdgeschoss des Anwesens führen würden, hinunter in den Hof und hinaus auf die Straße. Ihm war bewusst, dass die wenigsten, die es sich leisten konnten die Seewege durch die Stadt zu nutzen sich freiwillig in die engen Straßen der Stadt begaben, aber er war der Ansicht, dass ein wenig Lärm, Gestank und Leben ihm jetzt nicht schaden konnten. Schon bei seiner Ankunft in Grangor hatte er gesehen, was nun sein Ziel war. Nahe des Südtores der Stadt, kaum mehr als 500 Schritt in eine Gasse zu seiner Linken lag ein kleiner Blumenladen, der sich beinahe schüchtern in den Schatten der hohen Stadtmauer zu ducken schien, genau dort wollte er hin.
Auf seinem Weg merkte er kaum, dass er mehrfach angerempelt oder abgedrängt wurde. Seine Gedanken waren nicht mit dem Getummel auf den Straßen beschäftigt sondern mit einem Gesicht, das ihm nicht aus dem Kopf wollte. Immer wieder sah er Neferus ernste, braungebrannte Miene, wie er sie am Abend ihrer Rückkehr in der offenen Hand vor sich gesehen hatte. Irgendetwas hatte sie verändert – hatte das Funkeln ihrer Augen abgewandelt, ihr das kecke Lächeln von den Lippen gewischt. Schwermütig seufzend bog er in eine Ecke und tauchte in die Dämmerung einer kleinen Gasse ein. Eine fürchterliche Erinnerung, die sich ihm machtvoll auf das Gemüt zu legen begann.
„Kopf hoch, Garion. Eine Schlacht magst du verloren haben, aber der Krieg ist nicht vorbei!“, schalt er sich selbst und reckte das Kinn ein wenig empor um sich selbst zu beweisen, dass noch etwas Kraft in ihm war. Er hielt inne, vor ihm lag der Blumenladen, den er gesucht hatte…es war an der Zeit das erste Mal auf diesem Weg seinen Mut zu beweisen. Ehe er sich noch umentscheiden konnte war er an der Tür und drückte sie etwas zu kräftig auf. Überrascht hob eine kleine, verhutzelte Frau ihren Blick an und sah zu ihm auf. „Holla, junger Mann. Lasst Vorsicht walten, meine Tür ist beinahe so alt wie ich selbst.“, sie kicherte leise.
Garion schluckte schwer:“Ich…tut mir leid.“, er kam sich dumm vor, jeder Dreizehnjährige konnte eine Blume kaufen und er stellte sich an wie ein Schaf auf dem Weg zur Schlachtbank. „Ich, ähm, wollte eine Blume kaufen.“, was war das denn für eine hirnrisse Ankündigung? Was sollte er sonst hier wollen? Die Frau auf der anderen Seite der Theke schien mehr Nachsicht mit ihm zu haben als er selbst, sie lächelte ihm herzlich entgegen:“Natürlich mein Junge. Was für eine darf es denn sein? Sag…ist sie für ein Mädchen?“
Garion schluckte leise, nickte aber stumm. „Wie schön! Was ist ihre Lieblingsfarbe?“, fragte das Mütterchen freundlich und offenbar aufrichtig erfreut über eine junge Liebe.
Garion zögerte. Er hatte Neferu nie nach ihrer Lieblingsfarbe gefragt, aber er glaubte, dass ihre Kleider ihre Lieblingsfarbe repräsentierten. Er holte tief Luft:“Ich denke, sie mag Rot.“, wie sprachlich geschliffen seine Ausführungen heute waren. Innerlich verdrehte er die Augen.
Sein Gegenüber aber klatschte freudig in die Hände:“Dann habe ich genau das Richtige für dich! Warte einen Moment.“, damit huschte sie durch eine niedrige und etwas schiefe Tür in einen für Garion nicht einsehbaren Nebenraum. Er blinzelte sachte. Ganz offensichtlich hatte er zumindest mit der Wahl dieses Ladens etwas richtig gemacht, die Frau vermittelte ihm das Gefühl die richtigen Worte gefunden zu haben. Vielleicht lag es aber auch an seinem Gesichtsausdruck. Wie mochte er gerade aussehen? Ängstlich? Verzweifelt? Stocksteif? Er wusste es nicht.
In diesem Moment kehrte die untersetzte Frau mit einer Blume in der Hand zurück in den Laden und wuselte um die Theke herum. Die Blüten der einzelnen Blume waren blutrot und nicht ganz geöffnet, an ihrem grünen Stiel zeigten sich hier und dort Dornen, die allerdings ausgedünnt genug schienen um ohne große Gefahr zugreifen zu können. „Eine Rose. Hier Junge, nimm. Vermutlich mache ich mir damit irgendwann den Laden kaputt, aber ich kann euch jungen Leuten einfach keine drei Kreuzer abnehmen, wenn ihr so ein Gesicht zieht.“, damit drückte sie ihm die Blume in die Hand.
Einen Moment lang betrachtete er die Blume nachdenklich…Rot…ob das ein gutes Zeichen war? Immerhin war Rot sowohl unter den Farben Rondras als auch Rahjas. Ein schwacher Schmerz seiner Rippe riss ihn in die Gegenwart zurück und als er an sich hinab sah, erkannte er den Grund dafür. Das Muttchen hatte ihn umarmt. Zwar hatte sie es nicht ganz um ihn herum geschafft, aber sie hatte sich alle Mühe gegeben ihm ein wenig Mut zu machen. „Geh jetzt. Es ist nicht gut solche Angelegenheiten warten zu lassen. Ich wünsche dir von Herzen alles Gute.“, Garion lächelte ihr ein wenig traurig zu. Ja, alles Gute, das wünschte er sich auch.
Mit gemischten Gefühlen ließ er sich nach draußen geleiten und machte sich auf den Weg in Richtung der Hortemanns. Er konnte nur hoffen, dass Neferu nicht in ihrem Zimmer war. Den mütterlich besorgten Blick der Ladenbesitzerin bemerkte er gar nicht, als er ihm folgte…

Grangor 7 (Garion)

Sein Blick richtete sich wieder an die Decke des Zimmers. Ordentlich aneinandergereihte Bretter, sorgfältig abgeschliffen und lackiert erfreuten das Auge, doch hatte Garion nicht einen Gedanken für diese Kunst.
Sein Leben war schwerer geworden seit er Grangor erreicht hatte. Sicher, anfangs war er voller Zuversicht. Er hatte Richard schnell in einer Taverne gefunden und dieser Hatte ihm auch ein Zimmer vermitteln können, dass seine Taler unangetastet ließ, aber damit schien das Glück dieses Aufenthalts auch erschöpft zu sein. Neferu war seit gut anderthalb bis zwei Wochen nicht gesehen worden. Weder die Gardisten, noch die Bettler hatten Richard sagen können wohin sie gegangen war. Nur in einem Punkt waren sich alle einig – es war sehr wahrscheinlich, dass sie die Stadt nicht verlassen hatte. Nicht nur waren ihre Sachen noch in ihrem Zimmer bei den Hortemanns, nein, auch die Stadtgarde hatte bestätigen können, dass sie ihre Waffen und ihre Rüstung nicht ausgelöst hatte.

Er schloss die Augen und konzentrierte sich einen Moment auf die Wärme des Wassers um seinen Leib. Er hatte sich Sorgen gemacht, war schier verrückt geworden vor Angst. Er war sofort in den Rondratempel gestürmt und hatte die Hilfe seiner Brüder und Schwestern erbeten. Und ja, sie hatten Doppelpatroullien in den Gassen der verrufeneren Stadteile durchgeführt, hatten den ein oder anderen Dieb, Meuchler und Betrüger aufgegriffen und peinlich verhört, aber von Neferu keine Spur.
Er runzelte die Stirn. Seine Sorge hatte ihn weit genug getrieben einen Bettler in einen der Kanäle der Stadt zu werfen, nachdem dieser ihm ein Bein gestellt hatte.
Sein Blick wandte sich auf die vorsichtig spiegelnde Wasserfläche hinab. Das hatte ihm eine Nacht in den Kerkern Grangors eingebracht…eine Nacht, die er zum überlegen genutzt hatte. Es war ihm immer wahrscheinlicher erschienen, dass Neferu die Stadt doch verlassen hatte…irgendwie…unbemerkt. Immerhin war sie zuletzt in der Nähe des Pilgerhafens gesehen worden und war seitdem nicht mehr in der Stadt aufgetaucht.
Er war am nächsten Morgen sofort raus in den Hafen gegangen und hatte sich unter den Kapitänen der vor Anker liegenden Schiffe umgehört. Jedes einzelne Schiff hatte er betreten und sich so lange geweigert es zu verlassen bis er mit dem Kapitän gesprochen hatte…doch auch diese Hoffnungen wurden enttäuscht – keine Spur von Neferu.
Sein Blick wurde starr, als er den Kopf in den Nacken zurück legte. Das warme Wasser kroch seinen Nacken hinauf in seine Haare hinein, da war es wieder dieses Gefühl der Schwerelosigkeit.
Er war Wochen lang nicht zur Ruhe gekommen. Seine Nächte hatten zu keiner Zeit länger als vier Stunden gedauert, Richard hatte ihn zurecht weisen müssen, weil er mitten in der Nacht auf dem Flur im ersten Stock des Hauses Hortemann wie ein Tiger auf und ab gegangen war. Und doch konnte er kaum etwas für sein Verhalten. Die Sorge um die Frau die er liebte hatten ihm Ruhe und Appetit geraubt, hatte sich an seinem Herzen festgekettet und verleidete ihm jedes Vergnügen.
Schließlich hatte er sich einen Ruck gegeben. Wenn sie wirklich in der Stadt war und wenn es diesen Phexdan, der ihr nachgestellt hatte wirklich gäbe, dann müsste er mehr wissen. Er hatte keine Zeit verloren, hatte einen der Bettler bezahlt und ihn nach diesem Kerl auszufragen versucht, hatte versucht ihn ausfindig zu machen, aber er hatte kein Glück gehabt. Niemand konnte oder wollte ihm sagen wo sich dieser Bastard aufhielt. Alles was man ihm zugestanden hatte war, seine Bitte an diesen Halunken heran zu tragen. Es hatte nicht mehr in seiner Hand gelegen.
Traurigkeit überzog das Gesicht des Bronnjars, als er sich ein Stück tiefer in den Zuber sinken ließ, sodass seine Nase nur noch knapp über der Oberfläche des wärmenden Nass war. So musste es sich anfühlen, wenn man geborgen im Leib einer liebenden Mutter heranwuchs.
Trotz der Schlappe auf der Suche nach Phexdan hatte er nicht den Mut verloren. Neferu musste irgendwo sein, also würde er die Suche nicht aufgeben. In den folgenden Tagen hatte er die Patroullien der Rondriten unterstützt, hatte sie erbarmungslos durch die Gassen getrieben, hatte mit glühendem Eifer jeden Hinterhof überwacht. Bis…ja…bis zu dem Tag von Neferus Rückkehr. Gegen Mittag hatte er von einem der Bettler eine Nachricht erhalten – Phexdan war zurück und wollte ihm die Bitte um ein Gespräch erfüllen, er, Garion, sollte in dem Gasthaus Zur offenen Hand auf ihn warten. Er hatte gewartet – oh ja, das hatte er, aber es sollte trotzdem noch bis zur Hälfte der zweiten Nachtstunde dauern, bis er sein Gespräch bekommen hatte. Phexdan sah anders aus, als er ihn sich vorgestellt hatte. Er trug teure Kleider, war glatt rasiert und hatte ohne Frage ein hübsches Gesicht – nichts, was Garion gnädiger zu stimmen vermocht hätte. Kaum, dass der Mann sich gesetzt hatte lächelte dieser Hurensohn ihn freundlich an:“Ihr müsst Garion sein. Ihr wolltet mich sprechen?“
Der Rondrit hatte leise mit den Zähnen genknirscht:“Wo ist sie?“
Die Antwort hatte ihn überrascht:“Ich weiß es nicht. Ich habe sie suchen lassen…aber…wir haben sie nicht gefunden…ich…“, da war es Garion zu viel geworden. Er hatte den jungen Mann am Kragen gepackt und über den Tisch gezogen:“Du mieser, scheinheiliger Betrüger, wenn ich rausfinde, dass du etwas mit ihrem Verschwinden zu tun hast, dann…!“
Phexdan hatte die Hände gehoben und sich alle Mühe gegeben ihn mit Zusicherungen seiner Unschuld zu beruhigen. „Ich weiß wirklich nicht wo sie ist…ich wollte nicht tiefer in sie dringen…“, hatte er gesagt. „WOLLTEST DU SEHR WOHL! DU WOLLTEST IHR IHRE UNSCHULD RAUBEN!“, war Garion aufgefahren, war lauter geworden als geplant. Wieder hatte Phexdan die Hände abwehrend gehoben und ihn verdutzt angeblickt.“Ich…ihre Unschuld rauben? Wohl eher andersherum…“,das hatte Garion nicht beruhigt…im Gegenteil, seine sonst so ausgeprägte Geduld hatte ihm gänzlich im Stich gelassen…Wut war seine Kehle hinaufgesprungen und er war dem jungen Mann an die Kehle gegangen wie ein verwundeter Löwe. Ein Umstand, dem er es zu verdanken gehabt hatte, dass zwei der Bettlerfreunde dieses gelackten Affen ihn gepackt und in einem der Kanäle abgekühlt hatten.
Wieder hatte man ihm Glück unterstellt, die beiden hatten ihn wieder aus dem Wasser gezogen und an seinen Platz zurück geschliffen, wo er sich mit dem Gefühl einsam und gedemütigt worden zu sein wieder niedergelassen hatte. Er hatte gefroren, aber alles daran gesetzt keine Schwäche zu zeigen, auch wenn es so wirken mochte, der Zorn auf den Zwölfgötterverfluchten Jüngling ihm gegenüber war keinesfalls verraucht, nicht einmal im Ansatz.
Dann war es geschehen, die Tür hatte sich geöffnet, laut und kraftvoll, und Neferu hatte in der Tür gestanden. Garion führte den Stich im Herzen immer noch und rieb sich unter der warmen Decke seines Bades über die linke Brusthälfte. Er hatte sofort gespürt, dass etwas anders war, als er sie in der Tür gesehen hatte – sicher einiges war unübersehbar. Ihre Haut war sehr viel dunkler, sie trug ihre Haare anders und was sie am Leib trug hatte viel von dem luxuriösen Glanz verloren, den es einst besessen hatte. Aber…das war es nicht, was ihm zu schaffen gemacht hatte. Es war etwas in ihren Augen. Etwas an ihrem Blick…an ihrer Haltung hatte sich verändert. Auch jetzt, einen Tag später konnte er nicht genau sagen, was ihn vorgewarnt hatte, aber…war das wirklich wichtig? Er hatte sich an diesem Abend nicht getäuscht. Phexdan war als erster bei ihr gewesen, hatte Anstalten gemacht sie zu umarmen – er musste sich wirklich sehr sicher gewesen sein – hatte aber mit einem Blick zurück zu dem durchnässten Garion darauf verzichtet und die Taverne verlassen. Er selbst hatte Neferu gefragt, wo sie gewesen war, hatte ihr versichert, dass er an seinen Sorgen beinahe zu Grunde gegangen war, aber sie war mit ihren Gedanken woanders, weit weg von ihm. Es hatte nicht lange gedauert, bis er die Taverne nur noch hinter sich lassen wollte. Er hatte sie gefragt ob sie mit ihm käme, zurück zu den Hortemanns, wo er ihr Bett, das er bisher genutzt hatte sofort für sie räumen würde.
Er starrte wieder an die Decke des Bades. Sie hatte verneint, hatte ihm aber bestätigt, dass sie nachkommen würde. Nur mit Richard an seiner Seite war er schweren Herzens zu seiner Lagerstatt zurück gekehrt. Es war zu spät gewesen um nach einem anderen Zimmer zu fragen, so hatte er in Rüstung auf dem Flur übernachtet, ohne an diesem Tag noch etwas von Neferu zu sehen oder zu hören.
Er richtete seinen Blick auf das große Schwert neben der verriegelten Tür. Danach hatten die Ereignisse sich überschlagen, die Klinge legte Zeugnis davon ab. Noch immer klebte Blut an dem schartigen Zweihänder, das Blut Grangorer Bürger, Anhänger des Namenlosen. Wie immer überraschte ihn die Angewohnheit so profane Dinge wie ein erbeutetes Schwert zu analysieren und nach Zeichen für die Geschichte zu suchen, die sie miterlebt hatten. Seine Augen hielten an einer der Scharten inne…er selbst hatte sie geschlagen. Das Schwert war gegen ihn gerichtet gewesen.
Er schloss die Augen und konzentrierte sich auf die Wärme. In seinen Gedanken mischten sich Bilder. Ein großer Krieger holte mit einem Bidenhänder aus und traf ihn mit der Wucht eines Golems nahe der Rippen…sein Geist verlor sich in der Wärme und ehe ihm Boron seinen Segen schenkte sah er wie die braungebrannte Neferu ihm zulächelte. Warm und mit diesem Funkeln in ihren Augen…wie sie es früher einmal getan hatte…

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