Grangor

Grangor 9 (Garion)

Langsam aber sicher begann er sie zu spüren. Kälte, die nach seinem Körper griff. Es schien als breit sie sich von seiner Brust aus über seinen ganzen Körper aus. Er riss die Augen auf und sah rasch umher. Noch immer lag er in dem Bottich, doch das Licht der hereinfallenden Sonne war ein ganzes Stück weiter durch den Raum gewandert, seit er die Augen geschlossen hatte. Er musste eingeschlafen sein…er wagte eine Bewegung. Sofort kam das unangenehm kalte Wasser in Bewegung und schwappte an eine bisher unberührte Stelle. Seine Nackenhaare stellten sich auf.

Er wusste nicht wie lange er geschlafen hatte, aber eigentlich war das auch nicht wichtig. Neferu war nicht im Haus, er wusste nicht einmal wo sie war und so wie er sich fühlte hätte er keine lange Suche durchgestanden. Stattdessen ließ er seinen Blick durch den Raum gleiten bis er an der Wand gegenüber hängen blieb. Sie erinnerte ihn an etwas…ja…ganz sicher. Sie erinnerte ihn an eine andere Holzwand, eine, die er in glücklicheren Zeiten gesehen hatte. Damals, in der Taverne Heldentrutz hatte er den glücklichsten Moment seines Lebens erlebt. Er hatte wahren Mut bewiesen, hatte sich nahe an Neferu rangewagt, sie berührt, rückwärts an die Wand gedrückt. Ja, er war mutig gewesen. Er musste matt lächeln. Er wusste dass viele in den Rondriten den Inbegriff des Mutes sahen, stellten sie sich doch beinahe jedem Kampf, aber er wusste es besser. Mutig zu sein hieß Ängste zu besiegen die einen quälten…aber er fürchtete den Kampf nicht. Ein Kampf war planbar, wenn man auf alle Einzelheiten achtete wusste man, wer gewinnen würde. Man wusste ob man selbst oder der Gegner besser war. Mut hatte er bewiesen, als er sie geküsst hatte…den Gedanken, dass sie ihn von sich stoßen oder ihn verachten würde weit von sich geschoben hatte und den Sprung gewagt hatte.
Er ballte seine rechte Hand zu einer lockeren Faust, die Finger die seinen Handteller berührten waren kalt, wohl vom Wasser. Seine Zunge hatte mit ihrer gerungen, sein Mut hatte sich gelohnt und er war sich sicher, dass seine Gefühl erwidert wurden, dass sich die Pforten Alverans gerade weit aufgetan hatten um ihn zu empfangen, dann hatte Richard geklopft und der Moment war vorbei.
Was er wohl tun musste, damit sie ihn bemerkte? Ja, das war die wichtigste Frage…was musste er tun? Sie zu beschützen wo immer er konnte schien ihr nicht zu reichen – Rücksicht war nicht, was sie beeindruckte.
Wieder zog der mächtige Zweihänder neben der Tür seinen Blick an. Garion hatte seinen Besitzer getötet. Vorgeblich, weil er einen Anhänger des Namenlosen hatte auslöschen wollen, das entsprach auch durchaus der Wahrheit, der Mann war ihm ein Dorn im Auge gewesen…aber das war nicht alles. Den Mann hätte sein Schicksal ohnehin ereilt, ob nun durch die Vernichtung der Stadt, weil die drei versagt hätte oder nach ihrem Erfolg und durch ein paar Gardisten der Rondratempelwache. Nein, sein Angriff war nicht durch die pure Anwesenheit eines Speichelleckers des Namenlosen provoziert worden. Er hatte vor seinem inneren Auge gesehen, wie der Mann mit seinem Schwert über Richard und Neferu hergefallen war. Hatte gesehen, wie die große Klinge ein Stück Fleisch aus seiner Liebe gerissen hatte, hatte ihre Schreie im Ohr gehabt…sein Blut hatte gekocht, der Mann hatte sterben müssen.
Sein Blick glitt an der großen Klinge hinauf und hinab. Die lange, gerade Klinge, das breite Schwertheft der Griff, der für zwei Hände gedacht war. Leise und vorsichtig atmete er ein – ja, in dieser Klinge sah er sein Schicksal. Seine Blicke streiften die getrockneten Blutflecken – nicht sein Eigenes, das eines weiteren Ketzers. Der Anblick weckte eine unbekannte Art der Trauer in ihm, er fühlte sich unwohl in seiner Haut. Die Kälte des Wassers wurde ihm schmerzhaft bewusst, doch noch immer dachte er nicht daran den Badezuber zu verlassen, die Ruhe der Abgeschiedenheit dieses Raumes verschaffte ihm die willkommene Gelegenheit seine Gedanken zu ordnen.
Niemals würde er aufgeben, niemals von ihrer Seite weichen. Seine Stirn legte sich in tiefe Falten, er musste über seinen Schatten springen, so viel war ihm bewusst. Er schluckte schwer und rührte abwesend mit seinem rechten Finger in dem Wasser herum. Aber die Alternative schreckte ihn weitaus mehr. Mit einer langsamen Bewegung zog er seine rechte Hand aus dem kühlen Nass und begann über den geschliffenen Rand des Zubers zu streichen. Es fühlte sich angenehm unter seinen geschrumpelten Fingern an – es war so viel tapferer als er. Das Holz unter seinen Fingern stand hier sicher seit Jahren. Hatte Freude und Leid der Welt geteilt und hatte niemals gezweifelt, war niemals gewankt, hatte immer um seinen Platz gewusst. Ein trauriges Lächeln glitt über die Züge Garions. An was er so dachte. Seine Finger hielten bei einer kleinen Kerbe inne und betasteten sie. Die Zeit ging also auch an diesem Zuber nicht spurlos vorbei. Er hatte sich offenbar der Realität gestellt und dabei eine Narbe erfahren.
Seufzend griff er mit beiden Händen nach den Rändern des Zubers und richtete sich mit einem raschen Zug auf. Der Schmerz seiner Rippen wurde von der Kälte der Raumluft überschattet, die silbrigen Perlen des Badewassers rannen ihm den Leib hinab und fanden leise plätschernd den Weg zurück in ihre Heimat. Mit nachdenklicher Miene griff er zu dem Leinenhandtuch, das auf einem Haken an der Wand auf seinen Einsatz wartete. Er wischte sich damit über das Gesicht, eine seltsame Angewohnheit wie er fand…der ganze Körper fror und war nass, aber aus irgendeinem Grund trocknete er nach jedem Bad zuerst sein Gesicht. Rasch wandte er sich seinem Oberkörper, der Brust, dem Bauch und den Achseln zu. Er würde versuchen sich ihr mehr zu öffnen, behutsam, ganz vorsichtig…aber doch deutlich. Seine Stirn legte sich in hilflose Falten. Aber wie? Er mochte sich vor keinem Kampf scheuen, um den Einsatz vieler Waffen wissen, aber die Aufgabe vor der er nun stand schien ihn zu erdrücken. Achtsam stieg er aus dem Zuber und wandte sich der Trocknung seines Unterleibs und der Beine zu. Alles was er über das Umwerben einer Frau wusste, hatte er von seinem „Bruder“ Ven erfahren. Wieder entrang sich ein entmutigter Seufzer seiner Brust. Ven war keine große Hilfe gewesen, er hatte beinahe monatlich die Frau an seiner Seite gewechselt, ihm war kein Glück in einer Beziehung beschieden wie es schien. Alles woran Garion sich mit seinen schmerzenden Gliedern erinnern konnte, war das Ven ihn einmal spöttisch angesehen und gesagt hatte:“Du bist zu schweigsam Garion. Vielleicht ist es das Beste, wenn du die Blumen für dich sprechen lässt. Frauen mögen Blumen.“, er hatte ihm lachend auf die Schulter geschlagen und war mit seiner neuen Flamme auf den Markt in Festum gegangen. Garion war damals wie heute allein gewesen, allein mit sich selbst und seinen Gedanken. Aber…warum sollte er eigentlich nicht versuchen eine Blume sprechen zu lassen? Ven wusste wovon er sprach, zumindest hoffte er das, und sollte Neferu sich nicht über die Blume freuen, so musste er wenigstens ihr Gesicht nicht sehen.
Mit klammen Fingern griff er nach seiner weit geschnittenen Hose. Er hatte sie in der Khomwüste als Geschenk erhalten und sie war ohne Frage bequem. Das dazugehörige Hemd und die Hose ebenfalls, diese Kleider würden seine Quetschung schonen, so würde zumindest sein Körper zu Ruhe kommen, auch wenn er zweifelte, dass sein Geist ihm nachfolgen würde.
Mit seinen Gedanken weit von seinen Handlungen entfernt schloss er die Hose und warf sich das Hemd über. Als er nach den Stiefeln griff sah er zu seiner dreckigen Kleidung. Die Magd, die das Bad bereitet hatte, hatte ihm gesagt er solle sie einfach dort zurücklassen, sie würde sie waschen. Das war ihm nur recht, er hatte den Kopf nicht frei genug um sich um seine Wäsche zu kümmern.
Mit einem Ruck brachte er den zweiten Stiefel fest an seinen Fuß und ging zu der Tür hinüber um sie zu entriegeln. Die Zeit der Ruhe, der Besinnung und der Planung war vorbei, der Tag war noch jung genug um in die Stadt zu gehen, mit einem Blick zur Seite entschied er seine Waffe später in sein Zimmer zurück zu bringen, immer in der Hoffnung, dass sich niemand daran stören würde.
Er verließ den Raum und nahm den Weg den Flur hinab in Richtung der Stufen, die ihn in das Erdgeschoss des Anwesens führen würden, hinunter in den Hof und hinaus auf die Straße. Ihm war bewusst, dass die wenigsten, die es sich leisten konnten die Seewege durch die Stadt zu nutzen sich freiwillig in die engen Straßen der Stadt begaben, aber er war der Ansicht, dass ein wenig Lärm, Gestank und Leben ihm jetzt nicht schaden konnten. Schon bei seiner Ankunft in Grangor hatte er gesehen, was nun sein Ziel war. Nahe des Südtores der Stadt, kaum mehr als 500 Schritt in eine Gasse zu seiner Linken lag ein kleiner Blumenladen, der sich beinahe schüchtern in den Schatten der hohen Stadtmauer zu ducken schien, genau dort wollte er hin.
Auf seinem Weg merkte er kaum, dass er mehrfach angerempelt oder abgedrängt wurde. Seine Gedanken waren nicht mit dem Getummel auf den Straßen beschäftigt sondern mit einem Gesicht, das ihm nicht aus dem Kopf wollte. Immer wieder sah er Neferus ernste, braungebrannte Miene, wie er sie am Abend ihrer Rückkehr in der offenen Hand vor sich gesehen hatte. Irgendetwas hatte sie verändert – hatte das Funkeln ihrer Augen abgewandelt, ihr das kecke Lächeln von den Lippen gewischt. Schwermütig seufzend bog er in eine Ecke und tauchte in die Dämmerung einer kleinen Gasse ein. Eine fürchterliche Erinnerung, die sich ihm machtvoll auf das Gemüt zu legen begann.
„Kopf hoch, Garion. Eine Schlacht magst du verloren haben, aber der Krieg ist nicht vorbei!“, schalt er sich selbst und reckte das Kinn ein wenig empor um sich selbst zu beweisen, dass noch etwas Kraft in ihm war. Er hielt inne, vor ihm lag der Blumenladen, den er gesucht hatte…es war an der Zeit das erste Mal auf diesem Weg seinen Mut zu beweisen. Ehe er sich noch umentscheiden konnte war er an der Tür und drückte sie etwas zu kräftig auf. Überrascht hob eine kleine, verhutzelte Frau ihren Blick an und sah zu ihm auf. „Holla, junger Mann. Lasst Vorsicht walten, meine Tür ist beinahe so alt wie ich selbst.“, sie kicherte leise.
Garion schluckte schwer:“Ich…tut mir leid.“, er kam sich dumm vor, jeder Dreizehnjährige konnte eine Blume kaufen und er stellte sich an wie ein Schaf auf dem Weg zur Schlachtbank. „Ich, ähm, wollte eine Blume kaufen.“, was war das denn für eine hirnrisse Ankündigung? Was sollte er sonst hier wollen? Die Frau auf der anderen Seite der Theke schien mehr Nachsicht mit ihm zu haben als er selbst, sie lächelte ihm herzlich entgegen:“Natürlich mein Junge. Was für eine darf es denn sein? Sag…ist sie für ein Mädchen?“
Garion schluckte leise, nickte aber stumm. „Wie schön! Was ist ihre Lieblingsfarbe?“, fragte das Mütterchen freundlich und offenbar aufrichtig erfreut über eine junge Liebe.
Garion zögerte. Er hatte Neferu nie nach ihrer Lieblingsfarbe gefragt, aber er glaubte, dass ihre Kleider ihre Lieblingsfarbe repräsentierten. Er holte tief Luft:“Ich denke, sie mag Rot.“, wie sprachlich geschliffen seine Ausführungen heute waren. Innerlich verdrehte er die Augen.
Sein Gegenüber aber klatschte freudig in die Hände:“Dann habe ich genau das Richtige für dich! Warte einen Moment.“, damit huschte sie durch eine niedrige und etwas schiefe Tür in einen für Garion nicht einsehbaren Nebenraum. Er blinzelte sachte. Ganz offensichtlich hatte er zumindest mit der Wahl dieses Ladens etwas richtig gemacht, die Frau vermittelte ihm das Gefühl die richtigen Worte gefunden zu haben. Vielleicht lag es aber auch an seinem Gesichtsausdruck. Wie mochte er gerade aussehen? Ängstlich? Verzweifelt? Stocksteif? Er wusste es nicht.
In diesem Moment kehrte die untersetzte Frau mit einer Blume in der Hand zurück in den Laden und wuselte um die Theke herum. Die Blüten der einzelnen Blume waren blutrot und nicht ganz geöffnet, an ihrem grünen Stiel zeigten sich hier und dort Dornen, die allerdings ausgedünnt genug schienen um ohne große Gefahr zugreifen zu können. „Eine Rose. Hier Junge, nimm. Vermutlich mache ich mir damit irgendwann den Laden kaputt, aber ich kann euch jungen Leuten einfach keine drei Kreuzer abnehmen, wenn ihr so ein Gesicht zieht.“, damit drückte sie ihm die Blume in die Hand.
Einen Moment lang betrachtete er die Blume nachdenklich…Rot…ob das ein gutes Zeichen war? Immerhin war Rot sowohl unter den Farben Rondras als auch Rahjas. Ein schwacher Schmerz seiner Rippe riss ihn in die Gegenwart zurück und als er an sich hinab sah, erkannte er den Grund dafür. Das Muttchen hatte ihn umarmt. Zwar hatte sie es nicht ganz um ihn herum geschafft, aber sie hatte sich alle Mühe gegeben ihm ein wenig Mut zu machen. „Geh jetzt. Es ist nicht gut solche Angelegenheiten warten zu lassen. Ich wünsche dir von Herzen alles Gute.“, Garion lächelte ihr ein wenig traurig zu. Ja, alles Gute, das wünschte er sich auch.
Mit gemischten Gefühlen ließ er sich nach draußen geleiten und machte sich auf den Weg in Richtung der Hortemanns. Er konnte nur hoffen, dass Neferu nicht in ihrem Zimmer war. Den mütterlich besorgten Blick der Ladenbesitzerin bemerkte er gar nicht, als er ihm folgte…

Grangor 8 (Neferu)

Viele Schritte. Sie kniff ihre ohnehin geschlossenen Augen zusammen, um die lauten im Lärmpegel ansteigenden Geräusche auszublenden, was nicht so recht gelingen wollte.
Obwohl sie die Nacht auf dem steinernen Boden geschlafen hatte, war ihr nicht zum Erfrieren kalt, was sie im Halbschlaf und noch immer im restlichen Drogenrausch verwunderte.
Sie weigerte sich die Lider zu öffnen, konnte sie sich schließlich nicht einmal mehr erinnern, wo sie gerade war. Jemand sprach zu ihr, doch was die Stimme sagte, konnte sie nicht realisieren und sie auch nicht einordnen.

„Lass mich weiterschlafen…“ murrte sie nuschelnd und zog sich die miefende Decke bis zum Ohr. Moment… Decke? Sie wagte ein Blinzeln und zuckte zurück. Soviele Beine und Schuhe, Stiefel und Röcke, die in Bewegung waren, hatte sie ihren Lebtag nicht gesehen, zumindest nicht so beängstigend nah. Erschrocken ob der nahen Gefahr des Zertrampeltwerdens zuckte sie zurück und hob skeptisch die Lider, um sich ihrer Umgebung bewusster zu werden. Wenig körperbeherrscht rieb sie sich übers Gesicht, während sie eine unangenehme Übelkeit in sich aufsteigen spürte.
Das letzte, leidlich Deutliche woran sie sich erinnerte, war der Rahjatempel. Das Stirnrunzeln übermannte ihre gesamte Mimik.
„Wo bin ich?“ fragte sie, ohne jemanden direktes anzusprechen.
„Bist du endlich wach, Mädchen? In Norderstadt bist du!“ erklang eine krächzende, alte Stimme.
Neferu fühlte sich, als wäre sie unter Kutschräder gekommen. Jeder Knochen in ihrem Körper machte sich bemerkbar, wobei sie nicht sagen konnte, was ihrem Befinden mehr Schaden zugefügt hatte, das Schlafen auf einer steinernen Brücke oder der Überkonsum des Rauschkrauts.
„Norderstadt?“ raunte sie irritiert, „nicht mehr in Grangor?“ Die Worte hallten unwirklich und aus unerfindlichem Grund unsinnig klingend durch ihren markant brummenden Schädel.
Sie wurde über den Umstand aufgeklärt, dass Norderstadt ein Teil Grangors war und langsam wurde ihr bewusst, dass sie davon eigentlich schon gehört hatte.
Unbeholfen und blass, wie ein Küken, das eben erst geschlüpft war, entschloss sie ihre Umgebung zu analysieren. Weitaus langsamer als sonst ratterten die Zahnräder ihres Verstandes.
Sie lag auf einer gut besuchten Brücke, soviel war ihr mittlerweile klar. Und zwar erkannte sie die Stelle, an der Phexdan ab und zu geweilt hatte, wenn sie nach ihm suchte. Jemand hatte sie mit einem Satz alter Lumpen zugedeckt, die stanken bis zum Himmel, aber wenigstens warm waren.
Dieser Jemand saß neben ihr: Ein alter Kauz mit weißem Bart, sicher an die 70 Götterläufe alt – er hatte keine Beine mehr, zumindest keine Unterschenkel und sah sie freundlich an. Einer der vielen Bettler hatte sich also ihrer angenommen.
Mit Mühe richtete sie sich ins Sitzen auf.
„Wie spät ist es…?“ Sie rieb sich erneut den schmerzen Schädel mit seinen pochenden Schläfen.
„Etwa die vierzehnte Stunde..!“ klärte der heitere Alte sie auf.
„Zuviel Rauschkraut“, gab sie ihm zur Information, aber nicht ohne zu betonen, dass es das erste und letzte Mal gewesen war, dass sie sich überhaupt dazu hatte hinreißen lassen.

Bei Phex… Sie musste lange an dieser Stelle gelegen haben; wäre es Winter gewesen, hätte sie einem Kältetod nicht entkommen können. Er gab ihr Wasser zu trinken und sie erklärte ihm den Umstand ihres Hierseins, der ihr verschwommen selbst erst bewusst werden musste. Missmutig gab die junge Frau ihre Meinung über die verrückten Rahjajünger preis und die absolute Nichtübereinkunft ihrer und derer Einstellungen. Er gab ihr Recht. Immerhin. Seine Zustimmung spendete ihr etwas Trost. Wenigstens fühlte sie sich, was ihre Meinung anbelangte nicht mehr ganz so allein, schien doch Restdere den rahjaischen Praktiken zu huldigen.
„Weißt du…“ Sie hatte entschieden dem Bettler – mit dieser Bevölkerungsschicht hatte sie in den Jahresläufen ihres Daseins ausschließlich gute Erfahrungen gemacht und fühlte sich ihnen irgendwie verbunden – weitere Einblicke in ihr Leben zu gewähren, „Wenn ich liebe, dann liebe ich ganz und gar. Ich werde meine Liebe nicht aufteilen. Und ich will selbst nicht irgendein Name auf einer langen Liste sein. Ich gebe mich nicht damit zufrieden ein einzelner Finger zu sein – ich will beide Hände sein.“
Er stimmte ihr zu und einen Moment lang starrte sie nachdenklich ein tiefes Loch in die Luft.
„Sag mal… Wo schläfst du eigentlich? Der Boden war unglaublich hart. Und ich sehe nachts nie Leute von euch auf den Straßen. Wo bleibt ihr alle?“
„In der Offenen Hand..“ antwortete er freundlich und offenherzig.
Sie hob sachte die Brauen. „In der Offenen Hand? Schlafen da alle von euch? Ist da überhaupt genug Platz?“ Ruhig und im Vertrauen, verriet er ihr, dass unter der Offenen Hand Räumlichkeiten existieren von denen die wenigsten wussten. Dieses Faktum kam ihr sehr bekannt vor und sie erzählte ihm von den ähnlichen Verhältnissen in ihrer schmierigen und durchaus auch schwierigen Kindheit, während sie an das Brückengeländer lehnte und in den blauen, wolkenlosen Himmel blickte.
„Ich habe auch schon einmal in der Offenen Hand geschlafen…“ fügte sie nachdenklich und mit Blinzeln gen Praiosscheibe zu.
„Ach?“ antwortete der Alte interessiert „Und wo da?“
„Oben… das erste Zimmer links.“
„Bei Phexdan?“ raunte ihr Gesprächspartner fast belustigt.
„Ja…“ sie wandte dem Greis wieder ihr Gesicht zu, „Ich habe einmal bei ihm geschlagen, aber… selbstverständlich nicht…“ Neferu begann etwas unbeholfen zu stammeln. „Also nicht zusammen in einem Bett, er auf einer Matte, du verstehst… Wir haben nicht… Ich würde nicht…“
Er verstand nickend und lächelt ihr sachte zu.

Ein trauriger Ausdruck schlich sich melancholisch auf ihre Miene. Die stechend grünen Augen wurden trübe und sie senkte den Kopf, dass die vielen Zöpfe ihr Gesicht halb verbargen. Dem Krüppel entging die Last ihrer Seele nicht.
„Mädel, das kann man ja nicht ertragen… was ist denn los?“ Er hob die buschigen Brauen und lehnte sich leicht vor.
Nach leichtem Zögern begann sie tatsächlich dem Väterchen ihr Herz zu offenbaren.
„Ich liebe jemanden… Wie ich dir sagte war ich im Rahjatempel. Aus diesem Grund… Ich wollte von ihnen wissen, wie sie über mein Gefühl denken. Ich wollte ihren Rat, aber er hat nichts genutzt, sie sind zu anders als ich. Ich… habe mich sogar an dem Kuss des Priesters gestört, meine Küsse sollen für jemand anderen sein… Aber er… ist ein Frauenheld. Ich will nicht ein Name auf seiner Liste sein… Ich will ihn für mich allein… Schließlich… hätte er auch mich im Gegenzug ganz für sich.“
Aufmerksam hörte der alte Bettler zu und nickte langsam.
„Kenn ich ihn..?“ raunte er ihr anteilnehmend zu.
Sie blickte in die graublauen Augen des Alten. Wohlwollend sah er ihr entgegen.
„Ich kann dir darüber nichts sagen, da ich vermute… Du würdet es ihm erzählen, wenn du ihn kennst. Und das wäre… furchtbar für mich.“ Wisperte sie ernst.
Auch der alte Großvater, der mit ihr an der Bettlerbrücke saß auf der noch immer scharenweise Menschen vorüberzogen brachte ernst in sein faltiges Gesicht. Er legte die rechte Hand auf sein Herz und schwor ihr, dass er ihre Information für sich behalten wollte, eingeschlossen in seinem Herzen.
Ein mattes Lächeln überkam sie bei dem Anblick des zerlumpten, herzlichen Mannes.
„Nun… ja. Er ist dir bekannt. Ich kenne ihn seit ich in Grangor bin, seit einigen Monaten. Es ist nur… Ich weiß, dass er oft im Rahjatempel schläft und so weiß ich auch… Dass ich für ihn niemals das sein kann, was ich sein will. Die Einzige…“ Ihr Blick senkte sich.
„Nur einer von uns schläft im Rahjatempel.“ Lächelte der Greis gewitzt und Neferu nickte resigniert.
„Dann weißt du ja… um wen es sich handelt. Weißt du… Nachdem mein Schmerz zu groß wurde habe ich versucht dem Gefühl zu entfliehen und bin aus Grangor abgereist. Er hat sicher nicht einmal nach mir gesucht. Vielleicht ist er einmal die Straße entlanggelaufen, um zu gucken, wo ich bin, aber…“
„Ich kann dir versichern… Er hat uns ganz schön auf Trab gehalten, als er nach dir suchte.“ Sprach der Bettelnde in gewohnt freundlichem Tonfall.
Neferu hielt inne.
„Das sagst du jetzt nur, damit er nicht ganz so schlecht dasteht.“ Seufzte sie mit schrägem Lächeln. „Weißt du… ich bin sogar soweit gegangen und habe ausgenutzt als er schlief. Oh, versteh mich nicht falsch, ich habe ihn nicht berührt! Aber ich… musste seinen Duft einatmen und habe mich zu ihm herabgebeugt. Der Geruch von Rosen…“ Sie presste die Lippen aufeinander und schämte sich mit einem Mal für ihre exhibitionistische Offenheit dem fremden Alten gegenüber. Ihr Handeln erschien ihr immernoch schleierhaft. Aber sie hatte eingesehen, dass sie sich damit abfinden musste, dass ihr Gefühl ihr seltsame Gesten und Gedanken diktierte.

„Der… schönste Augenblick meines Lebens war… als wir zusammen Rahjarosen pflanzten.“ Lachte sie bitter und mit hoffnungslosem Schimmern in den Augen. „Bis… Bis er mein Geschenk an ihn – eine Schneeflockenkette als genug Erinnerung an mich bezeichnete. Er… er hat bereits damit abgeschlossen, dass ich überhaupt in Grangor weile. Er geht davon aus, ich sei schon mit halbem Bein wieder in Gareth.“ Ihr Redefluss versiegte für einen Augenblick und mit traurigem Lächeln lehnte sie sich an ihren alten Gesellschafter.
„Erinnerungen müssen nicht zwangsläufig die Vergangenheit sein. Wir sitzen schon einige Stunden hier und du hast noch das Bild von mir im Gedächtnis als ich dich weckte, es ist also eine Erinnerung, aber ich bin immernoch gegenwärtig.“ Lächelte er sie aufmunternd an und mit einem leisen Seufzen quittierte sie, dass er dasselbe redete, wie der Rahjapfaffe.

„Ich glaube, Rahja hasst mich.“ Raunte sie bitter und starrte ihre Knie an.
„Was?“ Der greise Mann lachte krächzend auf. „Ich glaube eher… du bist Rahjas Liebchen.“
Rahjas Liebchen? Der Schnaps? Wunderte sich Neferu still, aber schwieg.
Sie bekam zwei Dukaten in den Schoß geworfen, die sie sofort an den Bettler von Grangor weitergab. „Nehmt sie beide. Ich weiß, wohin das Gold fließt und ich will dieses Vorhaben voll und ganz unterstützen. Gibt es eigentlich… eine Anmeldegebühr ein Bettler Grangors zu werden?“ scherzte sie mit einem matten Lächeln auf den schönen Lippen und dem fortwährend schwermütigem Glanz in den Augen. Es gab keine Anmeldegebühr. Vielleicht… Sollte sie wirklich… Es war ohnehin so vieles egal gewoden. Sie ließ sich gehen, das war ihr bewusst. Aber sie spürte nicht die Kraft sich gegen Selbstmitleid, Hoffnungslosigkeit und Melancholie zu erheben. Insofern… schien es ihr für den Moment die Bestimmung ihres Lebens als Bettler zu hausieren.
„Ich denke… ich werde für den Rest meines Lebens hier auf den Straßen sitzenbleiben.“
raunte sie ihm in bitterem Ton scherzend zu. Seine Antwort hatte sie erwartet:
„Es lebt sich nicht schlecht als Bettler in Grangor.“

Einige Schweigeminuten vergingen, während sie ihren grauen Gedanken nachhing, in die sie sich mittlerweile hemmungslos gestürzt und reingesteigert hatte.
Kurz zögerte sie, ehe sie erneut die Lippen teilte und die Konversation wieder aufnahm. Sie hatte die Beine angezogen und ihre Arme darum geschlungen.
„Du bist schon einige Jahrzehnte alt. Der Rahjapriester sagte… Irgendwann erreicht uns die Liebe, auch wenn es viele Jahrzehnte dauert. Hast du… je geliebt? So sehr, dass du sie ganz für dich allein wolltest?“
Er überlegte kurz, ehe der knöchrige Alte von seinem Gefühl zu berichten begann.
„Ja, da gibt es eine. Doch… sie hat meine Gefühle für sie wohl nie ganz verstanden und so… sind wir nicht zueinander gelangt.“
Es schien Neferu durchweg unrichtig, dass sogar der Großvater kein Glück in der Liebe hatte und in vollster Bitterkeit schmeckte sie ihr eigenes Schicksal in seinen Worten.
„Wie wäre es..“ versuchte sie die Bestätigung ihrer Befürchtungen, was das Leben und Rahjas Willkür anging ein Schnippchen zu schlagen. „Wenn wir heiraten. Dann kannst du sie eifersüchtig machen und deine einstige Liebe kommt zu dir zurück.“ Der Weißhaarige lachte keckernd und sprach aus faltigen Lippen: „Ich fürchte, das würde nicht viel helfen.“ Sie fragte nicht weiter. Vielleicht war die Liebe dieses Mannes bereits tot oder verheiratet. Sie wollte nicht bohren und ihn gegebenenfalls verletzten, dazu hatte sie den Kauz zu gerne, wie sie feststellte.
„Wie… heißt du eigentlich?“ fragte sie plötzlich, nachdem sie festgestellt hatte, dass weder sie wusste mit wem sie es zu tun hatte, noch er.
„Maran.“ Kam rasch die Antwort. Auch sie stellte sich vor, vermutend, dass er ihren Namen bereits einmal gehört hatte.
„Maran…“ wiederholte sie freudig, „wie der rotgelbe Greifvogel, den es nur auf Maraskan gibt!“ Sie war ernsthaft glücklich darüber, dass sie eine Verbindung zu diesem Teil der Welt hatte. Es gab immernoch Dinge, die sie glücklich machen konnten und plötzlich klammerte sie sich an den Gedanken an Maraskan.
„Eigentlich wollte ich ihn – sollte ich einst einen Sohn haben – ihn Phexir nennen, aber… jetzt denke ich, dass ich ihn vielleicht auch Maran nennen werde!“

Es folgte ein Redefluss Neferus über ihr bekannte Dinge. Sie erzählte ihm von Maraskan und von Scheijian, den sie zu lieben geglaubt hatte und dessen Name nichts mehr weiter war als ein Name; nicht einmal ein blasses Gefühl war mittlerweile verblieben.
Sie erklärte, wie sie zum Stammesmitglied der Oijianijias wurde und berichtete von Richard und Garion, die ihre Begleiter waren.
Plötzlich lachte sie auf und entschuldige sich für ihr unnachgiebiges Quasseln. Lächelnd scherzte der Alte: „Ich kann ja ohnehin nicht weglaufen.“ Und deutete auf seine Beine, die bei den Knien aufhörten.
Neferu gewann ein heiteres Schmunzeln: „Vielleicht sollte ich dich wirklich heiraten. Du scheinst der perfekte Mann für mich zu sein.“
„Nun, dann wirst du mich aber zum Traviatempel tragen müssen.“ Konterte er mit noch zahnigem Grinsen. Alle Achtung… kam es Neferu in den Sinn. Er hatte sogar noch Zähne.
„Du bist noch so jung…“ krächzte er erneut, „dir steht die Welt offen… für mich hingegen, gibt es wohl keine Hoffnung mehr, was meine Liebe angeht.“ Er zündete sich eine Pfeife an und bot sie ihr an.

Ihre grünen Augen hefteten sich an das rauchende Gerät, dass er sich in den Mund schob und mit leiser Inbrunst sprach sie fest: „Die Liebe ist alterslos, Maran. Du solltest um sie kämpfen, auch wenn du bereits einige Jahre mehr zählst. Lass sie nicht gehen, nur weil du mit deinem Leben abgeschlossen zu haben glaubst.“
Dann verneinte sie die Pfeife, er hieß es gut. Kurz zögerte sie, ehe sie ihm eben jenes gute Stück aus Ton in einer Rangelei in der sie dem Beinlosen überlegen war entwendete.
„Zu ungesund.“ War ihr strenges Urteil und trotz seiner um Rückgabe ausgestreckt bittenden Hand, warf sie das Pfeifchen über ihre Schulter in den Kanal. Schlagartig runzelte sie selbst die Stirn und ehe er noch etwas sagen konnte, war sie wieder am Zug: „Ich hoffe nur… diese Pfeife hatte für dich jetzt keinen ideellen Wert….“ Der Alte gestikulierte aufgebracht: „Ich hatte sie von der Liebe, von der ich dir erzählte…!“

Neferu sprang auf, weitete die Augen und wandte sich in Panik dem Brückengeländer zu.
„Keine Bange! Ich hole sie dir wieder!“ Sie machte ernst. Er hingegen nicht. Während er sie mit den fleckigen alten Händen packte keckerte er: „Nur ein Scherz… Irgendjemand hatte sie mir geschenkt… Nicht weiter wichtig.“
Erleichtert ließ sie sich wieder auf ihre vier Buchstaben fallen.
Es war bereits später Nachmittag geworden, die Zeit, die sie mit dem alten, urigen Kauz verbrachte, verging rasch.

Und dann ließ sich seine Seniorenblase verlauten. Er musste auf die nahe Toilette – eine Mülldeponie hinter einem Haus, wie sie erfuhr. Sie nahm den leichten, alten Mann auf den Rücken und scherzte: „Ist der Reiter startklar?“ Natürlich ging sie seinem Wunsch nach, ihn zu seinem Ziel zu bringen, sie setzte ihn sogar in Position und wartete – natürlich von ihm fortgedreht – an einen Brückenpfosten gelehnt auf sein Rufen, das als Zeichen ausgemacht worden war.

Es war nicht viel Zeit vergangen, da drang von schräg hinter ihr eine Stimme an ihr Ohr. Sie war ihr wohl bekannt und ließ sie zu Donner gerührt versteinern: Phexdan.
„Ich habe eine gute Nachricht für dich…“ begann die weiche, mitteltiefe Stimme. Sie wandte sich nicht zu ihm um.
„Du wirst mich nicht zum Traviatempel tragen müssen….“

Grangor 7 (Garion)

Sein Blick richtete sich wieder an die Decke des Zimmers. Ordentlich aneinandergereihte Bretter, sorgfältig abgeschliffen und lackiert erfreuten das Auge, doch hatte Garion nicht einen Gedanken für diese Kunst.
Sein Leben war schwerer geworden seit er Grangor erreicht hatte. Sicher, anfangs war er voller Zuversicht. Er hatte Richard schnell in einer Taverne gefunden und dieser Hatte ihm auch ein Zimmer vermitteln können, dass seine Taler unangetastet ließ, aber damit schien das Glück dieses Aufenthalts auch erschöpft zu sein. Neferu war seit gut anderthalb bis zwei Wochen nicht gesehen worden. Weder die Gardisten, noch die Bettler hatten Richard sagen können wohin sie gegangen war. Nur in einem Punkt waren sich alle einig – es war sehr wahrscheinlich, dass sie die Stadt nicht verlassen hatte. Nicht nur waren ihre Sachen noch in ihrem Zimmer bei den Hortemanns, nein, auch die Stadtgarde hatte bestätigen können, dass sie ihre Waffen und ihre Rüstung nicht ausgelöst hatte.

Er schloss die Augen und konzentrierte sich einen Moment auf die Wärme des Wassers um seinen Leib. Er hatte sich Sorgen gemacht, war schier verrückt geworden vor Angst. Er war sofort in den Rondratempel gestürmt und hatte die Hilfe seiner Brüder und Schwestern erbeten. Und ja, sie hatten Doppelpatroullien in den Gassen der verrufeneren Stadteile durchgeführt, hatten den ein oder anderen Dieb, Meuchler und Betrüger aufgegriffen und peinlich verhört, aber von Neferu keine Spur.
Er runzelte die Stirn. Seine Sorge hatte ihn weit genug getrieben einen Bettler in einen der Kanäle der Stadt zu werfen, nachdem dieser ihm ein Bein gestellt hatte.
Sein Blick wandte sich auf die vorsichtig spiegelnde Wasserfläche hinab. Das hatte ihm eine Nacht in den Kerkern Grangors eingebracht…eine Nacht, die er zum überlegen genutzt hatte. Es war ihm immer wahrscheinlicher erschienen, dass Neferu die Stadt doch verlassen hatte…irgendwie…unbemerkt. Immerhin war sie zuletzt in der Nähe des Pilgerhafens gesehen worden und war seitdem nicht mehr in der Stadt aufgetaucht.
Er war am nächsten Morgen sofort raus in den Hafen gegangen und hatte sich unter den Kapitänen der vor Anker liegenden Schiffe umgehört. Jedes einzelne Schiff hatte er betreten und sich so lange geweigert es zu verlassen bis er mit dem Kapitän gesprochen hatte…doch auch diese Hoffnungen wurden enttäuscht – keine Spur von Neferu.
Sein Blick wurde starr, als er den Kopf in den Nacken zurück legte. Das warme Wasser kroch seinen Nacken hinauf in seine Haare hinein, da war es wieder dieses Gefühl der Schwerelosigkeit.
Er war Wochen lang nicht zur Ruhe gekommen. Seine Nächte hatten zu keiner Zeit länger als vier Stunden gedauert, Richard hatte ihn zurecht weisen müssen, weil er mitten in der Nacht auf dem Flur im ersten Stock des Hauses Hortemann wie ein Tiger auf und ab gegangen war. Und doch konnte er kaum etwas für sein Verhalten. Die Sorge um die Frau die er liebte hatten ihm Ruhe und Appetit geraubt, hatte sich an seinem Herzen festgekettet und verleidete ihm jedes Vergnügen.
Schließlich hatte er sich einen Ruck gegeben. Wenn sie wirklich in der Stadt war und wenn es diesen Phexdan, der ihr nachgestellt hatte wirklich gäbe, dann müsste er mehr wissen. Er hatte keine Zeit verloren, hatte einen der Bettler bezahlt und ihn nach diesem Kerl auszufragen versucht, hatte versucht ihn ausfindig zu machen, aber er hatte kein Glück gehabt. Niemand konnte oder wollte ihm sagen wo sich dieser Bastard aufhielt. Alles was man ihm zugestanden hatte war, seine Bitte an diesen Halunken heran zu tragen. Es hatte nicht mehr in seiner Hand gelegen.
Traurigkeit überzog das Gesicht des Bronnjars, als er sich ein Stück tiefer in den Zuber sinken ließ, sodass seine Nase nur noch knapp über der Oberfläche des wärmenden Nass war. So musste es sich anfühlen, wenn man geborgen im Leib einer liebenden Mutter heranwuchs.
Trotz der Schlappe auf der Suche nach Phexdan hatte er nicht den Mut verloren. Neferu musste irgendwo sein, also würde er die Suche nicht aufgeben. In den folgenden Tagen hatte er die Patroullien der Rondriten unterstützt, hatte sie erbarmungslos durch die Gassen getrieben, hatte mit glühendem Eifer jeden Hinterhof überwacht. Bis…ja…bis zu dem Tag von Neferus Rückkehr. Gegen Mittag hatte er von einem der Bettler eine Nachricht erhalten – Phexdan war zurück und wollte ihm die Bitte um ein Gespräch erfüllen, er, Garion, sollte in dem Gasthaus Zur offenen Hand auf ihn warten. Er hatte gewartet – oh ja, das hatte er, aber es sollte trotzdem noch bis zur Hälfte der zweiten Nachtstunde dauern, bis er sein Gespräch bekommen hatte. Phexdan sah anders aus, als er ihn sich vorgestellt hatte. Er trug teure Kleider, war glatt rasiert und hatte ohne Frage ein hübsches Gesicht – nichts, was Garion gnädiger zu stimmen vermocht hätte. Kaum, dass der Mann sich gesetzt hatte lächelte dieser Hurensohn ihn freundlich an:“Ihr müsst Garion sein. Ihr wolltet mich sprechen?“
Der Rondrit hatte leise mit den Zähnen genknirscht:“Wo ist sie?“
Die Antwort hatte ihn überrascht:“Ich weiß es nicht. Ich habe sie suchen lassen…aber…wir haben sie nicht gefunden…ich…“, da war es Garion zu viel geworden. Er hatte den jungen Mann am Kragen gepackt und über den Tisch gezogen:“Du mieser, scheinheiliger Betrüger, wenn ich rausfinde, dass du etwas mit ihrem Verschwinden zu tun hast, dann…!“
Phexdan hatte die Hände gehoben und sich alle Mühe gegeben ihn mit Zusicherungen seiner Unschuld zu beruhigen. „Ich weiß wirklich nicht wo sie ist…ich wollte nicht tiefer in sie dringen…“, hatte er gesagt. „WOLLTEST DU SEHR WOHL! DU WOLLTEST IHR IHRE UNSCHULD RAUBEN!“, war Garion aufgefahren, war lauter geworden als geplant. Wieder hatte Phexdan die Hände abwehrend gehoben und ihn verdutzt angeblickt.“Ich…ihre Unschuld rauben? Wohl eher andersherum…“,das hatte Garion nicht beruhigt…im Gegenteil, seine sonst so ausgeprägte Geduld hatte ihm gänzlich im Stich gelassen…Wut war seine Kehle hinaufgesprungen und er war dem jungen Mann an die Kehle gegangen wie ein verwundeter Löwe. Ein Umstand, dem er es zu verdanken gehabt hatte, dass zwei der Bettlerfreunde dieses gelackten Affen ihn gepackt und in einem der Kanäle abgekühlt hatten.
Wieder hatte man ihm Glück unterstellt, die beiden hatten ihn wieder aus dem Wasser gezogen und an seinen Platz zurück geschliffen, wo er sich mit dem Gefühl einsam und gedemütigt worden zu sein wieder niedergelassen hatte. Er hatte gefroren, aber alles daran gesetzt keine Schwäche zu zeigen, auch wenn es so wirken mochte, der Zorn auf den Zwölfgötterverfluchten Jüngling ihm gegenüber war keinesfalls verraucht, nicht einmal im Ansatz.
Dann war es geschehen, die Tür hatte sich geöffnet, laut und kraftvoll, und Neferu hatte in der Tür gestanden. Garion führte den Stich im Herzen immer noch und rieb sich unter der warmen Decke seines Bades über die linke Brusthälfte. Er hatte sofort gespürt, dass etwas anders war, als er sie in der Tür gesehen hatte – sicher einiges war unübersehbar. Ihre Haut war sehr viel dunkler, sie trug ihre Haare anders und was sie am Leib trug hatte viel von dem luxuriösen Glanz verloren, den es einst besessen hatte. Aber…das war es nicht, was ihm zu schaffen gemacht hatte. Es war etwas in ihren Augen. Etwas an ihrem Blick…an ihrer Haltung hatte sich verändert. Auch jetzt, einen Tag später konnte er nicht genau sagen, was ihn vorgewarnt hatte, aber…war das wirklich wichtig? Er hatte sich an diesem Abend nicht getäuscht. Phexdan war als erster bei ihr gewesen, hatte Anstalten gemacht sie zu umarmen – er musste sich wirklich sehr sicher gewesen sein – hatte aber mit einem Blick zurück zu dem durchnässten Garion darauf verzichtet und die Taverne verlassen. Er selbst hatte Neferu gefragt, wo sie gewesen war, hatte ihr versichert, dass er an seinen Sorgen beinahe zu Grunde gegangen war, aber sie war mit ihren Gedanken woanders, weit weg von ihm. Es hatte nicht lange gedauert, bis er die Taverne nur noch hinter sich lassen wollte. Er hatte sie gefragt ob sie mit ihm käme, zurück zu den Hortemanns, wo er ihr Bett, das er bisher genutzt hatte sofort für sie räumen würde.
Er starrte wieder an die Decke des Bades. Sie hatte verneint, hatte ihm aber bestätigt, dass sie nachkommen würde. Nur mit Richard an seiner Seite war er schweren Herzens zu seiner Lagerstatt zurück gekehrt. Es war zu spät gewesen um nach einem anderen Zimmer zu fragen, so hatte er in Rüstung auf dem Flur übernachtet, ohne an diesem Tag noch etwas von Neferu zu sehen oder zu hören.
Er richtete seinen Blick auf das große Schwert neben der verriegelten Tür. Danach hatten die Ereignisse sich überschlagen, die Klinge legte Zeugnis davon ab. Noch immer klebte Blut an dem schartigen Zweihänder, das Blut Grangorer Bürger, Anhänger des Namenlosen. Wie immer überraschte ihn die Angewohnheit so profane Dinge wie ein erbeutetes Schwert zu analysieren und nach Zeichen für die Geschichte zu suchen, die sie miterlebt hatten. Seine Augen hielten an einer der Scharten inne…er selbst hatte sie geschlagen. Das Schwert war gegen ihn gerichtet gewesen.
Er schloss die Augen und konzentrierte sich auf die Wärme. In seinen Gedanken mischten sich Bilder. Ein großer Krieger holte mit einem Bidenhänder aus und traf ihn mit der Wucht eines Golems nahe der Rippen…sein Geist verlor sich in der Wärme und ehe ihm Boron seinen Segen schenkte sah er wie die braungebrannte Neferu ihm zulächelte. Warm und mit diesem Funkeln in ihren Augen…wie sie es früher einmal getan hatte…

Grangor 6 (Neferu)

„Rahja liebt jeden. Warum glaubt Ihr, dass es bei Euch nicht so ist?“ Wurde sie begrüßt.
Ein gutaussehender Moha, der vom Aussehen her auch ein Tulamide hätte sein können, nahm sich ihrer an. Sie wurde in eines der nobel anmutenden Badebecken geführt und ausgiebig, aber sanft gewaschen, nicht ohne den Geweihten zu ermahnen, sie nicht an den heiligsten Stellen zu berühren (aus irgendeinem Grund empfand sie das als Anmaßung, selbst von einem Diener der Liebesgöttin – oder eher erst recht deshalb.).

Sie ließ es sich nicht nehmen mit dem Rahjapfaffen über drei Stunden zu diskutieren, über Liebe, Schmerz, Travias Ansichten und die Vereinigung zweier Leiber.
Seine rahjaische Auffassung von alledem trieb ihr hauptsächlich nur ein Stirnrunzeln auf das Gesicht. Diese Verrückten kannten keine solch inbrünstige Liebe, dass sie eine einzige Person für sich allein hätten haben wollten. Der Gedanke war ihnen fremd und der Geweihte bezeichnete ihn gar als egoistisch.
Sie rauchte Rauschkraut – das erste Mal in ihrem Leben. Sie rauchte viel Rauschkraut. Zuviel.
Bunte Punkte und verschwommene Farben waren in ihre Wahrnehmung gedrungen, als der Moha sie in einen der abgeschiedenen Nebenräume geführt hatte.
Sie hatte bereits zuvor verlauten lassen, dass der, dem ihre Liebe einzig gehörte (für den Rahjapriester ein unrichtiger Umstand) flinke Finger besaß. Nun, durch die Auswirkungen des Krauts gab sie auch seinen Namen preis.
„Phexdan…“
Der nackte, gutgebaute Südländer kannte ihn. Er bestätigte, dass Phexdan oft mit den liebestollen Bewohnern des Tempels, also der Priesterschaft, das Lager teilte.
Etwas zuckte unter Neferus Auge, sie hatte genug gehört.
Während der Geweihte sie eingehend massierte und beide sich fortwährend unterhielten, gab es wenigstens ein Thema, das Neferu ein Schmunzeln auf die Lippen zwang: Offensichtlich hatte Abelmir, so der Name des Schönlings, intimen, wenn auch nicht zu intimen Kontakt zu Richard gehabt. Immerhin, vielleicht konnte sie ihren Frust etwas dämpfen, indem sie ihre Mitwisserschaft dem langjährigen Kumpanen neckend unter die Nase rieb.
Die Halskette – ein Erinnerungsstück. Sie lenkte das Thema zu ihrem eigentlichen Kernproblem zurück. Der Geweihte legte ihr seine Sicht der Dinge dar und schilderte ihr bildlich mit einer anderen Rahjageweihten, dass „Erinnungsstücke“ nicht unbedingt Vergangenheit sein müssen (Die Frau hatte ihm ebenfalls vor einigen Jahren eine Kette geschenkt und immer noch liebten sie sich heiß und innig – körperlich natürlich.).
Auch für die Rondriten fand Abelmir einige beschwichtigende und positive Worte.
Neferu seufzte und zog so lange an der Rauschkrautpfeife, dass sogar der Rahjageweihte sie ermahnen musste, während er ihre Pobacken massierte, was ihr mittlerweile – verklärt durch den Rausch – auch einerlei war.
Mehrere Stunden verbrachte sie mit dem fremden Mann, bis sie sich anschickte zu gehen. Sie erhielt von dem Moha noch ihren allerersten lang anhaltenden und tief intensiven Zungenkuss, ehe sie sich berauscht auf die nächtigen Straßen wagte. Obwohl… nächtlich? Es musste bereits früher Morgen sein.
Ihr wurde blümerant zu Mute und sie lehnte sich keuchend an eine Hausmauer.
Schweißperlen traten auf ihre Stirn und flackernde Punkte und Kreise in allen Farben tanzten um sie herum – ganz offensichtlich war sie diese Drogen nicht gewöhnt.
Schwankend und mit wattigen Gedanken schwebte und strauchelte sie vorwärts durch die menschenleeren, grangorianischen Gassen.

Irgendwann, das Zeitgefühl hatte sie endgültig verloren, fingen ihre stecknadelkopfgroßen Pupillen Phexdans Brücke ein. Sie schleppte ihren Körper, der nicht ganz so reagierte, wie sie es gewohnt war zu dem Flecken Grund, auf dem der junge Hochgeweihte sich für gewöhnlich tagsüber aufhielt.
Nur ganz kurz ausruhen…

Grangor 5 (Garion)

Müde ließ er seinen Blick durch das kleine aber gemütliche Zimmer schweifen. Es war etwas größer als die Kammer, die er in Arivor bewohnt hatte. Das Bett war frisch bezogen, weiße Bezüge – eine Seltenheit, musste man sie doch öfter wechseln. Das kleine Fenster, das der Tür gegenüber lag war offen und frische Luft durchdrang das Zimmer. Neben dem kleinen Tisch mit Stuhl stand eine Kiste, die offenbar für die Habseligkeiten etwaiger Gäste gedacht war.

Garion verzog das Gesicht. Alles in allem konnte man durchaus sagen, dass er Glück gehabt hatte. Weder hatte sich ein Lüstling an Neferu vergangen, noch war die Stadt vernichtet oder sein Goldbeutel durch einen teuren Tavernenaufenthalt vernichtend geschlagen worden. Ein Tiefer Luftzug erinnerte ihn an seine drei gebrochenen Rippen. Wenigstens hatten die Enden der Knochenbögen keine Organe getroffen – zumindest hatte er keine Schmerzen die darauf hindeuteten. Wieder Glück gehabt. Der Blick des Rondriten wanderte weiter zu seiner rechten Hand. Erst jetzt wo er es sah wurde ihm wieder bewusst, dass diese noch immer den Griff eines recht schweren Zweihänders umklammerte, sodass es schmerzte.
Er schloss die Augen und ließ sich von einem weiteren Atemzug peinigen, ehe er die Waffe an die Wand neben dem Bett lehnte und seine gekrümmten Finger ein wenig öffnete…wieder Schmerzen. Schmerzen schienen sein Schicksal zu sein. Vorsichtig bewegte er die Finger der Rechten ein paar Mal, jedes Mal ein wenig weiter, bis die Haut schließlich zwar noch spannte, die Finger sich aber weites gehend ohne Schmerzen bewegen ließen. Er brauchte dringend ein Bad. Glücklicherweise hatte Richard ihm das Badezimmer der Familie Hortemann, deren Gast er nun schon seit einiger Zeit war direkt am ersten Tag gezeigt, es lag nur eine Tür weiter. Ein Umstand, der ihm mehr als nur recht war, er verspürte wenig Lust sich blutverkrustet, dreckig und stinkend ein weiteres Mal an den Mitgliedern der ohnehin etwas pikierten Familie vorbeischleppen zu müssen.
Vorsichtig begann er die Schnallen auf der linken Seite seines Harnischs zu öffnen. Er mochte die Rüstung. Das momentan ein wenig schmierige Metall wies herausgetriebene Adern auf, wie sie Blätter preis gaben, wenn man sie sich sehr genau besah. Tatsächlich verlieh dieses Muster der Rüstung etwas martialisches, konnte ein zufälliger Beobachter die Blattadern auch für die eines Menschen halten. Aber das störte ihn nicht, er mochte seine Rüstung wie sie war.
Schon riss ihn wieder ein heißer Schmerz aus seinen Überlegungen. Er hatte die Riemen, einem angelernten Automatismus folgend, vollständig geöffnet, was die Rüstung unweigerlich hinab rutschen und auf seine geschundenen Rippen hatte prallen lassen. Er biss die Zähne aufeinander, es war nicht klug sich auf den Schmerz einzulassen! Mit einer schnellen Handbewegung hob er das Gewicht der Rüstung von den Knochen ab und zog sie vollständig von seinem Oberkörper. Eine Wohltat, endlich konnte er freier Atmen, mit weniger Schmerzen. Leise keuchend schob er den Harnisch in die Ecke hinter dem kleinen Stuhl. Erst würde er sein Bad bekommen, dann seine Rüstung. Ein Blick an sich hinab zeigte ihm ein dreckiges, blutiges Leinenhemd grober Machart und eine grobe wollende Hose, die in zwei festen Stiefeln mündete. All das würde eine gute Wäsche benötigen, das musste er einsehen. Seufzend machte er einen Schritt auf die Kiste zu und ging ein wenig steif davor in die Knie, nur nicht zu viel riskieren. Schmerz aushalten mochte tapfer sein, zu dumm sein um Schmerz zu vermeiden war dämlich. Er brauchte neue Kleider, keinesfalls wollte er nach seinem Bad wieder in die Kleider steigen, die er nur am Leib trug. Auch wenn er es jetzt noch nicht merkte – er war sich sicher, dass er gut ohne ihren Gestank leben können würde.
Ein Blick in die Kiste genügte Garion vollauf um zu finden was er suchte. Bis auf einen Satz dunkelblauer Kleidung und zwei dazu passender Stiefel war die Kiste leer. Das was er vor sich sah, war alles was ihm gehörte – alles was er sein Eigen nennen konnte. In dem Versuch diesen Düsteren Gedanken zu entkommen griff er rasch zu. Er hatte Glück gehabt, das würde ihm jeder bestätigen. Immerhin hatte er den Schlag dieses Golems überlegt – und das mit nur drei gebrochenen Rippen. Er hatte außerdem ein Dach über den Kopf und auch die Aussicht auf ein gemütliches Bad in warmem Wasser, völlig ungestört würde ihm so mancher neiden. Trotzdem…er fühlte sich nicht wie vom Glück begünstigt. Er war niedergeschlagen.
An der Tür zum Flur hielt er noch einmal inne und sah zu dem erbeuteten Zweihänder hinüber, den er nach einem Moment des Zögerns am Griff packte und mit sich nahm. Seine Körper dankte es ihm mit einer neuerlichen Schmerzwelle, verkrampfte und übersäuerte Muskeln straften die Taten des vergangenen Tages hart. Mit verzogenem Gesicht öffnete er die Tür seines Zimmers und trat auf den Flur hinaus.
Nur zwei Schritte benötigte er um die Tür des Baderaumes zu erreichen und einen Dritten um in den Schutz des geschlossenen Raumes einzutauchen und die Tür hinter sich zu schließen. Für einen Moment ließ er einfach den Anblick des Raumes auf sich wirken. Das Bad war bereits bereitet. Von dem heißen Wasser in dem Zuber in der Südwestecke des Raumes stiegen wohlige Dampfschwaden auf, die den Raum bereits mit einem angenehm feuchtwarmen Klima versehen hatten. Durch das geviertelte Fenster in der Ostwand des Raumes fiel warmes, honiggelbes Licht auf den hölzernen Boden und in der Nähe des Zubers stand ein Stuhl bereit auf dem er seine Kleider würde ablegen können.
Mit einem hörbaren Atemzug befreite er sich aus der Starre und legte den Riegel vor die Tür hinter sich. Er wollte ungestört sein so lange es ging.

Mit einem Blick auf die lange Klinge in seiner Hand runzelte er die Stirn. Warum hatte er den Zweihänder eigentlich zum Baden mitgenommen? In dem Wunsch das Gewicht loszuwerden lehnte er das große Schwert direkt neben der Tür an die Wand die dieses Zimmer mit dem seinen gemein hatte und trat zu dem Stuhl hinüber um seine sauberen Kleider auf die Sitzfläche zu legen. Nach einem Moment des nachdenklichen Innehaltens schob er die dazugehörigen Stiefel einfach unter den Stuhl. Der Platz war genau so gut wie jeder andere. Rasch sah er sich noch einmal in dem Raum um, er hatte gehofft einige Duftöle…vielleicht sogar DAS eine zu finden.
Ein schmales Brett, dass als eine Art hoch angebrachtes Regal fungierte, über dem Fenster des Raumes bannte seinen Blick. Dort standen einige Tiegel, Flakons und Fläschchen.
Zwei Schritte und einen raschen Blick weiter erklomm ein mattes Lächeln seine Lippen. Da war es…tatsächlich, der Duft seiner sorglosen Jugend. Mit der rechten Hand griff er nach einem der Flakons, der beschriftet war mit „Rapslicht“. Ja, er hatte Glück. Er seufzte leise und senkte den Blick ein wenig um aus dem Fenster hinaus auf den Gang und den sich eine Etage tiefer anschließenden Hof sehen zu können. Die Tore des Kontors mussten weit offen sein, der Hof war lichtüberflutet. Zwei junge, füllige Mädchen stritten dort unten um etwas, dass er hier oben nicht verstehen konnte. Ein melancholischer Ausdruck trat in seine Augen. Die beiden hatten sich in Richard verguckt, das war so offensichtlich, dass es sogar ihm – Garion – nicht entgangen war. Auch auf sie wartete Schmerz, so war das Leben. Mit dem Alter nahm der Schmerz zu. Mit leicht verengten Augen wandte er sich seufzend um. Das Bad würde ihm wenigstens eine angenehme Umgebung für seine Gedanken schaffen, wenn schon keine große Linderung.
Vorsichtig öffnete er den Flakon in seiner Hand und nahm eine Nase des vertrauten Dufts, ein nostalgisches Flackern erfüllte für einen Moment seinen Geist, dann aber zog er das Fläschchen wieder von seiner Nase weg und gab ein wenig seines Inhalts in das Badewasser. Er wusste was passieren würde…es würde nur Sekunden dauern und der ganze Raum würde von dem Duft erfüllt sein, einem Duft, der ihn seltsam schwermütig machen, ihm aber auch das Gefühl der Geborgenheit vermitteln würde.
Er stellte das Fläschchen wieder an seinen Platz als ihn auch schon der warmfeuchte Geruch erreichte, und ihm für einen Moment Tränen in die Augen trieb, die er an nichts festmachen konnte. Hin- und Hergerissen zwischen zwei vorherrschenden Gefühlen zog er sich das vor Dreck starrende Hemd vom Leib und warf es über die Stuhllehne. Die Stelle an der der Golem ihn getroffen hatte war dunkelblau, stellenweise schwarz, nur an den Rändern zeigten sich hier und dort gelbliche Heilungsansätze. Leise atmete er durch und fuhr sich durch die staubigen Haare. Der Heiler hatte gesagt es würde heilen, darauf sollte er sich verlassen. In Gedanken versunken öffnete er die Schnürung der Wollhose und zog sich die Stiefel von den Füßen.
Der Moment der wohligen Wärme war gekommen. Während er sich dem Bottich auf wenige Finger näherte wurde der Geruch, der den Raum wie eine schützende Verheißung durchzog intensiver, ein Kloß bildete sich in seinem Hals und er verharrte einen Moment. Dieser Moment war ein Wechselbad der Gefühle.
Schließlich gelang es ihm den Bann zu brechen. Vorsichtig hob er ein Bein an und setzte es direkt durch die Wasseroberfläche auf den Grund des Zubers. Wieder begrüßte ihn Schmerz, als das heißte Wasser seine Haut umschloss, es prickelte. Ohne abzuwarten setzte er den zweiten Fuß hinterher. Er wusste wie sein Körper reagieren würde. Es würde nicht lange dauern, da würde eine…etwas übertriebene, aber dennoch wohlige Hitze über den Schmerz siegen. Vorsichtig ließ er sich in das Wasser gleiten, konnte spüren, wie das Wasser einen Teil seines Gewichts zu rauben schien, den Druck seiner Muskeln von seiner Lunge nahm. Tief atmete er ein. Jetzt…jetzt war es so weit.
Vorsichtig legte er den Kopf in den Nacken und sah an die Decke hinauf. Seine Zeit in Grangor war anders verlaufen als er sich vorgestellt – sich erhofft hatte. Aber…wann verlief schon einmal etwas wie er es geplant hatte? Ein freudloses Schmunzeln konnte er nicht zurückhalten. Schon in den ersten Tagen seines Aufenthalts war er mit einem Wirt und den Bettlern aneinandergeraten. Er hatte den Bettlern zu wenig geben, hatte Richard ihm erklärt. Aber Garion hatte kaum etwas zu geben. Wenn man es genau nahm gehörten ihm nicht einmal die paar Münzen, die er noch in seinem Beutel verborgen hielt. Seinem Gesamtvermögen von vier Silbertalern und vier Hellern standen Schulden in Höhe von 176…nein…181 Dukaten bei der Nordlandbank gegenüber.
Rasch hob er eine nasse Hand aus dem Wasser und fuhr sich damit über das Gesicht. Er stellte sich vor, wie seine Hand dabei eine feuchte Spur durch sein staubiges Gesicht zog, dann hielt er sich die Nase zu und zog seinen Kopf vollends unter Wasser, strubbelte seine schwarzen Haare durch und rieb sich das Gesicht. Als er wieder auftauchte kam ihm die Luft die sein Gesicht berührte unangenehm kühl vor, auch wenn er wusste, dass es jedem, der diesen Raum betrat wie eine Schwitzhütte vorkommen musste.

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