Feqzjian

Gareth 13 (Feqzjian) (FIR 1013)

Neferu machte es sich auf der alten Wolldecke gemütlich, die wohl schon seit mehreren Götterläufen der kleinen Phexenskammer als Kälteschutz diente.
„Komm..“, forderte sie ihn auf. „Wir müssen reden. Wirklich reden, über alles. Eine Aussprache. Das haben wir noch nie getan.“
Einige Sekunden sah er schweigend zu ihr hinab. Hatten sie das nicht? Hatten sie das? Hatte sie jemals danach gefragt? Einen Augenblick war er mit sich selbst uneins. Ein unerfreuliches, bekanntes Gefühl.
Bevor er sich zu ihr begab, betrachtete der Maraskaner die kleine zylindrische Kammer. Der Blick seiner grünen Augen strich beinahe liebevoll über die Wandnischen mit all ihren hilfreichen Überraschungen für den bedürftigen Phexgetreuen, glitt über die silberne Fuchsstatuette, die ihm auffordernd ihre Schale entgegen hielt, als erwarte sie, er würde sie füllen.
Mit der Eile eines Mannes, der vor versammelter Gemeinde zur Spende an die gerechte Sache aufgefordert worden war, begann er seine Taschen zu durchwühlen, ehe er aus den Tiefen seines Hosenstoffs ein glänzendes Silberstück hervorgekramt und es leise in die Schale hatte gleiten lassen.

Dann sah er zu seiner Begleiterin zurück. Ebenfalls glanzvoll, gebräunte Haut, eine beinahe undefinierbare Haarfarbe irgendwo im nussigsten Braunspektrum, und die schönsten Augen die er je gesehen hatte. Auch wenn ihre Lider geschlossen waren. Den kurzen Moment, den er sich umgewandt hatte, war sie unerwartet eingeschlafen.
Er ließ sich ungewöhnlich langsam und bedächtig auf den unebenen Boden neben die Hexe sinken und rutschte näher, um ihr Gesicht in Augenschein zu nehmen. Tiefe Schatten lagen unter ihren Augen, die Haut war blasser als sonst, wirkte ausgezehrt. Nach dem Vampirangriff in Havena hatte kaum noch Leben in Neferu gesteckt und es kehrte so langsam zurück, als würden die Götter es ihr nicht recht gönnen das Sikaryan zurück zu erhalten, das sie aus eigenem Übermut verloren hatte.
Sie brauchte viel mehr Schlaf als je zuvor und war auch weniger agil und belastbar als sonst. Eigentlich, dachte er, ist es unverantwortlich sie hier überhaupt hinab zu lassen. Die Kanalisation ist schon gefährlich, wenn man im Vollbesitz seiner Kräfte ist. Aber in dem Zustand ist sie hier unten gefundenes Fressen. Wie für die Ghule vorhin.
Behutsam, um sie nicht zu wecken, bettete er den Kopf der Erschöpften auf seinen Schoß. Er wog schwerer, als man annehmen mochte. Andächtig ließ er seine Finger vorsichtig durch ihre welligen Haare fahren, spielte mit den dunklen Strähnen. Es war gut, wenn sie ein wenig Ruhe bekam. Und auch, dass er dadurch welche bekam. Blinder Aktionismus mochte sein charakterliches Aushängeschild sein, aber nicht sein Wesen. Er machte sich schon seit einer Weile Gedanken darüber, was man tun konnte, um der satuarischen Tochter wieder auf die Beine zu helfen. Sie hatte vor Wochen erwähnt, dass die Geweihten der Göttin Peraine eine wundermächtige Liturgie bewahren sollten, deren einziger Sinn es war, einen Sikaryan-Vorrat wieder aufzufüllen. Nüchtern gesprochen. Tatsächlich mochte dieses Ritual ein wenig spiritueller sein, aber Phexdan gefiel das Bild des Geweihten, der Neferu aus einer Kanne befüllte, wie man das mit einem Humpen tat. Er hob gewitzt einen Mundwinkel. Mit wenigen bedachten Bewegungen bettete er ihren Kopf auf das alte Strohkissen und sank selber in die Waagerechte, legte seinen eigenen Körper schützend an sie und zog die staubige Decke bis zu ihren Schultern hoch.
Es war bis auf das Atmen beider vollkommen still, als er seinen sehnigen rechten Arm wie einen haltenden, wärmenden Schild um sie legte.

Es mochte eine Stunde vergangen sein, als die südländische Schönheit verschlafen blinzelte. Feqzjian setzte den unschuldigsten Blick auf, zu dem er fähig war. Nur Sekunden vorher hatte er mit den Fingerkuppen von Mittel- und Zeigefinger immer wieder sanft gegen ihre Oberlippe getippt, um sie allmählich sachte zu wecken. Er wollte nicht länger allein mit seinen Gedanken sein. „Willkommen zurück, Mondschatten.“, wisperte er ihr mit einem leichten Lächeln in das nahe Ohr.
Er lag dicht und warm an sie geschmiegt, stützte seinen zerzausten Kopf in die Linke und betrachtete sie gedankenvoll. Drei Finger der rechten Hand inspizierten fasziniert langsam einen ihrer geschmückten schmalen Zöpfe. Rotglasierte Tonperlen und Spiralen aus Bronze waren dort eingeflochten.
Wie viele Monde waren vergangen, seit er das letzte Mal so nah bei ihr gewesen waren? Vier? Diese ganze Geschichte mit dem Blutegel in Lederhosen war so unnötig wie eine Furunkel am Zeh.
Er war noch immer zuversichtlich und vollkommen überzeugt davon, dass Neferu letzten Endes bei ihm sein würde und nicht bei dem eckzahnigen Anachronismus. Umso überflüssiger und vertaner war all die Zeit, die sie abgegrenzt von ihm mit besagtem Egel verbrachte.
Sie hatte sich im Schlaf zu ihm umgedreht. Ihre Stirn war an seine Brust geschmiegt, sie beide lagen auf der Seite.
Sie seufzte leise, wohlig. Die Erwachende wirkte entspannt und ausgeruht, was auch ihm weitere innere Ruhe verschaffte.
Er wusste, wie sehr sie hier in seiner Gegenwart, angelehnt an seinen Leib die Wärme tankte, die er ihr schenkte. Wie eine Eidechse, die verharrend die Sonnenstrahlen in sich auf nahm.
Wie sehr sie sie vermisste bei dem Immerkalten, dessen Leben schon vor Hunderten von Jahren geendet war und der längst vergessen hätte sein sollen, konnte er gut erahnen. Sie genoss das Leben, das sie bei ihm fand, da war er sich sicher, ebenso wie sehr er die Lebendigkeit in ihren grünen Augen liebte. Ein sichtbares Feuer, das ihm Erfüllung im Größeren Sinne verhieß. Leider brannte es seit dem Attentat des Vampirs nur noch schwach. Es glomm lediglich.
Unzufrieden durch diesen Gedanken, zerbiss er sich die winterlich spröden Lippen.

„Phexdan?“, kroch es bemüht ernsthaft aus der angenehm warmen Schlafstatt hervor. „…das eine war Efeu. Aber was war die andere Pflanze? Ich will es jetzt doch wissen, auch wenn es mir vorhin einerlei gewesen ist.“
Sie versuchte die sachliche Ernsthaftigkeit, die kollegiale Distanziertheit wieder aufzugreifen mit der sie neuerdings ihre Worte an ihn spickte, was nicht dazu passte, dass sie sich wie ein wärmebedürftiges Tierchen an ihn kuschelte.
Einen Augenblick stutzte er, um gleich danach amüsiert auf sie herab zu blicken. Die Frage hatte er nicht nur vorausgesehen, er hatte fest mit ihr gerechnet. Wenn auch nicht gerade hier und jetzt. Auch wenn sie sich selbst von ihrer Gleichgültigkeit zu überzeugen versuchte, bei ihm wirkte dieses Schauspiel nicht.
„Setz dich auf – ich zeig’s dir.“ flüsterte er in die Stille des Einsprengsels. Während Neferu sich aufrichtete, angelte er nach kurzem Gesuche ein kleines Buch aus seiner Tasche hervor. Es war schon älter und sichtbar abgegriffen, aber die Buchstaben auf seinem Einband waren gut lesbar. Manieren für Männer stand dort geschrieben. Vergnügt lachte seine innere Stimme zusammen mit der, die er stets dann hörte, wenn ihm eines seiner Kunststücke gelungen war, als er das Gesicht Neferus sah. Ihr war deutlich anzusehen, dass sie nicht erwartet hatte, er habe sein Buch hier, hatte sie es doch das letzte Mal gesehen, als sie es ihm bemüht desinteressiert auf sein Bett in der Natter geworfen hatte.
Mit einer Selbstverständlichkeit, die an Provokation grenzte, öffnete er den Buchdeckel und sah unnötigerweise in das Inhaltsverzeichnis, ehe er zu dem Abschnitt mit der Blumensprache blätterte. Das Kichern in seinem Geiste erfüllte ihn mit Frohsinn. Dajin VII., der scharfsinnige Affe, hatte es ihm kurz nach der Landung des Buches auf der Bettstatt, zugesteckt. Die Ausbildung des pelzigen Gauners kam wesentlich schneller voran, als er bekannte – und als er erwartet hatte. Bisweilen waren die Augen des Affen beängstigend klar. Und die Art auf die er selbst komplexere Anweisungen nicht nur verstand, sondern auch befolgte, beunruhigten den Geweihten mehr, als er zuzugeben bereit war. Aber seine Intuition sagte ihm, dass der Affe mehr Freund denn Feind war – und mehr konnte er nicht verlangen.

Mit einer lässigen Geste tippte er auf das Bild der fraglichen Pflanze. „Brunnenkresse. Es war Brunnenkresse.“, antwortete er auf ihre Frage nachdrücklich und zögerte nicht, ihr in die Augen zu sehen. „Es bedeutet, dass du mein künftiges Glück bestimmst.“ Er betonte die Worte so entschieden, dass kurz ein Schweigen in der Luft lag, ein Atemanhalten. Beide sahen sich mit ruhigen, fast ausdruckslosen Gesichtern an. Das eigentlich Wichtige fand im Inneren statt, während ihre Körper still verharrten, wie vergessene Puppen.
Dann umspielte ein fuchsartiges Lächeln seine Mundwinkel, als könnte er den Stillstand nicht länger aushalten, klappte das Buch wieder zu und ließ es in der Tasche verschwinden, als habe er es just für diese zwei Sätze aus dem Limbus herbei gezaubert. Er liebte es, die Fassade des Geheimnisvollen für sie aufrecht zu erhalten. Er garantierte sich selbst, dass das Obskure sie anzog, bis sie es entworren hatte.
Der erhoffte Begeisterungsausbruch auf die blumige Aussage blieb beklagenswerterweise aus. Stattdessen starrte Neferu einen Augenblick erst ihn, dann die Fuchsstatue gedankenversunken an. „Erinnerst du dich an die Zeit in Grangor…“, murmelte sie dann. „In der ich dir geradezu nachgelaufen bin? Ich habe in der ganzen Stadt nach dir gesucht. Ich bin in diese Gardistenschenke gegangen um deinen Freund Peffer aufzusuchen und ihn auszufragen. Ich war im Rahjatempel, denn es hieß, da würdest du schlafen. Ich lief die Brücken ab – besonders die eine auf der ich dich das erste Mal gesehen hatte -, Gassen und Straßen. Ich mischte mich fragend unter Grangors Bettler und Grangors Gaukler, in der Hoffnung, dich zu finden. Aber gefunden habe ich dich nie. Ich konnte damals nur warten, dass du irgendwann mich finden würdest.“
Die Worte Neferus stellten ihm die Nacken- und Armhaare auf. Nicht ihres Inhalts wegen, sondern ob ihres Tonfalls. Die sachliche Distanziertheit war aus ihrer Stimme verschwunden. Weder Trotz noch Wut waren herauszuhören. Nur erschöpfte Traurigkeit oder Resignation, er vermochte es nicht genau zu unterscheiden.
Sie atmete hörbar ein, sah ihn ruhevoll an, dann teilten sich ihre Lippen erneut.
„…und das ging nicht vorbei. Ich dachte früher, dass ich irgendwann bei dir ankommen würde, aber das bin ich nie. Auch all die Monate, mittlerweile Jahre, die wir beieinander waren und das Bett teilten in einer Häufigkeit, als würde Rahja uns dafür bezahlen.. hab ich dich nie ganz gefunden.“ Ein angestrengtes Durchatmen unterbrach sie selbst. „Oh Götter, wie ich hier philosophierend schwadroniere… Aber..“ Neferu gestikulierte mit ihren langen Fingern wortefindend, „ich weiß nicht, wie ich es ausdrücken soll, dass es nicht klingt, als wäre ich ein melancholischer Bänkelsänger vom Born.. Wir.. wir haben immer nur nebeneinander gelebt Phexdan, nie miteinander. Wir waren beieinander, aber nie zusammen. Ich war nie ein wirklicher Teil deines Lebens. Du hast mir nie wirklich vertraut.“ Diese Worte versetzten ihm einen Stich ins Herz. „Ich habe es wirklich versucht. Lange und immer wieder Phexdan, aber es soll einfach nicht sein. Du hast mich nie am deinem Innersten, deinen Wünschen und Zielen teilhaben lassen. Ich habe immer nur das Lächeln gesehen, das du nach außen trägst. Mir ist bewusst, dass es genau das ist, was Phex von uns erwartet. Und nach außen hin, für die Welt, ist es auch das Richtige. Aber es ist nicht das Richtige, was zwischen einem eingeschworenem …Paar sein sollte.“ Sie hatte wohl vorerst geendet. In der Dunkelheit in der nur eine Fackel tanzte, die im Rundschrein entzündet war, brachen sich schwarze Schatten in ihrem Gesicht. Ihre grünen Tulamidenaugen bohrten sich erwartend und ernst in seinen Blick, spiegelten verzerrt sein eigenes Gesicht.

Er atmete leise aus. „Ich bin dir seit Jahren auf dem Fuß gefolgt, Nef. Habe Grangor verlassen, den Tempel, den ich dort gebaut habe jemand anderem übergeben. Ich habe dich ständig gesucht – selbst als du eine Nacht vor unserer Hochzeit das Schiff bestiegen hast und geflohen bist. Ich habe mich sogar nach Greifenfurt hinein geschlichen. Glaubst du, dass tue ich für jeden? Für Menschen, denen ich nicht traue?“ Er schüttelte seinen Kopf, ehe er ihr noch einmal durch die Haare fuhr und seine Stirn an ihre legte. Einen Augenblick herrschte Stille. „Ich stehe dir vollkommen offen. Alles was ich bin und was ich denke. Frage und ich werde dir antworten. Ehrlich und ohne etwas zu verheimlichen.“

Sie neigte sich in seine Richtung, betrachtete ihn mehrere Augenblicke lang schweigend.
„Du bist auch hier in Gareth ständig fort in der Nacht. Wohin gehst du? Zu einem Freund, einer Frau oder in den Tempel? Begehst du einen Bruch ohne mich? Oder tust du ganz etwas anderes? Ich könnte es nicht sagen, denn ich habe das Gefühl, dass ich dich trotz aller körperlicher Nähe nie wirklich kennen gelernt habe, Phexdan.“
„Ich kann dir verraten, es ist wichtig.“ antwortete er ohne Zögern, „Wichtiger als eine Einbruchsplanung, wichtiger als der Raub der Kronjuwelen und wichtiger als jeder Betrug.“Er beugte sich verschwörerisch vor, um ihr den Eindruck zu vermitteln sie sei Teil seiner eingeschworenen Gemeinschaft. „Ich gehe in meinen Garten. Kaum mehr als ein kleines Stück Erde zwischen einer windschiefen Kate und der Stadtmauer – aber meiner. Nunja…jedenfalls bis ihn jemand anderes findet. Dort habe ich die Kresse und den Efeu gezogen.“ Er lächelte sachte, als ihn ehrlich überraschte Augen verwundert ansahen.
„Aber…wie wächst dort etwas? Es ist Winter und für die Blumen viel zu kalt.“, forderte ihre dunkle Stimme eine weitere Antwort ein. Er blies die Wangen ein wenig auf. Die Antwort würde ihr sicher nicht gefallen…

Gareth 12 (Neferu) (FIR 1013)

Als sie wieder zu sich kam, war Neferu die ersten Momente nur träge in der Lage, ihre Situation zu erfassen.
Es war dunkel, kalt und nass. Sie lag auf dem Boden, nicht ausgestreckt, sondern zusammengerollt. Der klamme Untergrund der Kanalisation hatte sich frostig-feucht unter ihre Kleidung geschlichen und ihre Hände und Füße waren eiskalt. Modriger Gestank benebelte ihren Geruchssinn.
Da waren Laute, die bedrohlich schmatzend in ihre Wahrnehmung huschten und ihr einen Schauer verpassten. Es war so furchtbar düster, nur Schemen waren zu erkennen, selbst wenn man die Augen zukniff.
„Neferu?“
Sie hob mühsam, noch immer benommen den Kopf. Direkt neben ihr stand Phexdan, in breitbeiniger Verteidigungsposition. Er flüsterte nur.
„Es liegt ein Schutzkreis um uns herum. Die Ghule können nicht zu uns. Noch nicht…“
Ach ja. Die Ghule. Sie war besinnungslos geworden.
Welch vorbildliche Phexgeweihte sie doch war. Nicht einmal in der Lage, die schwarzen Punkte der Ohnmacht zu verdrängen, die einem vor den Augen tanzten, ehe man aufschlug.

Sie appellierte an ihre Selbstbeherrschung und stemmte sich auf die Beine. Zuerst noch etwas wackelig in den Knien, dann in festem Stand.
„Was machen wir jetzt?“ murmelte sie, aber ohne eine Antwort von Phexdan zu erwarten. Sie ließ wie zur eigenen Antwort die Blicke schweifen. Es war nicht einfach, etwas zu erkennen, aber bei einem war sie sich sicher: Kaum eine Armlänge von ihr entfernt sickerte in einem aus Steinquadern gebauter Kanal das Wasser durch die Unterstadt, das den Müll der reichen Städter nach sonstwo beförderte. Abfall und Verlorenes schwamm da unfreiwillig im brackigen Wasser. So auch ein Ast… Ein recht stattlicher Ast, wie man zugestehen musste. Die Vergangenheit des Holzes würde voraussichtlich für immer ein Rätsel bleiben, aber nicht unbedingt seine Zukunft.
Die rote Hexe fasste ihren Mut und griff beherzt aus dem sicheren karmalen Kreis heraus nach dem Holz.
Es war recht frisch und nicht morsch und verhieß eine Möglichkeit, den widerlichen Kreaturen der Unterstadt Gareths heilen Leibes zu entkommen.
Sie hielt den kräftigen Stock in beiden Händen, fokussierte ihre Gefühle, projizierte ihren Zorn und Gewaltbereitschaft in die künftige Waffe und warf sie in die Richtung des Schlurfens und Kratzens. Aggressiv belebt, schlug der Radau unkaputtbar um sich, verdrosch die weißäugigen Ghule, von denen wenigstens einer mit zermatschtem Schädel sein Ende fand.
Die anderen zwei prügelte der Stock auf nimmerwiedersehen durch die unterirdischen Gänge, bis er außer Reichweite des Blickes der Hexe lauthals zu Boden fiel.
Zurück kamen die Menschenfleischfresser trotzdem nicht.
Durchatmend wagten sich die zwei aus ihrem phexgesegneten Kreis.

Unbehelligt legten sie in der Finsternis ein Stück Wegstrecke zurück, das in etwa der bereits Gegangenen entsprach. Beide schwiegen, viel vorsichtiger und leise atmender als zuvor.
Nef war schwer erleichtert, als sie beide den Tunnel erreichten, den sie als Hauptabschnitt erkannte. Sie wusste jetzt, wo sie war und wo sie hin wollte.
Sie bogen in einen schmalen Gang, der nach oben führte. Die Wände verloren an Algen und Feuchtigkeit.
Die vermeintliche Sackgasse an der Neferu schon einmal gewesen war, täuschte sie nicht mehr, wusste sie doch, was sich Wunderbares dahinter befand: Ein Einsprengsel des Phex. Eine Notunterkunft, ein Schrein zum Beten. Sie entfernte vorsichtig die Holzvorrichtung und führte Phexdan in die kleine runde Kammer.

In ihrem Kopf hatte sie übertrieben. So heilig und einem Schrein sehr ähnlich war es dort gar nicht. Zumindest nicht im Ansatz so wie es als Eindruck in ihr zurückgeblieben war.
Soviel Platz war auch gar nicht in der winzigen Kammer. Der runde Grundriss war ausstaffiert mit einer Strohmatte, einer alten Wolldecke und einer Feuerschale, in der tatsächlich Glut geschürt wurde. Die Decke war sehr hoch, dass man das Gefühl hatte, sich in einer senkrechten, steinernen Röhre zu befinden, in deren Wände allerlei Nischen, verborgene und offensichtliche, getrieben worden waren. So lagen dort Dietriche, ein Satz einfache Kleidung, ein Klumpen Weihrauch und ein kurzes Seil.
Dominiert wurde der Ort des Rückzugs von einer silbernen, aufrecht stehende Fuchsstatue, die eine ebenso silbrige Schale in den Vorderpfoten hielt.
Diese Statue musste das Gefühl von Heiligkeit das letzte Mal bei ihr ausgelöst haben. Dieses Mal aber war sie viel zu müde. Das musste noch von dem Schwächeanfall kommen, gestand sie sich peinlich berührt ein. Phexdan sah sie allerdings nicht schadenfroh und neckend an, sondern ruhig und abwartend.
Sie legte ein Silberstück in den Opferstock und setzte sich im Schneidersitz auf die Decke.
„Komm..“ forderte sie ihn auf. „Wir müssen reden. Wirklich reden, über alles. Eine Aussprache. Das haben wir noch nie getan.“

Gareth 11 (Neferu) (FIR 1013)

Das Wetter an diesem Wintertag war ohnehin nicht wolkenlos und heiter genug, als dass es sich gelohnt hätte, Obertage seine Zeit zu verbringen.
Ein Gedanke, den Neferu so oder so ähnlich fasste, als sie durch die feuchte Kälte der Garether Kanalisation wanderte, in die sie der Schacht über eine rostige Stiege in die Tiefe geführt hatte.
Dicht an ihrer Seite bewegte sich Phexdan, sie hörte seine Kleidung rascheln.
Und obwohl sich beide bemühten ihre Geräusche zu dämpfen, tat das Echo, das auch geminderte Laute auffing und zurückwarf, sein Übriges.
Beide bewegten sich in fast vollständiger Finsternis durch die lichtlose Ader, die sich unter der Hauptstadt des Mittelreiches erstreckte.
Er behalf sich mit der Liturgie ‚Auge des Mondes‘, während sie ihre Sehfähigkeit mit der Macht einer Satuarienstochter verbesserte: Ihre Augen waren nun die einer Katze.
Die schmalen Pupillen ließen sie wenigstens die Konturen der fremden Umgebung ausmachen.

Der Gang vor ihnen war von halbrunder Form, einst errichtet aus abertausenden gebrannten Ziegeln. Es troff und tropfte von überall her; ein unregelmäßiges Konzert des Grundwassers.
Wenigstens konnte sie kein Rascheln oder Quieken in nächster Nähe hören. Der Gedanke an wimmelnde Leiber huschender Nagetiere verpasste ihr eine unschöne Gänsehaut.
Mittig zog sich träge ein breites Rinnsal dunkler Brühe in dem der Abfall gärte, das zum großen Teil wegen der schlechten Sichtverhältnisse und des Verwesungszustandes nicht näher hätte definiert werden können. Sie hatte ohnehin keine große Lust den Müll der Städter zu analysieren.

Diese unterirdische Welt, in die sie gemeinsam eintauchten war so befremdlich still, dass sie trotz des Dranges leise vorzugehen nach kurzer Zeit miteinander flüsterten.
Sie erzählte ihm von dem Rätsel, dessen neueste Spur sie in der Weststadt am Giebel eines Hauses gefunden hatte.
Von ihrem, wie sie vermutete, nötigen Einbruch in die Archive Störrebrandts.
Und ebenso von ihrem Bestreben, so rasch wie möglich – doch natürlich ohne überhastet vorzugehen – eine große Menge Gold zu erbeuten. Sie hoffte, dass sie mit Hilfe der kleinen Schnitzeljagd auf etwas stieß, das sich zu Dukaten machen ließ.
Ihre dunkle Stimme wisperte nur und dennoch schien sie den gesamten Untergrund zu erfüllen, der die Laute der Oberstadt nicht gewohnt war und jedes Gehör sensibilisierte.
Eine seltsame Unruhe hatte die Stadthexe ergriffen, doch sie wusste, dass es nicht die Unterstadt selber war, die sie so aufwühlte.
Es war die Gegenwart Phexdans. Und nur Phexdans. Sie beide waren völlig allein dort unten. Hatten nur sich. Waren aufeinander angewiesen.
Und es war nicht so, dass sie sich bei ihm in Gefahr oder schlecht aufgehoben gefühlt hätte. Im Gegenteil. Seine Anwesenheit gab ihr die Sicherheit, dass es ein ungewöhnlicher Spaziergang war, den sie da unten in den Tiefen veranstalteten.
Und trotzdem sprach sie nur über Pläne und Ziele. Als wären sie beide Geschäftspartner.
Für Phex ist alles ein Geschäft, so hatte man es ihr oft gepredigt. Und auch wenn Phex Vespers Herr, ihr Mentor, ihr Gott aller Götter war, so fand sie in ihrem Hexenherz kein Platz für diese Richtlinien in Belangen des Gefühls.
Emotionen waren nie ein Geschäft.
Man konnte sie nicht eintauschen, verkaufen oder überzeugen, nicht blenden oder hintergehen.

Phexdans Lippen bewegten sich. Er antwortete ihr, doch sie hatte nicht zugehört. Sie hörte sein gewitztes Lächeln, auch wenn sie es in der Schwärze nur erahnen konnte.
Irgendeinen Ratschlag hatte er ihr wohl gegeben. Oder er hatte sie geneckt.
Wie lange waren sie schon dort unten? Als sie den Kopf nach hinten wandte, konnte sie keinen Lichtpunkt mehr erkennen.
Der Gang ging weit geradeaus. Er bog nie ab sondern verlief als gerader Kanal immer strikt nach vorn..

Wie oberflächlich sie mit ihm gesprochen hatte. Von Geld hatte sie geredet.
Zu gerne hätte sie mit ihm gesprochen, anstatt nur zu reden. Sich ausgesprochen, sich Luft gemacht.
Obwohl es Zerwas war, der irgendwo da draußen auf sie wartete, der einfach anknüpfte an vier verlorene Jahre, der Ewigkeit versprach und Beständigkeit, trotz all dem war sie hier unten mit Phexdan.
Und je näher sie den Kerngedanken einkreiste, desto deutlicher Manifestierte sich die Erkenntnis, dass sie Phexdan absichtlich separiert hatte.
Sie hatte ihn nach hier unten gebracht, damit sie beide die Einsamkeit uralter Gemäuer miteinander teilen konnten.
Damit sie zu Atem kommen konnten, damit die Zeit kurz anhielt.

Sie spürte Phexdans gleichgroße Gestalt direkt neben sich, auch ohne zu seinen Umrissen hinüberzusehen. Ab und zu berührten sich versehentlich ihrer beide Schultern. Sein Leib, seine vertraute Aura war so nah. Und trotzdem war alles nur noch ein Geschäft unter Kollegen.
Sie hörte die Schritte der Füße, im gleichen Takt und…

Was war das? All die letzten verstrichenen Augenblicke hatten sie eingelullt in die fast gleichbleibende Geräuschkulisse der nassen Tiefen. Und jetzt…
Links und rechts ragten zwei große runde Zylinder in die breite Kanalisation.
Vergitterte Abflüsse zu beiden Seiten, aus denen es leise plätscherte.

Einer der runden, steinernen Abflussschächte war nicht gänzlich durch rostige Eisenstäbe versiegelt. Schief hing das Gitter in schon lange gebrochenen Angeln.
Ein fast mannshohes schwarzes Loch führte in die Tiefe.
Und da war dieses Schaben und Schlurfen…
Und dann sahen sie es beide:
Kreaturen krochen zuerst scheu und neugierig, dann grotesk wild auf sie beide zu. Das Schaben wurde lauter, schneller..
Das waren keine Menschen.
Neferu wich zurück, ebenso Phexdan.
Gieriges Schmatzen und niederhöllisches Fauchen wurde von der runden Decke zurückgeworfen und erschwerte die Lokalisierung der Angreifer, die die Phexgeweihten huschend umzingelten.
Waren es zwei…? Drei oder vier?
Phexdan und Neferu drückten sich Rücken an Rücken. Sie zog hastig ihren Dolch, auch wenn sie immer noch nicht hatte erkennen können, was bei den Zwölfen sie da angriff.
Ein lautes Platschen zerriss den Gleichklang der Töne, als eine der Kreaturen den mittigen Kanal überwand.
Nur ein Augenblick später wurde die rote Hexe seiner ansichtig: Ein nacktes, sehniges Geschöpf, das dämonengleich auf allen Vieren kroch. Die langen, messerscharfen Klauen an Händen und Füßen kratzten schwarz über den Stein. Das Maul öffnete sich zu einem Schlund mit drei Kiefern, alle zähnebewehrt, als es sie aus toten, runden Augen bösartig anstarrte.

Sie merkte nur noch, dass sie schwindelig taumelte und gab in einem Gedankenstoß ihrer miesen Konstitution, ihrer Bluarmut die Schuld.
Sie musste dringend etwas gegen ihre nahezu trockengelegten Adern tun.
Dann verdrehten sich ihre Augen, als ihr innerlicher Fluch jäh abbrach. Es wurde schwarz und Ohnmacht umfing sie.

Gareth 10 (Neferu) (FIR 1013)

Phexdan kam diese Nacht nicht nach Hause.
Dafür aber der Vampir, der seinen unstillbaren Durst in der Dunkelheit an etlichen Garethern gestillt hatte, die sich zu später Stunde aus dem Haus gewagt hatten.
‚Von jedem nur ein Schlückchen‘ war seine neue Devise, um den Schaden für den Einzelnen zu minimieren, auch wenn die Jagd durch diese löbliche Entscheidung in die Länge einer ganzen Nacht gezogen wurde.
Er hatte sich zu ihr gelegt und das neue Blut, das er seinen Opfern entzogen hatte, tat seine kurzfristige Wirkung: Er war warm.
Sie fröstelte dennoch, als sie aus einem traumlosen Schlaf erwachte.
Die Dachkammer in der ‚Smaragdnatter‘, die sie teilten, war wenig gedämmt, aber immerhin waren sie alle zusammen. Zumindest in der Regel. Sie späht widerwillig hinüber, zu Phexdans leerem Bett und erhob sich mit morgendlicher Unbeweglichhkeit.

Ihr erstes Ziel war der Pentagontempel der Hesinde. Er lag gewissermaßen um die Ecke.
Auf den Blutulmen des fünfseitigen Platzes lag der Raureif eines Wintermorgens. Kalt und neblig erschien Gareth auch wenn sich allerorts kleine warme Lichter durch den Dunst brachen. Rohal selbst sollte diese Bäume gepflanzt haben, diese Mär kannte sie als gute Garetherin.
INITIUM SAPENTIAE FIDES HESINDIAE stand da in Silberlettern über dem Torbogen. Hätte Zerwas, der des Bosparano mächtig war, ihr nicht mitgeteilt, wie die Übersetzung lautete, wäre sie voll Unwissenheit über die alte Sprache an der Übersetzung des Sinnspruchs kläglich gescheitert: Der Anfang aller Weisheit – das Vertrauen auf Hesinde.
Neferu blieb mehrere Stunden in den Hallen des Wissens, im Sternensaal der weisen Göttin.
Einerseits hielt sie nach Helke Borgian Ausschau, der Schlangenhexe aus dem Südquartier. Doch von der Frau war nichts zu sehen.
Zum Zweiten suchte sie. Nach Informationen. Bezüglich der Ingredienzien, die sie für den Alchemisten Grabensalb besorgen sollte und ebenso nach solchen, die mit dem Rätsel zu tun haben konnten, das sie und Zerwas im Dachfirst der Weststadt gefunden hatten.

AKTE 2098-031,REG.:BO,
1007 BF (SOLDLST. BEWACH. WAGENZ.) STB

Aber nichts. Zumindest zu Letzterem. Sie hatte eigentlich nichts anderes erwartet, aber das Ausschlussverfahren hatte ihr auch in der Vergangenheit gute Dienste erwiesen. Also half es nichts: Um der Spur zu folgen und zu entschlüsseln, was sie da entdeckt hatte, musste sie wohl oder übel bei Störrebrandt eindringen und in seinen Akten lesen…

Gegen Mittag trugen sie ihre Schritte, wie immer eilig und lang, damit niemand auf die Idee kam, sie aufhalten zu wollen, ins Südquartier.
Ihre größte Investition wartete und reifte da in den Schatten der überhöhen, schiefen Gebäuden der Ärmsten und Gescheiterten.
Das Lowanger-Greiber-Waisenhaus beherbergte über ein Dutzend verlassener Kinder, die vermutlich alle einen diebischen Hintergrund hatten. Denn anders hätten sie so allein in
Eschenrod niemals solange überlebt, bis sie gefunden worden oder selbst gekommen waren.
Dann und wann kehrte Neferu ein und sprach mit Mutter Harina, der Travia-Geweihten, die sich um die Verlorenen sorgte. Neferus Interesse war nicht einzig gutmütiger und selbstloser Natur. Natürlich identifizierte sie sich mit all den schlecht angezogenen und rotznasigen Kindern, die auf der Straße niemanden gehabt hatten, der sich darum scherte, ob sie lebten oder starben.
Gleichermaßen aber brauchte sie ein Netz. Und die phexgeweihte Auelfe Nith Mondklinge, ihre eigene Mentorin aus der Seilerei und der Taverne „Mondklinge“ hatte es in der Vergangenheit vorgemacht: Die formbaren Jüngsten waren die rechten Hände, die Ohrenflüsterer und Türöffner von Morgen.
Sie hatten einen möglichen magischen Siebenjährigen namens Kuliff. Neferu notierte sich das Alter und den Namen nickend, mit dem Vermerk: Salpico
Außerdem war da die elfjährige Efferdlieb. Von gerechter Natur und furchtlosem Wesen, war sie halbtot und ohne Erinnerung gefunden worden. So hatte sie ihren Namen erhalten.
Schlau sollte die kleine Efferdlieb sein und fingerflink. Die rote Hexe unterstrich sich den Namen des Mädchens. Doppelt.

Gedankenvoll und langschrittig führte ihr Weg sie zurück ins Innere der Stadtmauern von Gareth.
Sie musste innerlich gestehen, dass sie – ein Kind der Gosse – sich selbst mittlerweile in Alt-Gareth wohler fühlte, als in den engen, schmutzigen Gassen der Vorstädte.
Der Blick starr und glasig vom kalten Wind, bemerkte sie Phexdan nicht, der ihr zwischen den Häusern hindurch und an ihren Wänden entlang, folgte.
In der Smaragdnatter angelangt, war niemand da. Zumindest niemand, der für sie Bedeutung gehabt hätte.
Das Zimmer sah leer aus mit drei verwaisten Betten.
Aber was war das?
Auf ihrem Bett lag ein Körbchen. Darin dunkle Erde und zwei Gewächse. Das eine erkannte sie: Es war Efeu. Das zweite… kleinstköpfiger Salat?
Neferu runzelte die Stirn, die Pflänzchen auf ihren Schoß hebend.
Darunter lag ein Buch. Es titelte: Manieren für Männer
Ihre Verwunderung wich dem Drang, das Geheimnis einer jeden auf den ersten Anhieb nicht ganz schlüssigen Tat, lüften zu wollen.
Sie blätterte in dem Büchlein, während ihre langen Finger die zweifach geringte Phexkette um ihren Hals ziellos betasteten.
Es standen viele Pflanzen in dem Buch, ebenso wie ihre Bedeutungen.
Ganz unzweifelhaft, wollte Phexdan ihr mit diesen zwei Grünlingen etwas mitteilen. Diese Aktion roch ganz eindeutig nach Phexdan.
Und da war es auch schon.. Efeu.

Efeu als Sinnbild für Liebe, Freundschaft und Treue
Wer eine Efeupflanze verschenkt, der bekräftigt die Verbindung und Freundschaft mit einem anderen Menschen. Kein Wunder also, dass auch Verliebte gerne die Pflanze mit den teils herzförmigen Blättern verschenken, denn Liebe ist stärker als der Tod.

las sie und drückte die Lippen aufeinander. Ihr Gefühl hatte sich noch nicht eingependelt und vermischte in ihrer Brust Missmut und Wohlwollen.
Sie schlug das Buch zu und warf es auf Phexdans zerwühltes Bett, als hätte es sie gebissen. Sie war nicht mehr bei Laune auch das zweite Gewächs nachzuschlagen.
Aus unerfindlichen Gründen wütend, erhob sie sich forsch.
Als ihr Blick zur Tür ruckte, stand da Phexdan. Er lehnte seelenruhig im Türrahmen, als hatte er schon immer da gestanden.
Ein feines, füchsisches Lächeln lag auf seinem jungenhaften Gesicht, dessen Bart in Kraut und Rüben wucherte. Charmant zerzaust stand das Haar in wild-unbändigen Wellen kurz von seinem Kopf ab.
„Na?“ begrüßte sie die mitteltiefe Stimme des Phexgeweihten. Als wäre er nicht die ganze Nacht ohne ein Zeichen auf Leben fort geblieben.
Und obwohl sie dieser Umstand in einer schmerzlichen Art enttäuscht zürnte, überwog die Erleichterung, dass er wohlbehalten und frech wie eh und je vor ihr stand.
„Du wolltest mir immer noch die Seelenprüfung zeigen.“ etwas anderes fiel ihr gerade nicht ein, außer dieser Wunsch, diese spaßhafte Forderung, dass er ihr zu Diensten sein sollte.
„Ich habe im Übrigen etwas entdeckt..“ fügte sie geheimnisvoll hinzu. Sie wollte sich interessant machen, warum, das wusste sie nicht.
Sie fragte ihn nicht, wo er all die Stunden gewesen war, sondern nutzte die Gelegenheit, ihn zu verletzen, wie er sie verletzt hatte.
Ein ewiges Hin und Her.
Sie führte ihn zum Traviatempel, nicht ohne Andeutungen. Phexdans Gesicht blieb schwer einzuschätzen, wie immer. Sicher erwartete er, dass es sich ohnehin nur um einen rachsüchtigen Scherz ihrerseits handelte. Wozu die Rache war, war unerheblich. Es war soviel Ungünstiges zwischen ihnen passiert, dass es mittlerweile für kleine Sticheleien mehr als genug Raum gab.
Der Halbmaraskaner ging an der Seite der Halbtulamidin hinter den Tempel der Göttin der ehelichen Treue, des anheimelnden Herdes und der Familie.
Schnell huschten ihre Augen prüfend umher, ehe sie den Schacht im wenig einsichtigen Hinterhof öffnete.

Den Geheimgang in die Unterstadt, den Weg in die alte Kanalisation…

Gareth 8 (Neferu) ( –––)

Die Räumlichkeiten der Smaragdnatter beheizten ihren durchgefrorenen Körper, das ungewöhnliche Bild ihr Herz:
Vereint besetzten Salpico, Zerwas und Phexdan einen der Tische. Phexdan lümmelte halb liegend auf der Bank, während Zerwas sich mit brütender Miene über ein Schriftstück neigte.
Sie wünschte sich, dass es diese Eintracht immer gab, wollte den Anblick noch einen Augenblick länger ungesehen genießen.
Der Schankraum war an diesem Abend nur halbvoll. Sie trat einen Schritt zur Seite in den tiefen Schlagschatten der Ecke einer vorspringenden Wand und blickte stumm und reglos zu den drei Männern hinüber. Salpico neigte sich zu Zerwas, sie unterhielten sich. Der kleine maraskanische Koboldmaki Dajin hatte es sich auf Phexdans Zauskopf gemütlich gemacht, filzte lausend die kurzen Strähnen.
Die drei Männer an einem Tisch, die in ihrem Leben bisher eine Rolle gespielt hatten – bis auf den Rondrageweihten.
Phexdan, Vespers erste große Liebe. Der Mann dem sie hinterhergelaufen war, um nie ganz bei ihm anzukommen. Der in einem umnebelten Geheimnis lebte und sie außen vor ließ. Den sie besser von weitem liebte, damit er sie nicht mit seiner einzelgängerischen Auffassung einer Liebesbeziehung traurig machen konnte oder sie mit seiner stürmischen Gedankenlosigkeit überrumpelte. Er hatte nie ganz verstanden, warum es mit ihnen zweien nicht funktioniert hatte. Trotzdem waren seine offenen Arme immer da gewesen, wenn sie ihn gebraucht hatte.
Salpico.. das offene Buch. Er biederte sich an und bewies gleichermaßen empathielose Frechheit. Aber nicht aus Böswilligkeit, das hatte sie längst eingesehen. Er war ungeschickt mit Menschen, weil ihm die Erfahrung von Nähe fehlte. Er ging eifrig auf ihre Vorschläge ein und hatte mit ihr das Bett geteilt, als sie die körperliche Nähe einer Person benötigt hatte. Er war ein Freund und als einen solchen liebte sie ihn. Ein kleiner Bruder, der in der Welt noch nicht zurechtkam.
Zuletzt Zerwas. Die erhabene Ewigkeit, die wie für sie selbst gemacht schien. Kraftvoll, willensstark und nicht ohne den beißenden Humor, den sie so schätzte. Der Mann, wegen dem Vesper das größte Leid ihrer Existenz erfahren hatte, als sie ihn verloren geglaubt hatte. Das dunkle offene Fenster, das jetzt verheißungsvoll entgegenblickte.
Zerwas sah sie an. Quer durch den Schankraum hatten seine grünen Augen sie gefunden.
Er hatte sie bemerkt und lächelte sein ruhiges, selbstbewusstes Lächeln. Hatte er sie gerochen?

Entdeckt schritt sie auf den Tisch zu.
„Phexdan war endlich einmal nützlich.“ billigte der Vampir dem Genannten zu.
„Seine Fähigkeiten des Handelns haben den Preis ganz ordentlich gedrückt.“ ergänzte der Schwarzmagier.
Der Geweihte des Fuchsgottes hielt es nicht für nötig, sich aufrecht hinzusetzen.
„Und wie viel wird der Bau kosten?“ Neferu hoffte inständig, dass ihre Ersparnisse und das Geld aus der Verhandlung ausreichen würden, um diesen Traum eines eigenen Hauses möglichst zeitnah umzusetzen.
„Zweitausendsechshundertsiebenundsiebzig Dukaten und fünf Silberstücke.“ antwortete Salpico prompt, hoffnungsvolle Erwartung in den schwarz anmutenden Augen.
Die Frau in Rot nickte deutlich. „Dann reicht es. Die Bauarbeiten sollen so schnell wie möglich beginnen. Ich werde in Kürze noch einmal mit dem Baumeister sprechen.“

Als die Stunden weiter vorangeschritten waren, verließ Zerwas die Unterkunft. Er machte sich auf, um durch unbeschienene Gassen zu streifen auf der Suche nach einem Unglücklichen, der seine Nahrung sein würde. Neferu begleitete ihn ein Stück weit. Sie wusste, spätestens nach seinem Verlust an Selbstbeherrschung auf der Boroninsel in Havena, seit dem Tag an dem er sie fast getötet hatte, empfand er es als unangenehm, vielleicht sogar schmerzlich beschämend, in ihrer Gegenwart von seinem Drang des Trinkens zu sprechen. Und umso unbehaglicher war ihm wohl, dass sie mit ihm vor die Tür gekommen war.
Aber es hatte zu schneien begonnen und sie benötigte frische Luft. Außerdem war ihr dringend daran gelegen, den Perainetempel aufzusuchen.
Während Zerwas in Rosskuppel durch die Nacht jagte, gelangte sie zum Tempel von Ackerbau und Heilkunst.
Ein Geweihter war zugegen, ein großer, dürrer Mann namens Rohalides. Er war sehr freundlich, mitfühlend und ließ es an Hingabe an seine Berufung nicht mangeln. Im Gegensatz zum Therbunitenkloster in Trallop, verlangte man hier kein Geld. Das einzige, was es benötigte, ihr Sikaryan zu mehren, war ein zwölftägiger Aufenthalt im Tempel der Göttin selbst.
Und sie spürte von Tag zu Tag, dass es dringend nötig war. Ihre Augenringe zeichneten ihr Gesicht, verliehen ihr ein abgeschlagenes Äußeres. Müdigkeit, Erschöpfung und das Gefühl von Krankheit seit drei Monaten. Sie musste sich der Perainekirche überantworten, um wieder gänzlich zu genesen.

Als sie zurückkam saß lediglich Salpico unten im Tavernenbereich, kritzelte irgendwelche Aufzeichnungen nieder und aß dazu eine dampfende Suppe.
„Willst du auch was?“ Er war guter Laune.
„Nein, danke. Ist Zerwas schon zurück? Oder Phexdan oben?“ Sie fühlte sich mit einem Male ausgelaugter und um Jahre gealtert.
„Beide nicht da! Aber ich komm gerne mit dir hoch!“ beschwingt lupfte er sein Robenröckchen und schlenderte mit ihr nach oben.

Sie war froh, als sie das Talglicht im Dachzimmer entzünden konnte. Ein Docht mit warmer Flamme gab ihr ein anheimelndes Gefühl.
Sie rückte ihr Bett schurrend ein wenig näher an Salpico heran, schlüpfte unter die Decke. Warm war anders. Ihre Zehe waren wie eingefrorene kleine Zapfen und Eisblumen schmückten gläsern das Fenster.
„Wann hat Phexdan denn die Natter verlassen?“ Sorgte sie sich..?
„Ach.. so vor einer Stunde vielleicht.“ Das tulamidische Gesicht ihr Gegenüber zeigte kaum eine Spur von schlechtem Gefühl.
Rastlos linste sie immer wieder zur Tür.
„Am liebsten würde ich nachsehen, wo er sich schon wieder rumtreibt.. Er kennt Gareth kaum. Er weiß nicht wie gefährlich eine Großstadt bei Nacht sein kann..“
Der Brabaker zog einen Schmollmund. „Jetzt bin ich extra mit dir hochgekommen, damit du nicht alleine bist..“
Gerade im Aufstehen begriffen, um den Phexgeweihten irgendwo im Labyrinth Gareths zu suchen, hielt sie inne.
Salpicos Worte versetzten ihr einen zarten Stich ins Herz. Er hatte Recht. Er hatte dafür gesorgt, dass sie nicht alleine war.
Und jetzt wollte sie ihn alleine lassen..? Wegen was? Wegen eines eigenbrödlerischen Herumtreibers, der seinen Kopf ohnehin aus jeder Schlinge zu ziehen vermochte?
Wegen eines Fuchses, der nicht einmal daran dachte die Füchsin zu fragen, ob sie ihm ihre Stadt zeigen konnte. Die geheimen Winkel, die interessantesten Plätze, die vielversprechendsten Ziele.
Er war immer ohne sie, auch wenn er bei ihr war. Und trotzdem hatte dieser Dieb es in Grangor geschafft ihr Herz zu stehlen, wenn auch nicht ihre Unschuld.

Sie lächelte den nekromantischen Freund sanft an. „Ich werde bleiben. Schlafen wir, Picchen.“
Und sie blies das Licht aus, um den Raum in die Finsternis zurück zu werfen.

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